Darf mit terroristischen Gruppen verhandelt werden? In öffentlichen Stellungnahmen finden sich zahlreiche Beteuerungen von Regierungen unterschiedlich verfasster Staaten, nicht mit Terroristen zu sprechen – auch wenn ähnlich viele Beispiele existieren, dass Verhandlungen stattgefunden haben und einen wichtigen Beitrag zu einer friedlichen Konfliktbeilegung leisten konnten. Das Wesen der terroristischen Gewalt – zumeist in Form von Anschlägen auf die Zivilbevölkerung – macht die Frage nach der "Denkbarkeit" von Verhandlungen zu einem sensiblen wie umstrittenen Thema.
Ablehnung bezieht sich in erster Linie auf die Gewaltform, da Anschläge im Kopf der Menschen wirken und Angst erzeugen sollen – jede und jeder kann Opfer werden. Terroristische Gewalt wird als unvereinbar mit Verhandlungen gesehen, weil diese auf Vertrauen und Zuverlässigkeit basieren. Verteidiger des No-talks-Paradigmas weisen zudem auf das Problem der Legitimierung und Anerkennung von Terroristen durch Gespräche hin.
Verhandlungen können aber auch signifikant zu einem Ende der Gewalt beitragen. Hiermit verknüpft ist ein verändertes Verständnis von "Terrorismus", das die Gewaltform nicht isoliert betrachtet, sondern zugesteht, dass terroristische Gruppen auch oft Rebellen, Aufständische (engl. insurgents) oder kriminelle Organisationen sind.
Die "Palästinensische Befreiungsorganisation" (PLO) ist eines der bekanntesten Beispiele für Gruppen, an denen die Zuschreibung "des einen Terroristen und des anderen Freiheitskämpfer" deutlich wird.
Die Zuschreibung "terroristisch" wird auch dahingehend kritisch betrachtet, dass sie dazu dienen kann, politisch unerwünschte Gegner zu kriminalisieren und bestimmte sicherheitspolitische Methoden nahezulegen – die in der Regel jede Form von Dialog ausschließen.
Generell gilt: Gespräche bergen für Gewaltgruppen eine friedliche Alternative, um ihre Forderungen zu vertreten. Für Geheimdienste bieten Verhandlungen zahlreiche strategische Vorteile wie den Gewinn an zusätzlichen Informationen etwa in die inneren Dynamiken der Gruppe.
Einen umstrittenen Sonderfall stellen islamistische Gruppen wie Al-Qaida und regionale Ableger der Gruppe dar. Analysen nach dem 11. September 2001 beschreiben diese als "neuen" oder "absoluten" Terrorismus, der auf einer zu radikalen, universalistischen Ideologie basiere, die weder einen politischen Dialog zulasse, noch für Demokratien in Verhandlungen aufgreifbare Forderungen stelle.
Um dieser Diskussion Rechnung zu tragen, werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern Verhandlungen mit dem nordafrikanischen Ableger von Al-Qaida, "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM), als einer Gruppe dieses "neuen" Typs umsetzbar sind. Neben der religiösen Orientierung als Basis der Radikalität von AQIM werden ihr regionaler und globaler Bezug sowie die überwiegende Ausrichtung auf die organisierte Kriminalität als Hindernis für Verhandlungen gesehen.
Verhandeln, wenn es keiner sieht
Verdeckte oder geheime Verhandlungen (engl. back-channel negotiations (BCN)) erlauben es Konfliktparteien – in diesem Fall meist eine Regierung und die Gewaltgruppe –, Gespräche zu beginnen, ohne die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen.
Verschiedene bekannte Fälle von BCN mit Gewaltgruppen sind unter Vermittlung von Mediatoren zustande gekommen, wie beispielsweise die Osloer Friedensgespräche, Gespräche zwischen der südafrikanischen Regierung und Nelson Mandela als Vertreter des African National Congress (ANC)
Die Erfolge der Verhandlungen im Nordirlandkonflikt
Verdeckte Kommunikation zwischen Regierungen und Gewaltgruppen erlaubt es beiden Seiten, miteinander zu sprechen, ohne die gegnerische Seite anzuerkennen, sie zu legitimieren oder Zugeständnisse zu gewähren.
Durch BCN ist es allen Parteien möglich, Vertrauen aufzubauen und durch deeskalierende Handlungen gegenüber der anderen Konfliktpartei ihren Willen zu einer Konfliktlösung zu verdeutlichen. Dies kann die Ankündigung eines einseitigen Niederlegens der Waffen sein oder der Austausch von Gefangenen und Geiseln, der etwa zwischen PIRA und britischer Regierung im Rahmen von BCN direkte Verhandlungen im Nordirlandkonflikt ermöglicht hat.
