Unter der Flagge der Vereinten Nationen versuchen derzeit weltweit mehr als 125000 zivile Experten, Polizisten und Soldaten in 16 Einsätzen, schwierigen Friedensprozessen eine Chance zum Erfolg zu geben.
Schwieriger Lernprozess
Als Folge der zunehmenden internationalen Aufmerksamkeit für innerstaatliche Konflikte seit den 1990er Jahren wurden die Aufgaben von UN-Friedenseinsätzen um ein Vielfaches erweitert. Aus Hunderten von Militärbeobachtern mit den charakteristischen blauen Helmen, wie sie während des Kalten Krieges üblich waren, wurden komplizierte Organisationen mit Tausenden politischen Experten, Polizeibeamten und Soldaten. Ihre Aufgaben reichen heute von der politischen Analyse und der Überwachung von Waffenstillständen über die Unterstützung beim Institutionenaufbau und den Schutz von Menschenrechten bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten.
Das doppelte Versagen der Vereinten Nationen und der nationalen Regierungen während der Völkermorde in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995 stürzte das UN-Friedenssicherungssystem in eine Glaubwürdigkeitskrise. Diese konnte die Weltorganisation erst zum Ende des Jahrzehnts überwinden, unter anderem durch eine Selbstverpflichtung zum besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten.
Die Lehre aus dem Versagen früherer Missionen beim Schutz von Zivilisten dürfe nicht sein, dieses Ziel aufzugeben, argumentierte im folgenden Jahr eine Expertenkommission unter Leitung des algerischen Diplomaten Lakhdar Brahimi. Vielmehr müssten Missionen ausreichend ausgestattet werden und die Einsatzregeln derart angepasst werden, dass sie "Gegenschläge erlauben, die ausreichen, Quellen tödlicher Gewalt verstummen zu lassen, die gegen UN-Truppen oder gegen die Menschen gerichtet ist, welche diese beauftragt sind zu schützen."
Diesem hohen Anspruch des sogenannten Brahimi-Berichts konnten die Missionen der 2000er Jahre kaum gerecht werden. Der UN-Sicherheitsrat und die Staaten der Welt setzten sich hohe normative Ziele bis hin zum Prinzip einer "Schutzverantwortung",
Statt diese politisch sensiblen Kernfragen zu klären, beschränkte sich die konzeptionelle Arbeit des UN-Sekretariats in den folgenden Jahren darauf, vor allem die vielfältigen zivilen Ressourcen der Missionen für den Schutz von Zivilisten nutzbar zu machen.
Schutz durch militärische Gewalt
Friedensmissionen wie in der Demokratischen Republik Kongo oder im sudanesischen Darfur operieren inmitten bewaffneter Gruppen, die in wechselnden Allianzen die Zivilbevölkerung terrorisieren, nicht selten mit Unterstützung von Einheiten der Regierungsarmee oder von Nachbarstaaten. Zivilisten in Krisengebieten wirksam zu schützen, ist in solchen Kontexten meist nicht gewaltfrei möglich, doch auch der Einsatz militärischer Gewalt hatte bislang meist nur begrenzt Erfolg.
Die Kontroverse um das Ausmaß militärischer Gewaltanwendung rührt an die traditionellen und weiterhin gültigen Kernprinzipien der UN-Friedenssicherung: Zustimmung der örtlichen Parteien, Unparteilichkeit und Gewaltanwendung ausschließlich zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung des Mandats.
Welche Balance die einzelnen Friedenseinsätze dabei finden, hängt entscheidend von den Einsatzregeln der einzelnen truppenstellenden Regierungen, von den Befehlshabern der einzelnen Kontingente und dem Spitzenpersonal der Missionen ab.
Gleichzeitig gab es immer wieder Fälle wie das Massaker in der ostkongolesischen Stadt Kiwanja im November 2008. Damals starben geschätzt 150 Menschen, die meisten von ihnen getötet von Rebellen des Congrès national pour la défense du peuple (CNDP), eine der größten bewaffneten Gruppen im Land. Ein UN-Feldlager mit 120 Mann war weniger als einen Kilometer entfernt, griff jedoch nicht ein, weil die Blauhelme nur wenige gepanzerte Fahrzeuge besaßen und ihre Kapazitäten auf den Schutz humanitärer Helferinnen und Helfer sowie von Binnenvertriebenen, die vor das Tor der Basis geflüchtet waren, konzentrierten.
Die FIB wird seitdem als neues Modell offensiver Friedenssicherung gehandelt.
