Politische Bildung beobachtet und thematisiert zwar die Makroebene des politischen Systems und seiner Feldbedingungen. In operationaler Hinsicht ist sie als pädagogische Disziplin aber subjektbezogen und auf die Einbeziehung der Lebensbedingungen der Menschen angelegt – nicht nur in ihrer Rolle als Bürgerinnen und Bürger. In dem Grad, in dem politische Bildung aufgehört hat, sich auf die Bereitstellung von Bildungsangeboten für den politikaffinen Teil des Bildungsbürgertums zu beschränken und der Wandel der Sphären des Öffentlichen und Privaten sie vor neue Herausforderungen stellt, ist es für die Disziplin nötig geworden, die orthodoxen Pfade zu ergänzen. So hat es sich mittlerweile eingespielt, dass politische Bildnerinnen und Bildner mit einer offen-neugierigen Haltung nach Inspiration suchen, wie sie den rasanten Veränderungen in Politik und Gesellschaft adäquat begegnen können. Dieser Frage wird innerhalb der Profession sehr unterschiedlich begegnet. Einer der eingeschlagenen Wege bezeichnet die eingehende Beschäftigung mit dem Phänomen der "Kultur" und dem Feld der kulturellen Bildung.
Kulturpolitik als Gegenstand
Kaum erklärungsbedürftig ist eine Auseinandersetzung politischer Bildung mit Kulturpolitik(en). Wie in Bezug auf andere Politikfelder vermittelt politische Bildung hier Faktenwissen, bildet kontroverse Diskussionen ab und ermöglicht Orientierung, Urteilsbildung und idealerweise sogar Handlungskompetenz. Kulturpolitik wird auf allen Politikebenen – in Kommunen, Ländern, auf Bundesebene und im Rahmen der Außenpolitik – und von vielfältigen Akteuren betrieben. Sie kann Interessenpolitik von Einzelnen, Trägern, Vereinen oder Kultureinrichtungen sein. Auf kommunaler und Landesebene ist sie meist Verteilungs- beziehungsweise Förderpolitik, die von einer entweder stärker "mäzenatischen" oder planvoll-strategischen Haltung geleitet sein kann. Auf Bundes- und internationaler Ebene kann sie neben repräsentativen auch ordnungspolitische Ziele verfolgen.
Wie "Kultur" als Gegenstand gefasst wird, hängt von dem jeweils vertretenen Kulturbegriff ab. Für die politische Bildung ist der weite Kulturbegriff der Neuen Kulturpolitik seit den 1970er Jahren besonders interessant: Denn das Verständnis von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik umschließt einen Gegenstandsbereich, der eine Auseinandersetzung mit sozialen Transformationsprozessen ermöglicht.
Angesichts der aktuell spürbaren intensiven Selbstsuche von Teilen der Gesellschaft wird es in Zukunft vermutlich dazu kommen, dass sich Kulturpolitik insbesondere auf der Ebene der Länder und Kommunen stärker Fragen der Lebensweisen zuwenden wird. Jüngst ist es im Bereich der kulturellen Bildung vermehrt zu ressortübergreifenden Kooperationen gekommen, um Fragen der Zugangsgerechtigkeit zu Kunst, Kultur und kultureller Bildung sowie der Integration zu bearbeiten.
Kulturfragen am Beispiel Stadt
Vor diesem Hintergrund wurde in den vergangenen Jahren die Stadt als Kultur- und Bildungsraum sowohl für die politische als auch für die kulturelle Bildung ein interessanter Bezugspunkt. Jenseits der akuten Krisenlage vieler Kommunen gibt es eine Vielzahl von Gründen, den Blick auf die Städte zu richten, denn diese haben im Zuge der Globalisierung als Lebensräume an Bedeutung gewonnen: Dass die "Zukunft der Menschheit in den Städten" liegt, hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan bereits 2000 bei der Eröffnung der Weltkonferenz zur Zukunft der Städte "Urban 21" in Berlin erklärt. Die Größe der westlichen Massendemokratien und die Erweiterung der Politikebenen um die europäische rückt institutionalisierte Politik in die Ferne. Demgegenüber werden die eigenen Lebensbedingungen im städtischen Lebensumfeld immer wichtiger. Zwar ist die Stadt ein dem Gemeinwohl verpflichtetes, demokratisch legitimiertes politisches Subjekt, sie bietet jedoch – trotz steigender Nachfrage – bisher meist nur in eingeschränktem Maße direkte politische Beteiligungschancen.
