Migrantinnen und Migranten streben in der Regel danach, ihre Handlungsmacht durch einen dauerhaften oder temporären Aufenthalt andernorts zu vergrößern. Das gilt für die Suche nach Erwerbs- oder Bildungschancen ebenso wie für das Streben nach Autonomie, Sicherheit oder die Wahrung beziehungsweise Umsetzung spezifischer Selbstkonzepte. Formen von Gewaltmigration (Flucht, Vertreibung, Deportation) lassen sich dann ausmachen, wenn staatliche, halb-, quasi- und zum Teil auch nichtstaatliche Akteure (Über-)Lebensmöglichkeiten und körperliche Unversehrtheit, Rechte und Freiheit, politische Partizipationschancen, Souveränität und Sicherheit von Einzelnen oder Kollektiven so weitreichend beschränken, dass diese sich zum Verlassen ihrer Herkunftsorte gezwungen sehen. Gewaltmigration kann dann als eine Nötigung zur räumlichen Bewegung verstanden werden, die keine realistische Handlungsalternative zuzulassen scheint.
Flucht als Ausweichen vor Gewalt
Der Begriff der Flucht verweist auf das Ausweichen vor Gewalt, die zumeist aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen, genderspezifischen oder religiösen Gründen ausgeübt oder angedroht wird. Im Falle von Vertreibungen, Umsiedlungen oder Deportationen organisieren und legitimieren institutionelle Akteure unter Androhung und Anwendung von Gewalt räumliche Bewegungen. Ziel ist es zumeist, Zwangsarbeitskräfte zu gewinnen oder (Teile von) Bevölkerungen zur Durchsetzung von Homogenitätsvorstellungen beziehungsweise zur Sicherung und Stabilisierung von Herrschaft zu entfernen, nicht selten aus durch Gewalt erworbenen Territorien.
Fluchtbewegungen sind selten lineare Prozesse, vielmehr bewegen sich Flüchtlinge meist in Etappen: Häufig lässt sich zunächst ein überstürztes Ausweichen in einen anderen, als sicher erscheinenden Zufluchtsort in der Nähe ausmachen, dann das Weiterwandern zu Verwandten und Bekannten in einer benachbarten Region beziehungsweise einem Nachbarstaat oder das Aufsuchen eines informellen oder regulären Lagers. Muster von (mehrfacher) Rückkehr und erneuter Flucht finden sich ebenfalls häufig. Hintergründe können dabei nicht nur die Dynamik der sich stets verändernden und verschiebenden Konfliktlinien sein, sondern auch die Schwierigkeit, an einem Fluchtort Sicherheit oder Erwerbs- beziehungsweise Versorgungsmöglichkeiten zu finden. Häufig müssen sich Menschen auf Dauer oder auf längere Sicht auf die (prekäre) Existenz als Flüchtling einrichten. Flucht ist vor dem Hintergrund nicht selten extrem beschränkter Handlungsmacht der Betroffenen oft durch Immobilisierung gekennzeichnet: vor Grenzen oder unüberwindlichen natürlichen Hindernissen, infolge des Mangels an (finanziellen) Ressourcen, aufgrund von migrationspolitischen Maßnahmen oder wegen fehlender Netzwerke. Ein Großteil der Flüchtlinge büßt durch die Unterbindung von Bewegung Handlungsmacht ein und erweist sich als sozial extrem verletzlich.