Die Geheimhaltung der Gespräche gewinnt für die Kontrolle und den Ausschluss von Gegnern der Verhandlungen, Störenfrieden (engl. spoilers), an Bedeutung. Deren Agieren stellt in Friedensprozessen eine der größten Schwierigkeiten dar. Selbst wenn alle Beteiligten den Friedensprozess als sinnvoll erachten, gibt es Unterschiede in der Einsicht, wann der Punkt für Verhandlungen erreicht wird, und in der Ansicht, wie der Friedensprozess gestaltet werden soll.
Spoilers sind an den Verhandlungen direkt beteiligt oder agieren als eine dritte externe Partei, die von den Verhandlungen ausgeschlossen wurde beziehungsweise sich selbst ausgeschlossen hat.
In ihrer Geheimhaltung liegt das Paradox verdeckter Verhandlungen: Wird wie in den Osloer Friedensgesprächen zu viel in BCN erarbeitet, verlieren die Repräsentanten beider Konfliktparteien die Möglichkeit, einen Konsens in ihren eigenen Reihen aufzubauen.
Es ist zu betonen, dass verdeckte Verhandlungen grundsätzlich große Vorteile bieten, aber nicht als einziges Instrument zur Konfliktlösung genutzt werden sollten. Ihre Nachteile wiegen dann schwer, wenn man BCN dazu einsetzt, schnell eine Lösung zu verhandeln.
Im Falle des nordafrikanischen Ablegers von Al-Qaida hat es um 2009 geheime Gespräche zwischen dem damaligen Anführer des südlichen Ablegers von AQIM in der Sahara, Mokhtar Belmokhtar, und dem algerischen Geheimdienst gegeben, die kurzfristig zu einem taktischen Abkommen geführt haben sollen.
Verhandeln, wenn es wehtut
Eines der Kernelemente von Theorien des Konfliktmanagements ist die Frage, wann die Konfliktparteien Gespräche oder Verhandlungen aufnehmen. Dem No-talks-Paradigma folgende Positionen betonen, dass Verhandlungen mit terroristischen Gruppen erst dann möglich sind, wenn diese bereits beginnen, aufzugeben. Dies ist problematisch, wenn Gewaltgruppen in einer Situation extremer Schwächung zu einer besonders hohen Gewaltbereitschaft neigen.
Hiermit sind zwei Begriffe verbunden, die der Konfliktforscher I. William Zartman geprägt hat: die Konfliktreife und das mutually hurting stalemate (MHS).
Das Erreichen der Konfliktreife setzt gleichzeitig einen Grad an Optimismus darüber voraus, dass die andere Seite auf das Angebot von Verhandlungen eingeht, zu Zugeständnissen bereit und an einer Versöhnung interessiert ist – anstatt die Gespräche als Feuerpause zum Überwinden einer eigenen Schwächung zu nutzen.
Kritik erfährt das Konzept von MHS und Konfliktreife dahingehend, dass ein solcher Punkt meist erst ex post erkennbar ist und nicht aus dem direkten Konfliktgeschehen heraus. In der Wissenschaft werden dazu verschiedene Kriterien wie Machtgleichgewichte (real oder subjektiv wahrgenommen) zum Beispiel anhand der (militärischen) Stärke und der Grad der Schäden durch den Konflikt diskutiert.
Zudem zeigen die Kontakte zwischen algerischem Geheimdienst und Belmokhtar/AQIM, dass die Aufnahme von Verhandlungen aus anderen Absichten denn aus einem MHS erfolgen kann. Das stalemate, entstanden durch Erfolge Algeriens in der Bekämpfung und dem Ablösen moderater Teile der Gruppe, konnte der südliche Flügel AQIM mit der Expansion in die Sahara und den Sahel sowie die Integration in die organisierte Kriminalität zur eigenen Finanzierung überwinden. Die Gründe für Verhandlungen zwischen dem algerischen Geheimdienst und Belmokhtar sind daher eher in taktischen Überlegungen und kurzfristigen Vorteilen einer Kooperation zu suchen. Gleichzeitig ließe sich argumentieren, dass eine Kooperation schließlich an dem Fehlen einer wirklichen Notsituation und besseren Alternativen gescheitert ist.
