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Der Schutz von Zivilisten durch UN-Friedenseinsätze

Gerrit Kurtz Philipp Rotmann

/ 14 Minuten zu lesen

Im Mittelpunkt der Friedenseinsätze der Vereinten Nationen steht heute der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten. Das ist das Ergebnis eines schmerzhaften Lernprozesses, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Unter der Flagge der Vereinten Nationen versuchen derzeit weltweit mehr als 125000 zivile Experten, Polizisten und Soldaten in 16 Einsätzen, schwierigen Friedensprozessen eine Chance zum Erfolg zu geben. Meist dauert das Jahre. Während Politiker und Generäle verhandeln, kommt es immer wieder zu Rückschlägen, Kämpfen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. Sowohl die Menschen im Südsudan, im Kongo, in Zentralafrika als auch der UN-Sicherheitsrat erwarten, dass die Einsätze der Weltorganisation das leisten, was in ihrer Macht steht, um das Leid zu begrenzen und so viele Zivilistinnen und Zivilisten wie möglich zu schützen. Für die meisten Einsätze ist genau das laut Mandat des UN-Sicherheitsrates die wichtigste Aufgabe. Dass der Schutz von Zivilisten in den Mittelpunkt der UN-Friedenseinsätze gerückt ist, ist das Ergebnis eines schmerzhaften Lernprozesses, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Schwieriger Lernprozess

Als Folge der zunehmenden internationalen Aufmerksamkeit für innerstaatliche Konflikte seit den 1990er Jahren wurden die Aufgaben von UN-Friedenseinsätzen um ein Vielfaches erweitert. Aus Hunderten von Militärbeobachtern mit den charakteristischen blauen Helmen, wie sie während des Kalten Krieges üblich waren, wurden komplizierte Organisationen mit Tausenden politischen Experten, Polizeibeamten und Soldaten. Ihre Aufgaben reichen heute von der politischen Analyse und der Überwachung von Waffenstillständen über die Unterstützung beim Institutionenaufbau und den Schutz von Menschenrechten bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten.

Das doppelte Versagen der Vereinten Nationen und der nationalen Regierungen während der Völkermorde in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995 stürzte das UN-Friedenssicherungssystem in eine Glaubwürdigkeitskrise. Diese konnte die Weltorganisation erst zum Ende des Jahrzehnts überwinden, unter anderem durch eine Selbstverpflichtung zum besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten. Von Anfang an handelte es sich dabei um eine Gratwanderung zwischen Untätigkeit und Überforderung. Blauhelme sollten kein globales Sondereinsatzkommando werden, das überlegene Gewalt einsetzt, um Gewalt gegen Zivilisten zu unterbinden – das wäre weder praktikabel noch politisch gewollt. Gleichzeitig dürfen, so die Lehre aus den Katastrophen der 1990er Jahre, Friedenstruppen nicht zusehen, wenn vor ihren Augen Massaker begangen werden, die sie verhindern könnten – auch mithilfe militärischer Gewalt. 1999 mandatierte der UN-Sicherheitsrat erstmals die Friedenstruppen in Sierra Leone, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten innerhalb ihres Einsatzgebietes Zivilpersonen, die unmittelbar von körperlicher Gewalttätigkeit bedroht sind, Schutz zu gewähren."

Die Lehre aus dem Versagen früherer Missionen beim Schutz von Zivilisten dürfe nicht sein, dieses Ziel aufzugeben, argumentierte im folgenden Jahr eine Expertenkommission unter Leitung des algerischen Diplomaten Lakhdar Brahimi. Vielmehr müssten Missionen ausreichend ausgestattet werden und die Einsatzregeln derart angepasst werden, dass sie "Gegenschläge erlauben, die ausreichen, Quellen tödlicher Gewalt verstummen zu lassen, die gegen UN-Truppen oder gegen die Menschen gerichtet ist, welche diese beauftragt sind zu schützen."

