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Arbeit und Digitalisierung Editorial Die digitale Arbeitswelt von heute und morgen Zum Verhältnis von Arbeit und Technik bei Industrie 4.0 Zur Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs Die Digitalisierung der Dienstleistungsarbeit Digitalisierung und "Wissensarbeit": Der Informationsraum als Fundament der Arbeitswelt der Zukunft Ambivalenzen digitaler Kommunikation am Arbeitsplatz

Die digitale Arbeitswelt von heute und morgen

Ulf Rinne Klaus F. Zimmermann

/ 16 Minuten zu lesen

Die Erwerbsgesellschaft der Zukunft bietet neue Chancen, aber auch Risiken. Auch wenn kein „Ende der Arbeit“ in Sicht ist, so deutet sich ein erheblicher Wandel von Produktionsfaktoren, Berufen und Erwerbsformen an.

Werden wir Zeugen einer digitalen Revolution, die unsere Arbeitswelt schon bald auf den Kopf stellt? Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie unsere Arbeitswelt von morgen aussehen wird, aber der Wandel ist da. Heute produziert das größte Medienunternehmen der Welt keine eigenen Inhalte (Facebook), der weltweit größte Anbieter von Unterkünften besitzt keine eigenen Immobilien (Airbnb) und das größte Taxiunternehmen der Welt hat keine eigenen Fahrzeuge (Uber). Diese Entwicklungen verdeutlichen, wie sehr sich unsere Welt bereits gewandelt hat. Sie könnten die Vorboten von noch radikaleren Veränderungen sein.

Es scheint jedoch ratsam, Vorsicht bei der Einschätzung der Geschwindigkeit von Änderungen unseres Lebensalltags walten zu lassen. So warnte bereits in den 1930er Jahren der Ökonom John Maynard Keynes vor "technologischer Arbeitslosigkeit", die sich infolge des beschleunigten technischen Fortschritts weit verbreiten werde. Auch in den 1990er Jahren war es populär, eine rasche Dominanz der digitalen Welt vorherzusagen. In diesem Zusammenhang sprach der Zukunftsforscher Jeremy Rifkin sogar von einem "Ende der Arbeit" – ohne dass sich dies in der Folge bewahrheitet hätte.

Allerdings sind die möglichen Folgen der technischen Entwicklungen von heute auch nicht zu unterschätzen, zumal neben der Digitalisierung der demografische Wandel und die Globalisierung weiter an Bedeutung gewinnen werden. Diese Trends interagieren miteinander und verstärken so den fortschreitenden Wandel von Produktionsfaktoren, Berufen und Erwerbsformen. Im Ergebnis entstehen neue Risiken, aber es eröffnen sich auch vielfältige Chancen und Potenziale. Um die positiven und negativen Aspekte der sich wandelnden Arbeitswelt sorgfältig und durchdacht auszugleichen, werden sich Institutionen ebenfalls wandeln müssen.

Die Zukunft ist jetzt

Die digitale Revolution ist in vollem Gange. Man braucht längst keine Science-Fiction-Literatur mehr zu bemühen, um ein Bild des digitalen Zeitalters zu erhalten. Es genügt vielmehr ein neugieriger Blick in die reale (beziehungsweise reale virtuelle) Welt. So ist beispielsweise die digitale Wirtschaft heute ein bedeutender ökonomischer Faktor. In Deutschland werden ihr über 92000 Unternehmen und mehr als eine Million Beschäftigte direkt zugerechnet; ihr Anteil an der gewerblichen Wertschöpfung beträgt 4,6 Prozent. Im Branchenvergleich liegt sie damit fast gleichauf mit dem Fahrzeugbau und vor dem Maschinenbau.

Auch die private Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien erreicht in Deutschland inzwischen eine Größenordnung, bei der von einer erheblichen Durchdringung des Alltags gesprochen werden muss. Zwischen 2005 und 2015 ist der Anteil der Computernutzer von 70 auf 83 Prozent gestiegen, während sich der Anteil der privaten Internetnutzer im gleichen Zeitraum von 61 auf 82 Prozent erhöht hat. Die Entwicklung der vergangenen Jahre weist allerdings geringere Wachstumsraten auf, sodass sich eine Sättigung der privaten IT-Nutzung bei knapp 85 Prozent der Bevölkerung andeutet.