Durch Androhung oder Anwendung von offener Gewalt bedingte räumliche Bewegungen sind kein Spezifikum der Neuzeit – ebenso wenig wie Krieg, Staatszerfall und Bürgerkrieg als wesentliche Hintergründe von Gewaltmigration. Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Deportationen finden sich in allen Epochen. Die heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islam sind durchsetzt mit Berichten über Flüchtlinge, deren Aufnahme oder Abweisung. Antike Schriftsteller bieten umfängliches Anschauungsmaterial über die Hintergründe, Bedingungen und Folgen von Fluchtbewegungen. Zahllose Kriege und Bürgerkriege ließen Menschen fliehen, Repressionen führten zum Ausweichen ganzer Bevölkerungen, politische Gegner wurden ins Exil geschickt. Vergil erzählt in seinem Epos "Aeneis" von der Flucht des Aeneas und seiner Getreuen aus dem im Krieg überwältigten Troja nach Italien. Seine Nachfahren, Romulus und Remus, haben, so der Ursprungsmythos der Römer, die Stadt Rom gegründet und als erste Siedler einen heiligen Bezirk abgesteckt, der allen Menschen, die verfolgt werden, Asyl und Schutz bieten sollte. Rom, so lautete die Botschaft römischer Autoren, sei deshalb so mächtig geworden, weil es immer und in großer Zahl Verfolgte aufgenommen habe. Und der römische Politiker und Schriftsteller Cicero verweist in seinen Briefen aus dem römischen Bürgerkrieg auf ein existenzielles Grundproblem von Flüchtlingen: "Ich weiß wohl, vor wem ich fliehen soll, aber nicht zu wem".
Das "Jahrhundert der Flüchtlinge"
Einen Höhepunkt erreichte das Gewaltmigrationsgeschehen im 20. Jahrhundert – Hintergründe waren insbesondere die beiden Weltkriege, aber auch der unmittelbar auf den Zweiten Weltkrieg folgende Kalte Krieg und die eng mit diesem globalen Systemkonflikt zwischen Ost und West verflochtene Dekolonisation. Der Zweite Weltkrieg soll allein in Europa Schätzungen zufolge 60 Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Deportierte mobilisiert haben und damit mehr als zehn Prozent der Bevölkerung des Kontinents. Das Kriegsende bedeutete keinen Einschnitt, Folgewanderungen kennzeichneten die Nachkriegszeit. Dazu zählten zum einen Rückwanderungen von Flüchtlingen, Evakuierten, Vertriebenen, Deportierten oder Kriegsgefangenen sowie zum anderen Ausweisungen, Vertreibungen oder Fluchtbewegungen von Minderheiten aufgrund der Bestrebungen von Siegerstaaten, die Bevölkerung ihres (zum Teil neu gewonnenen) Territoriums zu homogenisieren.
Europa war im Hinblick auf den Umfang der Gewaltmigrationen im Zweiten Weltkrieg keine Ausnahme: Der Krieg im pazifischen Raum führte bereits zu einer extrem hohen Zahl von Flüchtlingen, bevor in Europa die Kämpfe begannen. Japan befand sich seit 1931 in einem unerklärten Krieg in der Mandschurei und in Nordchina. Dieser eskalierte 1937 und weitete sich rasch auf große Teile Nordost- und Südostchinas aus. 1939 soll die Zahl der Flüchtlinge, die vor Front und Besatzung im chinesischen Nordosten nach Zentral- und Südchina ausgewichen waren, bei 30 Millionen gelegen haben. Insgesamt überstieg die Zahl der Flüchtlinge im japanisch-chinesischen Krieg 1937 bis 1945 jene in Europa deutlich. Sie wird auf 95 bis 100 Millionen geschätzt.
Neben Krieg und Bürgerkrieg als Hintergrund von Gewaltmigration tritt das Handeln autoritärer Systeme. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts prägten nationalistische, faschistische und kommunistische Systeme, die ihre Herrschaft durch die Homogenisierung ihrer Bevölkerungen zu sichern suchten: um politische Homogenität durch die Marginalisierung oder Austreibung politischer Gegner zu erreichen (sowohl im Kontext nationalistischer als auch faschistischer und kommunistischer Herrschaft); um soziale Homogenität durch gewaltsame Nivellierung von Lebensverhältnissen und Lebensentwürfen durchzusetzen (etwa als Ausgrenzung und Druck zur Anpassung von "Klassenfeinden" in kommunistischen Herrschaften); um "ethnische" oder "rassische" Homogenität zu erzwingen (wie insbesondere im nationalsozialistischen Machtbereich). Als distinkt konstruierte politische, nationale, soziale, ethnische oder "rassische" Kollektive innerhalb der eigenen Grenzen wurden als Gefahr für Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur verstanden und zum Teil derart ihrer politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Handlungsmacht beraubt, dass ein Ausweichen alternativlos zu sein schien oder Vertreibungen und Umsiedlungen möglich wurden.
