Die Prävention massiver organisierter innerstaatlicher Gewalt steht seit den frühen 1990er Jahren unter dem Stichwort der Konfliktprävention auf der Agenda internationaler Politik, gerade auch im Rahmen der Vereinten Nationen. Seit den 2000er Jahren richtete sich unter dem Einfluss des Prinzips der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, kurz R2P) der Blick insbesondere auf die Verhinderung von Gräueltaten, die in der politischen Diskussion häufig als "Massenverbrechen" (mass atrocities) bezeichnet werden.
Konfliktprävention im traditionellen breiten Verständnis und Prävention im Sinne der Schutzverantwortung sind im UN-System zwar diskursiv und bürokratisch nach wie vor eher getrennte Politikbereiche.
Ob Prävention eher im herkömmlichen oder eher im fokussierten Sinne einer "Präventionsverantwortung" verstanden wird – sie setzt ein großes Maß an Wissen voraus: darüber, wie sich die Risiken von Gewaltkonflikten erkennen, möglichst genau prognostizieren und wirksam reduzieren lassen. Groß ist der Anspruch der Prävention, eher klein die Grundlage handlungsrelevanten Wissens. Angesichts dieses immer wieder beklagten Befundes stellt sich die Frage: Was kann die sozialwissenschaftliche Forschung an Erkenntnissen zu einer evidenzinformierten Präventionspolitik beitragen? Der Fokus richtet sich im Folgenden auf neuere Erträge der vor allem quantitativ orientierten Forschung zur Wirksamkeit von Ansätzen und Instrumenten sowohl eher struktureller als auch direkter Prävention.
Strukturelle Prävention und ihre Probleme
Wie kann das Risiko massenhafter Gewalt in jenen Ländern durch "strukturelle" Prävention gemindert werden, die aufgrund bestimmter Faktoren als äußerst gefährdet erscheinen? Struktureller Prävention liegt die Annahme zugrunde, es gebe sogenannte "Grundursachen", die das Risiko organisierter politischer Gewalt erhöhen. In der politischen Diskussion ist die Liste solcher root causes mitunter sehr lang, entsprechend wird vom Abbau sozialer Ungleichheiten über die Reform des politischen Systems bis zur wirtschaftlichen Entwicklung sehr vieles zu einem Thema der Konfliktprävention.
Aber lassen sich politische Prozesse von außen beeinflussen oder gar lenken, damit sie diese Richtung nehmen? Die Herausbildung von good governance, Rechtsreformen und der Aufbau demokratischer Institutionen erfordern tiefe Eingriffe in politische Systeme und unter Umständen eine "radikale Rekonstruktion" von Gesellschaften.
Gerade in Demokratisierungsprozessen kann sich das Risiko für gewaltsame Konflikte erhöhen.
Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen gilt mitunter auch als Instrument der Konfliktprävention: In Kombination mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik könne sie zu wirtschaftlichem Wachstum beitragen und damit das Risiko eines Bürgerkrieges mindern, so die nicht unumstrittene Annahme.
Ansätze direkter Prävention
Strukturelle Prävention, die politische und wirtschaftliche Bedingungen für einen dauerhaft gewaltfreien Konfliktaustrag zu schaffen sucht, ist ein schwieriges Unterfangen. In der neueren Debatte um die Responsibility to Prevent liegt der Fokus auf gezielten situativen Maßnahmen. Diese "revisionistische" Sicht ist stark von einer kriminologischen Perspektive geprägt.
Doch wie steht es um die Erfolgsaussichten operativer beziehungsweise direkter Prävention? Ein Blick auf die quantitative Forschung führt zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens sind internationale Initiativen, die von verbalen Stellungnahmen und Vermittlungsbemühungen bis zu wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen reichen können, kein Allheilheilmittel, jedoch auch nicht aussichtslos.
Bürgerkriege sind Ergebnis eines Prozesses, an dessen Anfang Proteste stehen. Ob aus diesen Rebellion und Bürgerkrieg hervorgehen, hängt vor allem von den staatlichen Reaktionen ab: Repression kann unorganisierte Proteste ersticken, aber gleichzeitig Anreize zu Rebellion und Bürgerkrieg geben, wenn Dissidenten sich in der Folge organisieren und andere sich ihnen anschließen.
Eine Leitlinie für die Politik lässt sich aus den empirischen Befunden ableiten: Wer Bürgerkriege und das damit verbundene Risiko von Massengewalt verhindern will, muss gewalttätigen Widerstand ent- und gewaltfreien Widerstand ermutigen – und sei es nur durch entsprechende rhetorische Äußerungen; zumal einiges dafür spricht, dass Konfliktparteien die Signale externer Akteure in ihre Kalkulation einbeziehen.