Die kommerzielle Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien wird zuletzt häufig mit Phänomenen wie dem "Internet der Dinge", der "Industrie 4.0", der "Sharing Economy" oder auch "Crowdworking" in Verbindung gebracht. Damit wird vor allem der Trend beschrieben, dass intelligente und vernetzte Gegenstände sowie Onlineplattformen und virtuelle Marktplätze zunehmend in den (gewerblichen) Alltag und in Wertschöpfungsketten vordringen. Im Ergebnis verschwindet so zum Beispiel das Internet zunehmend aus der direkten Wahrnehmung, obwohl seine Bedeutung weiterhin steigt und seine Präsenz zunimmt. Die Digitalisierung schreitet auf diese Weise weiter voran; sie erreicht aber inzwischen eine Stufe, auf der sich ihr Ausmaß erst bei genauerer Betrachtung erschließt.

Beständigkeit des Wandels

Die Menschheit sieht sich bereits seit Jahrhunderten mit den Herausforderungen konfrontiert, die der technische Wandel mit sich bringt. Allerdings scheint sich dieser permanente Transformationsprozess aktuell mit vorher nicht bekannter Geschwindigkeit zu vollziehen. So sind in den vergangenen Jahren die Geschäftsmodelle einer Reihe von Industrien erheblich unter Druck geraten. Zum Teil müssen sie sich deshalb neu erfinden. Dazu gehört zum Beispiel die Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie, der Angebote wie YouTube, Facebook und Twitter erheblich zusetzen. Das Musikgeschäft hat sich im Zuge neuer Angebote bereits fundamental gewandelt, während aktuell die Autoindustrie durch Carsharing, Uber und ähnliche Dienste zunehmend unter Druck zu geraten scheint.

Trotz wachsender Geschwindigkeit kann der Wandel weiterhin als ein Prozess der "kreativen Zerstörung" bezeichnet werden. Dazu gehört, dass namhafte Unternehmen vom Markt verschwinden, ebenso einstmals mächtige Wirtschaftszweige und altbekannte Berufe. Gleichzeitig entstehen jedoch neue Tätigkeitsfelder, Firmen und Branchen, die es in der Vergangenheit nicht oder nicht in dieser Bedeutung gegeben hat. Das sind unaufhaltsame, aber keineswegs neue Entwicklungen.

Die Entwicklung der Marktkapitalisierung von großen Unternehmen in der Technologiebranche von 2009 bis 2014 verdeutlicht die Bewegung auch innerhalb dieses Marktsegments. Einerseits sind in diesem Zeitraum viele Unternehmen erheblich gewachsen: So verfünffachte sich zum Beispiel die Marktkapitalisierung von Apple, diejenige von Google vervierfachte sich und diejenige von Microsoft verdoppelte sich. Andererseits ist gleichzeitig die Marktkapitalisierung von einigen namhaften Unternehmen zurückgegangen: Diejenige von Hewlett-Packard und Nokia hat sich jeweils annähernd halbiert. Die Reihenfolge der größten Unternehmen in diesem Segment ist ebenfalls in Bewegung: Während Microsoft und IBM 2009 die beiden Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung waren, wurden sie zuletzt von Apple und Google abgelöst.

Derartige Veränderungen sollten nicht verwundern, denn in einer Marktwirtschaft gibt es immer eine Prämie auf Innovationen, die andere Anbieter wiederum unter Wettbewerbsdruck setzen. Individuen treiben diese Entwicklung an, als Entdecker und Anwender neuer Technologien. Jeder und jede leistet damit einen Beitrag zu den Umwälzungen, die wir beobachten können – unter anderem in der Technologiebranche.

Es zeigt sich außerdem, dass infolge dieser (und anderer) Umwälzungen bezahlte Erwerbsarbeit – entgegen manchen Vorhersagen – nicht weniger wird, sondern ihr Umfang bemerkenswert robust ist. So erreichte die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland im November 2015 nach vorläufigen Berechnungen einen neuen Höchststand seit der Wiedervereinigung mit rund 43,4 Millionen Personen. Das Arbeitsvolumen der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer stieg zuletzt ebenfalls auf knapp 50 Milliarden Stunden an – ein Niveau, das zuletzt zu Beginn der 1990er Jahre gemessen wurde.

