Arbeitsmarktchancen in Deutschland sind ungleich verteilt. Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer
Woran liegt das? Werden diese Gruppen trotz des vor zehn Jahren eingeführten gesetzlichen Gebots zur Gleichbehandlung im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) – umgangssprachlich unter dem Namen "Antidiskriminierungsgesetz" bekannt – diskriminiert, oder gibt es andere Ursachen für diese Ungleichheiten und Benachteiligungen?
Diskriminierung oder gerechtfertigte Ungleichheiten?
Diskriminierung wird gemeinhin als eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen definiert. Ob jemand eingestellt wird, wer in eine Führungsposition gelangt und wie gut oder schlecht jemand bezahlt wird, sollte lediglich eine Konsequenz der individuellen Qualifikationen, Fähigkeiten und Anstrengungen sein und nicht von Eigenschaften abhängen, die irrelevant für den unternehmerischen Erfolg sind – wie Geschlecht oder Hautfarbe. Geschieht dies dennoch, so liegt ein Fall von Diskriminierung vor, gegen den im Rahmen des AGG rechtlich vorgegangen werden kann.
Jedoch ist der Nachweis darüber, ob es sich um eine Diskriminierung oder eine berechtigte Ungleichbehandlung handelt, nicht leicht zu erbringen. Selbst im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten ist Diskriminierung schwer nachzuweisen. Denn mit Ausnahme experimenteller Studien können Forscherinnen und Forscher auch nach statistischer Kontrolle relevanter Merkmale nur vermuten, dass Arbeitsmarktnachteile bestimmter demografischer Gruppen auf ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zurückzuführen sind. Ein Beweis ist jedoch kaum zu führen, da Eigenschaften wie Motivation, Engagement oder bestimmte kognitive und soziale Kompetenzen schwer beziehungsweise nicht erfassbar sind.
Fest steht, dass zumindest ein Teil der eingangs beschriebenen Arbeitsmarktungleichheiten auf Produktivitätsunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen – insbesondere Unterschiede in Qualifikation, Berufserfahrung und Berufswahl – zurückzuführen ist.
Warum sollte Diskriminierung verhindert werden?
Diskriminierung "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" muss laut Paragraf 1 AGG verhindert und beseitigt werden. Mit der Einführung des Gesetzes wurde der Schutzauftrag aus Artikel 3 Grundgesetz auf die Privatwirtschaft ausgeweitet. Seither gilt, dass alle Arbeitssuchenden, Auszubildenden und Beschäftigten aufgrund der im Gesetz aufgeführten Merkmale weder unmittelbar noch mittelbar durch scheinbar neutrale Vorgaben benachteiligt werden dürfen.
Diskriminierung zu bekämpfen und zu reduzieren ist aber nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit und Konsequenz rechtlicher Vorgaben, sondern empfiehlt sich auch aus ökonomischen Gründen. So geht etwa der Ökonom Milton Friedman davon aus, dass Unternehmen, die nicht diskriminieren, wirtschaftlich im Vorteil sind.
Nicht zuletzt gehen ungerechtfertigte Benachteiligungen für die Betroffenen sowohl mit ökonomischen Nachteilen als auch psychischen Belastungen einher.
Warum kommt es zu Diskriminierung?
Um zu verstehen, warum es trotz gesetzlicher Vorgaben, moralischer Gründe und wirtschaftlicher Überlegungen dennoch zu Diskriminierung kommen kann, ist es zunächst wichtig, deren Ursachen zu kennen. Sowohl die Ökonomie, die Soziologie als auch die Sozialpsychologie haben sich umfassend mit dem Thema Diskriminierung befasst und versucht, diese aus dem jeweiligen disziplinären Blickwinkel zu erklären. Basierend auf diesen Erkenntnissen lassen sich fünf, sich zum Teil überschneidende und nicht immer trennscharfe, mögliche Erklärungen für Diskriminierung identifizieren.
Diskriminierungsneigung.
Die wohl älteste Erklärung dafür, warum manche Personengruppen unberechtigterweise Nachteile auf dem Arbeitsmarkt erfahren, ist Gary Beckers taste for discrimination:
Statistische Diskriminierung.
Eine weitere Erklärung ist das Konzept der statistischen Diskriminierung.
Statusbasierte Diskriminierung.
Da aber auch Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wenig Wissen über Mittelwerte und Varianzen bezüglich der Produktivität bestimmter demografischer Gruppen haben und diese Daten in der Regel nicht vorliegen, können sie beispielsweise nicht sicher wissen, ob Menschen mit Migrationshintergrund bei gleicher formaler Qualifikation im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund produktiver, zuverlässiger oder engagierter sind. Aus diesem Grund werden Entscheidungen oftmals nicht auf der Basis von Statistiken, sondern Statusmerkmalen getroffen.
Normative Diskriminierung.
