Kultur ist in Deutschland traditionell ein symbolisch hoch aufgeladener Begriff. Die "Kulturnation" ging einst der "Staatsnation" voraus, und oft wurde Kultur zur Sphäre des Politischen in ein distanziertes Verhältnis gesetzt: gegen autokratische Fürsten, gegen Parlamentspolitik, dafür aber "ersatzreligiös" grundiert und mit ihrer "dunklen Wahrheit" auf weltanschauliche Tiefe orientiert. Kultur steht so für das Andere, das Geistige, mitunter nur das gut Gemeinte, das letztlich Distanz zum realen Leben schafft; sie stimuliert und normiert Zusammengehörigkeit und kompensiert auf eigene Weise Defizite gesellschaftlicher, territorialer oder politischer Gegebenheiten, wie sie in Deutschlands Geschichte häufig beklagt wurden.
Macht und Geltung durch Kulturbegriffe
Kultur heißt nach alter Auffassung eher Kunst, Literatur, Philosophie, sie wurde gegen das Zivilisatorisch-Technische abgegrenzt. Dem folgte auch die Genese des Bildungsbegriffs, der diesen "Sonderweg" mitvollzog und sich mit der Kultur, vor allem ihrem ausgeprägt nationalen Narrativ, verschwisterte. Das deutsche Bildungsbürgertum steht für ein letztlich überhebliches und antidemokratisches "Deutungsmuster" von Kultur und Bildung, das der Germanist Georg Bollenbeck detailliert herausgearbeitet hat. Nicht von ungefähr gehen im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts Bürgertum und Kultur eine zentrale Allianz ein, die unsere Kulturpolitik bis heute beeinflusst: "Kultur – und zwar bürgerliche Kultur, im Gegensatz zur überkommenen höfischen Kultur – sollte nicht nur das einigende Band bilden, das der Vielzahl der deutschen Stämme über die Grenzen der bestehenden dynastischen Staatenordnung hinweg zu einer gemeinsamen politischen Identität verhelfen sollte, sondern zugleich auch die ideelle Grundlage für die Begründung eines deutschen Nationalstaates abgeben." Die progressive Kraft des Bürgertums prägte später nicht unerheblich die künstlerische Moderne und damit auch die kulturelle Blüte des frühen 20. Jahrhunderts, schützte aber letztlich nicht vor der Empfänglichkeit weiter Teile für nationalsozialistisches Denken. Viele Institutionen und Ansätze der Kulturförderung wie Museen, Theater oder Kunstvereine gehen auf bürgerliche Gründungen zurück; das Bürgertum trat neben den Kirchen und Höfen als entscheidender Kulturträger und -förderer auf, seine ästhetischen Normen entfalteten anhaltende Bindekraft.
Doch auch der Begriff des Volkes übernahm frühzeitig "die Rolle einer politischen Idee" und konfrontierte im Nationalsozialismus in seiner Reduktion auf das Völkische nicht zuletzt die Künstlerinnen und Künstler, die "deutschblütig" sein und ihr Schaffen an "germanischen" oder "nordischen" kulturellen Mustern ausrichten sollten. Die Reichskulturkammer, als deren Präsident der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels amtierte, setzte den institutionalisierten Rahmen einer totalitären deutschen Kulturpflege, die Kunst als soziale Macht in Stellung brachte. Von der nationalen Einigung im 19. Jahrhundert bis zum kriegerischen Expansionswahn und Zivilisationsbruch spielte für die Deutschen die Berufung auf Kultur und ihre spezifische Förderung also stets eine wichtige imaginative wie praktische Rolle.