Diesem hohen Anspruch des sogenannten Brahimi-Berichts konnten die Missionen der 2000er Jahre kaum gerecht werden. Der UN-Sicherheitsrat und die Staaten der Welt setzten sich hohe normative Ziele bis hin zum Prinzip einer "Schutzverantwortung", doch die eingesetzten Mittel und die Risikobereitschaft der truppenstellenden Staaten blieben weit hinter den selbstgesetzten Erwartungen zurück. Aufgrund von Planungs- und Steuerungsdefiziten fehlte Kommandeuren vor Ort oft die nötige Klarheit über die geltenden Regeln zum Einsatz militärischer Gewalt. So beschwerte sich 2008 der damalige Befehlshaber der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo, der indische General Bipin Rawat: "Wir haben sehr strenge Regeln zur Verhinderung von Kollateralschäden. Wenn ich einen Zivilisten töte, steht mir niemand zur Seite."

Statt diese politisch sensiblen Kernfragen zu klären, beschränkte sich die konzeptionelle Arbeit des UN-Sekretariats in den folgenden Jahren darauf, vor allem die vielfältigen zivilen Ressourcen der Missionen für den Schutz von Zivilisten nutzbar zu machen. Nicht nur militärische Patrouillen und der direkte Einsatz von Gewalt gegen "unmittelbare Bedrohungen" gehöre demnach zum Aufgabenspektrum, sondern auch die Demobilisierung und Reintegration von Kombattanten, die Ausbildung fähiger Sicherheitskräfte, Minenbekämpfung sowie Kinderschutz und der Schutz vor sexualisierter Gewalt. Die Kernfrage nach Nutzen und Grenzen militärischer Gewalt blieb unbeantwortet.

Schutz durch militärische Gewalt

Friedensmissionen wie in der Demokratischen Republik Kongo oder im sudanesischen Darfur operieren inmitten bewaffneter Gruppen, die in wechselnden Allianzen die Zivilbevölkerung terrorisieren, nicht selten mit Unterstützung von Einheiten der Regierungsarmee oder von Nachbarstaaten. Zivilisten in Krisengebieten wirksam zu schützen, ist in solchen Kontexten meist nicht gewaltfrei möglich, doch auch der Einsatz militärischer Gewalt hatte bislang meist nur begrenzt Erfolg.

Die Kontroverse um das Ausmaß militärischer Gewaltanwendung rührt an die traditionellen und weiterhin gültigen Kernprinzipien der UN-Friedenssicherung: Zustimmung der örtlichen Parteien, Unparteilichkeit und Gewaltanwendung ausschließlich zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung des Mandats. Die militärische Bekämpfung einer "Partei" (ob diplomatisch als Konfliktpartei anerkannt oder nicht) schränkt die Unparteilichkeit einer Mission ein und hat Folgen für ihre Handlungs- und Bewegungsfreiheit, die viele andere Aspekte ihrer Arbeit wie die politische Vermittlung, Menschenrechtsbeobachtung und den Aufbau von Institutionen negativ berührt. Die Einstellung der lokalen Bevölkerungen ist häufig zwiegespalten: Die Opfer grausamer Rebellengruppen begrüßen deren Bekämpfung, während andere die Vereinten Nationen für zusätzliche zivile Opfer infolge ihrer militärischen Operationen verantwortlich machen.

Welche Balance die einzelnen Friedenseinsätze dabei finden, hängt entscheidend von den Einsatzregeln der einzelnen truppenstellenden Regierungen, von den Befehlshabern der einzelnen Kontingente und dem Spitzenpersonal der Missionen ab. So ging MONUSCO, die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo, bereits 2005 offensiv gegen bewaffnete Gruppen vor: Im Schutz von Kampfhubschraubern hob sie Waffenverstecke aus und unterstützte die kongolesische Armee dabei, Rebellengruppen zu zerschlagen. Solche Operationen führten meist zumindest kurzfristig zu einem Rückgang der Angriffe auf die Zivilbevölkerung.

