Auch in Zeiten einer massiven verbalen und politischen Konfrontation bin ich als Journalistin verpflichtet, mich neutral zu verhalten, auf Fakten zu beschränken, Formulierungen und Bilder sorgfältig zu wählen und alle Seiten ausgewogen zu betrachten. Meinungen gehören in Kommentare. Aber als indodeutsche Journalistin ist das nicht so einfach: Ich bin eine von "denen". Diese Einwandererhorden, die Europa überschwemmen – ich gehöre dazu. Diese fremden Kulturen, die das Hiesige plattmachen – das sind meine. Diese unkontrollierten Parallelgesellschaften, die sich in deutschen Städten breitmachen – da wohne ich. Wo also kann ich mich positionieren? Wer positioniert mich, auch ohne dass ich eine Wahl treffe, und mit welchen Mechanismen?
Früher war mehr Bullerbü
"Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" – Joachim Meyerhoff
Umbrüche in der Gesellschaft und politische Krisen verunsichern die Menschen; das ist normal. Es ist eine typische Reaktion, sich an dem festzuhalten, was scheinbar unverrückbar stabil ist, zum Beispiel an seiner eigenen Identität –"Deutschsein" –, oder an den Annahmen darüber, wie die deutsche Gesellschaft "eigentlich" ist. Dies gelingt am Einfachsten, wenn man sich von einem "Anderen" absetzt, sich also aus der Negation des Anderen eine positive Identität bastelt. Dann muss man sich nicht mehr mit den eigenen negativen Eigenschaften oder Widersprüchen in der Gesellschaft auseinandersetzen. Je schlechter das Bild ist, das man von "Anderen", zum Beispiel Einwanderern und Geflüchteten, zeichnet, umso besser steht man selbst und steht die eigene Gesellschaft da.
Dann kann man beispielsweise so tun, als habe es in Deutschland Kriminalität, Frauenfeindlichkeit und sexuelle Übergriffe niemals! auf keinen Fall! ganz und gar nicht! gegeben, bevor diese primitiven Machos das alles eingeschleppt haben. Oder politischer Extremismus: Das hat es hier noch niemals! nie und nimmer! in keiner Form! gegeben, den haben doch diese islamistischen Terroristen hier eingeführt. Eigentlich, so das emotionale Fazit, haben wir Deutschen alle in Bullerbü gewohnt, bevor diese Einwanderer und Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Und wenn wir die alle so schnell wie möglich rausschmeißen, dann wird alles wieder gut. Dann wachen wir am nächsten Morgen auf, die Sonne scheint und die Vögel zwitschern. Wir müssen die Haustür nicht abschließen, weil es keine deutschen Diebe gibt. Frauen können nachts allein auf dunklen Straßen spazieren gehen, weil es keine deutschen Vergewaltiger gibt. Und man kann die Gefängnisse dichtmachen, weil es keine deutschen Terroristen gibt.
Zu jeder ideologischen Debatte gehört ein Narrativ – eine Erzählung, die Deutung und Ordnung ermöglicht. Und das vorherrschende Narrativ in der europäischen Gegenwart lautet: In homogenen, also monokulturellen Gesellschaften, ist alles besser. Hier die "Einheimischen", dort die "Fremden". Hier die "Guten", dort die "Schlechten". "Wir" und "Die".
Ist die Stimmung in Gesellschaft und Politik aufgeheizt, können Medien deeskalierend wirken, indem Journalistinnen und Journalisten ausgewogen berichten, mit nüchternen, gut recherchierten Fakten argumentieren, alle Beteiligten zu Wort kommen lassen, ohne Stereotype in Wortwahl oder Bebilderung zu benutzen. Oder aber sie können die Hysterie befeuern, indem panikerzeugende Schlagworte – "Menschenflut", "Flüchtlingskrise", "Islamistenterror", "Ehrenmord", "Grenzchaos" – zusammengefügt werden, um eine Schlagzeile daraus zu basteln und den Eindruck zu erwecken, wir lebten hier, in Mitteleuropa, in einem Kriegs- und Katastrophengebiet.
Dass die Berichterstattung über Geflüchtete und über Einwanderung einen hysterischen Grundton bekommen hat, ist zweierlei geschuldet:
Erstens gibt es ein politisches Interesse seitens rechtspopulistischer und -extremer Parteien und Organisationen, das Thema zu emotionalisieren und aus der geschürten Angst politisches Kapital zu schlagen. Menschen sind infolgedessen tatsächlich verunsichert; das wiederum bestärkt die entsprechende Berichterstattung.