Die Geschichte der Gewaltmigration des 20. Jahrhunderts lässt sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen, Bedingungen und Formen der Nötigung zur räumlichen Bewegung beschränken. Vielmehr gilt es auch nach den Mustern der Aufnahme von Schutzsuchenden zu fragen, die der Gewalt in ihren Herkunftsländern und -regionen entkommen waren beziehungsweise ausgewiesen oder vertrieben wurden. Die Vergabe eines Schutzstatus verweist auf die Akzeptanz von Menschenrechten und der Verpflichtung zur Hilfeleistung unabhängig von nationaler, politischer und sozialer Herkunft. Erst im Jahrhundert der Massengewaltmigrationen, das mit dem Ersten Weltkrieg beginnt, haben sich ausdifferenzierte internationale, regionale, nationale und lokale Regime des Schutzes von Flüchtlingen etabliert.
Als zentrale Wegmarke im überstaatlich vereinbarten Recht gilt die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, in die vielfältige flüchtlingspolitische und asylrechtliche Debatten der Zwischenkriegszeit eingingen.
Übersehen werden darf aber nicht, dass trotz internationaler Verträge in erster Linie weiterhin Staaten mit großen Ermessensspielräumen über die Aufnahme von Migrantinnen und Migranten und den Status jener entscheiden, die als schutzberechtigte Flüchtlinge anerkannt werden. Die Bereitschaft, Schutz zu gewähren, war und ist stets ein Ergebnis vielschichtiger Prozesse des gesellschaftlichen Aushandelns zwischen Individuen, kollektiven Akteuren und (staatlichen) Institutionen, die je spezifische Interessen und Argumente vorbringen. Die Frage, wer unter welchen Umständen als Flüchtling oder Vertriebener verstanden wurde und wem in welchem Ausmaß Schutz oder Asyl zugebilligt werden sollte, ist mithin immer wieder neu diskutiert worden.
Fluchtbewegungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg
Die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts führten als "totale" Kriege zu einem rapiden Anwachsen der militärischen Kapazitäten der beteiligten Staaten. Ein Kennzeichen der daraus resultierenden neuen Konfliktdynamik war, dass innerhalb weniger Tage und Wochen Millionen von Zivilisten in den Kampfzonen entwurzelt wurden: Die Operationsgebiete der Armeen weiteten sich im Vergleich zu den vorangegangenen Konflikten erheblich aus und umfassten zeitgleich große Teile des europäischen Kontinents. Das galt im Zweiten Weltkrieg auch angesichts des Bedeutungsgewinns der Luftwaffe, der wesentlich dazu beitrug, die Grenzen zwischen Operationsgebiet und "Heimatfront" weiter zu verwischen: Der Bombenkrieg über den deutschen Städten nötigte beispielsweise an die zehn Millionen "Evakuierte" vor allem zwischen 1943 und 1945 dazu, zeitweilig oder auf Dauer vornehmlich in ländlichen Distrikten Schutz zu suchen.
Enorme Dimensionen erreichten die Ausweichbewegungen im Angesicht der vorrückenden Armeen bereits im Ersten Weltkrieg: Die Behörden des russischen Zaren zählten im Dezember 1915 insgesamt 2,7 Millionen, im Juli 1917 dann mindestens sieben Millionen Flüchtlinge und Evakuierte auf dem nichtbesetzten russischen Territorium.
Je umfangreicher die Fluchtbewegungen und je größer die Fluchtdistanzen – nicht zuletzt aufgrund moderner Verkehrsmittel – wurden, desto ausgeprägter konnten die Implikationen für die Kriegführung selbst sein. Im Frühjahr 1940 bewegten sich zum Beispiel fünf Millionen Flüchtlinge aus den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich Richtung Zentral- und Südfrankreich. Sie suchten sich zu Fuß und mit allen erdenklichen Verkehrsmitteln vor den vorrückenden deutschen Truppen zu retten. Die Flüchtlingswelle ließ faktisch das gesamte Verkehrssystem zusammenbrechen und trug nicht unerheblich dazu bei, dass der Widerstand der französischen Truppen gegen die deutschen Invasoren immer aussichtsloser wurde.