Gleichzeitig gab es immer wieder Fälle wie das Massaker in der ostkongolesischen Stadt Kiwanja im November 2008. Damals starben geschätzt 150 Menschen, die meisten von ihnen getötet von Rebellen des Congrès national pour la défense du peuple (CNDP), eine der größten bewaffneten Gruppen im Land. Ein UN-Feldlager mit 120 Mann war weniger als einen Kilometer entfernt, griff jedoch nicht ein, weil die Blauhelme nur wenige gepanzerte Fahrzeuge besaßen und ihre Kapazitäten auf den Schutz humanitärer Helferinnen und Helfer sowie von Binnenvertriebenen, die vor das Tor der Basis geflüchtet waren, konzentrierten. Harsche Kritik musste MONUSCO auch 2012 einstecken, als sie den Einmarsch von Rebellen der Gruppe M23 in die Provinzhauptstadt Goma nicht verhinderte. Ein halbes Jahr später griff der UN-Sicherheitsrat durch, auch um einen Alleingang der südafrikanischen Regionalorganisation SADC zu verhindern. Südafrika, Tansania und Malawi stellten 3000 Mann für eine Force Intervention Brigade (FIB), ausgestattet mit Artillerie, Kampfhubschraubern und Aufklärungsdrohnen. Der Sicherheitsrat erteilte der Mission das Mandat, bewaffnete Gruppen, die Zivilisten bedrohen, zu "neutralisieren". Es gelang der FIB, die M23 aus den Bergen um Goma zu vertreiben.

Die FIB wird seitdem als neues Modell offensiver Friedenssicherung gehandelt. Gleichzeitig zeigt der Kongo jedoch auch die Risiken und Herausforderungen dieses Vorgehens. Die FIB handelt nur im Verbund mit den offiziellen kongolesischen Regierungstruppen. Das Prinzip der Unparteilichkeit hat die UN-Mission damit faktisch aufgegeben – sie unterstützt die Regierung im Kampf gegen andere Konfliktparteien. Allerdings sind trotz jahrelanger internationaler Ausbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen kongolesische Truppen ebenfalls für gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. MONUSCO hat daher einen menschenrechtlichen Überprüfungsmechanismus (Human Rights Due Diligence Policy) für alle Einheiten eingeführt, mit denen sie direkt zusammenarbeitet. Mittlerweile haben alle UN-Friedensmissionen diesen Mechanismus übernommen.

Weiterhin können massive militärische Offensiven mit Artillerie und Kampfhubschraubern, wie sie die FIB 2013 gegen die M23 unternahm, nur dann wirken, wenn die Rebellengruppen sich auf konventionelle Kriegführung einlassen. Dies war bei M23 der Fall, einer Gruppierung von desertierten kongolesischen Soldaten. Viele andere Rebellengruppen im Kongo und in anderen Einsatzgebieten der UN operieren dagegen im Untergrund, verüben einzelne Anschläge auf militärische Einheiten oder Massaker an Dorfbewohnern und ziehen sich dann wieder zurück.

Trotz der jüngeren Bereitschaft, äußerst robuste Missionen zu mandatieren und offensive Operationen gegen bewaffnete Gruppen zu führen, bleibt die Anwendung militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten selbst in Fällen höchster Bedrohung selten, wie eine UN-eigene Untersuchung 2014 feststellte: Truppenstellende Nationen haben unterschiedliche Verständnisse davon, welche Situationen unter die Formulierung "unmittelbar von körperlicher Gewalttätigkeit bedroht" fallen; truppenstellende Regierungen wollen die Risiken für ihre Soldaten minimieren; und die Missionschefs sind oft sehr zurückhaltend, im Sinne ihrer Unparteilichkeit zur Verhinderung schwerster Menschenrechtsverletzungen nicht nur gegen Rebellen, sondern auch gegen staatliche Sicherheitskräfte vorzugehen, auch wenn ihr Mandat dies zuließe.

Politische Analyse, Konfliktbearbeitung, Menschenrechtsarbeit

Die Kontroverse um die Rolle militärischer Gewalt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zivile Instrumente wie Frühwarnung, zivile Konfliktbearbeitung oder Menschenrechtsarbeit ebenso entscheidend sind, um den wirksamen Schutz von Zivilisten möglich zu machen.

Weder präventiv-deeskalierende politische Interventionen noch militärische Operationen können wirken, wenn die notwendigen Informationen über Konfliktdynamiken fehlen. Wo sind bewaffnete Gruppen aktiv, wer unterstützt sie und warum, woher beziehen sie Waffen und Vorräte? Länder wie die Demokratische Republik Kongo, der Südsudan oder Mali sind riesig und verfügen nur über eine minimale Infrastruktur. Das macht es selbst einer scheinbar umfangreichen Mission unmöglich, alle bedrohten Siedlungen wirksam zu schützen. Den militärischen Anteilen der Friedenseinsätze fehlt es zudem häufig an sprachlichem und landeskundlichem Grundwissen, um sich hinreichend mit der lokalen Bevölkerung verständigen zu können.

