Die Kulturrevolution war innenpolitisch wie außenpolitisch ein Selbstmord für China. Schon Ende der 1960er Jahre, als der Höhepunkt der Kampagne erreicht war, zeichnete sich eine dramatische Doppelkrise im "Reich der Mitte" ab: ein innenpolitischer Kollaps und die außenpolitische Isolierung. Während die innenpolitische Krise erst durch den Tod des langjährigen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) Mao Zedong am 9. September 1976 und vor allem durch die Entmachtung der "Viererbande"
Die unmittelbare Konsequenz dieser außenpolitischen Positionierung war eine tektonische Verschiebung des weltpolitischen Gleichgewichts, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Konfrontation zwischen dem westlichen Lager unter Führung der USA und dem kommunistischen Lager unter Führung der UdSSR geprägt war. Chinas Ausscheren aus dem "sowjetisch-kommunistischen" Lager und seine Versöhnung mit den USA führten zu einer neuen weltpolitischen Konstellation: Die strategischen Dreiecksbeziehungen zwischen Beijing, Moskau und Washington ermöglichten nicht nur Chinas Rückkehr auf die weltpolitische Bühne, sondern brachten auch neue Dynamik in die US-amerikanisch-russischen Beziehungen.
Geburt einer neuen Strategie
Nach außen trug die Kulturrevolution einen stark antisowjetischen Charakter. Für Mao und seine Anhänger stand die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) für eine revisionistische Haltung, die Marx und Lenin verrate und den Weltkommunismus letztlich untergrabe. So bediente sich die chinesische Parteiführung auch zahlreicher antisowjetischer Parolen, um die Massen für die Beteiligung an der Kulturrevolution zu mobilisieren. Dieser Kurs führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die 1969 ihren Höhepunkt in einem bewaffneten Grenzkonflikt am Ussuri erreichte. Durch dieses "Schisma des Weltkommunismus" sah Beijing seine kommunistischen "Genossen" schließlich als noch gefährlicher an als die "US-Imperialisten". Insbesondere der sowjetische Versuch im Sommer 1969, die Unterstützung der USA für einen Präventivschlag gegen die chinesischen Atomanlagen zu gewinnen, alarmierte die chinesische Staatsführung. Um sich der heraufziehenden Gefahr zu entziehen und Moskaus Versuchen, China international zu isolieren, entgegenzuwirken, beschloss Mao zu handeln.
Schon länger gab es in Beijing Gedankenspiele, die Interessengegensätze zwischen Washington und Moskau auszunutzen, um sich selbst aus der Doppelkonfrontation und Isolation herauszuführen. Offenbar spürte die Staatsführung bereits 1968 subtile Änderungen in der amerikanischen Haltung gegenüber China. Zhou Enlai war fest davon überzeugt, dass sich die USA unter Präsident Richard Nixon – nicht zuletzt angesichts der Schwierigkeiten in Vietnam – gegenüber China öffnen würden. "Wir haben", so Zhou, "Nixon vor und nach seiner Machtergreifung drei Jahre beobachtet. Wir haben genau erkannt, dass Nixon nichts anderes übrig bleibt, als mit China in Kontakt zu kommen, wenn er sein Asienproblem lösen möchte."
Auf Zhous Vorschlag hin befahl Mao im März 1969 den Marschällen Chen Yi, Ye Jianying, Xu Xiangqian und Nie Rongzhen, sich wöchentlich zum Gedankenaustausch über internationale Fragen zu treffen und die Parteiführung bei außenpolitischen Entscheidungen zu beraten. Zhou beauftragte Marschall Chen Yi, diesen "Workshop" zu leiten. Chen Yi, der schon beim Bruch der chinesisch-sowjetischen Allianz die Notwendigkeit der Verständigung mit dem Westen erkannt hatte, schlug der Parteiführung wenige Tage nach Aufnahme der Arbeit vor, sich gegenüber den USA zu öffnen. Der Marschall begründete seinen Vorschlag damit, dass es überwiegend von der amerikanischen Haltung abhinge, ob Moskau einen Angriff auf China wage: Ohne das Einverständnis der USA würde die Sowjetunion keinen Angriff auf China riskieren. China solle die sowjetische Angst vor einer Verständigung mit den USA ausnutzen und einen Versöhnungsprozess mit Washington einleiten. Hierzu schlug er einen Dialog auf Ministerebene vor – nur so könne sich die strategische Wirkung entfalten, die China benötige, um die Sowjetunion im Zaum zu halten.