Zweitens ist die Berichterstattung zu diesen Themen handwerklich oft nicht sauber, das heißt, Journalistinnen und Journalisten recherchieren nicht sachgerecht, sondern lassen sich oft von Stereotypen und Vorurteilen leiten. Letzteres hat mit der mangelnden Auseinandersetzung mit Kontext und Hintergrund von Migration und Rassismus zu tun. Medienschaffende arbeiten beispielsweise mit der Unterscheidung zwischen "Wir" und "den Anderen", ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer hier eigentlich gemeint ist und welche Konsequenzen diese Aufteilung hat; sie schreiben von "Fremdenhass" oder "muslimischen Banden", ohne sich über die Implikationen im Klaren zu sein. Das ist unverantwortlich, erst recht in einer angespannten politischen Situation.
Wer ist "Wir"?
"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde" – Karl Valentin
Wer ist denn hier fremd? Im eigentlichen Sinne des Wortes nur die Menschen, die tatsächlich neu in Deutschland und Europa sind, die Geflüchteten und vor kurzem Eingewanderten. Als "Ausländer" und "Fremde" werden jedoch auch Menschen bezeichnet, die in Deutschland geboren wurden und einen deutschen Pass haben. Generationen von Migranten werden in der deutschen Gesellschaft ganz selbstverständlich als "ausländisch" betrachtet, nur weil ihre Familien eine Einwanderungsgeschichte haben: Sie haben einen falschen – also nicht-deutschen – Namen, sie sind eventuell – Gott bewahre! – Muslime, sie sind womöglich sogar schwarz. Dass diese Menschen sich längst als Neudeutsche oder Deutsche bezeichnen, weil sie in Deutschland geboren wurden, weil Deutsch ihre Muttersprache ist, weil sie Deutsche sind, das interessiert in der polarisierten Debatte nur wenige. Aber die Tatsache, dass selbst in den Medien eher mit Zuschreibungen gearbeitet wird als mit Selbstbezeichnungen, ist ein Zeichen für einen tief verankerten Rassismus in diesem Land.
"Ausländerfeindlichkeit" ist nicht dasselbe wie Rassismus, kein freundlicheres Wort, sondern es bezeichnet etwas anderes. Wenn blonde Norweger von blonden Deutschen beschimpft werden, einfach weil sie Ausländer – nämlich Norweger – sind, dann ist das Ausländerfeindlichkeit. Wenn türkischstämmige oder schwarze Deutsche von weißen Deutschen beschimpft werden, dann ist das Rassismus, denn sie sind Deutsche, denen aufgrund ihrer Hautfarbe oder sonstigen Aussehens das Deutschsein abgesprochen wird, sie somit diskriminiert werden, obwohl sie die Herkunft mit dem weißen deutschen Angreifer teilen. Wenn nun in der Presse steht, dass türkischstämmigen oder schwarzen Deutschen "Fremdenfeindlichkeit" oder "Ausländerfeindlichkeit" entgegenschlägt, dann werden diese Menschen erst zu Fremden gemacht, denn sie sind eigentlich einheimisch; ihr "Anderssein" wird durch diese Wortwahl zementiert, sie werden verbal ausgebürgert.
Genauso funktionieren Strategien von rechtspopulistischen und -extremen Parteien und Organisationen: Sie bezeichnen ethnische und religiöse Minderheiten in Deutschland per se als "fremd" und damit als nicht zugehörig. Wenn Medienschaffende diesen Sprachgebrauch unreflektiert übernehmen, dann spielen sie den Rassisten und Neonazis in die Hände. Es war zwar "nicht so gemeint", aber genauso funktioniert Rassismus – unterschwellig, unbewusst, aber nicht minder effektiv.
Undeutsche Hautfarben
"Das Problem sind die Ideen im System:/ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen." – Advanced Chemistry
Rassismus beginnt eben nicht erst beim Neonazi mit dem Baseballschläger; das ist schon das extreme Ende. Er beginnt zum Beispiel mit der Sprache. Wenn jemand eine "Farbige" genannt wird, weil sie "ja gar nicht so dunkel" sei, schwingt dabei mit, dass man ihr einen Gefallen damit tut, sie nicht als "schwarz" zu bezeichnen. Dabei ist jedoch impliziert, dass Schwarzsein schlecht sei – ganz unten auf der Hautfarbenskala, und "farbig" klinge ein bisschen besser. Weiße klassifiziert man ja auch nicht nach Abstufungen von hellrosa, dunkelrosa oder blassbeige, und die meisten weißen Deutschen würden sich zu Recht dagegen verwahren, wenn Schwarze ihnen sagen wollten, wie sie sich zu bezeichnen hätten. Sie hingegen fühlen sich berechtigt, jede ethnische Minderheit so zu bezeichnen, wie es ihnen passt.