MONUSCO war auch in diesem Bereich Vorreiter. Die Mission verfügt über mehr als zweihundert Community Liaison Assistants: Kongolesinnen und Kongolesen, die zusammen mit den militärischen Einheiten der Mission oder in einem nahegelegenen Dorf stationiert sind und die Verbindung zur lokalen Gemeinschaft herstellen. Telefonisch und durch persönliche Besuche stehen sie ständig in Kontakt mit der Bevölkerung, die sie über aktuelle Risiken und Konfliktdynamiken informiert. Außerdem setzte MONUSCO als erste Friedensmission Drohnen zur taktischen Aufklärung entlegener Gebiete ein.

Die gewonnenen Informationen über lokale Konfliktdynamiken können die UN-Missionen nutzen, um lokale Prozesse zur zivilen Konfliktbearbeitung zu unterstützen. Sie veranstalten runde Tische mit Mitgliedern lokaler Gemeinschaften, bieten logistische Hilfe an, um Schlüsselfiguren zu Gesprächen und Dialogen zu bringen und veranstalten Workshops mit lokalen Eliten, um diese für zivile Methoden der Konfliktbeilegung zu sensibilisieren.

Alle größeren multi-dimensionalen Friedensoperationen verfügen über eigene Menschenrechtsabteilungen. Diese tragen zur Aufarbeitung von und Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen bei, helfen Opfern, zu ihrem Recht zu kommen und drängen die jeweiligen Behörden, Verletzungen zu ahnden und gesetzliche Verbesserungen umzusetzen. Der Einsatz für rechtsstaatliche Verfahren für Kriminelle und Mörder stößt manchmal auch auf lokalen Widerstand. Im südsudanesischen Cuibet zum Beispiel fehlen ausreichend ausgebildete Richter, die Kapitalverbrechen verhandeln dürfen, sodass Prozesse sich mitunter monatelang verzögern. Doch in dieser Zeit bauen sich weitere Spannungen auf. "Verzögerte Prozesse sind Anlass für Racheakte. Die Angehörigen eines Mordopfers könnten das Recht selbst in die Hand nehmen", warnte eine Vertreterin einer Frauengruppe.

Schutz vor den Beschützern

Die Glaubwürdigkeit der blauen Fahne der Vereinten Nationen leidet jedoch nicht nur unter Untätigkeit im Angesicht der Gewalt. Viel zu häufig sind es Blauhelme, die Zivilistinnen und Zivilisten sexuell nötigen oder vergewaltigen. Der Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung durch Friedenstruppen ist seit über zehn Jahren ein Kernelement der Reformbemühungen zweier UN-Generalsekretäre.

Entscheidende Fortschritte sind ausgeblieben, denn das Grundproblem besteht fort: Die truppenstellenden Nationen behalten die disziplinarrechtliche Aufsicht über die von ihnen den Vereinten Nationen unterstellten Einheiten, die Truppen genießen Immunität im Einsatzland, und nur in seltenen Fällen kommt es zu Ermittlungen durch die Behörden des Entsendestaates. Selbst wenn es zu Verurteilungen kommt, erfahren die Opfer in der Regel nichts davon, sodass es für sie keine Gerechtigkeit gibt. "Viele truppenstellende Staaten sind zurückhaltend, das Fehlverhalten ihrer Friedenssoldaten zuzugeben, insbesondere wenn solches Fehlverhalten auf unzureichende Ausbildung zurückgeführt werden kann, und würden Vorwürfe lieber unter den Teppich kehren." Seit 2007 sind die gemeldeten Anschuldigungen von sexueller Ausbeutung und Misshandlung zurückgegangen, während die Zahl der UN-Soldaten gestiegen ist. Allerdings bewegen sie sich seit 2012 auf dem gleichen Niveau von etwa 60 beschuldigten Personen pro Jahr. Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, da viele Opfer sich nicht trauen, Vorfälle zu melden, und sich dafür erst recht nicht an die UN-Mission wenden.