Einheitssehnsucht, die mit kultureller Gewissheit befriedigt werden kann, schimmert noch im Einigungsvertrag von 1990 durch. Dort heißt es, dass in den Jahren der deutschen Teilung Kunst und Kultur trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation gebildet hätten. Die Bedeutung Deutschlands in der Welt ergebe sich auch durch seine Bedeutung als Kulturstaat. Der Begriff Kulturstaat kommt über den Einigungsvertrag verfassungsrechtlich überhaupt erstmals explizit zur Geltung und findet sich in der umfassenden kulturpolitischen Evaluation der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" an deklaratorisch prominenter Stelle ebenfalls wieder. Lange Zeit galt er – und gilt bei Kritikerinnen und Kritikern noch heute – als obrigkeitlich, etatistisch oder gar demagogisch-apologetisch imprägniert. Und in der Tat gelangte der Begriff Kultur erst mit der Entstehung des Kameralismus zu größerer Verbreitung, steht also politisch in einem Zusammenhang mit stärker organisiertem (obrigkeits)staatlichem Handeln und einer "Fürsorge von oben", die man auch als Bevormundung deuten kann. Die Kopplung "Kultur-Staat" vermittelt neben der Idee einer organischen Einheit von Staat und Kultur letztlich die einer Deutungsmacht des Souveräns – der heute allerdings das Volk ist.
Kulturpolitisch versteht sich die Rede vom Kulturstaat gegenwärtig als konsensualer öffentlicher Auftrag an Staat und Kommunen, Kernaufgaben der Trägerschaft und der Förderung von Kultur aktiv wahrzunehmen. Wir sprechen inzwischen selbstbewusst vom "Kulturstaat Deutschland". In manchen Bundesländern sind sogar Spezialgesetze entwickelt worden, die mehr Verbindlichkeit für den haushaltspolitisch freiwilligen Status der Kulturausgaben gewährleisten sollen. Kulturpolitik hat sich zu einem etablierten Politikfeld entwickelt und wird seit den 1990er Jahren zunehmend durch ein zeitgemäßes Kulturmanagement flankiert. Die Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind teils erheblich gestiegen, neue Förderinstanzen in den vergangenen Jahrzehnten entstanden. Gerade der Bund tritt als kulturpolitischer Akteur mehr denn je in Erscheinung, nicht nur in der Bundeshauptstadt Berlin.
Ist die Kultur also zu einer realen, mit der Politik versöhnten Gestaltungsgröße geworden? Oder wirken alte Muster in neuer staatlicher Verfassung nach? Wie flexibel ist dieses mit Erwartungen historisch beladene Feld? Welche Ansprüche, Widersprüche und Kritikansätze prägen heute die Debatte über Kulturförderung? Diesen Fragen möchte ich im vorligenden Beitrag anhand ausgewählter Herausforderungen nachgehen. Kultur fördern bedeutet allerdings zuallererst eine Haltung beschreiben: zum Kulturbegriff, zur politischen Kultur und letztlich zu den Gegenständen, die konkret zu fördern sind.
Fortwirkung historischer Hypotheken
Das bürgerlich-idealistische Kulturverständnis hat die Kulturpolitik auch in den ersten Jahrzehnten der alten Bundesrepublik erheblich geprägt. Die Rede war zunächst von Kulturpflege und weniger von aktiver Kulturpolitik. Wenn man sich bei der Bewertung der "Gründerjahre" der Bundesrepublik auch nicht auf das Deutungsmuster einer politischen Restauration festlegen möchte, herrschten doch eindeutig "kräftige Kontinuitätsstränge", die auch die Erwartungen an den Kulturbereich prägten. Er sollte möglichst nicht politisch gedacht werden und orientierte sich folglich im Kern an der "Wiederherstellung des älteren bürgerlichen Kulturbetriebs"; kritische Stoffe, neue ästhetische Formate oder Aktionsformen hatten es anfangs sehr schwer.