Auch international betrachtet bleibt die Befürchtung, dass etwa durch den vermehrten Einsatz von industriellen Robotern Arbeitsplätze in der Industrie verloren gingen, weitgehend unbestätigt. So führt eine neuere Studie beispielsweise gut 15 Prozent der Produktivitätssteigerungen und mehr als 10 Prozent des Wirtschaftswachstums in den untersuchten Volkswirtschaften auf den Einsatz von Robotern zurück, sodass sich insgesamt keine Beschäftigungsverluste feststellen lassen. Allerdings finden sich gleichwohl Hinweise auf einen Rückgang von Arbeitsvolumen und Lohnniveau für Beschäftigte mit geringer bis mittlerer Qualifikation. Dies deutet darauf hin, dass die Auswirkungen der digitalen Revolution für verschiedene Bildungs- und Qualifikationsniveaus unterschiedlich ausfallen können.

Digitale Teilhabe und Verteilungsfragen

Digitale Kompetenz wird zu einer Schlüsselkompetenz, denn soziale und wirtschaftliche Teilhabe ist künftig ohne digitale Teilhabe kaum mehr denkbar. Deshalb sollte nachdenklich stimmen, dass sich eine Sättigung der privaten IT-Nutzung bei knapp 85 Prozent der Bevölkerung abzeichnet.

Die Umwälzungen erfordern neue Aus- und Weiterbildungskonzepte. Das Ziel muss sein, Arbeitnehmer grundsätzlich in die Lage zu versetzen, sich zügig mit ihren Fähigkeiten und Qualifikationen an veränderte Marktsituationen anpassen zu können. Lebenslanges Lernen muss eine stärkere Rolle einnehmen als bislang. Doch gleichzeitig ergeben sich auch neue Potenziale für eine Realisierung dieser Vision: Bei der Verknüpfung von Kompetenzerwerb in der Weiterbildung mit dem Erwerb von Qualifikationen könnten zum Beispiel Onlineportale für Kompetenztests in Verbindung mit Kreditpunkten eine wichtige Rolle einnehmen. Weitere Möglichkeiten im Bildungsbereich ergeben sich etwa durch den Einsatz von sogenannten Massive Open Online Courses (MOOCs), deren Einsatzgebiet sich weit über die universitäre Bildung hinaus erstreckt.

Darüber hinaus zeichnen sich weitreichende Umwälzungen ab: Denn während in der Vergangenheit das Humankapital der Unternehmen eng an die physische Präsenz der Mitarbeiter gebunden war, könnten Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz diese Verbindung herausfordern. Auch wenn dieser Forschungsbereich noch "in den Kinderschuhen" steckt (so wird unter anderem versucht, das Lernverhalten von Kleinkindern mit Robotern nachzubilden), werden schnell Fortschritte erzielt. Dabei kommen zum Beispiel Sensoren und Kameras zum Einsatz, die auch bei modernen Spielkonsolen verwendet werden und so schon Einzug in viele Haushalte und Kinderzimmer gehalten haben. Sie können Personen und Gesten erkennen; dies ermöglicht die Interaktion mit Menschen, die sehr wichtig ist, wenn Roboter etwas lernen sollen.

Die technischen Voraussetzungen für lernfähige Roboter und Maschinen sind also längst in unserem Alltag gegenwärtig. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann sie entsprechend eingesetzt werden. Dies hat auch Implikationen für künftige Verteilungsfragen: Denn die Besitzverhältnisse an den Maschinen der Zukunft werden entscheidend für die Aufteilung in Gewinner und Verlierer sein. So ist bereits in den vergangenen beiden Jahrzehnten der Anteil des Produktionsfaktors "Arbeit" am Nationaleinkommen unter anderem in Deutschland, in den USA, in Großbritannien, in Frankreich und in Japan zurückgegangen. Auf diese Weise gewinnen die Besitzverhältnisse am Produktionsfaktor "Kapital" – zu dem Roboter und Maschinen zählen – zwangsläufig an Bedeutung. Und eine zunehmende Ungleichheit kann auch den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie gefährden.

Berufe der Zukunft

Rationalisierungsmaßnahmen haben bislang in erster Linie Beschäftigte mit geringer bis mittlerer Qualifikation betroffen. Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung bedroht jedoch zunehmend auch die Perspektiven von besser Qualifizierten. Es deutet sich an, dass eine formale Qualifikation nicht mehr das entscheidende Kriterium für ein zukunftssicheres Berufsbild ist.

