Vor zehn Jahren, im August 2006, trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Es verbietet Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität sowie rassistische Diskriminierungen. Das AGG ist das zentrale Regelungswerk zur Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland. Mit seinem Erlass waren Befürchtungen bezüglich gewachsener nationaler Rechtsstrukturen ebenso verbunden wie große Hoffnungen auf effektive Gleichheit und gesellschaftliche Teilhabe. Antidiskriminierungsrecht ist in Deutschland mittlerweile etabliert; den europäischen Standard erreicht es aber nicht.
Von der Entgeltgleichheit zum Diskriminierungsverbot
Als eine der ersten europäischen Antidiskriminierungsregelungen wurde 1957 der Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" für Frauen und Männer in Artikel 119 des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (heute Artikel 157 Vertrag über die Europäische Union) aufgenommen. Hintergrund war allerdings nicht, dass man sich um die Gleichberechtigung der Geschlechter verdient machen wollte. Frankreich setzte das Gebot der Entgeltgleichheit durch, weil es aufgrund einer entsprechenden nationalen Regelung Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen europäischen Staaten befürchtete.
Durch die Richtlinie 2004/113/EG wurde das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ausgedehnt, durch Richtlinie 2010/41/EU auf selbstständige Erwerbstätigkeit. Oft nicht als Antidiskriminierungsrecht eingeordnet, aber wesentlich für die Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Arbeitswelt sind die Richtlinie 2010/18/EU zur Elternzeit und die Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG, deren seit 2008 angestrebte Reform 2015 endgültig scheiterte.
Mit Artikel 13 des Vertrags von Amsterdam (heute Artikel 10 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) wurde 1999 ein allgemeines Diskriminierungsverbot in Bezug auf Geschlecht, rassistische Zuschreibungen, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung statuiert. Der Beginn eines europäischen Rechtsrucks durch die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) beschleunigte die Verabschiedung weiterer Regelungen.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Europäische Richtlinien gelten nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten, sondern müssen innerhalb festgelegter Fristen in nationales Recht umgesetzt werden. Verzögert der Staat die Umsetzung, können sich Bürger*innen
Erste Entwürfe für ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz gab es bereits in den 1990er Jahren von PDS, Bündnis 90/Die Grünen und SPD.
Die Bundesregierung betrachtet das AGG als abschließende Umsetzung europäischen Antidiskriminierungsrechts und sieht auch nach Erlass weiterer Richtlinien keinen Änderungsbedarf. Ebenso wurden die im Gesetzgebungsverfahren herbeigeführten Umsetzungsdefizite nie korrigiert. Wichtige Konzepte des europäischen Antidiskriminierungsrechts werden durch erhebliche europarechtswidrige Lücken im AGG konterkariert.
Was ist Diskriminierung?
Alle Antidiskriminierungsrichtlinien enthalten jeweils in Artikel 3 die gleichen Definitionen verbotener Diskriminierung: unmittelbare und mittelbare Diskriminierung, Anweisung zur Diskriminierung sowie (sexuelle) Belästigung. Diese Definitionen sind in Paragraf 3 AGG fast wortgleich übernommen. Zwar ist der Begriff "Diskriminierung" im AGG durchgängig durch "Benachteiligung" ersetzt, das Schutzniveau wird dadurch aber ausdrücklich nicht abgesenkt.
Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person direkt wegen eines der genannten Merkmale benachteiligt wird. Der Katalog der Merkmale ist nicht zufällig gewählt – auch wenn sich durchaus darüber streiten lässt, ob er hinreichend ist
Eine mittelbare Diskriminierung ist gegeben, wenn scheinbar neutrale Vorschriften oder Kriterien faktisch zur Benachteiligung wegen eines der Merkmale führen. Die europäische und deutsche Rechtsprechung beschäftigte sich zunächst mit der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten, die eine mittelbare Diskriminierung von Frauen darstellt. Andere Beispiele sind das Erfordernis deutscher Muttersprache oder einer bestimmten Körpergröße oder Beschäftigungsdauer, die Benachteiligung von Lebenspartnerschaften oder bei längerer Arbeitsunfähigkeit.
Es besteht ein Verbot der Anweisung zur Diskriminierung, das Vorgesetzte in die Pflicht nimmt und es Beschäftigten erlaubt, sich ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen einer solchen Anweisung zu widersetzen. Verbotene Belästigung liegt vor, wenn ein feindseliges Umfeld in Bezug auf eines oder mehrere der geschützten Merkmale geschaffen wird, beispielsweise durch ständige rassistische Bemerkungen, die "witzig" gemeint sein sollen. Eine spezifische Geschlechtsdiskriminierung stellt die sexuelle Belästigung durch unerwünschtes Verhalten sexueller Natur dar.
