Flucht und Migration gab es in der Zeit zwischen dem ausgehenden 14. und dem späten 18. Jahrhundert in unterschiedlichen Kontexten: klimatisch oder durch Umweltkatastrophen bedingt, durch Kriege oder Bürgerkriege verursacht, Flucht vor Unfreiheit (vor Leibeigenschaft, Sklaverei oder Soldatenpressen) sowie Flucht vor Verfolgung aufgrund von religiös-konfessionellen, teilweise auch ethnisch-religiösen Zugehörigkeiten, um die es in diesem Beitrag geht.
In der Regel versuchten spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Staaten einen religiös beziehungsweise konfessionell einheitlichen Untertanenverband zu schaffen, um über die "Kanzel" Kontrolle über die "Gewissen" ihrer Untertanen beziehungsweise im sozialen Bereich ausüben zu können. Die jeweilige "Staatsreligion" und ihre Institutionen waren eng mit dem weltlichen Fürsten verbunden beziehungsweise gingen in geistlichen Fürstentümern und in vielen protestantischen Territorien in einer Hand zusammen. Verfolgt wurden Andersgläubige, weil man sie als Gefahr für Staat und Kirche, für Orthodoxie und gesellschaftlichen Frieden sah. Dies änderte sich erst mit der Etablierung von Glaubens- und Religionsfreiheit mit der Amerikanischen beziehungsweise Französischen Revolution im 18. Jahrhundert. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Staaten hatten allerdings dann Interesse an Andersgläubigen, wenn diese wirtschaftlich, militärisch, geopolitisch oder demografisch von Nutzen schienen. Utilitaristische Motive spielten bei der Aufnahme von Andersgläubigen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit eine entscheidende Rolle für Staats- und Imperienbildung und Merkantilismus.
Fluchtbewegungen bis Ende des 18. Jahrhunderts
Die Verfolgung und Ausweisung von Juden seit der Zeit der Kreuzzüge gehört zu den bekanntesten Beispielen für erzwungene Migrationen im Europa der Vormoderne, der Zeit zwischen etwa dem 6. und dem späten 18. Jahrhundert. Oft weniger bekannt ist die Ausweisung der Sepharden 1492, das heißt von auf der iberischen Halbinsel lebenden Juden. Im Zuge der Reconquista, der "Rückeroberung" des heutigen Spanien und Portugal durch christliche Fürsten und die Verdrängung maurischer, das heißt muslimischer, Herrscher wurde 1492 Granada als letztes Kalifat auf der iberischen Halbinsel beseitigt. Im gleichen Jahr, in dem Christopher Columbus Amerika "entdeckte", erließen die "Allerkatholischsten Könige", Isabella von Kastilien und ihr Ehemann Ferdinand von Aragon, das sogenannte Alhambraedikt, das sämtlichen in ihren Herrschaftsgebieten lebenden Juden vorschrieb, diese zu verlassen, sollten sie nicht zum christlichen Glauben konvertieren. Etwa 150.000 bis 165.000 Sepharden verließen die spanischen Territorien und siedelten sich in Portugal, Nordafrika und dem östlichen Mittelmeerraum an, der seit der Eroberung von Konstantinopel 1453 unter osmanischer Herrschaft stand.
Die muslimischen Untertanen der spanischen Kronen verblieben zunächst auf der iberischen Halbinsel. Sie wurden systematisch erst im frühen 17. Jahrhundert vertrieben beziehungsweise teilweise zwangsdeportiert, insgesamt 270.000 bis 300.000 sogenannte Morisken.
Mit der Reformation nahm die Verfolgung und Flucht Andersgläubiger in Europa bislang unbekannte Ausmaße an. Die Angst vor Häresien und ihren Auswirkungen nicht nur auf die "Rechtgläubigen" und ihre Kirchen, sondern auch auf frühneuzeitliche Staaten und ihre Herrscher führte dazu, dass zwischen dem frühen 16. und dem späten 18. Jahrhundert Tausende von Menschen vertrieben wurden beziehungsweise vor Verfolgung flohen, unter anderem Täufer, Hutterer, Mennoniten, Wallonen, Hugenotten, niederländische Katholiken, Puritaner, Quäker, Böhmen, Herrnhuter, Salzburger Protestanten, Protestanten aus der Steiermark und aus Kärnten, katholische Akadier (heutiges Nova Scotia/Kanada), French Prophets und Shaker.