So schätzt eine vielzitierte Studie, dass rund 47 Prozent aller Beschäftigten in den USA in Berufen arbeiten, die zumindest mittelfristig davon bedroht sind, durch Maschinen, Roboter und Computerprogramme ersetzt zu werden. Methodisch wird darin die jeweilige Schwierigkeit ermittelt, vor denen Ingenieure stehen, um einen bestimmten Beruf zu "automatisieren". Bei dieser Vorgehensweise finden sich auf den vorderen Rängen der von Automatisierung bedrohten Berufe Telefonverkäufer, einfache Büroangestellte, Köche und Packer, aber auch Piloten und Richter. Bei letzteren wird argumentiert, dass sie einen ungleichen Kampf gegen Autopiloten und Algorithmen antreten, die fehlerfrei navigieren beziehungsweise routiniert entscheiden würden.

Von Rationalisierungsmaßnahmen sind also vor allem Berufe bedroht, in denen Präzision und Routine eine hohe Bedeutung zukommen. Hier sind Maschinen den Menschen überlegen. Umgekehrt zeichnen sich zukunftssichere Beschäftigungsfelder vor allem durch hohe Anforderungen in den Bereichen Kreativität, soziale Intelligenz und unternehmerisches Denken aus. Dazu zählen zum Beispiel Architekten, Ärzte, Lehrer und Psychologen, aber auch Förster und Fitnesstrainer.

Die Übertragung dieser Prognosen auf Deutschland liefert zumindest vordergründig ähnliche Resultate. So wird ermittelt, dass der mittelfristig von Automatisierung bedrohte Anteil der Beschäftigung mit 42 Prozent nur unwesentlich geringer ausfällt als in den USA. Allerdings liefert ein alternatives methodisches Vorgehen ein weniger dramatisches Bild. In einem tätigkeitsbasierten Ansatz weisen nur 9 Prozent der Arbeitsplätze in den USA und nur 12 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland ein relativ hohes Automatisierungsrisiko auf. Eine andere Studie schätzt, dass etwa 15 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland mit einer hohen Wahrscheinlichkeit durch den Einsatz von Computern oder computergesteuerten Maschinen ersetzt werden könnten. Dementsprechend scheint insgesamt Vorsicht bei der Beurteilung des technischen Automatisierungspotenzials angebracht, da dieses wohl eher überschätzt wird.

Dennoch werden die Veränderungen in der Welt der Berufe erhebliche Implikationen für Bildung und Ausbildung haben. Abgesehen davon, dass die Automatisierungswahrscheinlichkeit für Geringqualifizierte systematisch höher ausfallen dürfte, stellt sich womöglich sogar die Frage, inwieweit sich die Arbeitswelt gänzlich von dem tradierten Konzept der "Berufe" löst. Es könnte durch einen stärkeren Fokus auf einzelne Aufgaben und Tätigkeiten (Tasks) ersetzt werden. Für die berufliche Ausbildung würde dies implizieren, dass künftig spezifische Berufsabschlüsse durch Abschlüsse abgelöst werden könnten, die allgemeinere Bündel von Kompetenzen umfassen und auf diese Weise vermutlich erheblich besser für vielfältigere Tätigkeiten und lebenslanges Lernen vorbereiten.

Erwerbsformen der Zukunft

Unsere Arbeitswelt bewegt sich also, sie wird vielschichtiger und informeller. Wie bestimmend das tradierte gesellschaftspolitische Leitbild des "Normalarbeitsverhältnisses" in Zukunft bleiben wird, muss aus heutiger Sicht zwar offen bleiben. Es wird jedoch von vielen Varianten herausgefordert und an Bedeutung deshalb tendenziell weiter verlieren.

Zudem erscheint es plausibel, dass sich daneben ein neuer Typus des "Arbeitnehmerselbstständigen" herausbildet. Er ist prinzipiell überall verfügbar und vereint die bestimmenden Merkmale der Erwerbsgesellschaft von morgen in sich, zu denen vernetztes Arbeiten, Denken und Handeln zählen. Flexible Arbeitszeitmodelle mit Gleitzeit, Arbeitszeitguthaben, Heimarbeit und variablen Zeitplanungen werden zum Standard. Die zunehmende Knappheit des Angebots an Arbeitskräften wird unweigerlich Innovationen bei den Arbeitsstrukturen nach sich ziehen.