Kriegsfolgewanderungen
Seit 1918 gewannen Gewaltmigrationen erheblich an Gewicht, die Ergebnis der auf den Krieg folgenden Staatenbildungsprozesse waren. Jede der vielen europäischen Grenzverschiebungen führte zu Fluchtbewegungen und Abwanderungen. Die Gesamtzahl der von Umsiedlungen, Deportationen, Fluchtbewegungen und Vertreibungen infolge des Kriegs betroffenen Menschen lag in Europa Mitte der 1920er Jahre wahrscheinlich bei mindestens 9,5 Millionen.
Die umfangreichste Einzelgruppe bildeten die vor Revolution und Bürgerkrieg in Russland Flüchtenden: Während im Revolutionsjahr 1917 erst wenige Menschen die Gebiete des ehemaligen Zarenreichs verlassen hatten, darunter viele hohe Adelige und Unternehmer, die oft große Teile ihres Besitzes retten konnten, entwickelte sich die Fluchtbewegung im Zuge des Bürgerkriegs zur Massenerscheinung. 1920 und 1921 nahm die Zahl der Flüchtlinge mit den Niederlagen der weißen Truppen sehr stark zu. Hinzu kamen zahlreiche Ausweisungen, die 1922 ihren Höhepunkt erreichten. Ein bis zwei Millionen Menschen sollen zwischen 1917 und 1922 wegen des Umsturzes der politischen Verhältnisse die Gebiete des ehemaligen Zarenreiches verlassen haben. Sie wurden buchstäblich über die ganze Welt verstreut, der größte Teil aber sammelte sich zunächst in den Balkanländern, in Deutschland und Frankreich; doch große Flüchtlingskolonien gab es selbst in den chinesischen Städten Harbin und Shanghai.
Restriktive Aufnahmepolitik, Wohnungsnot und die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt trieben die russländischen Flüchtlinge in zahlreichen Ländern zu Weiterwanderungen. Bildete zunächst das "Russische Berlin" ihr Zentrum mit wichtigen kulturellen und politischen Funktionen, übernahm mit der Abwanderung vieler Flüchtlinge aus Deutschland Mitte der 1920er Jahre das "Russische Paris" diese Rolle und behielt sie bis zum Einmarsch der deutschen Truppen 1940. Frankreich hatte einen großen Bedarf an Arbeitskräften und war deshalb bereit, ein höheres Maß an Rechts- und Statussicherheit zu gewähren als Deutschland. Das Zentrum des russländischen Exils aber verschob sich bald über den Atlantik. Nordamerika wurde immer häufiger Ziel der stufenweisen räumlichen Distanzierung von der Heimat. Der Zweite Weltkrieg verlagerte das Zentrum endgültig in die USA, mit einem politischen und kulturellen Schwergewicht auf New York.
Ähnliche Prozesse lassen sich bei der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach 1933 beobachten. Sie betraf politische Gegner des Regimes, vor allem aber all jene, die aufgrund der rassistischen NS-Weltanschauung als "Fremde" geächtet wurden. Das galt in erster Linie für Juden. Die Fluchtbewegung verlief schubweise. Die erste Welle konnte 1933 mit der Machtübernahme Hitlers und den ersten Maßnahmen zur Bekämpfung innenpolitischer Gegner sowie den ersten antisemitischen Gesetzen registriert werden. Die rassistischen "Nürnberger Gesetze" von 1935 ließen die nächste Fluchtwelle folgen. Der letzte große Schub setzte mit der offenen Gewalt gegen Juden in den Novemberpogromen 1938 ein und endete mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, der die Möglichkeiten des Grenzübertritts stark beschnitt, bevor er mit dem Abwanderungsverbot 1941 in die Ermordung der deutschen und europäischen Juden mündete.
