Innerhalb des Auswärtigen Amtes wird die Auswärtige Kulturpolitik – neben politischer Diplomatie und den Außenwirtschaftsbeziehungen – häufig als "Dritte Säule"
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es etwa das grundlegende Anliegen außenpolitischer Eliten, die junge Bundesrepublik als einen vertrauenswürdigen und konstruktiven Partner zu positionieren und somit auch sukzessive die Handlungsspielräume zur Gestaltung bilateraler Beziehungen und multilateraler Zusammenarbeit zu vergrößern.
Für die Diskussion des konzeptionellen Anspruchs und der praktischen Umsetzung Auswärtiger Kulturpolitik, aber auch für das Verständnis aktueller Entwicklungen, ist die Beleuchtung zweier Dimensionen grundlegend: einerseits die Beziehung zwischen "Kultur" und "Politik" als den beiden bereits im Namen aufgerufenen Grundbegriffen; andererseits das Verhältnis zwischen Infrastrukturen, Ressourcen und Zielsetzungen als den zentralen Rahmenbedingungen.
Kultur und Politik
Die Beziehung zwischen "Kultur" und "Politik" ist in offiziellen Erklärungen zur Auswärtigen Kulturpolitik von einer gewissen Ambivalenz geprägt: Zum einen ist unbestritten, dass öffentliche Gelder aufgewendet werden, um politisch formulierte Zielhorizonte durch kulturelle Formate zu unterstützen; zum anderen wird durchgängig an dem Ideal einer "Kultur" festgehalten, die sich frei von politischen Interessen und Vorgaben entfalten soll. Diese vorgebliche Freiheit wird häufig als die Grundlage und der eigentliche Mehrwert von "Kultur" in internationalen Beziehungen oder sogar als besonderes Merkmal einer deutschen Auswärtigen Kulturpolitik betrachtet. In einer seither häufig zitierten offiziellen Formulierung aus den 1970er Jahren wird diese Idealvorstellung wie folgt beschrieben: "Diese Orientierung der auswärtigen Kulturpolitik an den außenpolitischen Zielen darf nicht als Absicht der Bundesregierung mißverstanden werden, sie wolle die Kultur zur ‚Magd‘ des Politischen oder gar ihrer Außenpolitik machen."
In der zeitgenössischen kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung wurde vielfach betont, wie eng kulturelle Dynamiken, Praxen und Produktionsweisen mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Machtkonstellationen sowie nicht zuletzt mit den Prioritäten jeweiliger Förderpolitiken verbunden sind.
Aus einer distanzierteren Perspektive erscheinen "Kultur" und "Politik" innerhalb der Auswärtigen Kulturpolitik entsprechend enger miteinander verwoben, als es ihre Protagonistinnen und Protagonisten in der Regel anerkennen. Im Rahmen dieses Textes wird deutlich werden, dass kulturelle Formate, Programme und Arbeitsweisen durchaus durch politische Leitlinien prä-konfiguriert werden, allerdings ohne ihnen komplett untergeordnet zu sein. Ein wesentliches Element dieser verwobenen Beziehung stellen institutionelle Arrangements dar, die einerseits kulturpolitische Zielsetzungen und kulturelle Praxis verbinden, andererseits direkte politische Einflussnahmen in den Arbeitsalltag deutscher Kulturmittler abfedern.
Infrastrukturen, Ressourcen und Zielsetzungen
Über die Jahrzehnte hat sich zur Umsetzung Auswärtiger Kulturpolitik eine spezifische Infrastruktur herausgebildet, in deren Zentrum die globalen Netzwerke deutscher Mittlerorganisationen stehen. Akteure des Politikbereichs selbst verweisen regelmäßig auf das besondere "deutsche Modell" dieser formell unabhängigen Kulturmittler. Dies betrifft zunächst die dauerhaften Hauptpartner des Auswärtigen Amtes, die in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern eine einzigartige Position besitzen: etwa das Goethe-Institut, das in 160 voll ausgestatteten Instituten im In- und Ausland sowie mit einer großen Anzahl weiterer kleinerer Präsenzformen deutsche Sprache fördert und kulturelle Programme realisiert; der Deutsche Akademische Austauschdienst mit einem weit verzweigten Netzwerk aus Lektorinnen und Lektoren samt vielfältiger universitärer Kontakte und Programme; oder die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, die deutsche Schulen weltweit durch die Entsendung von Lehrkräften und andere Förderungen unterstützt. Diese drei Organisationen erhalten aktuell gemeinsam rund 75 Prozent der Gelder, die dem Auswärtigen Amt in diesem Politikbereich zur Verfügung stehen.