Weiterhin können massive militärische Offensiven mit Artillerie und Kampfhubschraubern, wie sie die FIB 2013 gegen die M23 unternahm, nur dann wirken, wenn die Rebellengruppen sich auf konventionelle Kriegführung einlassen. Dies war bei M23 der Fall, einer Gruppierung von desertierten kongolesischen Soldaten. Viele andere Rebellengruppen im Kongo und in anderen Einsatzgebieten der UN operieren dagegen im Untergrund, verüben einzelne Anschläge auf militärische Einheiten oder Massaker an Dorfbewohnern und ziehen sich dann wieder zurück.
Trotz der jüngeren Bereitschaft, äußerst robuste Missionen zu mandatieren und offensive Operationen gegen bewaffnete Gruppen zu führen, bleibt die Anwendung militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten selbst in Fällen höchster Bedrohung selten, wie eine UN-eigene Untersuchung 2014 feststellte:
Politische Analyse, Konfliktbearbeitung, Menschenrechtsarbeit
Die Kontroverse um die Rolle militärischer Gewalt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zivile Instrumente wie Frühwarnung, zivile Konfliktbearbeitung oder Menschenrechtsarbeit ebenso entscheidend sind, um den wirksamen Schutz von Zivilisten möglich zu machen.
Weder präventiv-deeskalierende politische Interventionen noch militärische Operationen können wirken, wenn die notwendigen Informationen über Konfliktdynamiken fehlen. Wo sind bewaffnete Gruppen aktiv, wer unterstützt sie und warum, woher beziehen sie Waffen und Vorräte? Länder wie die Demokratische Republik Kongo, der Südsudan oder Mali sind riesig und verfügen nur über eine minimale Infrastruktur. Das macht es selbst einer scheinbar umfangreichen Mission unmöglich, alle bedrohten Siedlungen wirksam zu schützen. Den militärischen Anteilen der Friedenseinsätze fehlt es zudem häufig an sprachlichem und landeskundlichem Grundwissen, um sich hinreichend mit der lokalen Bevölkerung verständigen zu können.
MONUSCO war auch in diesem Bereich Vorreiter. Die Mission verfügt über mehr als zweihundert Community Liaison Assistants: Kongolesinnen und Kongolesen, die zusammen mit den militärischen Einheiten der Mission oder in einem nahegelegenen Dorf stationiert sind und die Verbindung zur lokalen Gemeinschaft herstellen. Telefonisch und durch persönliche Besuche stehen sie ständig in Kontakt mit der Bevölkerung, die sie über aktuelle Risiken und Konfliktdynamiken informiert. Außerdem setzte MONUSCO als erste Friedensmission Drohnen zur taktischen Aufklärung entlegener Gebiete ein.
Die gewonnenen Informationen über lokale Konfliktdynamiken können die UN-Missionen nutzen, um lokale Prozesse zur zivilen Konfliktbearbeitung zu unterstützen. Sie veranstalten runde Tische mit Mitgliedern lokaler Gemeinschaften, bieten logistische Hilfe an, um Schlüsselfiguren zu Gesprächen und Dialogen zu bringen und veranstalten Workshops mit lokalen Eliten, um diese für zivile Methoden der Konfliktbeilegung zu sensibilisieren.
Alle größeren multi-dimensionalen Friedensoperationen verfügen über eigene Menschenrechtsabteilungen. Diese tragen zur Aufarbeitung von und Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen bei, helfen Opfern, zu ihrem Recht zu kommen und drängen die jeweiligen Behörden, Verletzungen zu ahnden und gesetzliche Verbesserungen umzusetzen. Der Einsatz für rechtsstaatliche Verfahren für Kriminelle und Mörder stößt manchmal auch auf lokalen Widerstand. Im südsudanesischen Cuibet zum Beispiel fehlen ausreichend ausgebildete Richter, die Kapitalverbrechen verhandeln dürfen, sodass Prozesse sich mitunter monatelang verzögern. Doch in dieser Zeit bauen sich weitere Spannungen auf. "Verzögerte Prozesse sind Anlass für Racheakte. Die Angehörigen eines Mordopfers könnten das Recht selbst in die Hand nehmen", warnte eine Vertreterin einer Frauengruppe.
Schutz vor den Beschützern
Die Glaubwürdigkeit der blauen Fahne der Vereinten Nationen leidet jedoch nicht nur unter Untätigkeit im Angesicht der Gewalt. Viel zu häufig sind es Blauhelme, die Zivilistinnen und Zivilisten sexuell nötigen oder vergewaltigen. Der Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung durch Friedenstruppen ist seit über zehn Jahren ein Kernelement der Reformbemühungen zweier UN-Generalsekretäre.