Dass es auch zehn Jahre nach Kofi Annans Reformen noch erheblichen Veränderungsbedarf innerhalb des UN-Sekretariats selbst gibt, zeigten Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, die im April 2015 bekannt wurden. Demnach hatten französische Soldaten der UN-mandatierten "Operation Sangaris", die selbst jedoch keine Blauhelmmission unter Befehl des UN-Generalsekretärs ist, von Kindern in der Zentralafrikanischen Republik mit Lebensmitteln Sex erkauft. Wie mittlerweile eine von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eingesetzte unabhängige Untersuchung bestätigte, war die Reaktion der UN-Mission und des Sekretariats hochproblematisch: "Informationen über die Vorwürfe wurden von Schreibtisch zu Schreibtisch, von Eingangsfach zu Eingangsfach, zwischen mehreren UN-Büros verschoben, ohne dass jemand willens gewesen wäre, Verantwortung zu übernehmen, die ernsten Menschenrechtsverletzungen anzupacken." Die betroffenen UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sorgten sich vor allem um Verfahrensfragen. Die französischen Behörden nahmen mittlerweile die Ermittlungen auf, ohne dass es bislang jedoch zu einer Verurteilung gekommen wäre. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ging erstmals so weit, den Leiter der UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik zu entlassen. Derweil wurden weitere Missbrauchsvorwürfe gegen Soldaten der UN-Mission öffentlich.

Umfassende politische Strategien

"Ein Einsatz militärischer Gewalt muss in einer politischen Strategie verankert sein, die bewaffnete Gewalt zu beenden," so Alan Doss, Leiter der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo von 2007 bis 2010. Zu häufig richte sich der Einsatz von UN-Missionen nur gegen Symptome der Gewalt, aber nicht gegen ihre Ursachen. Die hochrangige Expertengruppe zu Friedenseinsätzen, die 2015 ihren Bericht vorlegte, betont ebenfalls die Priorität politischen Handelns. In der Praxis stößt diese eingängige Einsicht auf erheblichen Widerstand: "Es ist viel einfacher für den Sicherheitsrat, Friedenssoldaten in einen Krisenherd zu schicken als sich darauf zu einigen, Druck auf politische Führer auszuüben, welche einige Ratsmitglieder unweigerlich als ihre Verbündeten sehen," argumentiert der langjährige UN-Beobachter James Traub.

Um Zivilisten in Kriegs- und Krisengebieten zumindest vor Massakern und systematischer Verfolgung zu schützen, müssten alle Akteure an einem Strang ziehen: die politische Führung der Mission vor Ort, der UN-Sicherheitsrat und seine entscheidenden Mitglieder, das heißt vor allem die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China, die Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze in New York und der UN-Generalsekretär, die UN-Sonderorganisationen, Fonds und Programme sowie die relevanten Mitgliedstaaten, insbesondere auch in ihren bilateralen Beziehungen gegenüber den Konfliktparteien. Solange beispielsweise die USA Ruanda trotz seiner Unterstützung für Rebellengruppen im Osten Kongos in Schutz nahmen, gruben sie MONUSCO das Wasser ab. Für die Offensive der FIB war es daher ein wichtiges Signal, als die USA ihre Militärhilfe für Ruanda wegen dessen Unterstützung der M23 einfroren.

Innerhalb des UN-Systems gibt es ebenfalls ernsthafte Bemühungen, das Thema Menschenrechtsschutz in der gesamten UN-Arbeit besser zu verankern. Die 2013 von Ban Ki-moon ins Leben gerufene Initiative "Human Rights up Front" trägt zu einem allmählichen Wandel der Organisationskultur bei, die bislang von bürokratischen Silostrukturen und Kompetenzgerangel zwischen den humanitären, sicherheitspolitischen und Entwicklungsarmen der Vereinten Nationen gekennzeichnet ist. So legen die Vereinten Nationen mehr Wert auf Koordination insbesondere im Bereich der Frühwarnung und Krisenreaktion, indem relevante UN-Akteure sowohl vor Ort als auch im Hauptquartier in New York regelmäßig aktuelle Risiken diskutieren und dabei von den unterschiedlichen Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen profitieren. Bis zu einer wirklich einheitlichen Politik zum Schutz der Zivilbevölkerung auf allen Ebenen der Vereinten Nationen ist es aber noch ein langer Weg.