Erste Indizien für diese Entwicklungen sind bereits erkennbar. Das Beispiel der Firma Uber zeigt, wie auf einem virtuellen Marktplatz Gelegenheitsfahrer und Fahrgäste zusammengebracht werden und so das Taxigewerbe erheblich unter Druck gesetzt wird. Das grundlegende Prinzip lässt sich zudem auf viele andere Branchen übertragen – einschließlich solcher Branchen, in denen vorwiegend Fach- und Geistesarbeiter tätig sind. Entsprechende Plattformen existieren bereits: Hier werden zum Beispiel Aufträge für Werbetexter, Programmierer oder Designer einzeln ausgeschrieben und abgewickelt. Unternehmen werden so grundsätzlich infrage gestellt.

Dieser Trend geht auch mit einer Verlagerung unternehmerischer Risiken auf Arbeitnehmer in Unternehmen einher. An die Stelle von Handlungsanweisungen treten Zielvereinbarungen, strenge Hierarchien lösen sich auf, und erfolgsabhängige Entlohnungen gewinnen an Bedeutung. Arbeitnehmer werden so zu Unternehmern im Unternehmen. Auch deshalb wird unternehmerisches Denken immer mehr zu einer Schlüsselkompetenz der Arbeitswelt von morgen.

Im Ergebnis generiert die Erwerbsgesellschaft der Zukunft damit größere Risiken für den Einzelnen. Die Entscheidungsfreiheit und die individuelle Verantwortungsbereitschaft müssen daher zunehmen. Viele alte Industrieländer, einschließlich Deutschlands, sind nur schlecht auf eine Welt mit erhöhter Eigenverantwortung und Risikobereitschaft vorbereitet. Während etwa das Sozialmodell der USA seit jeher primär auf die individuelle Übernahme finanzieller und wirtschaftlicher Risiken gegründet ist, gilt für Europa das Gegenteil. Dies ist jedoch nur ein Aspekt der neuen Anforderungen an etablierte Institutionen.

Neue Anforderungen an Institutionen

Im Bereich der Wettbewerbspolitik gilt es zu verhindern, dass einige wenige große Konzerne das Internet kontrollieren und damit die Macht über die digitale Welt von morgen quasi monopolisieren. Google und Facebook besitzen bereits heute eine erhebliche Marktmacht. Dabei lohnt sich jedoch ein genauerer Blick, um vorschnelle Urteile zu vermeiden. Denn monopolistische Strukturen sind vor allem dann kritisch zu bewerten, wenn die Hürden für Markteintritte von Wettbewerbern hoch sind. Ein Markt ist dann nicht "bestreitbar", und Marktmacht wird langfristig zementiert. Vor diesem Hintergrund scheint zum Beispiel Facebook durch relativ hohe Wechselkosten und indirekte Netzwerkeffekte besser vor Wettbewerb geschützt zu sein als etwa Google.

Der Wandel zur Wissens- und Informationsgesellschaft zieht jedoch noch weitere fundamentale Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik nach sich. Denn "Information" hat Eigenschaften eines öffentlichen Gutes. Dazu zählt die Nicht-Rivalität im Konsum wie auch prinzipiell die Nicht-Ausschließbarkeit der Nutzung. Als Folge zeichnet sich eine Veränderung des Wirtschaftsproblems ab: Die Frage einer effizienten Nutzung von knappen Ressourcen wandelt sich zumindest in Teilbereichen zur Frage einer effektiven Verwaltung des Überflusses. Dies hat auch Implikationen für die Regulierung, deren Tragweite im Detail noch nicht absehbar ist.

Klar ist, dass sich auch neue Fragen der Datensicherheit stellen. So wird argumentiert, dass die enorme Menge an gespeicherten Daten (Big Data) das wirklich innovative Gut der digitalen Revolution darstellt – mit einem erheblichen Anteil von sehr persönlichen Daten. Der fundamentale Konflikt des "Informationskapitalismus" bestünde daher in den unterschiedlichen Interessen von Kapital und persönlichen Daten. Da dieser Gegensatz dem alten Konflikt zwischen Kapital und Arbeit im industriellen Zeitalter entspreche und diesen ablöse, sei dem neuen Konflikt genau wie dem alten mit geeigneten Regulierungsmaßnahmen zu begegnen.