Entscheidende Fortschritte sind ausgeblieben, denn das Grundproblem besteht fort: Die truppenstellenden Nationen behalten die disziplinarrechtliche Aufsicht über die von ihnen den Vereinten Nationen unterstellten Einheiten, die Truppen genießen Immunität im Einsatzland, und nur in seltenen Fällen kommt es zu Ermittlungen durch die Behörden des Entsendestaates. Selbst wenn es zu Verurteilungen kommt, erfahren die Opfer in der Regel nichts davon, sodass es für sie keine Gerechtigkeit gibt. "Viele truppenstellende Staaten sind zurückhaltend, das Fehlverhalten ihrer Friedenssoldaten zuzugeben, insbesondere wenn solches Fehlverhalten auf unzureichende Ausbildung zurückgeführt werden kann, und würden Vorwürfe lieber unter den Teppich kehren."
Dass es auch zehn Jahre nach Kofi Annans Reformen noch erheblichen Veränderungsbedarf innerhalb des UN-Sekretariats selbst gibt, zeigten Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, die im April 2015 bekannt wurden. Demnach hatten französische Soldaten der UN-mandatierten "Operation Sangaris", die selbst jedoch keine Blauhelmmission unter Befehl des UN-Generalsekretärs ist, von Kindern in der Zentralafrikanischen Republik mit Lebensmitteln Sex erkauft. Wie mittlerweile eine von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eingesetzte unabhängige Untersuchung bestätigte, war die Reaktion der UN-Mission und des Sekretariats hochproblematisch: "Informationen über die Vorwürfe wurden von Schreibtisch zu Schreibtisch, von Eingangsfach zu Eingangsfach, zwischen mehreren UN-Büros verschoben, ohne dass jemand willens gewesen wäre, Verantwortung zu übernehmen, die ernsten Menschenrechtsverletzungen anzupacken."
Umfassende politische Strategien
"Ein Einsatz militärischer Gewalt muss in einer politischen Strategie verankert sein, die bewaffnete Gewalt zu beenden," so Alan Doss, Leiter der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo von 2007 bis 2010.
Um Zivilisten in Kriegs- und Krisengebieten zumindest vor Massakern und systematischer Verfolgung zu schützen, müssten alle Akteure an einem Strang ziehen: die politische Führung der Mission vor Ort, der UN-Sicherheitsrat und seine entscheidenden Mitglieder, das heißt vor allem die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China, die Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze in New York und der UN-Generalsekretär, die UN-Sonderorganisationen, Fonds und Programme sowie die relevanten Mitgliedstaaten, insbesondere auch in ihren bilateralen Beziehungen gegenüber den Konfliktparteien.
Innerhalb des UN-Systems gibt es ebenfalls ernsthafte Bemühungen, das Thema Menschenrechtsschutz in der gesamten UN-Arbeit besser zu verankern. Die 2013 von Ban Ki-moon ins Leben gerufene Initiative "Human Rights up Front" trägt zu einem allmählichen Wandel der Organisationskultur bei, die bislang von bürokratischen Silostrukturen und Kompetenzgerangel zwischen den humanitären, sicherheitspolitischen und Entwicklungsarmen der Vereinten Nationen gekennzeichnet ist. So legen die Vereinten Nationen mehr Wert auf Koordination insbesondere im Bereich der Frühwarnung und Krisenreaktion, indem relevante UN-Akteure sowohl vor Ort als auch im Hauptquartier in New York regelmäßig aktuelle Risiken diskutieren und dabei von den unterschiedlichen Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen profitieren.
Abseits aller Reformbemühungen verlangen die bisherigen Erfahrungen von UN-Friedensmissionen mit dem Schutz von Zivilbevölkerungen nach einem transparenteren Erwartungsmanagement, einer klaren Kommunikation gegenüber allen beteiligten Akteuren und einer gebotenen Bescheidenheit gegenüber den Fähigkeiten der internationalen Staatengemeinschaft. Auch in äußerst fragilen Staaten sind große Friedensmissionen kein Allheilmittel: Die Anwesenheit Tausender häufig kulturell fremder Soldatinnen und Soldaten sowie gut bezahlter ziviler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzerrt die lokale Wirtschaft und kann im schlimmsten Fall sogar weitere Verbrechen nach sich ziehen. Die wichtigsten Akteure bei der Verhinderung von Gewalt gegen Zivilisten bleiben die Institutionen des betroffenen Staates. Aus deren Verantwortung kann sie keine noch so robust ausgestattete und politisch flankierte Friedensmission entlassen.