Wohl 280.000 bis 330.000 Juden verließen das Reich. Aufnahme gewährten weltweit mehr als 80 Staaten, nicht selten widerwillig und zögerlich. Ziele waren zunächst die europäischen Nachbarländer Deutschlands in der Hoffnung auf den baldigen Zusammenbruch der Diktatur. Die Hälfte der jüdischen Flüchtlinge aber wanderte weiter, zunehmend in die USA. Die Zahl der Flüchtlinge wurde 1941 hier auf insgesamt 100.000 geschätzt, Argentinien folgte mit 55.000 vor Großbritannien mit 40.000. Während des Zweiten Weltkriegs verschob sich das Gewicht noch weiter zugunsten der USA, die letztlich die Hälfte aller Flüchtlinge aufnahmen.
Im Vergleich zu der großen Zahl jüdischer Flüchtlinge aus Mitteleuropa blieb jene der Mitglieder des politischen Exils aus Deutschland sowie Österreich und den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei nach 1938 weitaus geringer, sie belief sich bis 1939 auf 25.000 bis 30.000 Menschen, überwiegend Sozialdemokraten und Kommunisten. Aufschlussreich ist hier ein Vergleich mit dem faschistischen Italien. Trotz deutschen Drucks setzte es bis zum Zweiten Weltkrieg keine antisemitischen Maßnahmen durch, weshalb die Abwanderung hier beinahe ausschließlich auf politische Gegner beschränkt blieb. Zwischen der Machtübernahme Mussolinis im Oktober 1922 und 1937 verließen wahrscheinlich 60.000 Menschen das Land aus politischen Gründen, 10.000 davon lebten allein in Frankreich. Für das deutsche und das italienische Exil galt gleichermaßen: Um die politische Arbeit vom Ausland aus weiterzutreiben, blieben die meisten Regimegegner in Europa, vor allem in Frankreich, Spanien, Großbritannien und der Sowjetunion. Für sie galt das, was für einen Großteil der Flüchtlinge der Zwischenkriegszeit auszumachen ist: In der Regel verfügten sie über einen prekären Aufenthaltsstatus. Ihre Aufnahme erfolgte selten im Rahmen von Asylregelungen, oft durften sie nur deshalb bleiben, weil sie als Arbeitskräfte beziehungsweise als Spezialisten nützlich zu sein schienen oder durch Hilfsorganisationen unterstützt wurden, also keine sozialstaatlichen Leistungen empfingen.
Kriegsfolgewanderungen führten häufig zu Ketten weiterer (Gewalt-)Migrationen: Mit und nach dem Kriegsende 1945 flüchteten Millionen von Deutschen aus Ost- und Ostmitteleuropa Richtung Westen oder wurden nach Kriegsende vertrieben beziehungsweise deportiert. Die Bilanz zeigen die Zahlen der Volkszählungen von 1950: 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene waren aus den nunmehr in polnischen und sowjetischen Besitz übergegangenen ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs sowie aus den Siedlungsgebieten der "Volksdeutschen" in die Bundesrepublik Deutschland und in die DDR gelangt; weitere 500.000 lebten in Österreich und anderen Ländern.
Migratorische Folgen des Kalten Kriegs und der Dekolonisation
Für die globale Migrationssituation wog die (ideologische) Teilung der Welt nach 1945 schwer. Migratorisch wurde die Welt in zwei Blöcke geteilt, Arbeitsmigration fand zwischen Ost und West nicht mehr statt. Die Bewegungen beschränkten sich meist auf Flucht oder Ausweisung von Dissidenten aus dem Osten in den Westen oder auf Phasen, in denen die Destabilisierung eines Staatswesens im Osten den kurzzeitigen Zusammenbruch der restriktiven Grenzregime zur Folge hatte und zur Abwanderung Zehn- oder Hunderttausender führte. Das galt vor allem für die Ereignisse in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei 1968 und schließlich für die Auflösung des "Ostblocks" in den späten 1980er Jahren.