Positive Maßnahmen wie Quotenregelungen sind keine Diskriminierung. Die Antidiskriminierungsrichtlinien (und Paragraf 5 AGG) erklären diese Instrumente, die gewachsene Ungleichheiten beseitigen und tatsächliche Gleichstellung erreichen sollen, ausdrücklich für zulässig. Die in Deutschland umstrittenen sogenannten Frauenquoten, die bei gleicher Qualifikation eine Entscheidung für die weibliche Kandidatin ermöglichen, sind entgegen anderslautender Behauptungen weder europarechts- noch verfassungswidrig. Allerdings sind sie weitgehend wirkungslos – seit Jahren schon gibt es bei Einstellungsverfahren einfach keine "gleiche Qualifikation" mehr.
Nach anderthalb Jahrzehnten wirkungsloser Selbstverpflichtungen gilt seit 1. Januar 2016 eine Mindestgeschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte in Deutschland. Allerdings sind die Sanktionen moderat, nur 100 Unternehmen betroffen, und für Vorstände und Leitungsebenen sollen wieder Selbstverpflichtungen genügen.
Sanktionen und Rechtsdurchsetzung
Die Antidiskriminierungsrichtlinien verlangen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen. Betroffene können die Beseitigung einer Beeinträchtigung und deren künftige Unterlassung sowie Schadensersatz oder Entschädigung verlangen. Nur wenn in einem Bewerbungsverfahren die betreffende Person ohnehin nicht eingestellt worden wäre, darf die Höhe des Schadensersatzes generell begrenzt sein; nach dem AGG auf drei Monatsgehälter. In allen anderen Fällen muss die Entschädigung auch abschreckend sein.
Nach Paragraf 12 AGG müssen Arbeitgeber*innen selbst Diskriminierung unterlassen sowie die erforderlichen, auch vorbeugende, Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor Diskriminierung durch andere Beschäftigte oder Dritte treffen. Erfüllen Arbeitgeber*innen diese Pflichten nicht, drohen Schadensersatz oder Entschädigung nach Paragraf 15 AGG. Wird beim Zugang zu Gütern oder Dienstleistungen diskriminiert, besteht ein Anspruch auf Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz oder Entschädigung aus Paragraf 21 AGG. Bei einigen Gerichtsentscheidungen lässt sich durchaus diskutieren, ob die verhängten Sanktionen wirksam und abschreckend sind.
Das europäische Antidiskriminierungsrecht vollzieht einen wichtigen Perspektivwechsel hin zu den Betroffenen von Diskriminierung. Eine sanktionswürdige Diskriminierung liegt vor, wenn die entsprechende Benachteiligung "bezweckt oder bewirkt" wird. Vorsatz oder Verschulden sind also nicht notwendig. Der gern geäußerte Vorwurf des "Tugendterrors" zeigt daher vor allem, wer die rechtliche Systematik verstanden hat und wer nicht. Im europäischen Antidiskriminierungsrecht ist es egal, ob Personen, die diskriminieren, "gute" Menschen sind, die es doch "gar nicht so gemeint" haben. Von Interesse sind die Wirkungen bei den Betroffenen, um deren Schutz es geht.
Mit diesem Zugriff hat der deutsche Rechtsdiskurs erhebliche Probleme. In den Kommentierungen zum AGG wird deutlich, dass viele sich insbesondere eine rassistische Diskriminierung überhaupt nur vorsätzlich vorstellen können. Menschen mit türkischen oder arabischen Namen, die nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden
Das europäische Antidiskriminierungsrecht lässt solche Ausflüchte nicht gelten und garantiert den Betroffenen effektiven Schutz. In den Paragrafen 15 und 21 AGG dagegen wird der Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung von Vorsatz oder Verschulden abhängig gemacht – ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht.
Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien fordern ferner einen effektiven Rechtsschutz: Betroffene müssen vor Gericht gehen können. Es genügt, dass sie dort Indizien für eine Diskriminierung vortragen, damit die Beklagten beweisen müssen, dass keine Diskriminierung vorlag (Beweislastumkehr). Antidiskriminierungsverbände dürfen die Betroffenen vertreten oder unterstützen. Nach einer Beschwerde müssen Arbeitnehmer*innen vor Sanktionen ihrer Arbeitgeber*innen geschützt werden.
