Die Reaktionen auf die wachsende Zahl von Flüchtlingen
Länder und insbesondere Kommunen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen. Logistische und finanzielle Engpässe erschweren die Arbeit; es gibt weder genug Unterkünfte noch ausreichend Personal für die Betreuung von Flüchtlingen. Viele der Unterkünfte, die in den frühen 1990er Jahren genutzt wurden, wurden im Zuge des Rückgangs der Asylantragszahlen zwischen 1993 und 2008 geschlossen. Die Erschließung neuer Unterkünfte braucht Zeit, sodass vielerorts zu Behelfslösungen gegriffen wird. Das führt oft zu prekären Unterbringungsbedingungen – in Zelten, umfunktionierten Turnhallen oder Containern – sowie zu mangelnder Betreuung.
Ehrenamtliche fangen einen Großteil der anfallenden Aufgaben auf und verbessern die Situation deutlich. Dies betrifft sowohl die Erstversorgung – wie Hilfe bei Aufbau und Einrichtung von Notunterkünften oder bei der Ausstattung mit den nötigsten Kleidungsstücken und Hygieneartikeln – als auch die längerfristige Betreuung. Gegenwärtig wird die Betreuung von Flüchtlingen zu einem großen Teil von Ehrenamtlichen getragen.
Strukturen, Tätigkeiten, Motive
Was zeichnet die ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen in der Flüchtlingsarbeit aus?
Ehrenamtliche übernehmen eine Vielfalt an Tätigkeiten in der Flüchtlingsarbeit.
Was motiviert die Ehrenamtlichen? Wie in anderen Bereichen des zivilgesellschaftlichen Engagements lassen sich auch bei Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit verschiedene Motive vorfinden.
Nicht nur das Bewusstsein über den Krieg und seine Folgen in Syrien, sondern auch eine veränderte Sicht auf Deutschland als Einwanderungsland scheint sich auf die Zunahme des Engagements auszuwirken. Wie Umfragen zeigen, sind die Offenheit gegenüber Migrantinnen und Migranten und das Bewusstsein darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, seit 2012 gestiegen.
Einfluss auf Einstellungen der Lokalbevölkerung
Zu den Herausforderungen in der Flüchtlingsaufnahme gehört neben der Bereitstellung von ausreichend Wohnraum und adäquater Betreuung auch die weitergehende Integration der Flüchtlinge vor Ort. Dies ist oft nicht einfach: In einigen Städten und Gemeinden, in denen Unterbringungen für Flüchtlinge vorhanden oder geplant sind, regt sich Protest. Die Gründe reichen von fremdenfeindlicher Ablehnung bis zum Gefühl, von der Politik vergessen worden zu sein. Bei diesen Protesten werden vermehrt Vorurteile, Aggressionen und Gewalt sichtbar, die oft von rechtsextremen und rassistischen Gruppierungen geschürt werden.
Während laut Bevölkerungsumfragen Fremdenfeindlichkeit in den vergangenen zwölf Jahren insgesamt zwar leicht zurückgegangen ist,
Nichtsdestotrotz gibt es Standorte, an denen Anwohnerinnen und Anwohner weitgehend positiv auf Flüchtlinge reagieren, ihnen offen begegnen und sie unterstützen. Eine Analyse ausgewählter Fälle zeigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit einen großen Einfluss auf diese Reaktionen hat.
Zum einen beeinflusst das Engagement in der Flüchtlingsarbeit die Wahrnehmung von Flüchtlingen indirekt, indem die Ehrenamtlichen Unterbringung und Betreuung verbessern. Die Integration in das alltägliche Leben spielt eine zentrale Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung der Flüchtlinge. Gute Wohn- und Betreuungsbedingungen fördern diese soziale Integration und beugen Vorurteilen sowie Stigmatisierungen vor. Dies betrifft sowohl den Zustand, die Pflege und die Ausstattung von Unterkünften als auch die soziale und therapeutische Betreuung der Flüchtlinge. Sind Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht, fällt es ihnen deutlich leichter, sich in den Alltag einzufügen, als in der speziellen Wohnsituation von Gemeinschaftsunterkünften und besonders von prekären Notunterkünften. Zivilgesellschaftliche Beiträge, um Wohn- und Betreuungsbedingungen zu verbessern, können die Integration jedoch durchaus auch in schwierigen Wohnsituationen erleichtern.
Zum anderen prägen zivilgesellschaftliche Initiativen den lokalen Diskurs zu Flüchtlingen auch direkt, und zwar sowohl durch die Begegnungsmöglichkeiten, die die Flüchtlingsarbeit zwischen Flüchtlingen und Anwohnerinnen und Anwohnern schafft, als auch durch strategische Interventionen im öffentlichen Diskurs, beispielsweise auf Veranstaltungen und Kundgebungen.
Verschiedene Studien zeigen, dass besonders persönliche Begegnungen zu Offenheit und Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen beitragen und Vorurteilen und Ablehnung entgegenwirken können, vor allem, wenn sie in einem positiv besetzten Kontext stattfinden.