Chen Yis strategische Vorstellung zur Annäherung an die USA fand bei Zhou Enlai volle Unterstützung. Der Premierminister glaubte, dass ein von der Sowjetunion gezähmtes China nicht im US-Interesse liegen könne, weil dies die globale Machtbalance zugunsten der UdSSR verändern würde. "China", so Zhou Enlai metaphorisch, "ist ein ebenso großes wie fettes Stück Fleisch, um das sie (die Supermächte) miteinander kämpfen. Aber dieses Stück ist zu groß, so dass sie es nicht schlucken können."
Zu den Gegnern der chinesisch-amerikanischen Annäherung gehörte Verteidigungsminister Lin Biao, der zweite Mann in der Parteihierarchie. Vorwürfe, dass durch die Öffnung zu Washington Prinzipien, Revolution und Vietnam verraten würden, wies Zhou Enlai jedoch entschieden als "Verleumdungen gegen die Partei" zurück: "Die Hauptaufgabe bei der Konfrontation gegen die zwei Hegemone liegt gegenwärtig darin, den direktesten, gefährlichsten und realsten Feind – den sowjetischen sozialistischen Imperialismus – zu bekämpfen. Das ist eine vom Vorsitzenden bestimmte Richtlinie. Der Vorsitzende sagte: ‚Wir dürfen keinen Zweifrontenkrieg führen. Es ist besser, an einer Front zu kämpfen‘."
Die strategischen Vorstellungen von Mao und Zhou, durch Annäherung an die USA sowohl ein Gegengewicht zur Sowjetunion zu gewinnen als auch eine absolute Übermacht der Supermächte zu verhindern, wurden später besonders deutlich von General Geng Biao, seinerzeit Chef der Abteilung für internationale Beziehungen des Zentralkomitees der KPCh, zum Ausdruck gebracht. Im August 1976 erklärte er in einer internen Rede vor Parteikadern den Zusammenhang zwischen der Annäherung an Washington und dem Gewinn von außenpolitischem Spielraum: "Die Vereinigten Staaten und die UdSSR ringen bei manchen Angelegenheiten miteinander um Vorherrschaft und machen gegenseitig keine Zugeständnisse; sie arbeiten sich aber bei manchen Angelegenheiten auch in die Hände, machen Geschäfte hinter den Kulissen und teilen Profite unter sich auf. Wenn wir diese zwei Hegemone (durch Doppelkonfrontation) zum Zusammenschließen zwingen würden, müssten wir allein mit diesen beiden fertig werden; und die Konsequenzen daraus wären verhängnisvoll. Daher müssen wir – um zu überleben – einen (Feind) loslassen und den anderen fest greifen. Unter dem strategischen Aspekt kann das Beiseitelegen des sino-amerikanischen Konfliktes uns ermöglichen, die andere Seite (die Sowjetunion) mit voller Kraft zu bekämpfen."
Vorsichtige Annäherung
So wünschenswert Mao und Zhou eine Partnerschaft mit den USA auch erscheinen mochte, so wollten sie das Tor der Versöhnung mit dem Erzfeind doch nicht als erste öffnen. Verschiedene Überlegungen hatten die politische Führung Chinas dazu gebracht, äußerst zurückhaltend auf Washingtons Avancen zu reagieren. Vor allem das innen- und außenpolitische Risiko, das mit einer Bittstellerhaltung verbunden war, schreckte die ansonsten sehr mutige chinesische Führung davon ab, die Initiative zu ergreifen. Eine mögliche Zurückweisung einseitiger Versöhnungsversuche durch die "amerikanischen Imperialisten" würde nicht nur die Nation demütigen, sondern sie konnte auch das politische Leben im innerparteilichen Machtkampf kosten. Ebenso wie Nixon und der US-Sicherheitsberater und spätere Außenminister Henry Kissinger, die offenbar mit ähnlichen Problemen konfrontiert waren, bevorzugten Mao und Zhou die Geheimdiplomatie, die im Falle eines Scheiterns der Annäherungspolitik den politischen Schaden auf ein Minimum begrenzen würde.
Auch die Furcht vor einer erneuten politischen Abhängigkeit von einer Supermacht veranlasste die chinesische Führung zur Vorsicht. Zwar erkannte Beijing – unter anderem durch das prochinesische Verhalten der USA im Ussuri-Konflikt und die amerikanische Ablehnung einer gemeinsamen Operation mit der Sowjetunion gegen Chinas Nuklearanlagen – die Bereitschaft der USA, China nicht mehr als Feind zu betrachten. Aber die Idee, sich unter den nuklearen Schutzschirm der USA zu begeben, lehnte die chinesische Führung kategorisch ab. Nicht nur das Gefühl eines Gesichtsverlusts, sondern auch die Sorge um die sicherheits- und außenpolitische Unabhängigkeit ließ Mao und Zhou diese Vorstellung als absurd erscheinen. Als der stellvertretende Sicherheitsberater des US-Präsidenten, General Alexander Haig, der chinesischen Führung im Oktober 1971 eine solche Perspektive andeutete, bezeichnete Mao das amerikanische Angebot als "Katzengeheul um die Maus".