In Europa führte der Kalte Krieg trotz oder wegen der gewaltigen militärischen Potenziale der Konfliktparteien nicht zu bewaffneten Auseinandersetzungen. In Teilen Asiens aber brachten die "Stellvertreterkriege" in und um Korea, Indochina und Afghanistan schwere, Jahre und Jahrzehnte währende Kämpfe und millionenfache Fluchtbewegungen hervor. In den verfeindeten Staaten Süd- und Nordkorea leben heute Millionen Menschen, die während des Kriegs 1950 bis 1953 ihre Herkunftsorte verlassen mussten und seit mehr als einem halben Jahrhundert keinen Kontakt mehr zu Familienmitgliedern im jeweils anderen Teil der Halbinsel haben. Im Vietnamkrieg nutzten insbesondere die USA Deportationen in "sichere Dörfer" und Vertreibungen als Mittel der Kriegführung. Das Ende des Kriegs führte schließlich zur Flucht Hunderttausender aus dem zerstörten Land, mit einem Höhepunkt von 1979 bis 1982. In Afghanistan sollen während der Phase der sowjetischen Besatzung fünf bis sechs Millionen Afghanen zu einem großen Teil nach Pakistan und zu einem geringeren Teil in den Iran ausgewichen sein – das entspricht einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Seit 2002 haben internationale Organisationen die Rückkehr von über vier Millionen Flüchtlingen unterstützt; neue Fluchtbewegungen im Zuge der internationalen Intervention in Afghanistan seit 2001 trugen dazu bei, dass gegenwärtig drei Millionen Flüchtlinge gezählt werden, von denen fast zwei Drittel im benachbarten Pakistan leben, ein weiteres Drittel im ebenfalls benachbarten Iran. Hinzu tritt eine wesentlich höhere Zahl von Menschen, die vor den Konflikten innerhalb des Lands auswichen.
Eng verwoben mit der Konfrontation des Ost-West-Konflikts lief die Kolonialherrschaft in Asien, Afrika und dem pazifischen Raum zwischen den späten 1940er und den frühen 1970er Jahren aus. In einigen Fällen mündete das Bemühen der Kolonialmächte, die Unabhängigkeit zu verhindern, in lange und blutige Konflikte. Allerorten wurden im Kontext der Dekolonisation neue Grenzen für neue Staaten gezogen, häufig im Konflikt unterschiedlicher Interessen im In- und Ausland. Mit jeder Staatsbildung verbunden waren Auseinandersetzungen um die Ausrichtung des politischen Systems – zum Teil in Kooperation der innenpolitischen Akteure, zum Teil im (gewalttätigen) Konflikt, nicht selten geprägt durch den Anspruch der UdSSR und der USA, die Dekolonisation für die Ausweitung der Einflusszonen zu nutzen.
Vor allem das Ende der globalen Imperien der Niederlande (in den späten 1940er Jahren), Frankreichs (in den 1950er und frühen 1960er Jahren) sowie Portugals (Anfang der 1970er Jahre) brachte umfangreiche Fluchtbewegungen und Vertreibungen mit sich. Während der Kämpfe selbst flüchteten zahlreiche Bewohner der Kolonien in nichtbetroffene Gebiete oder wurden evakuiert und kehrten meist nach dem Ende der Konflikte wieder in ihre Heimatorte zurück. Europäische Siedler allerdings sowie koloniale Eliten oder Kolonisierte, die als Verwaltungsbeamte, Soldaten oder Polizisten die koloniale Herrschaft mitgetragen hatten oder den Einheimischen als Symbole extremer Ungleichheit in der kolonialen Gesellschaft galten, mussten nicht selten auf Dauer die ehemaligen Kolonien verlassen. Es kann davon ausgegangen werden, dass zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 1980 insgesamt fünf bis sieben Millionen Europäer im Kontext der Dekolonisation aus den (ehemaligen) Kolonialgebieten auf den europäischen Kontinent "zurückkehrten" – darunter viele, die weder in Europa geboren waren noch je in Europa gelebt hatten. Daraus ergab sich ein Paradoxon der Geschichte der europäischen Expansion: Wegen der migratorischen Folgen der Auflösung des Kolonialbesitzes waren die europäischen Kolonialreiche in der Bevölkerung in Europa nie präsenter als mit und nach der Dekolonisation.