Um den Einfluss von Begegnungsmöglichkeiten zu veranschaulichen: Die Initiative "Offenes Anzing" im oberbayerischen Anzing konnte den Kontakt zwischen Flüchtlingen und Anwohnerinnen und Anwohnern fördern und damit der anfänglichen Ablehnung der neuen Flüchtlingsunterkunft entgegenwirken. Als die relativ wohlhabende Gemeinde im Herbst 2013 von der geplanten Gemeinschaftsunterkunft für 20 Flüchtlinge erfuhr, formierte sich zunächst Widerstand. Daraufhin gründete sich die Initiative "Offenes Anzing" und bot Behördenbegleitung, Fahrdienste, Sprachkurse, Freizeitaktivitäten sowie ein "Patenschaftsprogramm" an. Die hierdurch geschaffenen Begegnungsmöglichkeiten halfen, Vorurteile und Ängste abzubauen und Offenheit zu fördern.
Auch intervenieren Ehrenamtliche häufig direkt in öffentlichen Diskursen zu Flüchtlingen und zur Asylpolitik und verändern dadurch die öffentliche Wahrnehmung. Hierzu zählen nicht nur Veranstaltungen, die über die Situation und Erfahrungen von Flüchtlingen informieren – etwa über Gründe und Gefahren der Flucht sowie Bedingungen der Unterbringung. Auch Demonstrationen gegen Vorurteile und Hetze sowie gegen politische Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik, wie beispielsweise der Erklärung weiterer Länder zu "sicheren Herkunftsländern" oder die Wiedereinführung der Sachleistungen, beeinflussen die öffentliche Meinung.
Die Berliner Initiative "Hufeisern gegen Rechts" zum Beispiel trug mit anderen lokalen Akteuren entscheidend dazu bei, einer beginnenden fremdenfeindlichen Stimmungsmache gegen eine neue Unterkunft in Berlin-Britz im Bezirk Neukölln entgegenzuwirken. Aufgrund der starken rechtsextremen Infrastruktur im Viertel standen die Vorzeichen für die 2014 eröffnete Gemeinschaftsunterkunft nicht gut. Wegen fremdenfeindlicher Proteste im Berliner Stadtteil Hellersdorf kurz zuvor waren Flüchtlingsinitiativen und behördliche Akteure jedoch sehr darauf bedacht, eine Stimmungsmache von dieser Seite abzuwenden. Die Initiative "Hufeisern gegen Rechts" spielte hierbei eine zentrale Rolle. Sie half, Informationsveranstaltungen und Demonstrationen zu organisieren, und verbreitete Informationsmaterial, um ihre Unterstützung für die Flüchtlinge zu signalisieren und rechtsextremen Gruppen im Diskurs um die Unterkunft zuvorzukommen. So konnte Offenheit gefördert und eine breite Mobilisierung gegen die Unterkunft – trotz einiger Versuche – verhindert werden.
Fazit
Wie dieser Beitrag gezeigt hat, trägt das zivilgesellschaftliche Engagement für Flüchtlinge, neben der Verbesserung der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen, auch zu positiven Einstellungen gegenüber Flüchtlingen vor Ort bei. Dies unterstreicht den gesamtgesellschaftlichen Effekt des Engagements in der Flüchtlingsarbeit.
Die zentrale Rolle des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Integration von Flüchtlingen verdeutlicht auch die Notwendigkeit, Ehrenamtliche stärker zu unterstützen. Sie tragen eine hohe Verantwortung und sind derzeit sehr großen Belastungen ausgesetzt. Hier bedarf es – trotz erster Pilotprojekte
Neben solchen direkten Angeboten für Ehrenamtliche und Initiativen trägt auch die Stärkung der etablierten Verbände dazu bei, die Engagierten zu entlasten. Diese wünschen sich vor allem in juristischen und psychologischen Fragen mehr Beratung durch Fachkräfte.
Zivilgesellschaftliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit braucht zudem Ressourcen wie finanzielle Mittel und Räume. Die kleineren Flüchtlingsinitiativen haben den Vorteil, dass sie viel Flexibilität und Autonomie bieten, stoßen jedoch schnell an organisatorische Grenzen; insbesondere die Mittelbeschaffung ist schwierig und kostet viel Zeit. Einige Städte haben in diesem Sinne für Flüchtlingsinitiativen Stadtteilfonds eingerichtet. Besonders Budgets, die flexibel für verschiedene Tätigkeiten eingesetzt werden können, erleichtern die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit.
Die genannten Maßnahmen sind nicht nur wichtig, um zivilgesellschaftliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit auf Dauer zu stellen und bereits Geleistetes zu bewahren und daran anzuknüpfen. Sie sind auch von zentraler Bedeutung, um der staatlichen Verantwortung für die Integration von Flüchtlingen gerecht zu werden.