Mitunter sind es auch normative Gründe, weswegen eine Person nicht oder nur befristet eingestellt oder befördert wird beziehungsweise ein höheres oder niedrigeres Gehalt erhält als jemand mit vergleichbaren Kompetenzen. Weitverbreitete Rollenvorstellungen und normative Erwartungen darüber, wie sich bestimmte Personengruppen zu verhalten haben, können ebenfalls zu Diskriminierung führen.
Institutionalisierte Diskriminierung.
Neben individuellen Präferenzen, statistischen Mittelwerts- und Verteilungserwartungen sowie weitverbreiteten Stereotypen und Normen können aber auch institutionalisierte Praktiken und Organisationsformen Auslöser für Diskriminierung sein. Typische Ausprägungen einer solchen Diskriminierung sind beispielsweise die ungleichen Möglichkeiten, die Kinder und Jugendliche im (deutschen) Bildungssystem haben, oder die ungleiche Bezahlung zwischen "typischen" Männer- und Frauenberufen.
Was kann getan werden?
Neben der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung darüber, wann Diskriminierung anfängt, welche Ungleichheiten möglicherweise gerechtfertigt sind und was die Ursachen für Diskriminierung sind, herrscht bislang auch keine Einigkeit über die Frage, wie Diskriminierung effektiv bekämpft werden kann. Prinzipiell lassen sich die existierenden Maßnahmen drei, nicht immer kompatiblen Strategien zuordnen. Erstens gibt es Maßnahmen, die darauf abzielen, Gleichbehandlung zuzusichern; zweitens gibt es Versuche, bestehende Ungleichheiten auszugleichen; und drittens wird daran gearbeitet, von vornherein gleiche Chancen herzustellen.
Gleiche Behandlung zusichern.
Weil unterschiedliche Personengruppen selbst bei gleichem Qualifikationsniveau und gleicher Berufserfahrung nicht dieselben Arbeitsmarktchancen haben, ist die Durchsetzung des Grundsatzes, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, ein wichtiger Schritt, um Diskriminierung zu verringern beziehungsweise gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist mitunter jedoch nicht so leicht, weil Diskriminierung oftmals unbewusst geschieht.
Um mögliche Befangenheiten, Stereotype und Vorurteile und die daraus resultierende ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von (potenziellen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermeiden und zu reduzieren, greifen Unternehmen und öffentliche Organisationen auf unterschiedliche Maßnahmen und Strategien zurück. Dazu gehören unter anderem Antidiskriminierungstrainings, die Einführung kompetenz- und leistungsbasierter Entlohnungsschemata oder auch die Förderung von Transparenz und explizite Rechenschaftsverpflichtungen von Führungspersonen in Bezug auf Einstellungen und Leistungsbeurteilungen. Die Idee hinter solchen Initiativen ist simpel: Wenn Führungskräfte und Beschäftigte für das Thema "Diversity" sensibilisiert sind, wenn allen Beschäftigten klar ist, welche Qualifikationen, Aufgaben und Leistungen wie entlohnt werden und wenn Vorgesetzte für Beurteilungen und Eingruppierungen zur Rechenschaft gezogen werden, dann sind nicht nur die Diskriminierungsmöglichkeiten minimiert, sondern ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen auch sichtbarer, und es kann schneller gegen sie vorgegangen werden.
Die Umsetzung solcher Prinzipien erweist sich jedoch als schwierig und nicht immer zielführend. Antidiskriminierungs- und Mentorenprogramme haben vergleichsweise schwache Effekte auf die demografische Zusammensetzung in Unternehmen,
Die größte Bedeutung kommt der Umsetzung solcher expliziter Gleichbehandlungsgrundsätze im Einstellungsprozess zu: Mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist die erste Hürde auf dem Arbeitsmarkt überwunden und damit auch die Instanz, in der Diskriminierungstendenzen am stärksten ausgeprägt sind.
Allerdings sind sie kein Allheilmittel. Eine Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern anhand "objektiver" Kriterien hat zur Folge, dass für Menschen mit Schwerbehinderung oder andere Minderheiten in Bewerbungsverfahren keine bevorzugte Behandlung zum Nachteilsausgleich gewährt werden kann, und anonymisierte Verfahren Bewerberinnen und Bewerbern ethnischer Minderheiten sogar eher schaden als nützen können.
Ungleichheiten ausgleichen.
Zur Herstellung von Fairness und Gerechtigkeit ist es ferner notwendig, existierende Nachteile aufgrund von Sprachbarrieren, Behinderungen oder anderer Formen ungleicher Startchancen auszugleichen. Der englische Begriff affirmative action fasst unterschiedliche Ausprägungen solcher auf Gleichstellung und nicht nur Gleichbehandlung ausgerichtete Maßnahmen zusammen.