Es sind heute vor allem die kulturelle Produktivität der Stadt und das Maß ihres Vermögens, divergierende Tendenzen zu integrieren, sowie ihr Angebot an öffentlichem Raum und ihre Funktion als Bühne für die Aushandlung gesellschaftlicher und kultureller Konflikte, die sie zu einem zentralen Gradmesser für die Ausprägung und Fortentwicklung der (politischen) Kultur einer Gesellschaft machen. Anhand dieses Beispiels soll daher im Folgenden das Potenzial kulturbezogener Fragestellungen für die politische Bildung verdeutlicht werden.
Städte können Antriebskräfte der Integration sein oder dabei versagen. Wird Integration als das Ergebnis einer neuen (symbolischen) Aushandlung von Werten, Lebensstilen und Lebensweisen betrachtet, bildet die Stadt ein ideales Labor für die Untersuchung der Motoren sozialen Wandels. Der Stadtsoziologe Walter Siebel charakterisiert Städte dadurch, dass sie seit jeher eine Vielfalt unterschiedlichster Milieus beherbergen.
Wichtig wurde in den vergangenen Jahren die Formel der "Kultur als Standortfaktor". Diese hängt eng mit dem "Sichtbarmachen" bestimmter Aspekte von Stadt durch Politik und Wirtschaft zur Attraktivitätssteigerung zusammen: Die Programme der Kultureinrichtungen sollen ebenso wie die Produkte der Kreativwirtschaft und Luxusindustrie sowie Dienstleistungsofferten im Wellness- oder kulinarischen Bereich Tourismus und ein zahlungskräftiges Publikum anziehen. Das Phänomen der "Sichtbarkeit" im öffentlichen Raum verdeutlicht zugleich gesellschaftliche Machtverhältnisse und Konflikte: Sichtbar im öffentlichen Raum ist heute vor allem jener Teil der Stadtbevölkerung, der sich "Teilhabe" im Sinne von Konsum und speziell Kulturkonsum leisten kann. Nirgends deutlicher als in den Städten zeigt sich das Auseinanderdriften der Milieus von Arm und Reich, die sich kaum noch als Teile einer Gesellschaft auf der Basis eines gemeinsamen Gesellschaftsvertrages verstehen. Zudem ist der öffentliche Raum der Innenstädte und Malls häufig gar nicht mehr öffentlich, sondern Privatraum von Wirtschaftsunternehmen, die öffentlichen Raum simulieren, um von dessen Versprechen von Freiheit, Glück und Emanzipation wirtschaftlich zu profitieren.
Gegenwärtig treten sowohl im Zuge der Kulturalisierungs- als auch der Flüchtlingsdebatte ungelöste gesellschaftliche Identitätskonflikte hervor. Dem Sozialpsychologen Andreas Zick zufolge ist in Deutschland das "Wir" noch immer inhaltlich mit Nationalstaatsgedanken und der Vorstellung einer homogenen Volksgemeinschaft besetzt.
Schließlich ist der öffentliche Raum der Städte Austragungsort für spezifisch kulturelle Konflikte, die wiederum eng mit der Frage der Integration zusammenhängen. Kulturelle Konflikte artikulieren sich laut Siebel als Kämpfe um die öffentliche Präsenz von Symbolen.