Staatliche und kommunale Aktivitäten bezogen sich vornehmlich auf trägerschaftliche Aufgaben, also auf die Unterhaltung von Theatern, Museen, Bibliotheken und anderen unstrittigen Institutionen ererbter Provenienz. Hier wirkten Gründungstraditionen fort, die den Ländern und Kommunen als Rechtsträger in Form spezifischer Profile in Bestand, Qualität und Wirkungskraft der Kultureinrichtungen mitgegeben worden waren: Wo es einst kunstsinnige Höfe gegeben hatte, kam es später in der Regel zu staatlichen Trägerschaften für Museen und Theater (etwa die Staatlichen Kunstsammlungen, das Staatsschauspiel und die Staatsoper Dresden oder die Großherzogliche Kunsthalle Karlsruhe), wo starke bürgerliche Impulse geherrscht hatten, gründeten oder trugen Vereine, Stifter und Kommunen die Einrichtungen (etwa die Kunsthalle Bremen oder das Städel in Frankfurt am Main). Bestimmte Linien waren deutlich vorgezeichnet und führen bis heute zur erheblichen Bindung von Finanzmitteln für Kultur: "Höfe und Staatsregierungen, Kunstvereine, Mäzene und Kommunalpolitik haben im Laufe des 19. Jahrhunderts mit den Kunstmuseen eine kulturelle Institution geschaffen, die sich zu einer der meistbesuchten und wirkungsmächtigsten entwickelt und seither – gemeinsam mit den Theatern – im Zentrum der öffentlichen Kulturpolitik steht und mit diesen den größten Anteil am Kulturhaushalt haben."
Die sich herausbildende öffentliche Fürsorge für Kultur agierte also strikt im Fahrwasser der Ursprünge, und damit hatte sie rein finanziell große Aufgaben zu bewältigen. Etliche Kulturpolitikforscherinnen und -forscher sehen hierin schon lange eine "Aufbürdung" von Lasten für Staat und Kommunen, "die sie auf Dauer kaum würden tragen können." Und in der Tat ist vielerorts immer wieder die Rede von notwendigen Strukturreformen im Kulturbereich, der Suche nach alternativen Finanzierungsquellen und -partnerschaften. Schließlich wird der Blick gern auf die USA gerichtet, wo private Finanziers proportional den in Deutschland staatlichen Anteil der Kulturfinanzierung stemmen.
Kulturförderung in der jungen Demokratie hieß zunächst, öffentliche Finanzmittel in vertraute Formate und Institutionen zu geben, diese zu unterhalten und nur in Maßen zu modernisieren. Es entstand eine breite marktbefreite Zone öffentlicher kultureller Fürsorge im Sinne des Subventionsrechts. Das damit verbundene Kulturverständnis allerdings wurde spätestens mit der "Kulturrevolution" von 1968 als affirmativ gebrandmarkt: Es bejahe und bestätige Kultur als ein Reich des schönen Scheins und hebe es von herrschenden gesellschaftlichen Widersprüchen ab. Kultur müsse aber Widersprüche aufgreifen, verhandeln und für Zuwachs offen sein, inhaltlich wie institutionell. Zudem stand der Rezipient als Kulturbürger antiquierter bürgerlicher Prägung für eine Verengung kultureller Wirkungsansprüche.
Wohlfahrtsstaatliche Erweiterung
Der Aufbruch der frühen 1970er Jahre, der dies programmatisch fasste und mit Leitformeln wie "kulturelle Demokratie", "Soziokultur", "Bürgerrecht Kultur" oder "Kultur für alle" unterlegt wurde, ging als Neue Kulturpolitik in die Fachgeschichte ein und prägt bis heute ein Kulturverständnis, das Kultur nicht auf Kunst reduziert, gesellschaftspolitische Mitgestaltung einfordert und die soziale Dimension von Kultur besonders stark macht. Dass damit auch internationale und europäische Debatten adaptiert und auf die (west)deutsche Situation angewandt wurden, kann hier nur angedeutet werden.