Wenn massenhafte Gewalt verhindert werden soll, wie sie von Regierungen im Falle einer Bedrohung durch eine Rebellenbewegung eingesetzt wird, dann heißt dies für eine präventive Interventionspolitik nicht nur, gewalttätigen Widerstand zu entmutigen, sondern zugleich, staatliche Kräfte von einem auf Gewalt setzenden Vorgehen abzuschrecken. Durchaus lassen sich damit Eskalationsprozesse unterbrechen, die zu einem Bürgerkrieg führen können. In Staaten, die Mitglieder stark institutionalisierter internationaler Organisationen sind, ist das Risiko geringer, dass ein bewaffneter Konflikt niedriger Intensität in einen Bürgerkrieg mündet, als in Staaten mit schwacher institutioneller Einbettung. Die Mitgliedschaft in solchen Organisationen kann von den Institutionen selbst sowie von anderen Staaten genutzt werden, um Konflikte zu verhindern. Eine plausible Erklärung wären die Kosten, die solche Institutionen einer Regierung auferlegen können – die Anreize sind größer, zu einer friedlichen Lösung mit Rebellen zu kommen. Umgekehrt dürfen Rebellen eher damit rechnen, dass eine Regierung aus Sorge vor Sanktionen ihre Zusagen einhält, weshalb sie ohne allzu großes Risiko ihre Waffen niederlegen können.
Wenn die Eskalation eines Konflikts geringerer Intensität zu einem Bürgerkrieg nicht verhindert werden kann, stellt sich die Frage, ob im Sinne der Schutzverantwortung das Ausmaß der Gewalt gegen Nichtkombattantinnen und -kombattanten eingedämmt werden kann. Abschreckung durch die Aussicht auf Bestrafung – das war die Hoffnung, die sich mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs verband. Erwartet wird eine generalpräventive Abschreckungswirkung. Diese setzt voraus, dass potenzielle Täter ihr Handeln rational kalkulieren, den Nutzen eines Gesetzesverstoßes als relativ gering und die Kosten als relativ hoch einschätzen, weil sie sich dem beträchtlichen Risiko einer vergleichsweise harten und schnellen Strafe aussetzen. Zweifel sind angebracht, dass der Internationale Strafgerichtshof die erhoffte generalpräventive Wirkung erzielen kann. Gering ist bislang die Aussicht, in Den Haag vor Gericht zu kommen, geringer noch das Risiko einer harten Strafe.
Doch stellt man in Rechnung, dass manche um ihr Ansehen und ihre Legitimität besorgte Akteure allein die Möglichkeit einer Anklageerhebung in ihr Kalkül einbeziehen, so lässt sich eine Art informelle "soziale" Abschreckungswirkung postulieren. Empirisch ist eine solche Wirkung zumindest für Regierungen festzustellen, die in hohem Maße von Auslandshilfe abhängig sind.
Kaum minder mit methodischen Herausforderungen zu kämpfen haben jene Untersuchungen, die der Frage nachgehen, ob die Vereinten Nationen oder Menschenrechtsorganisationen durch naming and shaming das Risiko mindern können, dass Staaten zum Mittel der Tötung ihrer Bürgerinnen und Bürgern greifen. Denn zunächst muss anhand einiger Indikatoren (wie etwa Regimetyp oder Herrschen eines Bürgerkrieges) bestimmt werden, ob eine solche massive Menschenrechtsverletzung wahrscheinlich ist. Insofern ist ein solcher Untersuchungsansatz mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet und das optimistisch stimmende Ergebnis einschlägiger Untersuchungen mit etwas Vorsicht zu interpretieren.
Im Falle genozidaler Gewalt bleibt nur die schnelle Entsendung militärischer Kräfte, um ein Ausufern der Gewalttaten zu unterbinden.
Die potenziell gewaltsteigernde Wirkung einer externen militärischen Intervention muss auch in Fällen von Bürgerkriegen berücksichtigt werden: Unterstützen ausländische Truppen eine Konfliktpartei, wächst die Neigung der anderen Partei, den Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten zu eskalieren. Wer also militärisch zugunsten einer Bürgerkriegspartei interveniert, sollte daher Maßnahmen einplanen, um besonders bedrohte Zivilisten vor Vergeltung zu schützen.
Von der direkten Intervention zugunsten einer Partei sind Friedensoperationen zu unterscheiden, die in sehr unterschiedlichen Ausprägungen stattfinden – und nicht nur dort, wo es schon einen Frieden zu bewahren gibt. Peacekeeping, die Entsendung von Friedenstruppen, kann in vielen Fällen gewaltmindernd und gewaltverhindernd wirken: gewaltmindernd, wenn Friedenstruppen in noch "heiße" Konflikte entsandt werden; gewaltverhindernd insofern, als die Anwesenheit angemessen ausgestatteter und in ausreichender Stärke entsandter Friedenstruppen die Gefahr einer massenhaften Tötung von Zivilisten reduzieren kann, und als sich das Risiko verringert, dass im Anschluss an eine Verhandlungslösung nach einer gewissen Zeit erneut ein Bürgerkrieg ausbricht.
Fazit
Eine Politik der Gewaltprävention, die sich der Grenzen des Wissens bewusst und für die ungeplanten Nebenwirkungen von Interventionen sensibel ist, kann zur Verhinderung und Eindämmung von Gewalt beitragen – bei aller Ungewissheit der Erfolgsaussichten in jedem konkreten Fall mit seinen spezifischen Kontextbedingungen. Nur wird sich eine solche Politik nicht allein auf zivile Instrumente verlassen können. Denn wenn es einen erstaunlich unstrittigen Ertrag der Forschung gibt, dann ist es dieser: Auf robustes, angemessen ausgestattetes UN-Peacekeeping kann nicht verzichtet werden, wenn es darum gehen soll, organisierte innerstaatliche Massenverbrechen zu verhindern und in ihrem Ausmaß einzudämmen.