Schließlich werden sich auch die institutionellen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarkts und des Sozialstaats erheblich wandeln und weiterentwickeln müssen. Dabei sind durchaus Parallelen zur Industriellen Revolution vorhanden, die unter anderem die Gewerkschaftsbewegung hervorrief. Ähnliche Prozesse sind derzeit zu beobachten, wobei sich "Bewegungen" heute in zunehmendem Maße digital beziehungsweise virtuell konstituieren und häufig auf einen bestimmten Anlass Bezug nehmen. Dies scheint eine Möglichkeit zu sein, auch im digitalen Zeitalter kollektive Interessen zu artikulieren.

Die großen Herausforderungen für Arbeitsmarkt und Sozialstaat scheinen inzwischen auch von politischen Entscheidungsträgern erkannt worden zu sein. Entscheidende Fragen betreffen vor allem die Bereiche "Teilhabe und Sozialpartnerschaft" und "Arbeitsmarktpolitik und soziale Absicherung". Insbesondere eine "soziale Marktwirtschaft" ist gefordert, in diesen Bereichen nachhaltige Antworten zu entwickeln.

Wie können innovative Lösungen aussehen, um die soziale Absicherung zukunftsfest machen? Eine Herausforderung besteht sicherlich darin, Sozialversicherungsansprüche und betriebliche Versorgungsregeln von einer langjährigen Beschäftigung im selben Unternehmen zu entkoppeln und auch länderübergreifend transportabel zu machen. Beschäftigte sollten künftig keine Ansprüche einbüßen, ganz gleich, welche Erwerbsbiografie sie verfolgen. Deshalb könnte eine geeignete Reaktion auf die fortschreitende Internationalisierung von Wertschöpfungsketten zum Beispiel sein, supranationale Institutionen zu schaffen wie etwa einer europäischen Arbeitslosenversicherung.

Darüber hinaus scheint es unvermeidlich, dass sich wichtige gesellschaftliche Gruppen angesichts der enormen Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt neu positionieren müssen. So lässt sich beispielhaft für die Gewerkschaften skizzieren, wie diese den Wandel aktiv begleiten und gestalten können. Weil unsere Arbeitswelt unübersichtlicher wird, ist ein gesamtwirtschaftliches Korrektiv künftig mehr denn je gefragt, da es zu einer ausgewogenen Balance der Chancen und Risiken beitragen kann.

Fazit und offene Fragen

Die Erwerbsgesellschaft der Zukunft bietet neben neuen Risiken und einer größeren Unübersichtlichkeit auch neue Chancen und vielfältige Potenziale. Um diese bestmöglich zu nutzen, müssen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik umdenken. Auch wenn kein "Ende der Arbeit" in Sicht ist, so deutet sich ein erheblicher Wandel von Produktionsfaktoren, Berufen und Erwerbsformen an. Es gilt, diesen Wandel zu begleiten und geeignete Institutionen in Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Gerade weil es sich um einen Prozess handelt, ist es (noch) möglich, die Rahmenbedingungen zu gestalten. Darüber hinaus muss Bildung zum Topthema gemacht werden, um der Bevölkerung digitale Teilhabe als Voraussetzung zur wirtschaftlichen und sozialen Integration zu ermöglichen.

An dieser Stelle müssen naturgemäß eine Reihe von Fragen unbeantwortet bleiben – nicht zuletzt, da sich weitere Entwicklungen erst noch offenbaren werden. Dennoch stellt dieser Beitrag insgesamt ein Plädoyer dar, der Zukunft der Arbeit mit Zuversicht zu begegnen. Auch in der Vergangenheit sind permanent neue Märkte und neue Jobs entstanden, die etwaige Verluste durch den technischen Fortschritt auffangen oder sogar überkompensieren konnten. Zentral muss sein, bei dem neuerlichen Übergang, diesmal in die digitale Arbeitswelt, das Verhältnis von Gewinnern und Verlierern genau im Blick zu behalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Crunch Network, The Battle is for the Customer Interface, 3.3.2015, Externer Link: http://techcrunch.com/2015/03/03/in-the-age-of-disintermediation-the-battle-is-all-for-the-customer-interface (29.3.2016).