Abseits aller Reformbemühungen verlangen die bisherigen Erfahrungen von UN-Friedensmissionen mit dem Schutz von Zivilbevölkerungen nach einem transparenteren Erwartungsmanagement, einer klaren Kommunikation gegenüber allen beteiligten Akteuren und einer gebotenen Bescheidenheit gegenüber den Fähigkeiten der internationalen Staatengemeinschaft. Auch in äußerst fragilen Staaten sind große Friedensmissionen kein Allheilmittel: Die Anwesenheit Tausender häufig kulturell fremder Soldatinnen und Soldaten sowie gut bezahlter ziviler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzerrt die lokale Wirtschaft und kann im schlimmsten Fall sogar weitere Verbrechen nach sich ziehen. Die wichtigsten Akteure bei der Verhinderung von Gewalt gegen Zivilisten bleiben die Institutionen des betroffenen Staates. Aus deren Verantwortung kann sie keine noch so robust ausgestattete und politisch flankierte Friedensmission entlassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. United Nations, UN Peacekeeping Operations Fact Sheet, 31.12.2015, Externer Link: http://www.un.org/en/peacekeeping/documents/bnote1215.pdf (15.2.2016).

  2. Vgl. Thorsten Benner/Stephan Mergenthaler/Philipp Rotmann, The New World of UN Peace Operations: Learning to Build Peace?, Oxford 2011, S. 12–49.

  3. Vgl. Philipp Rotmann/Gerrit Kurtz/Sarah Brockmeier, Major Powers and the Contested Evolution of a Responsibility to Protect: Introduction, in: Conflict, Security and Development, 14 (2014) 4, S. 355–377.

  4. Vgl. United Nations, Report of the Independent Inquiry into the Actions of the United Nations during the 1994 Genocide in Rwanda, 15.12.1999, UN Doc. S/1999/1257; UN Secretary-General, Report of the Secretary-General Pursuant to General Assembly Resolution 53/35. The Fall of Srebrenica, 15.11.1999, UN Doc. A/54/549.

  5. UN Doc. S/RES/1270 (1999), Rn. 14.

  6. United Nations, Report of the Panel on United Nations Peace Operations, 21.8.2000, UN Doc. A/55/305-S/2000/809, Rn. 49. Hier und im Folgenden Übersetzung der Autoren.

  7. Siehe Peter Rudolf in dieser Ausgabe sowie Tobias Debiel et al., Vom "neuen Interventionismus" zur R2P. Die Entwicklung einer Menschenrechtsschutznorm im Rahmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: Die Friedens-Warte, 84 (2009) 1, S. 53–88; Siddharth Mallavarapu, Schutzverantwortung als neues Machtinstrument?, in: APuZ, (2013) 37, S. 3f.

  8. Vgl. UN Secretary-General, Report of the Secretary-General on the Protection of Civilians in Armed Conflict, 29.5.2009, UN Doc. S/2009/277, Rn. 4; Victoria Holt/Glyn Taylor, Protecting Civilians in the Context of UN Peacekeeping Operations. Successes, Setbacks and Remaining Challenges, New York 2009, S. 5–9.

  9. David Blair, UN Commander Says Hands Are Tied in Congo, 17.11.2008, Externer Link: http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/africaandindianocean/congo/3472724/UN-commander-says-hands-are-tied-in-Congo.html (15.2.2016).

  10. Vgl. UN Department of Peacekeeping Operations/UN Department of Field Support, Operational Concept on the Protection of Civilians in United Nations Peacekeeping Operations, New York 2010, S. 1.

  11. Ebd.

  12. UN Department of Peacekeeping Operations/UN Department of Field Support, United Nations Peacekeeping Operations. Principles and Guidelines, New York 2008.

  13. Vgl. United Nations, Evaluation of the Implementation and Results of Protection of Civilians Mandates in United Nations Peacekeeping Operations. Report of the Office of Internal Oversight Services, 7.3.2014, UN Doc. A/68/787, Rn. 33.

  14. Vgl. Marc Lacey, U.N. Forces Using Tougher Tactics to Secure Peace, 23.5.2005, Externer Link: http://www.nytimes.com/2005/05/23/world/africa/un-forces-using-tougher-tactics-to-secure-peace.html (15.2.2016).