Die meisten Analysen einer Reife für Verhandlungen werfen einen Blick auf das Verhältnis zwischen Regierung und Gewaltgruppe. Ein Schritt zu Gesprächen kann aber auch aus Dynamiken zwischen verschiedenen Gruppen und innerhalb der Gruppe, wie im Fall von AQIM, heraus erfolgen. Vor allem die individuelle Ebene ist hier wichtig, da die persönliche Feindschaft zwischen Belmokhtar und dem Anführer von AQIM, Abdelmalek Droukdel, als wichtiger Grund für eine zeitlich begrenzte Kooperation von Belmokhtar mit dem algerischen Geheimdienst genannt wird.
Verhandlungen sind nicht gleich Verhandlungen
Die Beispiele von Verhandlungen mit Gewaltgruppen zeigen, dass hieraus nicht zwingend ein Ende der Gewalt oder ein Friedensschluss resultieren. Gespräche mit der Gewaltgruppe dienen häufig auch dazu, Informationen zu gewinnen, um mit deren Hilfe Einfluss auf die moderaten Teile zu nehmen und über sie die Gruppe insgesamt zu einer Abkehr von der Gewalt zu bewegen oder signifikant zu schwächen.
Des Weiteren gibt es Positionen, die die Wirkkraft eines Dialogs mit Gewaltgruppen über Verhandlungen hinaus betonen.
Wie dies geschehen kann, zeigt das Beispiel der Deradikalisierung der ägyptischen "Gama’a Islamiya" in den 1990er Jahren. Im Rahmen eines Deradikalisierungsprogramms der Gruppe ermöglichte die ägyptische Regierung einen Dialog sowohl der inhaftierten Mitglieder untereinander als auch mit Geistlichen und durch die Veröffentlichung von Büchern und Interviews mit der Zivilgesellschaft.
Verhandlungen sind als Prozesse anzusehen, die im Sinne eines taktischen bargaining beginnen, im Laufe ihrer Institutionalisierung aber eine Transformation der Mittel hin zu gewaltfreien Methoden, der Einstellungen beider Konfliktparteien zueinander und schließlich des sozialen Umfelds bewirken können.
Fazit
Die Hürden zu Beginn von Verhandlungen mit Gewaltgruppen sind sehr hoch und mehr als nur eine Frage des richtigen Timings. Können beide Seiten nach Gesprächen Verhandlungen beginnen, so sind diese als komplexe Prozesse und nicht als ein Endprodukt zu sehen. Die erwähnten Beispiele der Verhandlungen im Nordirlandkonflikt, in Südafrika, Kolumbien und den Osloer Friedensgesprächen zeigen, dass es sich hierbei um langwierige, sehr störanfällige und immer wieder von Rückschlägen bedrohte Konfliktlösungswege handelt.
Auch die Verhandlungen in Ägypten und Algerien zeigen die Gefahr einer Radikalisierung dritter Gruppen oder des Absplitterns von gewaltbereiten Flügeln auf: Im Dialogprozess zwischen ägyptischer Regierung und Gama’a Islamiya konnte eine dritte Gruppe, der "Ägyptische Dschihad", in Gespräche eingebunden werden, von der sich ein radikalerer Flügel unter der Leitung von Ayman al-Zawahiri loslöste und sich am Aufbau von Al-Qaida beteiligte.
Geheime Kommunikation bietet die Möglichkeit, sich an Verhandlungen heranzutasten und zu verhandelnde Gegenstände zu identifizieren. Darüber hinaus können solche Akteure, die von vornherein einen Friedensprozess gefährden, zunächst ausgeklammert werden. Hierbei ist wichtig zu betonen, dass Verhandlungen immer in eine weitergreifende Politik und verschiedene Maßnahmen, auch militärischer Art, eingebunden sein sollten. Dabei ermöglichen es Verhandlungen und Gespräche dem Staat, nicht nur auf Anschläge oder andere Taktiken zu reagieren, sondern selbst aktiv zu werden und so wieder Einfluss über die Gruppe zu gewinnen.
Gespräche oder Verhandlungen mit Gewaltgruppen sind also grundsätzlich weder undenkbar oder unmöglich, noch entbehren sie historischer und aktueller Vorbilder. Dies trifft inzwischen auch auf Verhandlungen mit islamistischen Gewaltgruppen zu. Dennoch stellen sie für alle Beteiligten herausfordernde Prozesse dar, die nicht zuletzt ein Abwägen zwischen der Ablehnung der verwendeten (terroristischen) Gewalt und dem Vermeiden zukünftiger Gewalt sowie den Schutz von Menschenleben darstellen. "Negotiating with terrorists is not a question of forgiving or forgetting the past, but holding a pragmatic position about the future."