Das Schicksal, in die postkolonialen Konflikte verwickelt zu werden, konnte auch zugewanderte Minderheiten treffen, die mit den (ehemaligen) Kolonialmächten in Verbindung gebracht wurden oder als Symbol der Kolonialherrschaft galten. Menschen indischer Herkunft verließen vor dem Hintergrund diskriminierender Gesetze und Gewalttaten seit den 1960er Jahren Ostafrika (vor allem Kenia und Tansania) und siedelten sich zumeist in Großbritannien an, zuletzt etwa die Hälfte der rund 60.000 Inder, die der ugandische Diktator Idi Amin in der Hoffnung auf eine populistische Stabilisierung seiner Herrschaft zwischen 1969 und 1972 ausgewiesen hatte. Ihre Vorfahren waren zumeist aus Gujarat (Hindus) und dem Punjab (Sikhs und Muslime) nach Ostafrika gegangen, um seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts die beinahe 1.000 Kilometer lange Uganda-Bahn vom ugandischen Kampala bis zum kenianischen Mombasa am Indischen Ozean zu bauen.
Zu den mittelbaren und unmittelbaren Folgen der Dekolonisation zählten zudem Staatsbildungs- beziehungsweise Teilungsprozesse nach dem Abzug der Kolonialmächte. Beginn und Höhepunkt bildete der rasche Rückzug Großbritanniens vom indischen Subkontinent 1947.
Schluss: Europa im globalen Gewaltmigrationsgeschehen der Gegenwart
Die Geschichte der Gewaltmigration lief mit dem Abschluss des Prozesses der Dekolonisation und nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht aus. Millionen von Flüchtlingen waren im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert Ergebnis der Szenarien von Krieg, Bürgerkrieg und Staatszerfall in vielen Teilen der Welt – in Europa (Jugoslawien), im Nahen Osten (Libanon, Iran, Irak, Syrien, Jemen), in Ostafrika (Äthiopien, Somalia, Sudan/Südsudan), in Westafrika (Kongo, Elfenbeinküste, Mali, Nigeria), in Südasien (Afghanistan, Sri Lanka) oder auch in Lateinamerika (Kolumbien). Die Zahl der vom Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) für die vergangenen Jahrzehnte ermittelten Flüchtlinge schwankt. Ausmachen lassen sich für die Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs zwei Hochphasen im globalen Fluchtgeschehen: die frühen 1990er Jahre und die Mitte der 2010er Jahre.
Europäische Staaten waren, sieht man von den binnenkontinentalen Bewegungen im Kontext der Auflösung des "Ostblocks" und der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren ab, im vergangenen Vierteljahrhundert kaum Ziel von Gewaltmigrationen. Dieser Sachverhalt resultiert aus spezifischen Mustern im Kontext des Ausweichens vor Gewalt in den verschiedensten Kriegs- und Krisenzonen der Welt: Größere Fluchtdistanzen sind selten, weil finanzielle Mittel dafür fehlen und Transit- beziehungsweise Zielländer die Migration behindern. Flüchtlinge streben außerdem überwiegend nach einer möglichst raschen Rückkehr. Sie finden sich vor diesem Hintergrund in aller Regel in der Nähe der vornehmlich im Globalen Süden liegenden Herkunftsregionen. Angesichts dessen überrascht es nicht, dass Staaten des Globalen Südens 2014 nicht weniger als 86 Prozent aller weltweit registrierten Flüchtlinge beherbergten – mit seit Jahren steigender Tendenz im Vergleich zum Anteil des Globalen Nordens, hatte doch der Anteil der ärmeren Länder weltweit 2003 lediglich bei 70 Prozent gelegen. Vornehmlich der Globale Süden ist also von der Zunahme der weltweiten Zahl der Flüchtlinge seit Anfang der 2010er Jahre betroffen. Zwar stieg auch in Europa die Zahl jener Menschen an, die um Schutz vor Gewalt in den Kriegs- und Krisenzonen der Welt nachsuchten,