Zwar sind sozialen Codierungen in den seltensten Fällen klare Bedeutungen zuzuweisen,
Dies ist allerdings nur eine Dimension einer Thematik, die mit den Begriffen eines iconic oder visual turn zusammenhängt. Zu beobachten ist ein zumindest langsam erwachendes Interesse der Sozialwissenschaft an dem Phänomen, das der Politikwissenschaftler Thomas Meyer mit dem Begriff "Revisualisierung der Kommunikations-Kultur" belegt, und das in Verbindung mit der Ästhetisierung der Kultur im Allgemeinen zu betrachten ist. Meyer spricht von der "Ästhetisierung der sozialen Welt" und des öffentlichen Raumes, die sich als "Dominanz des Visuellen gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort" äußert.
Politische Bildung ist auf den Umgang mit den dort thematisierten sozialen Affekten als Signifikanten der Gegenwartskultur in dem Sinne nicht ausreichend vorbereitet, als sie die Phänomene zwar thematisieren, nicht aber im Rahmen ihrer methodischen Zugänge integrieren kann. Ihr Methodenrepertoire ist kognitiver Natur, das heißt es wird erklärt, argumentiert, diskutiert. Der idealtypische politische Bildner ist um Distanzierung, Objektivität und Neutralität bemüht; sein Anliegen ist die Analyse sowie die Vermittlung von Wissen, Urteilskompetenz und operationalen Fähigkeiten. Aus den politischen Indoktrinationspädagogiken des NS-Staates und der DDR hat er gelernt und den Bereich der Sinne und Emotionen sowohl als Gegenstandsbereich als auch im Rahmen der Didaktik und Methoden bisher weiträumig umschifft. Diese aus verständlichen Gründen vollzogene Selbstbeschränkung wird aufgrund des im Beutelsbacher Konsens formulierten "Überwältigungsverbotes" auch nicht aufgegeben werden, um das Interesse an beziehungsweise die Bedürfnisse der Menschen nach sinnlichem Erleben – auch der Bildung – zu moderieren.
Annäherung an die kulturelle Bildung
Dennoch gibt es aufgrund der auf den vorangegangenen Seiten skizzierten Tendenzen seit der Jahrtausendwende ein sich steigerndes Interesse an der kulturellen Bildung, für die es konstitutiv ist, Menschen auch emotional zu tangieren und Position zu beziehen. Deren Angebote einer Weltaneignung über eine ganzheitliche, sowohl affektive als auch kognitive und sinnliche Auseinandersetzung mit Kunst birgt oftmals eine Anziehungskraft und Tiefe, mit der politische Bildung nicht konkurrieren kann. Das hat auch damit zu tun, dass Demokratie in der Regel wenig Faszination bietet, sondern sehr mühsam ist. Weltaneignung seitens der politischen Bildung könnte aber den Weg suchen, zeitgenössische Kunst dort, wo sie als gesellschaftspolitisch relevant intendiert ist, stärker als bisher in den Fokus zu rücken. Kunst will, Kunst soll überwältigen und kann in ihrer auratischen Wirkung erlebt werden, bevor Bildungsprozesse Distanzierung schaffen, analysieren, interpretieren und generalisieren.
