Ein Mann in orangefarbenem Overall kniet im Staub einer wüstenartigen Landschaft. Neben ihm steht ein Mann in Schwarz mit verhülltem Gesicht. Er hält ein Messer in seiner linken Hand, das er einer Kamera entgegenstreckt. Es ist die Szene einer bevorstehenden Hinrichtung. Das Standbild aus dem Enthauptungsvideo, das der sogenannte Islamische Staat von der Ermordung des US-amerikanischen Fotojournalisten James Foley hergestellt hat, ging im August 2014 um die Welt. Es verbreitete sich in sozialen Netzwerken und klassischen Medien und wurde zu einem Schlüsselbild für das grausame Vorgehen der Terrormiliz.
Sichtbarkeit ist ein zentraler strategischer Faktor des Terrors und "ein wesentliches Element des terroristisch erzeugten Horrors".
Durch ihre Bezugnahme auf andere Bilder sind Terrorbilder oft durch "Mehrfachcodierungen"
Typen visueller Terrordarstellung
Hanns Martin Schleyer als Geisel der RAF (1977) (© picture-alliance/dpa, UPI)
Hanns Martin Schleyer als Geisel der RAF (1977) (© picture-alliance/dpa, UPI)
Obwohl Terrororganisationen durch individuelle Ikonografien gekennzeichnet sind – "je nachdem, ob sich ihre Mitglieder beispielsweise als revolutionäre Freiheitskämpfer, rassistische Bürgermiliz oder gottergebene Märtyrer stilisieren möchten"
Zurschaustellung von Geiseln.
Die Zurschaustellung von Geiseln ist eine der häufigsten Bildstrategien terroristischer Organisationen. Zu diesem Bildtypus zählen beispielsweise Fotos der "Roten Armee Fraktion" (RAF) von ihrer Geisel Hanns Martin Schleyer, die im September und Oktober 1977 aufgenommen wurden und den Gefangenen mit unterschiedlichen Schildern vor dem RAF-Logo zeigen (Abbildung 2).
Der Designtheoretiker Rolf Sachsse hat sich mit den historischen Spuren dieses Bildtypus beschäftigt: Die Demütigung von Menschen durch eine öffentliche Zurschaustellung mit einer beschrifteten Tafel ist laut Sachsse in allen Kulturkreisen so lange bekannt, wie es schriftliche Überlieferungen gibt: Sie findet sich in Legenden über die brutale Zerschlagung einer frühchristlichen Gemeinde im Jahr 177, taucht als Strafe im arabisch-asiatischen Raum und im europäischen Mittelalter auf und findet im 19. Jahrhundert Eingang in die erkennungsdienstliche Behandlung von Tatverdächtigen. Sachsse erklärt, dass die RAF bei ihrer Inszenierung möglicherweise erkennungsdienstliche Bilder der Gestapo von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern gegen das NS-Regime vor Augen gehabt haben könnte. Die Bildform, die Vorbilder bei anderen sozialrevolutionär geprägten Organisationen wie den italienischen Roten Brigaden oder den uruguayischen Tupamaros findet, wurde laut Sachsse bereits bei früheren Entführungen der RAF erprobt, jedoch erst bei Hanns Martin Schleyer präzise und symbolhaft umgesetzt.
Abbildung 4: Standbild aus einem Video der Reihe "Lend me your ears" mit John Cantlie (2014) (© picture-alliance, ROPI)
Abbildung 4: Standbild aus einem Video der Reihe "Lend me your ears" mit John Cantlie (2014) (© picture-alliance, ROPI)
Geiseldarstellungen islamistisch motivierten Terrors unterscheiden sich von den Arrangements der RAF, indem sie auch Täter ins Bild bringen. In einem symbolischen Bestrafungsakt werden Geiseln als Repräsentanten ihres Herkunftslands "vor der Weltöffentlichkeit buchstäblich in die Knie gezwungen".
Bildersturm und ikonoklastische Zerstörungen.
Abbildung 4: Buddha-Statuen von Bamiyan vor (1963) und nach der Zerstörung (2008) (© Wikimedia, Commons)
Abbildung 4: Buddha-Statuen von Bamiyan vor (1963) und nach der Zerstörung (2008) (© Wikimedia, Commons)
Besondere Bedeutung kommt der spezifischen Symbolik von Schauplätzen ikonoklastischer Zerstörungen zu: Die Ruinenstadt Palmyra gilt als Ort, an dem Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und Religionen friedlich zusammen gelebt haben und der in seiner Symbolik einer Propaganda des vermeintlich unüberwindlichen Gegensatzes zwischen Gläubigen und Ungläubigen zuwider läuft. Dem ikonoklastisch orientierten Fundamentalismus geht es nicht primär um die Zerstörung von Kunst- und Bauwerken, sondern vielmehr um die dabei erzeugten Bilder: "als Waffensysteme des Gegners, die gegen ihn selbst gerichtet werden".
Exekutionen und inszenierte Tötungsakte.