Zu den bekanntesten Massakern an "Häretikern" gehört jenes an den Hugenotten in der "Bartholomäusnacht" von 1572. Anlässlich der Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra mit der französischen Königstochter Margarete von Valois in Paris befanden sich Tausende von Anhängern Heinrichs, calvinistische Protestanten – Hugenotten – in der Stadt. Diese wurden zusammen mit einem ihrer wichtigsten Führer, dem Admiral Gaspard de Coligny, ermordet. In der Zeit der Hugenottenkriege in Frankreich, in die dieses Massaker fällt, die Jahre zwischen 1562 und 1598 (1629), verließen zwischen 10.000 und 30.000 Hugenotten Frankreich und fanden Schutz im protestantischen England, den calvinistisch werdenden nördlichen Niederlanden und den reformierten Kantonen der Eidgenossenschaft, teilweise auch in der Kurpfalz.
Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 bekamen die Territorien im Reich das bereits 1555 lutherischen und katholischen Reichsfürsten und -städten gewährte ius reformandi erneut zuerkannt, das nun auch für calvinistische Reichsstände galt. Dieses ius reformandi erlaubte es dem Landesherrn, die Konfession all seiner Untertanen zu bestimmen. Denjenigen, die nicht diesen Glauben annehmen wollten, stand theoretisch ein Auswanderungsrecht (ius emigrandi) zu, von dem beispielsweise böhmische Protestanten Gebrauch machten, die nach Preußen und Sachsen auswanderten.
Ab den 1620er Jahren verließen radikale Anglikaner, die sogenannten Puritaner, England, um in den englischen Kolonien in Nordamerika, in Plymouth, Rhode Island und Boston neue Gemeinwesen zu errichten. In den 1630er Jahren folgten englische Katholiken, die in der Kolonie Maryland angesiedelt wurden, und ab den 1650er Jahren Presbyterianer und Quäker, die nach 1680 eine dauerhafte Bleibe in Pennsylvania fanden. In den 1730er Jahren wurden aus den Gebieten der österreichischen Habsburger "Kryptoprotestanten" (versteckte Religionsausübung bei offizieller Annahme des katholischen Glaubens) deportiert. Der Fürstbischof von Salzburg wies "seine" Protestanten aus, die in Preußen und der britischen Kolonie Georgia in Nordamerika eine neue Heimat fanden.
Aufnahmegründe
Warum nahmen europäische Städte, Provinzen und Staaten beziehungsweise deren Kolonien Flüchtlinge auf, warum gewährten sie Asyl, selbst wenn diese Flüchtlinge aus der Perspektive der Aufnahmestaaten oft keine "Rechtgläubigen" waren? Christliche Barmherzigkeit war ein Grund, der Regierungen in der Frühen Neuzeit dazu bewegte, Flüchtlinge aufzunehmen. Aufnahmepolitik war aber auch häufig von utilitaristischen Motiven geleitet, ökonomischen, geopolitischen, demografischen, militärischen und konfessionell-religiösen. Diese Motive lassen sich oft nicht klar voneinander trennen beziehungsweise bedingten sich gegenseitig.
Christliche Barmherzigkeit war in der Frühen Neuzeit meist konfessionalisiert. Calvinistische Städte und Staaten organisierten Kollekten für verfolgte Calvinisten, Lutheraner taten das Gleiche für lutherische Brüder und Schwestern. Frankreich, Spanien und die italienischen Staaten nahmen nach den jakobitischen Kriegen des späten 17. Jahrhunderts irische und englische Katholiken auf.
Christliche Barmherzigkeit gab es durchaus auch für nichtchristliche Flüchtlinge. So meinte 1616 der niederländische Theologe und Rechtsgelehrte Hugo Grotius (1583–1645) zwar, dass die Aufnahme von Tausenden von Juden die Existenz der jungen niederländischen Republik bedrohen würde, betonte aber im gleichen Atemzug, dass die niederländischen Calvinisten trotzdem aus Barmherzigkeit, Liebe und Vergebung aschkenasische und sephardische Juden aufnehmen müssten.
Bei der Gewährung von Asyl beziehungsweise Aufnahmeprivilegien spielten in der Frühen Neuzeit wirtschaftliche Interessen und Erwartungen eine große Rolle. Von der Aufnahme von Sepharden erhofften sich die jungen Vereinigten Niederlande vor allem Vorteile und Profite aus deren Handelsnetzwerken, ebenso England, etwa bei der Ansiedlung von Sepharden auf Jamaika ab den 1650er Jahren. Sephardische Juden wurden so "agents and victims of Empire".