Die Annäherung zwischen den Protagonistinnen und Protagonisten der politischen und der kulturellen Bildung lässt sich vor allem seit der zweiten Dekade beobachten. Diese hatte bisher vor allem das Ziel, die Ansätze, Methoden, Qualitätskriterien und Zielsetzungen der jeweils anderen Profession kennen zu lernen, um Aspekte daraus im Rahmen der eigenen Arbeit fruchtbar zu machen. Angesichts der hohen Zuwanderungszahlen hat sie in den vergangenen Monaten deutlich an Intensität zugenommen. Denn kulturelle und politische Bildung sind immer dann gefragt, wenn der Begriff der Gesellschaft in einen geistigen Zusammenhang mit dem der Krise gestellt wird. Beide Bildungsansätze versuchen ihre bisherigen, oftmals recht eng gefassten Bildungsziele zu transzendieren. Die Akteure möchten eine größere gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und öffentlich, wenn nicht politisch wirksam werden. In der Regel wird praxisorientiert innerhalb von gemeinsamen Projekten zusammengearbeitet, Theoriedebatten oder gemeinsame didaktische Fachdiskurse werden bisher kaum geführt. Metadiskurse, beispielsweise im Kontext der Kongressreihen "Kinder zum Olymp!" oder der Kulturpolitischen Bundeskongresse, orientieren sich meist an bestimmten Zielsetzungen, die für beide Richtungen relevant sind und sich aus veränderten gesellschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen ergeben, wie etwa die Öffnung der Häuser für nichtakademische Zielgruppen. Wie sich an den aktuellen Diskussionen um das Humboldtforum abzeichnet, wird es in Zukunft vermutlich stärker um Fragen der Denationalisierung von Kultur, um Vergangenheitsbewältigung und Neuorientierung im Feld des Postkolonialen sowie um transkulturelle Bildung gehen.
Charakteristisch für diese Debatten ist, dass noch kaum über Methoden oder Struktur diskutiert wird, sondern um Fragen der "Haltung", um welche angesichts gewachsener Systeme von Organisation und Autorität zunächst "gerungen" werden muss. Dies ist innerhalb der politischen Bildung leichter, weil hier – trotz der gewollt vielfältigen Landschaft der Anbieter – seit den 1950er Jahren ein inner- und außerschulischer Fachdiskurs geführt wird, der eine Bereitschaft zu Selbstreflexion, Strukturwandel und Orientierung an politischen Weichenstellungen begünstigt. Das Feld der Anbieter kultureller Bildung ist dagegen sehr viel größer und heterogener, und ihre Zielsetzungen sind weniger klar eingegrenzt. Je nachdem, ob Künstler Kunst diskutieren oder Mitwirkung bei der Entstehung anbieten, ob Kulturpädagogen Kunst diskursiv in Kultureinrichtungen vermitteln oder ob Anbieter kultureller Bildung in künstlerische Felder einführen und beispielsweise Musik-, Tanz oder Bildende Kunst unterrichten – vorwiegend geht es bei der kulturellen Bildung um eine Auseinandersetzung mit Kunst in ihren Kontexten.
Das größte Missverständnis zwischen den Vertretern der kulturellen und der politischen Bildung besteht bei den sogenannten Sekundäreffekten der kulturellen Bildung: Kunst schafft nach Auffassung der kulturellen Bildner "Weltzugänge sui generis", die sich etwa von diskursiv-normativen Weltzugängen unterscheiden,
Möchte man das Trennende zwischen den Ansätzen akzentuieren, wie es die Mehrzahl der dazu publizierenden Autoren tut, dann ist die Liste deutlich länger als die der Gemeinsamkeiten. Die Gunst der Stunde sollte dennoch unbedingt genutzt werden, um die Potenziale einer Zusammenarbeit weiter zu erproben. Wesentlich wären gemeinsame Fachdiskurse, die eine Überarbeitung der Bildungskonzeptionen und deren Verbindung mit sozialen Integrationskonzeptionen verstetigen. Die gemeinsame Präsenz der demokratischen Akteure, Vereine, Verbände und Institutionen im öffentlichen Raum und ihre Beteiligung am und Einladung zum – kontrovers geführten – öffentlichen Diskurs könnte für Menschen aus anderen kulturellen und politischen Kontexten ein starkes Symbol für die Demokratie sein. Gelänge es darüber hinaus, gemeinsame Räume für eine kreative und auch künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Zeitfragen zu schaffen und zu institutionalisieren, könnte die Frage nach dem "Wir", welche auch eine Frage nach der Substanz der Demokratie ist, möglicherweise anders gestellt werden als bisher: Es müssten vielleicht weder Feste oder Events lanciert werden, um der Demokratie zu Glanz zu verhelfen, noch Sinn erzeugt werden – sondern es wäre einfach Sinn da.