  15. Vgl. Human Rights Watch, Killings in Kiwanja. The UN’s Inability to Protect Civilians, 11.12.2008, Externer Link: http://www.hrw.org/report/2008/12/11/killings-kiwanja/uns-inability-protect-civilians (15.2.2016); Alan Doss, In the Footsteps of Dr Bunche: The Congo, UN Peacekeeping and the Use of Force, in: Journal of Strategic Studies, 37 (2014) 5, S. 703–735, hier: S. 721f.

  16. UN Doc. S/RES/2098.

  17. Vgl. Touko Piiparinen, Beyond the Technological Turn: Reconsidering the Significance of the Intervention Brigade and Peacekeeping Drones for UN Conflict Management, in: Global Governance, 21 (2015) 1, S. 141–160.

  18. Vgl. United Nations Secretary-General, Children and Armed Conflict. Report of the Secretary-General, 5.6.2015, UN Doc. A/69/926–S/2015/409.

  19. Vgl. hier und im Folgenden United Nations (Anm. 13).

  20. Vgl. UN Department of Peacekeeping Operations/UN Department of Field Support, Civil Affairs Handbook, New York 2012.

  21. Beobachtung der Autoren bei einem runden Tisch zur Umsetzung einer lokalen Friedensvereinbarung in Cuibet Town, Südsudan, 5.6.2015.

  22. Vgl. United Nations, A Comprehensive Strategy to Eliminate Future Sexual Exploitation and Abuse in United Nations Peacekeeping Operations, 24.3.2005, UN Doc. A/59/710.

  23. Jenna Stern, Reducing Sexual Exploitation and Abuse in UN Peacekeeking. Ten Years after the Zeid Report, Washington, D.C. 2015, S. 10.

  24. Vgl. UN Conduct and Discipline Unit, Allegations for All Categories of Personnel Per Year (Sexual Exploitation and Abuse), 2016, Externer Link: https://cdu.unlb.org/Statistics/AllegationsbyCategoryofPersonnelSexualExploitationandAbuse/AllegationsforAllCategoriesofPersonnelPerYearSexualExploitationandAbuse.aspx (15.2.2016).

  25. Marie Deschamps/Hassan B. Jallow/Yasmin Sooka, Taking Action on Sexual Exploitation and Abuse by Peacekeepers. Report of an Independent Review on Sexual Exploitation and Abuse by International Peacekeeping Forces in the Central African Republic, 17.12.2015, Externer Link: http://www.un.org/News/dh/infocus/centafricrepub/Independent-Review-Report.pdf (15.2.2016).

  26. A. Doss (Anm. 15), S. 729.

  27. Vgl. United Nations, Report of the High-level Independent Panel on Peace Operations on Uniting Our Strengths for Peace: Politics, Partnership and People, 17.6.2015, UN Doc. A/70/95–S/2015/446, Rn. 90.

  28. James Traub, Can Attack Helicopters Save U.N. Peacekeeping?, 28.9.2015, Externer Link: http://peaceoperationsreview.org/thematic-essays/can-attack-helicopters-save-u-n-peacekeeping (15.2.2016).

  29. Vgl. Thorsten Benner/Philipp Rotmann, Heillos überfordert: UN-Friedenseinsätze und der Schutz von Zivilisten in Konfliktzonen, in: Vereinte Nationen, (2009) 4, S. 147–152, hier: S. 150.

  30. Vgl. Robyn Dixon, U.S. under Pressure over Rwanda Involvement in Congo Fighting, 20.12.2012, Externer Link: http://articles.latimes.com/2012/dec/20/world/la-fg-congo-rwanda-20121221 (15.2.2016).

  31. Vgl. David Smith, US Blocks Military Aid to Rwanda over Alleged Backing of M23 Child Soldiers, 4.10.2013, Externer Link: http://www.theguardian.com/global-development/2013/oct/04/us-military-aid-rwanda-m23-child-soldiers (15.2.2016).

  32. Vgl. Gerrit Kurtz, With Courage and Coherence. The Human Rights up Front Initiative of the United Nations, Berlin 2015.

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MA, geb. 1985; Doktorand am King’s College London, Strand, WC2R 2LS London/Vereinigtes Königreich. E-Mail Link: gerrit.kurtz@kcl.ac.uk

MPA, MA, geb. 1980; Stellvertretender Direktor des Global Public Policy Institute, Reinhardtstraße 7, 10117 Berlin. protmann@gppi.net