Eng mit der wirtschaftlichen "Nutzbarmachung" von Flüchtlingen verbunden war die Absicht der expandierenden europäischen Staaten, der imperial states, Andersgläubige an der frontier (der Grenze) der entstehenden Imperien in Südost- und Osteuropa und in Übersee anzusiedeln. England versuchte, vor allem europäische (und nicht nur die eigenen) Nonkonformisten (Nichtanglikaner) in den entstehenden britischen Kolonien anzusiedeln: irische Katholiken, schottische Presbyterianer, deutsche Lutheraner, französische Hugenotten, deutsche und niederländische Mennoniten, Herrnhuter, aschkenasische und sephardische Juden, die dabei helfen sollten, die britische frontier gegen Indigene ("Indianer"), aber auch gegen konkurrierende europäische Imperien wie Spanien oder Frankreich zu sichern. Einladungsschreiben an verfolgte Protestanten des katholischen Europa waren mit weitreichenden Privilegien, aber auch großen Erwartungen im Hinblick auf Landesausbau und Kolonisierung verbunden.
Einige Fürsten in Europa entschieden sich auch für interne Kolonisation, so etwa der Kurfürst von Brandenburg, der bereits ab den 1640er Jahren Niederländer, Schweizer und Hugenotten ins Land holte, um die Repeuplierung des Lands nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs voranzutreiben und um sich niederländisches Wissen in Sachen Trockenlegung von Sümpfen und Deichbau ins Land zu holen beziehungsweise das Manufakturwesen voranzutreiben.
Eng mit Landesausbau und Kolonisierung verbunden war die militärische Sicherung von Grenzen. Gerade in Irland, Großbritanniens ältester Kolonie, wurden ab den 1590er Jahren englische Siedler in der Provinz Munster, ab 1607 auch in Ulster nicht zuletzt aus militärischem Interesse angesiedelt.
Asylgewährung
Was bedeutete es in der Frühen Neuzeit, als Flüchtling Asyl zu bekommen? Asyl meinte temporär oder dauerhaft gewährte Privilegien, die Individuen oder Gruppen zugestanden wurden und auf den ersten Blick oft sehr heterogen zu sein schienen. Ein komparativer Blick auf Asyl und Aufnahmeprivilegien zeigt jedoch – bei aller Diversität – Ähnlichkeiten: Gruppen von Flüchtlingen beziehungsweise Immigranten wurden im Europa der Frühen Neuzeit und in den Kolonien meist als separate Glaubensgemeinschaften angesiedelt. Die Verwaltung dieser "Fremdengemeinden" lag meist in der Hand der "Fremden" selbst und schloss neben der Organisation des religiös-konfessionellen Lebens Bildungs- und Sozialsysteme mit ein. In einigen Fällen wurde diesen Gemeinden auch ein eigenes Recht, eine eigene Jurisdiktion und Miliz, oft auch ein eigener Siedlungsraum zugestanden, dies vor allem dann, wenn Flüchtlinge an der frontier angesiedelt wurden. Für Asyl gewährende Staaten implizierte dies, dass sich die Fremdengemeinden weitgehend eigenständig um die Angehörigen ihrer "Nation" zu kümmern hatten beziehungsweise für diese in solidum gegenüber den Aufnahmestaaten zu haften hatten. Was man mit dem anachronistischen Begriff des Outsourcing beschreiben könnte, war frühneuzeitliche Rationalität: Bereiche, in denen die Kirchen verantwortlich für ihre Mitglieder waren, wurden auch an die Fremdengemeinden übertragen: Bildungswesen, Soziales, einschließlich Kranken-, Alten- und Armenversorgung, Sozial- und Familienrecht, soziale Kontrolle und Sozialdisziplinierung.
Das, was in der Forschung als ethnisch-religiöse Enklave, Sondergemeinschaft oder "fremde Nation" im frühneuzeitlichen Staat einschließlich seiner Kolonien beschrieben wird, war also bei der Gewährung von Asyl der Normalfall, wobei die Separatrechte dieser Enklaven unterschiedlich weit gingen und an der Peripherie eines Imperiums in der Regel weiter reichten als in der Metropole. Während sich beispielsweise Fremdengemeinden im England des 16. bis 18. Jahrhunderts englischem Recht und dem englischen Magistrat unterstellen, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts einen Suprematseid schwören und sich offiziell der anglikanischen Bischofskirche unterwerfen mussten, gestaltete sich die ethnisch-religiöse Enklave an den Grenzen des ersten britischen Weltreichs, in den Provinzen und Städten der Niederlande und im Frankreich Ludwigs XIV. anders.