  2. Vgl. John Maynard Keynes, Essays in Persuasion, London 1933, S. 358ff.

  3. Vgl. Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/M.–New York 1995.

  4. In unserem Verständnis umfasst der Begriff "digitale Revolution" verschiedene Phänomene der Digitalisierung, den verstärkten Einsatz von Computern, Robotern und Maschinen (und verwandten Technologien) sowie den allgemeinen Wandel der Technik, der im vergangenen Jahrhundert seinen Ausgang nahm.

  5. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL 2015, Berlin 2015, S. 8, S. 14. In der hier verwendeten Definition umfasst die digitale Wirtschaft neben der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT-Branche) auch die Internetwirtschaft.

  6. Vgl. Statistisches Bundesamt, IT-Nutzung. Private Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, 2016, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/
    ITNutzung/Tabellen/ZeitvergleichComputernutzung_IKT.html
    (29.3.2016).

  7. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Grünbuch Arbeiten 4.0: Glossar, o.D., Externer Link: http://www.arbeitenviernull.de/gruenbuch/glossar.html (29.3.2016).

  8. Vgl. Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1912.

  9. Die Marktkapitalisierung ist der aktuelle Börsenwert einer Firma. Zur Berechnung werden der aktuelle Aktienwert und die Gesamtaktienzahl multipliziert.

  10. Vgl. PricewaterhouseCoopers, Global Top 100 Companies by Market Capitalisation, 31.3.2015, Externer Link: http://www.pwc.com/gx/en/audit-services/capital-market/publications/assets/document/pwc-global-top-100-march-update.pdf (29.3.2016).

  11. Auch längerfristig sind erhebliche Verschiebungen in der relativen Marktkapitalisierung von Technologieunternehmen festzustellen. Vgl. The Economist, Microsoft at Middle Age. Opening Windows, 4.4.2015, Externer Link: http://www.economist.com/news/business/21647612-once-dominant-software-giant-determined-prove-life-begins-again-40-opening (29.3.2016).

  12. Vgl. Statistisches Bundesamt, November 2015: Erwerbstätigenzahl stieg um 1,0% im Vorjahresvergleich, Pressemitteilung 3/2016.

  13. Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Anhang zu IAB-Kurzbericht 4/2015, Externer Link: http://doku.iab.de/kurzber/2015/kb0415_Anhang.pdf (29.3.2016).

  14. Vgl. Georg Graetz/Guy Michaels, Robots at Work, IZA Discussion Paper 8938/2015.

  15. Vgl. Dennis Snower/Alessio J.G. Brown/Christian Merkl, Globalization and the Welfare State: A Review of Hans-Werner Sinn’s Can Germany Be Saved?, in: Journal of Economic Literature, 47 (2009) 1, S. 136–158.

  16. Vgl. Alexander Spermann, Online-Portale für Kompetenztests – ein Baustein für die Demografiestrategie Deutschlands, IZA Standpunkte 67/2015.

  17. Derzeit werden MOOCs vor allem als Chance und Herausforderung für Universitäten diskutiert. Vgl. The Economist, The Future of Universities. The Digital Degree, 26.6.2014, Externer Link: http://www.economist.com/news/briefing/21605899-staid-higher-education-business-about-experience-welcome-earthquake-digital (29.3.2016).

  18. Vgl. Richard B. Freeman, Who Owns the Robots Rules the World, IZA World of Labor 5/2015.

  19. Vgl. OECD, Employment Outlook 2012, Paris 2012.

  20. So drohe eine "moderne Form des Feudalismus", sollte sich die Einkommensungleichheit weiter verstärken. Vgl. R.B. Freeman (Anm. 18), S. 6.

  21. Vgl. G. Graetz/G. Michaels (Anm. 14).

  22. Vgl. Carl Benedikt Frey/Michael A. Osborne, The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation?, 17.9.2013, Externer Link: http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf (29.3.2016).

  23. Andere Analysen kommen sogar zu einem weitreichenderen Schluss. Darin wird die digitale Revolution als "Universaltechnologie" angesehen, die vergleichbar mit der Dampfkraft, der Elektrizität und dem Verbrennungsmotor sei. Ihre Auswirkungen seien daher ebenfalls vergleichbar und praktisch jede Tätigkeit, jeder Beruf und jede Branche sei betroffen. Vgl. Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee, Race Against The Machine, Lexington 2011.