Mehrheitsverhältnisse sind immer auch Machtverhältnisse – wer die Mehrheit hat, hat das Sagen, und damit auch die Deutungshoheit über Begriffe und Benennungen. Die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ist weiß, daher wird Weißsein als "Normalzustand" betrachtet. Wer schwarz ist, wessen Eltern eine Migrationsgeschichte haben, stellt die Ausnahme dar. Wenn allgemein übliche Benennungen – wie etwa die Bezeichnungen für Schwarze – rassistisch sind, werden durch den unreflektierten Gebrauch dieser Bezeichnungen eine rassistische Grundhaltung der Gesellschaft und die Dominanz der Mehrheit zementiert. Die Auseinandersetzung mit Rassismus wird in Deutschland zudem dadurch erschwert, dass Rassismus oft in der Zeit des Nationalsozialismus verortet wird – und damit als überwunden gilt. Es gibt jedoch viele Formen des Rassismus, und nur die extremen sind von physischer Gewalt geprägt.
Hadija Haruna und Jamie Schearer von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. erklären: "Menschen (können) rassistisch handeln oder sich einer rassistischen Sprache bedienen, obwohl Schwarze Menschen zu ihrem sozialen Umfeld gehören, sie Neonazis verabscheuen und die Verbrechen des Holocaust verurteilen. Eine derartige Argumentationsrichtung lässt sich oft in den Medien ablesen: So wird einerseits in Beiträgen der ostdeutsche Neonazi kritisiert (…), andererseits wird über ‚Farbige‘ geschrieben oder unverkrampft das N-Wort in die Titelzeile genommen. (…) Die auch in den Medien verbreitete Allergie gegen das so genannte ‚PC‘ (Political Correctness) reicht von ganz rechts bis ganz links. Das zeigt, wie diffus die Vorstellung davon ist. Dabei geht es um kommunikative Regeln. Sie sollten auf gegenseitigem Respekt beruhen und einen Weg aus dem verbalen Erbe einer von Rassismus geprägten deutschen Kolonialgeschichte weisen. Rassismus bedeutet in diesem Kontext, Unterschiede zu konstruieren, wo keine sind und Menschen in ‚besser‘ und ‚schlechter‘ einzuteilen, indem ihnen bestimmte, als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ bewertete Eigenschaften zugeschrieben werden."
Neue Begriffe für die Einwanderungsgesellschaft
"Der wichtigste Schritt: zugeben, dass man nicht unfehlbar ist." – der braune mob
Wir brauchen neue Begriffe für die Einwanderungsgesellschaft. Das ist keine Aktion einer "Sprachpolizei" und schon gar nicht Zensur, sondern dient dazu, die Tatsachen so darzustellen, wie sie sind, nicht wie man sie haben möchte oder wie sie vor 50 Jahren einmal waren. Das gilt nicht nur für die Selbstbezeichnung von Minderheiten, sondern auch für viele andere Begriffe – wie etwa die viel zitierte "Parallelgesellschaft". Damit wird eine integrationsunwillige Gruppe bezeichnet, die mit der Mehrheitsgesellschaft nichts zu tun haben will und nach eigenen Regeln in ihren eigenen Enklaven lebt. Im Kopf entsteht sofort das Bild von Straßen mit türkischen und arabischen Geschäften, Shisha-Cafés und Frauen mit Kopftuch. Tatsächlich bildet aber auch die Düsseldorfer Oberschicht eine Parallelgesellschaft: Alle Mitglieder wohnen in teuren Wohngebieten, schicken ihre Kinder zu denselben Schulen und lassen sie in denselben Kirchen konfirmieren; alle treffen sich in exklusiven Sportclubs, zu denen Normalsterbliche keinen Zutritt haben. Diese Leute haben keinerlei Absicht, sich mit niedrigeren Klassen in eine multikulturelle, vielfältige Gesellschaft zu integrieren. Sie wollen unter sich bleiben. Warum wird ihnen das nicht vorgeworfen, aber muslimischen, türkischstämmigen Deutschen sehr wohl? Wo also ist der Begriff "Parallelgesellschaft" zutreffend?
Wenn man sich bei Bezeichnungen unsicher ist, hilft es oft, wenn man sich überlegt, ob derselbe Satz oder dieselbe Bezeichnung auch noch verwendet würde, wenn man beispielsweise die Attribute "jüdisch" oder "christlich-deutsch" anstatt "muslimisch" oder "arabisch" nutzen würde: "Ein aggressiver Mob völlig enthemmter jüdischer Männer" oder "christlich-deutsche Diebesbanden".
In Zeiten eines hochkochenden rassistischen Diskurses ist es für den sozialen Frieden umso wichtiger, sorgsam mit Sprache und Begriffen umzugehen, um bestehende Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen nicht fortzuführen und zu zementieren. Das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher hilft dabei.