Schließlich bildete sich im Zuge dieser Bewegung, die trotz beginnender kulturpolitischer Theoriebildung keine theoretische blieb, eine Kulisse neuer Akteure heraus, was auch als Entstehung einer kulturellen Zivilgesellschaft zu deuten ist. Selbstorganisation, "zweite Kultur" oder Basiskultur kennzeichnen Zugangsweisen, die sich dezidiert neben tradierten Institutionen Geltung verschafften, diese aufbrechen wollten und fortan von den vitalen Interessen der Nutzerinnen und Nutzern und nicht mehr von ererbten Rezeptionsmustern her dachten. Mit einer "zweiten Kultur" postulierten linke Akteure mit Lenin, dass in jeder nationalen Kultur progressive Elemente wirken, aus denen sich eine sozialistische Kultur entwickeln kann. Zumeist aber "wurde (damit) recht naiv der Bereich einer neuen, bisher nicht geförderten Kunst (Folk, politisches Lied, Rock, Jazz, Kabarett) verstanden, der (…) aber gegenüber der ‚ersten‘ Kultur des staatlichen Theaters und der klassischen Musik als etwas Minderwertiges und politisch verdächtiges galt." Ob Freies Theater, Kommunikationszentren (später soziokulturelle Zentren), Geschichtswerkstätten, Jugendkunstschulen oder das gesamte Feld einer "Neuen Kulturpädagogik" – neue Formen des Lebens und Arbeitens, des Interdisziplinären, auch des Neubesetzens von Orten – führten zur Verlebendigung der UNESCO-Debatte über einen "erweiterten Kulturbegriff". Sie führten schließlich zu einer Politisierung von Kultur im Sinne von Relevanz, Aktualität und Einmischung, was natürlich mit dem politischen Klima jener Zeit zusammenhing. Seitdem sprechen wir von einer "freien Kulturszene", wenngleich diese heute selbst über große und professionelle Häuser verfügt – wie etwa die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, eine von der freien Theaterszene einst eroberte alte Maschinenfabrik.
Gerade der genannte Topos der "kulturellen Demokratie" steht in enger Verbindung mit dem Postulat Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen!" und stellte diskursiv einen Verfassungsbegriff der Teilhabe und Teilnahme am Kulturbetrieb ins Zentrum. Demokratisierung symbolisierte in dieser Umbruchsphase persönliche Entfaltung, Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen oder auch Kontrolle und Mitbestimmung "von unten". Erst eine umfassende Partizipation und aktive Gestaltung durch möglichst alle Menschen vollende die bislang eher repräsentativdemokratische Ausprägung, die beklagt wurde, auch in der institutionell verfestigten Kulturpolitik.
Die Kulturpolitik reagierte auf diese Impulse und stellte zunehmend Fördermittel zur Verfügung. Doch neue Kulturinitiativen waren nicht immer bereit, "staatliche Knete" zu akzeptieren und empfanden Förderung als Bedrohung errungener Freiheitsgrade. Die neue Landschaft freier gemeinnütziger Kulturträger, die entstanden war, führte zur Erweiterung öffentlicher Kulturförderansätze und auch zur Herausbildung neuer Förderinstanzen, etwa der selbstverwalteten Förderfonds auf Bundesebene, die von der darstellenden Kunst bis zur Soziokultur reichen. Nicht nur die Adressaten dieser Förderfonds sind staatsfern, auch die Vergabegremien dieser in der privatrechtlichen Rechtsform eines Vereins getragenen Fonds werden staatsfern besetzt. Diese Ausdehnung des Kulturbereichs und seine breite institutionelle wie projektbezogene Förderung bis in die Zivilgesellschaft hinein werden auch als "Einbeziehung der Kultur in die wohlfahrtsstaatliche Konzeption", also als wohlfahrtsstaatliche Kulturpolitik beschrieben – bei gleichzeitig einsetzender Krise oder Überforderung des Wohlfahrtsstaates, je nach Verständnis seiner Aufgaben und Reichweite.