  24. Vgl. C.B. Frey/M.A. Osborne (Anm. 22). Diese Vorhersagen werden durch die jüngsten Entwicklungen in der quantitativen Bedeutung der Berufe in Deutschland bestätigt. Vgl. Werner Eichhorst/Florian Buhlmann, Die Zukunft der Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 62 (2015) 1, S. 131–148.

  25. Vgl. Holger Bonin/Terry Gregory/Ulrich Zierahn, Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland, ZEW-Kurzexpertise 57/2015.

  26. Vgl. ebd.

  27. Vgl. Katharina Dengler/Britta Matthes, In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar, IAB-Kurzbericht 24/2015.

  28. Ein solcher Schritt hat sich zum Beispiel in der Arbeitsmarktforschung bereits vollzogen, etwa bei der Analyse des strukturellen Wandels in den USA. Vgl. David H. Autor/David Dorn, The Growth of Low-Skill Service Jobs and the Polarization of the US Labor Market, in: American Economic Review, 103 (2013) 5, S. 1553–1597.

  29. Vgl. Klaus F. Zimmermann, Nur noch Roboter und Selbstausbeutung? Über die Herausforderungen und Chancen der neuen Welt der Arbeit, IZA Standpunkte 80/2015.

  30. Vgl. ders., Reflexionen zur Zukunft der Arbeit, in: Holger Hinte/ders. (Hrsg.), Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt. Wie der demografische Wandel die Erwerbsgesellschaft verändert, Bonn 2013, S. 14–61.

  31. Vgl. Jonathan V. Hall/Alan B. Krueger, An Analysis of the Labor Market for Uber’s Driver-Partners in the United States, 2015, Externer Link: https://s3.amazonaws.com/uber-static/comms/PDF/Uber_Driver-Partners_Hall_Kreuger_2015.pdf (29.3.2016).

  32. Vgl. Hilmar Schneider, "Fach"-Kräfte für die Arbeit der Zukunft, IZA Standpunkte 41/2011, S. 4.

  33. Vgl. K.F. Zimmermann (Anm. 29).

  34. Vgl. William J. Baumol, Contestable Markets: An Uprising in the Theory of Industry Structure, in: American Economic Review, 72 (1982) 1, S. 1–15.

  35. Das ist der Effekt, bei dem der Nutzen eines Gutes mit steigender Nutzerzahl zunimmt.

  36. Vgl. Justus Haucap/Christiane Kehder, Stellen Google, Amazon, Facebook & Co. wirklich die marktwirtschaftliche Ordnung zur Disposition?, Ordnungspolitische Perspektiven 62/2014.

  37. Vgl. E. Brynjolfsson/A. McAfee (Anm. 23).

  38. Vgl. Yvonne Hofstetter, Sie wissen alles: Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen, München 2014.

  39. Dies umfasst sowohl individuelle Maßnahmen als auch Maßnahmen, die von Staaten beziehungsweise Staatengemeinschaften getroffen werden (etwa die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union). Vgl. ebd., S. 291.

  40. Verbindungslinien werden auch zwischen dem Phänomen der "Ökonomie des Teilens" (beziehungsweise der "Sharing Economy") und dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell gesehen. Vgl. Theresia Theurl, Ökonomie des Teilens: Governance konsequent zu Ende gedacht, in: Wirtschaftsdienst, 95 (2015) 2, S. 87–91.

  41. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Grünbuch Arbeiten 4.0, Berlin 2015.

  42. Vgl. K.F. Zimmermann (Anm. 29), S. 5.

  43. Vgl. Werner Eichhorst/Florian Wozny, A Joint Unemployment Insurance for the European Economic and Monetary Union?, IZA Policy Paper 92/2014.

  44. Vgl. Werner Eichhorst et al., Die neue Beweglichkeit: Die Gewerkschaften in der digitalen Arbeitswelt, IZA Standpunkte 82/2015.

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Dr. rer. pol., geb. 1979; stellvertretender Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Schaumburg-Lippe-Straße 5–9, 53113 Bonn. E-Mail Link: rinne@iza.org

Dr. rer. pol. habil., geb. 1952; Professor an der Universität Bonn und Gründungsdirektor des IZA (s.o.); derzeit Forschungsaufenthalt an der Harvard Universität. E-Mail Link: klaus.f.zimmermann@gmail.com