Gleiches gilt für Quotenregelungen, also die rechtlich oder organisatorisch vorgegebenen Verteilungsgrößen bezüglich der Vergabe von Ämtern und Positionen, die in unterschiedlichen Ausgestaltungsformen zu mehr Gleichstellung führen sollen. Gesetzlich sind solche, bisweilen sehr kontrovers diskutierten "harten" Quoten in Deutschland zur Gleichstellung von Schwerbehinderten und Frauen in höheren Führungspositionen etabliert. Sowohl öffentliche als auch private Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten sind in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, auf wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze Menschen mit Schwerbehinderung zu beschäftigen. Bei Nichterfüllung dieser Vorgabe müssen die betreffenden Unternehmen nach Paragraf 77 des Sozialgesetzbuches IX eine Ausgleichsabgabe leisten.
Seit 1. Januar 2016 sind zudem große Unternehmen dazu verpflichtet, den Frauenanteil in Führungsetagen zu erhöhen (Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen). Die rund 100 börsennotierten Unternehmen in Deutschland, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, müssen 30 Prozent der frei werdenden Aufsichtsratsposten durch Frauen besetzen. Rund 3500 weitere Unternehmen müssen durch Selbstverpflichtungen den Frauenanteil in Aufsichtsräten, Vorständen und den obersten Managementebenen erhöhen. Auch der öffentliche Dienst unterliegt diesen Vorgaben: Auch hier muss der Frauenanteil in Aufsichtsgremien sukzessive bis 2018 auf 50 Prozent erhöht werden.
Bestehende Ungleichheiten können jedoch nicht nur durch gesetzliche Vorgaben zur relativen Besserstellung beseitigt werden. Auch die Förderung benachteiligter Gruppen durch Mentorenprogramme und die zusätzliche Förderung von Kompetenzen und Qualifikationen können dazu beitragen, Gleichheit herzustellen.
Ungleichheiten nicht entstehen lassen.
Den dritten und wohl wichtigsten Weg zur Herstellung einer gerechteren Arbeitswelt bilden die Maßnahmen, die darauf abzielen, Ungleichheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Der wichtigste Ansatzpunkt hierfür ist das Bildungssystem. In Deutschland hängt der schulische Erfolg – und damit auch die späteren Arbeitsmarktchancen – stark von der ethnischen und sozio-ökonomischen Herkunft ab. Bildungsexpertinnen und -experten machen in erster Linie die hohe und früh greifende Selektivität sowie die geringe Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems für dieses Missverhältnis und dessen folgenschwere Konsequenzen verantwortlich.
Gezielte und frühe Unterstützung für Kinder aus bildungsfernen Familien ist deshalb eine zentrale Forderung, um Ungleichheiten und Benachteiligung von vornherein zu vermeiden. Außerdem sind der Ausbau von Ganztags- und Gesamtschulen, mehr Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und Hochschulen sowie insgesamt höhere öffentliche Investitionen in Bildung, insbesondere im frühkindlichen Bereich, Möglichkeiten, Ungleichheiten und Benachteiligungen möglichst von Anfang an zu minimieren.
Darüber hinaus besteht Handlungsbedarf bei der Bewertung und monetären Entlohnung gleichwertiger Arbeiten.
Fazit
Arbeitsmarktchancen in Deutschland sind ungleich verteilt. Die Wahrscheinlichkeit, einen Job zu finden, in eine Führungsposition aufzusteigen und viel Geld zu verdienen, variiert stark zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Obwohl nicht alle Arbeitsmarktungleichheiten auf Diskriminierung zurückzuführen sind (und eine solche oftmals auch nur schwer nachzuweisen ist), hat sich das AGG zum Ziel gesetzt, mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.
Die Ursachen für Diskriminierung sind vielseitig und reichen von individueller Abneigung, weitverbreiteten und mitunter auch unterbewussten Stereotypen bis hin zu institutionalisierten Ungleichbehandlungen bestimmter demografischer Gruppen im Bildungs- und Lohnsetzungssystem. Aus diesem Grund gibt es auch nicht die eine Strategie, Arbeitsmärkte gerechter und ökonomisch effizienter zu machen, sondern es bedarf einer Reihe paralleler Aktivitäten und Anstrengungen.
Neben Antidiskriminierungsrecht und staatlichem Handeln ist auch jede und jeder Einzelne von uns gefragt. Wir sollten einen sensiblen Sprachgebrauch pflegen, offen sein für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten von Minderheiten am Arbeitsplatz und uns immer wieder bewusst machen und darauf hinweisen, dass Diskriminierung auch unbewusst geschieht und trotz aller Fortschritte der vergangenen Jahre weiterhin ein Thema ist. Das gilt auch für die Gruppen, die bislang nicht durch das AGG geschützt werden.
Ich bedanke mich bei Jutta Allmendinger, Janine Bernhardt, Ellen von den Driesch, Friederike Molitor, Lydia-Maria Ouart, Michael Wrase und Nora Schneck für ihre wertvollen Anmerkungen. Alle verbleibenden Fehler und Irrtümer sind allein mir anzulasten.