Die jüngste große Herausforderung und Aufgabenerweiterung – insbesondere des Bundes – brachte die deutsche Einheit: von der Übergangsfinanzierung Kultur des Bundes bis hin zu einem in der Folge ordnungspolitisch neu gedachten Aufgabenportfolio des Bundes, das seit 1998 eine(n) Beauftragte(n) für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt vorsieht, einen Bundestagsausschuss für Kultur und Medien sowie eine Kulturstiftung des Bundes, die 2002 gegründet worden ist und inzwischen eine erhebliche Wirkung entfaltet. Die neuen Bundesländer gaben wiederum mit ihren höheren Kulturetats wichtige Impulse für ein innovatives Kulturverfassungsrecht, ohne die eine Verfassungsänderung in Baden-Württemberg oder das Kulturfördergesetz in Nordrhein-Westfalen unwahrscheinlich gewesen wären. Kulturförderung kommt aber auch im Feld von Geschichtsaufarbeitung und Erinnerungskultur zum Ausdruck, auf dem nach 1990 weitreichende Entscheidungen für Institutionalisierungen getroffen worden sind: von Gedenkstätten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur über die Etablierung eines Deutschen Historischen Museums bis zur Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum. Geschichtskultur wird als "Leitbegriff" der Kulturpolitik erst in jüngeren Debatten intensiv entdeckt und konstituiert inzwischen ein zentrales Aktionsfeld der Kulturpolitik auf allen Ebenen des föderalen Systems.
Kultur für alle?
Das einstige Postulat "Kultur für alle" scheint bezogen auf die Angebotskulisse, die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, die Trägerpluralität und das Reflexionsniveau, das Kulturpolitik mit ihren konzeptionell handelnden Instanzen erreicht hat, umfassend realisiert. Es gibt lebendige Debatten, eine breite und wirkungsstarke Verbändelandschaft, die Stimme des Bundes hat an Gewicht und Einfluss gewonnen, und auch der gesellschaftliche Stellenwert von Kreativität hat sich verändert: In Zeiten der Digitalmoderne bilden sich neue Formen des Produzierens, Konsumierens und Verwertens von Dienstleistungen heraus, die Zyklen ästhetischer Innovationen werden immer kürzer, Kreativität durchzieht alle Bereiche des Lebens. Der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz spricht sogar davon, dass ein "Kreativitätsdispositiv" greife, das Ästhetische geradezu zur sozialen Steuerungsform werde und sich mit dem Ökonomischen verschwistere (ästhetischer Kapitalismus).
Infolge der erweiterten, sektorenübergreifenden Betrachtung von Kultur sind neben der Aufwertung des Dritten Sektors (kulturelle Zivilgesellschaft) auch privatwirtschaftliche Akteure verstärkt in den Blick geraten, sodass seit einigen Jahren die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren Teilmärkten erforscht und gefördert wird. Dies korrespondiert mit neuen Erwartungen an die Kulturbetriebe in öffentlicher Trägerschaft und einer Krise der öffentlichen Haushalte, insbesondere der kommunalen. Innovation und Wachstum kommen tendenziell aus der Richtung eines prosperierenden Event- und Unterhaltungsmarktes, die Angebotskulisse wächst unaufhörlich und bietet zahlreiche Wahloptionen für Kulturnutzerinnen und -nutzer.
Der Kulturwissenschaftler Armin Klein hat die provokante wie berechtigte Frage gestellt, "wer die Bilder einer zukünftigen Welt entwirft: der kommerzielle oder der öffentliche Sektor." Bei allen Erfolgen der Aufwertung der kulturellen Infrastruktur, der Gründung neuer Einrichtungen und der Emanzipation handlungswilliger Akteure scheint der staatlich und kommunal getragene und geförderte Kulturbereich gegenwärtig eher unter Zugzwang zu stehen, als ein Zugpferd zu sein. Grundlegende Erkenntnis ist zunächst, dass die Ausweitung der Angebots- und Partizipationskulisse nicht automatisch zu einer Revolutionierung der Kulturnutzung geführt hat.