Presbyterianische Schotten wurden in Rotterdam in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als ethnische Enklave mit korporativem Status und eigenen Kirchen etabliert.
Auch in Frankreich gab es in Bordeaux eine sephardische Gemeinde – von den königlichen Autoritäten als nation bezeichnet –, die nach einem Amsterdam ähnlichen Modell angesiedelt und mit Privilegien ausgestattet worden war. Sie hatte eigene Synagogen, eine interne Administration, Badehäuser, ein Erziehungs- und Schulwesen, eine Sonderbesteuerung, Armenfürsorge und eine eigene Jurisdiktion für religiöse und soziale Belange.
Welche Rolle spielten Flüchtlinge, wenn es um die Gewährung von Asyl und Aufnahmeprivilegien ging? Weniger der einzelne Flüchtling als für ihren Glauben verfolgte Gruppen beziehungsweise das, was in der Diasporaforschung als gate-keeper bezeichnet wird – Pastoren, Priester, militärische Führer, Kaufmannsfamilien, Rabbis, Imame –, hatten bei der Aushandlung von Asyl eine nicht zu unterschätzende Rolle inne.
Als conditio sine qua non galt der Schutz beziehungsweise die Aufrechterhaltung des Bekenntnisses, für das die Flüchtlinge in ihrer Heimat verfolgt worden waren. Das, was man heute als ethnische beziehungsweise religiöse Identität bezeichnen würde, sollte durch Strukturen geschützt werden, die zunächst eine Binnenintegration der Flüchtlinge und die "Bewahrung" von Glaube und Identität hervorbringen sollten. Anders gesagt, die ethnisch-religiöse Enklave entsprach den Zielen der gate-keeper von Glaubensflüchtlingen.
Auffallend ist die genaue Kenntnis der gate-keeper von Glaubensflüchtlingen, was anderen Flüchtlingen zuvor gewährte Privilegien anging. Vor allem das Edikt von Potsdam von 1685 wurde zu einem maßgeblichen Dokument, an dem sich Asyl- beziehungsweise Privilegienforderungen nicht nur von Hugenotten, sondern auch von anderen Flüchtlingen orientierten. Das Edikt gewährte Hugenotten die Etablierung von "Colonien" mit eigenen Kirchen, Schulen, einer eigenen Jurisdiktion in Colonieangelegenheiten, eigenem Recht, Steuerfreiheit für zehn Jahre, Land und Baumaterialien, Finanzhilfen beim Aufbau von Handwerksbetrieben und Manufakturen. Vom Dienst im Militär und Einquartierungen waren sie befreit; Glaubensfreiheit wurde gewährt. Allerdings mussten die brandenburgischen Hugenotten den Kurfürsten als geistliches Oberhaupt ihrer Kirchen anerkennen – was ebenso wie in England eigentlich gegen französisch-reformierte Prinzipien der Kirchenhierarchie verstieß. Hugenotten bildeten so die nation française im brandenburgisch-preußischen Staat, wie dies immer wieder die Dekrete des Landesfürsten betonten.
Auf diese einmal für Brandenburg gewährten Privilegien beriefen sich nicht nur Hugenotten, als sie die englische Krone 1685 um Aufnahmeprivilegien baten, in der "Humble proposition faite au Roye et à son Parlément pour donner retraite aux étrangers protestants et aux prosélites dans ses Colonies de l’Amérique et surtout en Caroline". In Irland hingegen forderten Hugenotten dieselben Privilegien ein, die Schotten und Engländern ab 1607 im Zuge der "Ulster Plantation" gewährt worden waren.
Die "State Papers" der Könige von England sind voll von Petitionen unterschiedlichster protestantischer Flüchtlingsgruppen, in denen Privilegien gefordert und der Wert der Flüchtlinge für Wirtschaft, Kultur, Militär oder Landesausbau der potenziellen Aufnahmestaaten deutlich gemacht werden soll: Hugenotten warben für sich mit ihrer kulturellen Überlegenheit, mit ihrem Handwerks- oder Manufakturwesen, Sepharden mit ökonomischen Netzwerken, ebenso wie presbyterianische Schotten oder Schweizer Calvinisten. Im Fall der "Declaration of Hampton Court" von 1681, die Hugenotten in England Aufnahme gewährte, sind fast alle Forderungen erfüllt, die hugenottische Diplomaten in Petitionen an die Krone und den Bischof von London gefordert hatten: denization beziehungsweise Naturalisierung, freier Zugang zu allen Zünften und zu englischen Bildungsinstitutionen, Steuerfreiheit für ins Land mitgebrachte Güter, Armenhilfe und Glaubensfreiheit.