Ein umfassenderes Bild von den Infrastrukturen Auswärtiger Kulturpolitik entsteht, wenn die weiteren Akteure hinzugezogen werden, die vom Auswärtigen Amt gleichfalls als Kulturmittler oder Partner aufgeführt werden. Dies gilt für sektoral arbeitende Organisationen wie das Deutsche Archäologische Institut oder auch für Einrichtungen, die ihre finanziellen Mittel in erster Linie von anderen Ministerien erhalten: beispielsweise der Auslandssender Deutsche Welle, der den Auftrag hat, "ein realistisches, facettenreiches Deutschlandbild zu vermitteln und dadurch zur Reputation Deutschlands in der Welt beizutragen";
Die Zusammensetzung der öffentlichen Gelder und somit der zentralen finanziellen Ressourcen zur Realisierung Auswärtiger Kulturpolitik ist vielschichtig. Folgt man einem breiteren Verständnis Auswärtiger Kulturpolitik, das nicht auf die Bundesebene begrenzt bleibt und die Gelder der Länder, Kommunen oder auch privater Stiftungen zur Förderung internationaler kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen einbezieht, so entsteht ein noch komplexeres Bild.
Entscheidend ist weiterhin, dass die Bundesregierung selten selbst die praktische Umsetzung kulturpolitischer Maßnahmen in die Hand nimmt, sondern in der Regel mit den bereits vorgestellten nichtstaatlichen Partnern zusammenarbeitet. Hierbei setzen die Ministerien auf eine kontinuierliche Vergabestruktur, welche die Zugänge zum Großteil der Ressourcen auf einen engen Kreis von Kulturmittlern begrenzt und somit auch Formen der Konkurrenz ausschließt – anders formuliert: Die Bewerbung einer Kultureinrichtung außerhalb des Mittlerkreises um diese Kernressourcen ist nicht vorgesehen. Ein größerer Kreis möglicher Zuwendungsempfänger wird durch Teile der deutlich geringer ausgestatteten "Projektförderung" oder durch temporäre Sonderprogramme – aktuell etwa zur "Förderung der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft" Ukraine, Belarus, Georgien und Moldau – adressiert. Dennoch entsteht der Eindruck, dass die öffentlich formulierte Zielvorstellung des Auswärtigen Amtes, den Politikbereich stärker zivilgesellschaftlich zu vernetzen, sich in der Zusammensetzung und Vergabestruktur der öffentlichen Ressourcen bisher höchstens in Anfängen abbildet.
Zur Diskussion der Ziele, die die Bundesregierung erklärtermaßen mit dieser Infrastruktur verfolgen möchte, ist eine grundlegende Unterscheidung hilfreich: Einerseits zeichnet sich Auswärtige Kulturpolitik durch kontinuierliche, über die Jahrzehnte etablierte Zielhorizonte aus, die in jeweiligen Selbstdarstellungen des Politikbereichs in einer aktuellen Weise immer wieder aufgegriffen werden. Hierzu zählen die bereits erwähnten Intentionen, ein zeitgenössisches und differenziertes Deutschlandbild zu vermitteln, die Rolle und Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland zu fördern oder die wissenschaftliche und kulturelle Praxis in Deutschland international zu vernetzen. Gleichfalls hatte sich bereits in der Bonner Republik der Grundsatz herausgebildet, dass es hierbei nicht um einen einseitigen Kulturexport Deutschlands gehen soll, sondern um eine wechselseitige Begegnung und Zusammenarbeit;
Andererseits tauchen zu bestimmten Zeitpunkten neue Formulierungen auf, die sich auf geopolitische Veränderungen, andere politische Konstellationen und Prioritäten oder auf neue Problemstellungen zurückführen lassen. So zeigt sich etwa seit den späten 1990er Jahren eine Tendenz zur Erweiterung der Zielvorstellungen: Mit dem Regierungswechsel zu Rot-Grün 1998 kamen neue Intentionen hinzu, die deutlich aus einem engen Verständnis des Politikbereichs als einer Form der kulturellen Selbstdarstellung hinausweisen: In Regierungspapieren und öffentlichen Diskussionen werden nunmehr verstärkt kulturpolitische Potenziale zur Konfliktprävention, Friedenssicherung und Förderung von Demokratie und Menschenrechten thematisiert.
Zumindest auf der Ebene der öffentlichen Präsentation und Legitimierung des Politikbereichs werden solche Dynamiken der Öffnung Auswärtiger Kulturpolitik für neue Themen, Problemstellungen und Arbeitsweisen jenseits einer kulturellen Selbstdarstellung auch aktuell fortgesetzt. So heißt es etwa im Bericht der Bundesregierung unter dem Schlagwort "Kultur und Bildung in Krisenzeiten und -regionen": "Angesichts der zahlreichen aktuellen politischen Problemfelder" habe der Politikbereich "flexibel reagiert und einen besonderen Schwerpunkt ausgebildet und zwar insbesondere durch den Schutz und Erhalt von kulturellen Freiheitsräumen als ‚Hilfe zur Humanität‘, in Ergänzung der humanitären Hilfe."