Lange noch wirkten also die eingangs beschriebenen Prägungen fort, die sich institutionell reproduzierten und teils unmerklich auch auf neue Angebotsformen übergingen; das Sendungsbewusstsein, das in Deutschland Kultur traditionell transportiert, führte so etwa auch zur ironisierten Rede von "meine Kultur für alle" im Sinne eines Aufklärungsimpetus. Auch neue Kulturakteure sprachen vor allem ihresgleichen an, neue Zielgruppen wurden weder angemessen erforscht, noch umfassend erreicht. Der Großteil der Menschen ist noch immer nicht für Kultur erschlossen. In allen Kulturfeldern wird heute verstärkt und teilweise zunächst elementar Kulturpublikum erforscht; so wendet sich aktuell ein Forschungszweig explizit der Nichtbesucherforschung zu. Der Anspruch ist, von der starken Angebots- zu einer dezidierten Besucherorientierung zu gelangen. Allerdings bleibt zumindest auf Ambivalenzen hinzuweisen, kulturelle Angebote so zu gestalten, dass sie tatsächlich zu einem Thema für alle werden: Kann eine "Totalinklusion" tatsächlich ein normatives Ziel sein? In welchem Verhältnis stehen künstlerischer Anspruch und "Nachfrage" beziehungsweise kann eine Nachfrage so stimuliert werden, dass der Anspruch etwa einer komplexen und historisch determinierten Kunstform wie der Oper damit korrespondiert? Heißt nicht Kultur für alle auch, dass Erfolg in der potenziellen Wahl aus einer Vielfalt besteht, also mit Ausdifferenzierung schon viel gewonnen ist? Bleibt nicht auch ein Bildungsanspruch, der nicht wohlfeil zu erfüllen ist, wenn kulturelle Güter bewusst "vom Markt" genommen werden?
Liest man vor diesem Hintergrund alte Programmschriften neu, so fällt ihr zeitgeschichtliches Kolorit genauso auf wie die stets konstitutive Utopie der Verbesserbarkeit des Menschen durch Kultur. Kultur ist auch heute mehr als Institutionen und Projekte, die gefördert werden, sie stiftet als spezifische Sphäre Sinn. Gerade die Verbindung aktueller Geschichtspolitik und Erinnerungskultur mit nationaler Selbstfindung bedient – wohl notwendigerweise, auch wenn wir aus dem "Container" Nationalstaat ausbrechen – die Erwartung, dass der Kulturbereich hilft, Identität zu konstruieren. Kultur bleibt also komplexer als ein Blick auf die Nutzung tatsächlicher Angebote; um die Existenz von Stadttheatern als Identitätssymbole kämpfen häufig auch jene, die sie nie besuchen. Schlösser und Kirchen – in der DDR einst gesprengt oder dem Verfall preisgegeben – werden heute restauriert oder neu errichtet, ohne dass vordergründig die Nutzung als kulturelle Infrastruktur im Zentrum steht. Sinnstiftung resultiert aus der symbolischen Befassung. Kultur bleibt mehr, als wir managerhaft gestalten können, Kulturförderung folglich auch, denn sie befähigt Menschen zum kreativen Experiment, selbst wenn es keine kollektive Wirkung zu entfalten mag.
Bereitschaft zu Reformen
Gefordert wird heute neben einer Besucherorientierung unter anderem eine neue Organisationskultur für öffentliche Kulturbetriebe, die Betrachtung der Akteure als "Wissens-Mitarbeiter", die Erschließung einer mehrdimensionalen Kulturfinanzierung oder die Bildung kreativer Allianzen. Das ist alles richtig und notwendig, aber es bleibt auch davor zu warnen, eine Adaption des Markthandelns zu stark zu forcieren, zu harsch die Prinzipien eines auch schwerfälligen, mit Hypotheken beladenen Kulturbereichs über Bord zu werfen. Kulturmanagement und Kulturpolitik bleiben aufeinander verwiesen, ein Verhältnis, das immer wieder auszutarieren ist, wie der Aufschrei nach Erscheinen des in vielen Punkten nachdenkenswerten "Kulturinfarkts" des Soziologen Dieter Haselbach und des Kulturwissenschaftlers Armin Klein 2012 zeigte. Nicht die Kritik selbst war ausschlaggebend, sondern die Radikalität der Schlussfolgerungen: "Wenn es gelingt, den halben Kultursektor zu entstaatlichen, also uns von der Hälfte der Einrichtungen frei zu machen, dann reden wir damit keinem Sparprogramm das Wort. Wir plädieren für eine Lichtung, die Platz schafft für eine Zukunft, in der die Kunst wieder eine Rolle spielt."