Fazit
Asyl in der Frühen Neuzeit beruhte zu einem größeren Teil auf utilitaristischen Interessen frühneuzeitlicher Staaten und Städte, die von den Glaubensflüchtlingen selbst im Sinne von zu erfüllenden Erwartungen genährt wurden. Asyl beziehungsweise die langfristige Aufnahme von Flüchtlingen wurde besonders dann von frühneuzeitlichen Staaten und Städten gewährt, wenn man sich besonders viel von den Flüchtlingen erwartete. Anders gesagt: Die Akteure frühneuzeitlicher Staatenbildung, der Rationalisierung von Wirtschaft, Militär, Verwaltung, Landesausbau und Kolonisation versuchten, frühneuzeitliche Fluchtbewegungen für sich nutzbar zu machen, und fanden in den Vertretern der Gruppen von Glaubensflüchtlingen zum Teil willige Verhandlungspartner, im Sinne einer – um einen weiteren anachronistischen Begriff zu bemühen – Win-win-Situation. Problematisch wurde es für Glaubensflüchtlinge, wenn Erwartungen nicht erfüllt wurden, wenn die Realitäten des Elends von Vertreibung oder Flucht die ersten Jahre und Jahrzehnte nach der Gewährung von Asyl und Aufnahme mitbestimmten.
Für die Frühe Neuzeit im Unterschied zu heute typisch ist neben vielen anderen Bereichen das Nichtvorhandensein von Rechtsgleichheit oder rechtlicher Gleichstellung und langfristiger Rechtssicherheit. Privilegien konnten zurückgenommen werden, viele Flüchtlinge wurden den "autochthonen" Untertanen nicht gleichgestellt. Dass Privilegien, Sonderrechte, unterschiedlicher Rechtsstatus, parallele, nicht vom Staat kontrollierte Sozial-, Werte-, Bildungs- und auch Rechtssysteme im frühneuzeitlichen Staat nebeneinander existieren konnten, dass es "fremde Nationen" als ethnische Enklaven mit Sonderrecht und Sonderjurisdiktion quasi als "Parallelgesellschaften" gab, ist die Konsequenz der frühneuzeitlichen ethnischen Enklave. Dies hieß allerdings nicht, dass Kontakte zu anderen Gruppen oder "Nationen" im frühneuzeitlichen Staat nicht stattfanden, dass keine – wie wir das heute nennen würden – Integration stattfand, im Gegenteil. Die ethnisch-religiöse Enklave der Frühen Neuzeit, die "fremde Nation" im Untertanenverband, ist allerdings in einem modernen, auf Rechtsgleichheit und -sicherheit für alle Individuen basierenden freiheitlich-demokratischen Staat undenkbar.
Damals wie heute unterliegen Flüchtlinge einem starken Spannungsverhältnis. Sie fliehen vor Verfolgung, die oft ethnisch-religiös motiviert ist, aufgrund von identitären Selbst- und Fremdzuschreibungen. Damit einhergehen kann – muss aber nicht – im Aufnahmeland der Versuch, diese ethnisch-religiös definierte Identität zu bewahren, gerade auch durch Institutionen wie Kirchen, Moscheen, Vereine, Kulturzentren. Gleichzeitig gab und gibt es die Notwendigkeit der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und bis zu einem gewissen Grad auch kulturellen Integration.
Was die Frühe Neuzeit und die Gegenwart diametral unterscheidet, ist der Kontext: Für Erstere prägend sind Ständegesellschaft, Korporationen, ein schwacher Staat, das Fehlen einer Staatsverfassung, nicht vorhandene Rechtsgleichheit, fehlende universelle Menschen- und Freiheitsrechte; für Letztere Staatsverfassungen, Rechtsgleichheit, Menschenrechte, individuelle Freiheiten, starke staatliche Institutionen mit Monopolen nicht nur im Sinne eines Gewaltmonopols, Institutionen, die sich heute sehr viel mehr als in der Frühen Neuzeit auch auf den Bildungs- und Sozialsektor erstrecken – eine Gegenwart, in der die Freiheit und Gleichheit des Individuums betont und Gruppenrechte und -privilegien immer dem allgemein geltenden Recht untergeordnet werden beziehungsweise nur in diesem verfassungsmäßig gesetzten Rahmen möglich sind.