Dieser Bildtypus nimmt 2002 mit der Exekution des US-amerikanischen Journalisten Daniel Pearl in Pakistan seinen Ausgang und setzt sich fort in den Ermordungen seines Landsmannes Nicolas Berg 2004 oder des Italieners Fabrizio Quattrocchi (beide im Irak). Während diese frühen Exekutionsvideos noch durch einen laienhaften Stil gekennzeichnet waren,
Spätestens seit der Ermordung des US-amerikanischen Fotojournalisten James Foley im August 2014 sind inszenierte Tötungsakte und Exekutionen durch Terrororganisationen verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In Folge veröffentlichte der "Islamische Staat" mehrere Videos von Morden, zu deren Opfern unter anderem westliche Journalisten und Entwicklungshelfer, syrische Soldaten, koptische Christen, ein jordanischer Pilot sowie vermeintliche Spione zählten. Die extrem grausamen Tötungsakte durch Enthauptungen, Sprengungen, Lebendverbrennung oder Ertränkung wirken minutiös geplant – von der Auswahl der Schauplätze (beispielsweise des Theaters von Palmyra) über die Inszenierung und Bekleidung von Tätern und Opfern bis zur Videodokumentation und der Verbreitung in sozialen Netzwerken. Wie beim Bildtypus ikonoklastischer Zerstörungen geht es auch hier primär um die Erzeugung von Bildern: "die Transformation von Körpern feindlicher Soldaten und Funktionsträgern des Feindes in Trophäen der Abschreckung (…), überführt in die Praxis, Menschen nicht als Bild zu zeigen, weil sie getötet worden waren, sondern sie zu töten, um sie als Bild einsetzen zu können".
Abbildung 5: Standbild aus dem "Bekennervideo" des NSU (um 2007 produziert, 2011 aufgetaucht) (© picture-alliance/dpa, Der Spiegel)
Abbildung 5: Standbild aus dem "Bekennervideo" des NSU (um 2007 produziert, 2011 aufgetaucht) (© picture-alliance/dpa, Der Spiegel)
Der Strategie einer Zurschaustellung von Opfern folgt auch das 2011 aufgetauchte "Bekennervideo" der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) (Abbildung 5). Das 15-minütige Video besteht aus Sequenzen der Zeichentrickserie "Der Rosarote Panther", in die Originalaufnahmen von Opfern und Tatorten sowie von Fernseh- und Zeitungsausschnitten über die Anschlagsserie montiert wurden. Die Zeichentrickfigur Paulchen Panther führt durch das Video, während die Vertonung die Attentate feiert und sowohl Opfer als auch Ermittlungsbehörden verhöhnt. Das für den Abspann der Zeichentrickserie typische Versprechen "Heute ist nicht alle Tage, ich komm’ wieder, keine Frage" wird im NSU-Bekennervideo zu einer Drohung, die weitere Anschläge ankündigt.
Medien und Terrorbilder
Terror und mediale Öffentlichkeit stehen in einem komplexen Austausch- und Bedingungszusammenhang: Terror braucht die mediale Sichtbarkeit, um sein Ziel der Verbreitung von Angst und eine damit verbundene Veränderung der betroffenen Gesellschaften zu erreichen. Medien wiederum sind aufgrund des Nachrichtenwerts terroristischer Akte auf eine kontinuierliche Berichterstattung angewiesen. Der Produktion und Verbreitung von Bildmaterial kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Der Medienwissenschaftler Stephan A. Weichert, der sich mit medialen Reaktionen auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 beschäftigt hat, erklärt, dass Massenmedien von Terrororganisationen "als Stellschrauben und Lautsprecher gezielt eingesetzt und missbraucht" werden.
Gleichzeitig – so Weichert – habe sich auch die Berichterstattungspraxis von Medien zu einer "auf bildmächtige Krisenereignisse getrimmten Nachrichtenindustrie" gewandelt.
Neue Technologien ermöglichen Terrororganisationen, die Filter traditioneller Medien zu umgehen. Attentate können heute mit am Körper fixierten Kameras gefilmt und als Live-Footage aus Perspektive der Attentäter übertragen werden, wie dies beispielsweise bei der Anschlagsserie eines islamistischen Einzeltäters in Frankreich im März 2012 der Fall war. Soziale Netzwerke ermöglichen die sekundenschnelle Verbreitung des Materials. Videos werden von Terrororganisationen als Botschaften an verschiedene Gruppen und mit unterschiedlichen Zielen – wie etwa der Rekrutierung von Sympathisanten oder der Abschreckung von Feinden – produziert. Die Produktionsstandards von Videos des "Islamischen Staats" orientieren sich an den Sehgewohnheiten eines westlichen Publikums und nutzen die Bildsprache von Videospielen und Hollywood-Filmen.
Terrororganisationen gelten traditionell als early adopter neuer Technologien. Als die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" während der Olympischen Spiele 1972 in München israelische Athleten als Geiseln nahm, profitierte sie von der ersten Liveübertragung eines Sportgroßereignisses.
In jüngster Zeit scheinen Terrororganisationen von strategischen Ikonisierungen abzugehen. Das bekannteste Foto zu den islamistisch motivierten Attentaten auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 stammt von einem Anrainer, der die brutale Ermordung des verwundeten Polizisten Ahmed Merabet durch einen Attentäter zeigt. Auch die islamistischen Anschläge in Paris im November 2015 waren nicht durch ein zentrales Bild gekennzeichnet, sondern vielmehr durch die Auswahl symbolischer Schauplätze, die einen freiheitlichen Lebensstil charakterisieren: ein Sportstadion, ein Musikclub sowie Cafés, Bars und Lokale.
Nicht nur die Bildproduktion durch Terrororganisationen, auch die Berichterstattung vom Tatort befindet sich im Wandel. Überwachungskameras liefern Bilder von Anschlagsorten, wie dies etwa bei den Attacken auf Londoner U-Bahnen und Busse im Juli 2005 oder auf den Flughafen und eine U-Bahnstation in Brüssel im März 2016 der Fall war. Smartphones ermöglichen Bild- und Videoaufnahmen durch Augenzeuginnen und Augenzeugen, noch bevor journalistische Kamerateams vor Ort sein können.
Die schiere Menge produzierter Bilder und die Aufmerksamkeitsstrategien von Terrororganisationen machen die Frage nach "den Konsequenzen terroristischer Medienspektakel"