Und in der Tat: Kulturpolitikerinnen und -politiker benötigen mehr Spielräume, sie müssen Institutionen und Förderpolitiken evaluieren und können sich gewiss auch von Institutionen und Fördergegenständen trennen. Eine konzeptbasierte Kulturpolitik, die auf allen Ebenen des föderalen Systems greift, also von den Kommunen über die Länder, den Bund bis zur Europäischen Union, muss aber bereit sein, solche Debatten eng verzahnt zu führen. Dazu fehlt oft der Mut, aber auch das professionelle Geschick, denn gute Kulturpolitiker sind rar, Forschungsinstanzen, die zur Objektivierung von Problemlagen und Lösungsansätzen beitragen, ebenso. Noch häufig blockieren historische Zuschreibungen oder lokaler Eigensinn – insbesondere bei Reformen im Theater- und Orchesterbereich – betrieblich zeitgemäße und leistungsstarke Modelle, die in der Regel mindestens auf regionale Kooperation abzielen. Dann verfließen Identitätspolitik und Kulturbetriebsfragen unzulässig und mitunter verhängnisvoll.
Zwar gibt es viele Kommunen, inzwischen sogar Bundesländer, die Kulturentwicklungskonzepte aufstellen, doch in der strategischen Umsetzung dominiert oft wieder der Pragmatismus von Wahlperioden oder die Auffassung, über Kultur und ihre Schwerpunkte könne jeder urteilen. Im Gegensatz etwa zum Sozialbereich fehlen zudem trotz der genannten gesetzlichen Beispiele weitgehend fachliche Normierungen für Kulturpolitik, sie ist auf Empathie, Wissen und die Bereitschaft, von eigener Betroffenheit abzusehen, vollständig angewiesen. Unbequeme Entscheidungen werden häufig gemieden.
Die Knappheit öffentlicher Finanzmittel führt außerdem zu konkreten Problemen der Kulturförderung: Die Mehrheit der Mittel sind gebunden für Institutionen wie etwa kommunale Museen; diese verfügen oftmals über zu knappe Verwaltungshaushalte und verlieren an Innovationskraft und Wissenschaftlichkeit; immer mehr Drittmittelgeber wie etwa Stiftungen, aber inzwischen auch der Bund tragen in erhöhtem Maße inhaltliche Erwartungen an lokale Kulturbetriebe heran, die diese in einen Konflikt zwischen Rechtsträger und Förderkulisse drängen. Das Thema kulturelle Bildung wird heute wohl mehr von Stiftungen als von Staat und Kommunen bewegt, die einer kontinuierlichen und systematischen Investition in dieses Thema aber dringend bedürfen.
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" enthält zum notwendigen Strukturwandel der öffentlichen Kulturförderung zahlreiche Empfehlungen, von Steuerungsfragen, Verwaltungskonzepten (governance), Planungsprozessen bis hin etwa zu Rechtsformen. Auf der wichtigsten Ebene, der kommunalen Selbstverwaltung, an die sich auch die meisten Empfehlungen richten, ist dieser Bericht noch nicht wirklich angekommen. Hier sind die kommunalen Spitzenverbände, aber auch die Länder gefragt, denn nicht nur das Subsidiaritätsprinzip zwingt zur Zusammenarbeit in Förderfragen, auch die Leistungsfähigkeit regionaler Kulturlandschaften.