Im Rahmen ihrer Kulturpolitik unterhalten fast alle westlichen Länder Theater. In manchen Ländern betreibt der Staat eigene Theater, in anderen sind die Häuser überwiegend als Nichtregierungsorganisationen organisiert und erhalten öffentliche Unterstützung – von der Zentralregierung, der regionalen oder kommunalen Ebene oder von öffentlichen Stellen wie dem British Arts Council.
Der Kulturwissenschaftler Dragan Klaic unterscheidet zwei grundlegende Modelle der Theaterproduktion: Das Repertoiretheater mit einem festen Ensemble einerseits und das autonome Theater der von vielen kleinen Ensembles geprägten "freien Szene" andererseits.
Die meisten Künstler leben mit Risiken, zumal es generell mehr Künstler gibt als Bedarf an künstlerischer Produktion.
Wie wirken sich verschiedene kulturpolitische Systeme und Arten der Theaterorganisation auf die Wohlstandssituation und künstlerische Entwicklung von Künstlern aus? Wie erleben Künstler ihr jeweiliges Risiko – und wie begrenzen und steuern die verschiedenen Einrichtungen und kulturpolitischen Systeme dieses Risiko? Der vorliegende Artikel soll diese Fragen anhand dreier Fallbeispiele aus Norwegen, Großbritannien und den Niederlanden beantworten. Die drei porträtierten Schauspieler sind Teilnehmer einer empirischen Vergleichsstudie zur Politik der darstellenden Künste. Auch wenn ihre Karrieren nicht stellvertretend für die aller Schauspielerinnen und Schauspieler betrachtet werden können, zeigen sie die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen professioneller Theaterschauspieler in verschiedenen Ländern und kulturpolitischen Systemen. Bei allen dreien handelt es sich um Familienväter um die 40, die als Schauspieler in einem großen Theater arbeiten. Basierend auf der durch den Soziologen Ulrich Beck entwickelten Theorie der Risikogesellschaft wird zugleich gefragt, wie die Künstler ihr Risiko erleben und wie die jeweiligen kulturpolitischen Systeme sie bei ihrer Risikosteuerung und -begrenzung unterstützen.
Erik aus Norwegen und Hugh aus Großbritannien
Erik absolvierte vor 15 Jahren eine Schauspielausbildung an der Theaterakademie in Oslo.
Mit 21 absolvierte Hugh eine Schauspielausbildung in London. In Großbritannien gibt es vergleichsweise viele Schauspielschulen, die Konkurrenz um jede Rolle ist entsprechend groß. Nach der Ausbildung wirkte Hugh zunächst in zahlreichen Unterhaltungsshows mit. Gegenwärtig probt er für sein erstes Stück am Britischen Regionaltheater (BRT). Er hat bisher noch nie mit dem Regisseur oder den anderen Schauspielern zusammengearbeitet. In Großbritannien engagieren die meisten Theater ihre Schauspieler für jeweils ein Stück. Noch bis in die 1980er Jahre arbeiteten die meisten Regionaltheater des Landes in der Tradition Stanislawskis. Sie stellten also für mindestens eine Theatersaison ein Ensemble zusammen, probten auf eigenen Bühnen und zeigten eine bestimmte Anzahl von Stücken. Dann erschütterte eine Finanzkrise die meisten britischen Regionaltheater. Die Inflation führte zur Kostenexplosion, die Staatsausgaben wurden gekürzt und einige Theater mussten schließen.
Heute kombiniert das BRT wie die meisten Regionaltheater Englands einen Spielplan aus Haus-, Co- und Gastspielproduktionen. Für jedes Stück werden Schauspieler engagiert. Aufgrund der hohen Bewerberzahl werden jene ausgesucht, die "typengenau" zur Rolle passen. Das Engagement läuft für die Zeit der Proben (drei bis vier Wochen) sowie der anschließenden Zeit der En-suite-Vorstellungen (zwei bis vier Wochen). Einer dieser Schauspieler ist Hugh. Über seinen Agenten erhielt er drei Monate vor Probenbeginn die Zusage. Anschließend traf er Vorbereitungen für die zwei Monate, in denen er nicht bei seiner Familie in London sein kann. Er musste eine Unterkunft suchen, für deren Unterhalt er zusätzlich zu seiner festen Gage von 500 Pfund pro Woche wöchentlich weitere 150 Pfund erhält.
Kreative Arbeit und Risiko
Ulrich Beck beschreibt den hier relevanten Wandel moderner Gesellschaften wie folgt: "Es kommt immer stärker zu einer Abspaltung eines Vollbeschäftigungs- von einem System der flexiblen, pluralisierten individualisierten Unterbeschäftigung."
Die Kulturwissenschaftler David Hesmondhalgh und Sarah Baker diskutieren die persönlichen Folgen für Künstler, die unter den Bedingungen der Risikogesellschaft und Unterbeschäftigung arbeiten.
Am Norwegischen Theater hat Erik Einfluss auf seine Arbeit. So kann er etwa im Rahmen eines Künstlergremiums mitentscheiden, welchen Part er in einem Stück übernimmt. Als Ensemblemitglied spielt er außerdem verschiedene Rollen und kann sein künstlerisches Potenzial zur Interpretation verschiedener Charaktere einbringen. In Großbritannien beschränkt sich Hughs Arbeit hingegen vor allem auf Rollen, die zu seinem Äußeren und seinen Talenten passen. Die Möglichkeiten, als Schauspieler zusätzliche kreative Fähigkeiten zu entwickeln, sind entsprechend begrenzt. Wie bereits im Rahmen einer früheren Studie festgestellt, scheint die künstlerische Kreativität in bürokratisch organisierten Repertoiretheatern keineswegs eingeschränkt zu werden.