Allerdings waren weder die innenpolitischen Bedenken noch die Sorge um eine neue Abhängigkeit für die anfängliche Zurückhaltung der chinesischen Führung entscheidend. Vielmehr spielten "strategemische" (listige) Überlegungen eine ausschlaggebende Rolle, was im Wesentlichen mit der Logik der Dreiecksdiplomatie zu tun hatte. So war die chinesische Führung zwar innerlich entschlossen, sich den USA anzunähern, nach außen aber wahrte sie den Anschein der Kooperation mit der UdSSR – von Gipfeltreffen über die Abhaltung von Grenzverhandlungen und die Entsendung eines neuen Botschafters nach Moskau bis hin zum Abschluss eines neuen Handelsabkommens. Ähnlich wie Washington aus dem chinesisch-sowjetischen Streit und Moskau aus dem chinesisch-amerikanischen Interessengegensatz Profit zu ziehen versuchten, wollte auch Beijing als lachender Dritter dastehen. In der Parallelität der amerikanischen und der sowjetischen Interessenlage, den Gegenspieler an einer strategischen Partnerschaft mit China zu hindern, entdeckten Mao und Zhou das Potenzial, die amerikanischen und sowjetischen "Barbaren" gegenseitig auszuspielen. Das Kalkül von Mao und Zhou lag offenbar darin, dass jedes Anzeichen einer chinesischen Kooperation mit der Sowjetunion die Nixon-Administration dazu ermuntern könnte, die Öffnung gegenüber China zu beschleunigen – zumindest, wenn sie eine Wiederannäherung zwischen den beiden kommunistischen Großmächten vermeiden wollte.
In der amerikanischen Sorge über eine chinesisch-sowjetische Verständigung wurde also eine Hebelkraft entdeckt, durch die Washington in die gewünschte Richtung bewegt werden sollte. Im strategischen Denken von Mao und Zhou war somit jede diplomatische Note in Richtung Sowjetunion auch auf die USA gerichtet; von jeder Maßnahme gegenüber Moskau erwartete die chinesische Führung von Washington eine Reaktion, die der gegenseitigen Annäherung dienlich sein würde. Zhou war fest davon überzeugt, dass eine subtil konzipierte Politik gegenüber der Sowjetunion nicht nur den Druck der chinesisch-sowjetischen Spannungen reduzieren, sondern auch die chinesisch-amerikanischen Beziehungen aus der Sackgasse herausführen könnte.
Tatsächlich schien dieses Kalkül aufzugehen: Kurz nachdem sich Zhou Enlai und der sowjetische Ministerpräsident Alexej Kossygin im September 1969 zu Gesprächen getroffen hatten und die chinesische Führung der Aufnahme von Grenzverhandlungen mit der UdSSR zugestimmt hatte, zogen die USA ihre in der Taiwanstraße patrouillierenden Zerstörer ab. Die trilaterale Bedeutung der chinesischen Diplomatie trat hier deutlich zutage, zumal Beijing unter bilateralen Aspekten keinen Grund hatte, sowjetischen Wünschen entgegenzukommen. Der Eindruck eines nachgebenden Chinas sollte Washington veranlassen, seine eigene Chinainitiative zu intensivieren und den Druck auf die Sowjetunion zu erhöhen. Dies wiederum sollte Moskau unter Druck setzen und den Kreml dazu bewegen, ebenfalls eine sanftere Politik gegenüber China zu betreiben. Obwohl Kissinger die Oberflächlichkeit dieses Kalküls erkannt hatte, führte der Anschein der chinesisch-sowjetischen Entspannung im Herbst 1969 nicht nur zur Aufhebung der US-Patrouillen in der Taiwanstraße, sondern beschleunigte insgesamt die amerikanischen Schritte zur Öffnung gegenüber China: Im Dezember 1969 entschied die Nixon-Administration, die Reise- und Handelsbeschränkungen für China weiter zu lockern, zudem nahmen beide Länder am 20. Januar 1970 in Warschau ihre Verhandlungen auf Botschafterebene wieder auf.