Blackbox "Dialog"
Es stellt sich die Frage, ob die Formulierung universaler Zielhorizonte auch zu konkreten Veränderungen führt – etwa in der Ausgestaltung der kulturpolitischen Infrastruktur, bei der Vergabe der finanziellen Ressourcen oder auch bei der Entwicklung von Projektformaten. Hierzu vier Beobachtungen:
Erstens fällt auf, dass weitgehend gleichbleibende Handlungsfelder und Zielvorstellungen anderen Oberbegriffen zugeordnet und somit neu gerahmt werden: Die altbekannte "Förderung von Deutsch als Fremdsprache" findet nunmehr als Beitrag zu einer "Koproduktion von Wissen und Kultur" und der Förderung von "Bildungsbiografien" Erwähnung; der seit Jahrzehnten gewachsene Bereich "internationaler Jugendaustausch" wird neuerdings als Möglichkeit zum Erlernen des aktuell durch den Bundesaußenminister häufig zitierten "sechs-Augen-Prinzips" vorgestellt, das die Entwicklung eines "eigenen Standpunktes", die Erfahrung "fremder" Perspektiven und die Suche nach Gemeinsamkeiten miteinander verknüpfen soll; die eigentlich durch die Realitäten inzwischen weitgehend hinfällig gewordene "Förderung der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa" erhält als Ausdruck einer "Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft" eine neue Aufmerksamkeit; und die Kommunikation eines "Deutschlandbildes im Ausland" bleibt als kulturpolitischer Schwerpunkt unhinterfragt.
Zweitens kann die Korrespondenz zwischen dem selbst gesetzten Projekt einer "Arbeit an der Weltvernunft" und der aktuellen Rolle Deutschlands auf europäischer und globaler Bühne, etwa im Rahmen der Eurokrise oder im Umgang mit Flucht und Migration, kritisch betrachtet werden. Lassen sich die Bilder von kreativen Begegnungen, zufriedenen Jugendlichen oder kosmopolitischen Kulturschaffenden in ästhetisierten urbanen Kontexten, die der Politikbereich über Hochglanzbroschüren und öffentliche Veranstaltungen transportiert, nicht auch als Feigenblätter für eine deutsche und europäische Politik lesen, die immer routinierter Zugänge verweigert und globale Ungleichheiten reproduziert? Misst man die Auswärtige Kulturpolitik an den selbst gesetzten Maßstäben universaler Zielhorizonte,
Drittens stehen im Zentrum der "Arbeit an der Weltvernunft" offenbar weiterhin die deutschen Mittler, die ihre Gestalt und ihr Renommee unter dem ursprünglichen Leitmotiv der kulturellen Selbstdarstellung gewonnen haben. Die bleibende Bedeutung der Ziele "Herstellung von Deutschlandbezügen" und "Vermittlung eines zeitgenössischen Deutschlandbildes" demonstriert etwa das Goethe-Institut bereits durch seinen aktuellen Wahlspruch "Sprache. Kultur. Deutschland". Die etablierten Institutionen der deutschen kulturpolitischen Infrastruktur werden durch den Außenminister nunmehr aber als "Knotenpunkte" vorgestellt, in denen eine "Koproduktion von Bildung, Wissen und Kultur" und somit "die gemeinsame Arbeit an der Weltvernunft"
Viertens
Ausblick
Der Historiker und postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe hat kürzlich daran erinnert, dass wir auch nach Ende des Kolonialismus weiterhin "in einer hierarchisch geordneten Welt" leben, "in der die Idee einer gemeinsamen conditio humana zwar Gegenstand frommer Erklärungen, aber weit entfernt von jeder praktischen Umsetzung" ist.
Vor diesem Hintergrund ist es fraglos positiv zu bewerten, dass sich aktuelle Zielformulierungen Auswärtiger Kulturpolitik explizit solchen Rahmenbedingungen und Problemlagen zuwenden. Zugleich gilt es kritisch festzuhalten, dass es jenseits der diskursiven Oberflächen bisher meist bei zaghaften ersten Schritten bleibt. Der Paradigmenwechsel von einer Kulturpolitik, die sich primär an nationalstaatlichen Interessen orientiert zu einer Kulturpolitik, die sich auf universale Zielhorizonte ausrichtet, ist bisher in der Infrastruktur und in der Verteilung von Ressourcen nicht vollzogen worden. Postkoloniale Kritikerinnen und Kritiker verdeutlichen auch, dass die Formulierung "Dialog" nur dann wirklich glaubhaft wird, wenn sie mit der Suche nach Positionen und Mechanismen zur Herstellung von Gleichwertigkeit in einer hierarchischen Welt verbunden wird. Eine umfassende Diskussion über Veränderungen in den infrastrukturelle Arrangements und den Vergabelogiken der materiellen Ressourcen, die einer solchen Zielvorstellung dienen würden, könnte der nächste Schritt für eine Kulturpolitik sein, die sich der "Arbeit an der Weltvernunft" verschreibt.