Nichtsdestotrotz sind norwegische Theater zu 80 Prozent auf öffentliche Mittel angewiesen, während britische Theater mit weniger als 50 Prozent überleben können.
Johann aus den Niederlanden
In den Niederlanden gibt es heute keine großen Repertoiretheater mehr. Diese Tradition brach 1969 zusammen und hinterließ eine Theaterlandschaft mit autonomen Ensembles, die in erheblichem Maße mit öffentlichen Geldern gefördert werden. Als Teil der Culturele Basisinfrastructuur wurden einige dieser Einrichtungen im Laufe der vergangenen zehn Jahre verstärkt subventioniert: Auf der Basis ihrer vorangegangenen künstlerischen und finanziellen Erfolge, die von einer unabhängigen Kommission ermittelt werden, erhalten die Einrichtungen in einem Vierjahresrhythmus öffentliche Gelder. Ensembles, die bei der Evaluierung nicht gut abschneiden, müssen hingegen Kürzungen hinnehmen.
Johann absolvierte vor 15 Jahren die Abschlussprüfung an einer renommierten holländischen Theaterakademie und arbeitete anschließend in einem der großen Ensembles des Landes. Nach einigen ersten Erfolgen erhielt er das Angebot, ins Ensemble eines angesehenen holländischen Regisseurs zu wechseln. Mit ihm arbeitete Johann zunächst in zwei verschiedenen Theatergruppen zusammen, bevor er festes Mitglied der Holländischen Theatergruppe (HTG) wurde, die dank zahlreicher positiver Beurteilungen mit Subventionen ausgestattet ist. Johanns Karriere lässt sich mit der vieler holländischer Kollegen vergleichen: Viele arbeiten über einen bestimmten Zeitraum im Ensemble einer Regisseurin oder eines Regisseurs.
Innerhalb der HTG gibt es verschiedene Vertragsmodelle. Manche Schauspieler werden für ein Jahr engagiert, andere dauerhaft verpflichtet. Im Gegensatz zu Erik aus Norwegen ist es für Johann schwieriger, außerhalb des Ensembles zu arbeiten. In ihrer Spielplanung hat die HTG Johann bereits für Jahre eingeplant. Er hat sich dem Ensemble gegenüber daher mehr oder weniger fest verpflichtet. Dies ist einer der Gründe, warum manche Schauspieler gar nicht Teil eines Ensembles sein wollen. Auch wenn Freiheiten durch die Mitgliedschaft in einem Ensemble beschnitten werden, bietet sie Vorteile hinsichtlich der künstlerischen Entwicklung: Ein Schauspieler kann dauerhaft auf der Bühne stehen, verschiedene Charaktere spielen und von den Kollegen im Ensemble lernen.
Paradoxerweise ähnelt die Organisationsform der HTG folglich mehr dem Repertoiretheater Stanislawskis als das britische oder das norwegische Theaterkonzept. Obwohl das Konzept der Repertoiretheater in den Niederlanden vor mehr als 40 Jahren zusammenbrach, entschied sich die HTG aus künstlerischen Gründen, mit einem festen Ensemble zusammenzuarbeiten. "Auf lange Sicht", so der künstlerische Leiter, "bietet wohl nur die Arbeit mit einem Ensemble Bedingungen für richtig gutes Theater."
Das Konzept der HTG spiegelt aber keinen generellen Trend der Theaterorganisation in den Niederlanden wider. Anders als in Norwegen, Deutschland oder Teilen der britischen Theaterlandschaft sind die Theatergruppen hier auf vielfältige Weise organisiert.
Zusammenfassung
Erik, Hugh und Johann müssen unter verschiedenen Bedingungen ihre Risiken steuern und begrenzen. Das liegt zum Teil am besonderen Geschäftsmodell ihrer jeweiligen Theater, aber auch an der Kulturpolitik ihres Landes.
Als die britischen Theater in den 1980er Jahren finanzielle Schwierigkeiten bekamen, wurde das Risiko durch Zeitverträge auf die darstellenden Künstler verlagert. In Norwegen dagegen hat die öffentliche Hand die Subventionen für Theaterinstitutionen erhöht, sodass die Theater keine größeren Veränderungen durchlaufen mussten. In den Niederlanden wird das Risiko im Großen und Ganzen vom staatlich unterstützten Kollektiv der Theatergruppe getragen. Durch eine aktive Kulturpolitik mit regelmäßigen Evaluationen erhalten künstlerische Einrichtungen hier eine Unterstützung entsprechend ihrer Leistungen. Wenn politische Entscheidungsgremien deren Arbeit für unzulänglich halten, können sie ihre Unterstützung anderen Gruppen zukommen lassen. Während also das britische Modell zu einer Individualisierung künstlerischer Arbeit geführt hat, fördert das holländische Modell kollektive Arbeit. Kunst zu schaffen und die Risiken zu steuern und zu begrenzen wird dadurch zur Verantwortung jedes einzelnen Ensemblemitglieds.
Übersetzung aus dem Englischen: Kirsten E. Lehmann, Köln.