Anbruch einer neuen Ära
Noch ermutigender für die Chinesen war aber die Entscheidung der Nixon-Administration, Beijing unmittelbar über die Ergebnisse der SALT-Verhandlungen (Strategic Arms Limitation Talks) zu informieren, nachdem diese im Mai 1971 zu einem Durchbruch in Verfahrensfragen geführt hatten. Kissinger schickte eine Vorauskopie der amerikanischen Erklärung zur ausgehandelten Vereinbarung über den "pakistanischen Kanal"
Schon Nixons Rede in Kansas City im Juli 1970 hatte das Vertrauen der Chinesen in die Regierung Nixon als strategischer Partner vertieft. In seiner Rede hatte der US-Präsident von einer neuen Weltordnung mit fünf Machtzentren gesprochen – den USA, der Sowjetunion, China, Japan und Westeuropa – und sein Interesse an einer Partnerschaft mit China bekräftigt. Zhou Enlai war von Nixons These der fünf Pole so begeistert, dass er die Anweisung erteilte, die Rede des US-Präsidenten zu vervielfältigen und den Führungskräften in den Ministerien und in der Parteizentrale jeweils eine Kopie zum Studieren zu geben
Das Hauptziel der Annäherung an Washington, ein gemeinsames Vorgehen der Supermächte gegen China zu vereiteln und sich aus der Doppelkonfrontation zu befreien, schien in den Augen der chinesischen Führung in greifbarer Nähe. Beijing warf den ideologischen Ballast ab und begann seinerseits den Annäherungsprozess zu beschleunigen. Am 2. Juni 1971 erhielt Kissinger einen Brief von Zhou Enlai, in dem es hieß: "Der Vorsitzende Mao Tse-tung (Mao Zedong) hat zum Ausdruck gebracht, dass er den Besuch des Präsidenten Nixon begrüßt und sich darauf freut, ein persönliches Gespräch mit Seiner Exzellenz, dem Präsidenten, zu führen, bei dem jede Seite das Problem zur Sprache bringen kann, das sie interessiert. (…) Premier Tschou Enlai (Zhou Enlai) begrüßt es, dass Dr. Kissinger als Vertreter der Vereinigten Staaten zu einem vorbereitenden geheimen Treffen mit hohen chinesischen Beamten nach China kommen wird, um den Besuch des Präsidenten Nixon in Peking (Beijing) vorzubereiten und die notwendigen Absprachen zu treffen."
In der Tat hat Beijings Konzept, durch "Ausnutzung der Widersprüche zwischen den Supermächten" die chinesisch-amerikanische Feindschaft zu beenden und damit die chinesische Position in der Weltpolitik zu verbessern, funktioniert. Im Juli 1971, als der Geheimbesuch von Kissinger in Beijing bekannt wurde, hatte sich die Sicherheitslage Chinas im Vergleich mit jener zwei Jahre zuvor wesentlich verbessert. Von einer amerikanischen Sicherheitsbedrohung im Süden war trotz des andauernden Vietnamkrieges nichts mehr zu spüren. Auch eine große Offensive der Sowjetunion gegen China erschien nicht mehr wahrscheinlich. "Die Stationierung der zahlreichen Divisionen (der sowjetischen Streitkräfte) an den Grenzen", so Zhou in einer Rede, sei nichts anderes als ein "Vortäuschen von Stärke". Nach der Einschätzung des chinesischen Premierministers würden die "sowjetischen Revisionisten" an den Grenzen künftig "nur kleinere Zwischenfälle" riskieren. "Einen großen Krieg mit uns zu führen", so zeigte er sich überzeugt, würde die Sowjetunion nicht mehr wagen.
Die Vorverhandlungen, die Kissinger im Juli 1971 mit Zhou Enlai in Beijing geführt hatte, und der Chinabesuch von Präsident Nixon im Februar 1972 markierten das Ende der chinesisch-amerikanischen Feindschaft und legten den Grundstein für eine strategische Partnerschaft zwischen Washington und Beijing. Der chinesischen Führung war völlig klar, was sie mit ihrem (ehemaligen) Erzfeind betrieben hatte. Die Bekanntgabe des Geheimbesuches von Kissinger in Beijing, so Zhou Enlai zum amerikanischen Sicherheitsberater, werde "die Welt erschüttern".
Die psychologische Erleichterung auf der chinesischen Seite war unübersehbar, als Mao am 21. Februar 1972 Nixon in seinem Arbeitszimmer in Beijing empfing. "Was die Frage der Aggression von der amerikanischen Seite oder die von der chinesischen Seite anbelangt, so ist es (nur) eine kleine Frage. (…) Das ist kein großes Problem, denn es existiert jetzt die Frage nicht mehr, dass unsere zwei Staaten miteinander einen Krieg führen würden."