Diese Anforderungen sind durch das AGG weitgehend umgesetzt. Allerdings ist das Beteiligungsrecht von Verbänden in Paragraf 23 AGG unter Verstoß gegen die Richtlinien geregelt (kein Vertretungsrecht). Auch die Beweislastumkehr in Paragraf 22 AGG funktioniert in der Praxis kaum, weil die Verwendung statistischer Daten quasi ausgeschlossen und andere Beweise selten zu erbringen sind.
Problematisch bleibt die ausgesprochen knappe Frist von zwei Monaten, um Ansprüche aus dem AGG geltend zu machen. Betroffene brauchen oft Zeit, um die Diskriminierung zu verarbeiten, Beratung in Anspruch zu nehmen, sich für rechtliche Schritte zu entscheiden. Die Antidiskriminierungsrichtlinien überlassen die Festsetzung der Frist explizit den nationalen Gesetzgebern und schwächen dadurch den Schutz erheblich ab.
Reichweite, Schutzlücken, Umsetzungsdefizite
Wie zu Beginn dargestellt, gelten die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien teils nur für Beschäftigung und Beruf, teils auch für den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie für soziale Sicherung und Bildung. In der Kombination der Diskriminierungskategorien mit diesen sachlichen Anwendungsbereichen entsteht ein Flickwerk verschiedener Schutzintensitäten. Auch viele nationale Rechtsordnungen haben historisch gewachsenes und dadurch disparates Antidiskriminierungsrecht.
Das AGG scheint dagegen das leuchtende Vorbild eines umfassenden Schutzes vor Diskriminierung zu sein.
Aber: Wer das Gesetz bis zum Ende durchliest, wird feststellen, dass es halbwegs vollständige Regelungen nur für den Bereich von Beschäftigung und Beruf enthält – wenn auch ohne das ausgesprochen relevante Kündigungsrecht oder Schutz für Selbstständige. Der Sozialschutz ist in den Sozialgesetzbüchern (SGB) mit eigenen begrenzten Benachteiligungsverboten geregelt (Paragrafen 33c SGB 1 und 19a SGB 4). Zu Bildung finden sich im AGG keine weiteren Normen – nicht ganz überraschend, da hier die einzelnen Bundesländer zuständig sind. Im Bereich von Gütern und Dienstleistungen (wie Kredit, Wohnraum, Gastronomie, Reisen, Versicherung) wird umfassender Schutz nur gegen rassistische Diskriminierung gewährt. Gleiches müsste nach Richtlinie 2004/113/EG für Geschlecht gelten, wurde aber ebenso nicht umgesetzt wie der versprochene überobligatorische Schutz bezüglich der anderen Merkmale.
Beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ist explizit kein Schutz vor Diskriminierungen aufgrund der Weltanschauung oder vor sexueller Belästigung statuiert, und Benachteiligungen wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gelten nicht als unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung – misslich für stillende Mütter, denen der Zugang zu Geschäften und Gaststätten verwehrt wird. Der verbleibende Schutz ist auf sogenannte Massengeschäfte und private Versicherungen beschränkt und kann recht einfach (Paragraf 20 AGG) ausgehebelt werden. Zudem ist der Wohnungsmarkt weitgehend ausgenommen: Der gesamte Katalog an Diskriminierungsmerkmalen ist nur zu beachten, wenn jemand ständig mehr als 50 Wohnungen vermietet.
Auch im Arbeitsleben kommt das europäische Antidiskriminierungsrecht kaum an. Kündigungen sind vom AGG nicht erfasst. Nach der Elternzeit wird kein Rückkehrrecht auf den früheren Arbeitsplatz garantiert. Der Gender Pay Gap liegt konstant bei über 20 Prozent,
Um Schadensersatz oder Entschädigung zu erhalten, müssen Betroffene Vorsatz oder Verschulden nachweisen – ein eklatanter Systembruch –, während zugleich die Beweislastumkehr eher nur auf dem Papier besteht.
Das AGG enthält ganz erhebliche Schutzlücken, die nicht mehr mit dem viel kritisierten Patchwork der unterschiedlichen Schutzniveaus der Antidiskriminierungsrichtlinien erklärt werden kann. Es handelt sich vielmehr um europarechtswidrige Umsetzungsdefizite. Diese sind auch durch extensive richtlinienkonforme Auslegung nicht mehr zu beheben. Bisher hat die Europäische Kommission auf die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren allerdings verzichtet.
Ausblick: Eine Richtlinie für alle(s)?
Seit vielen Jahren wird auf europäischer Ebene über einen einheitlichen Schutz durch eine horizontale Richtlinie für alle Diskriminierungsmerkmale diskutiert. Bereits 2008 stellte die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie vor, die die Schutzstandards und Anwendungsbereiche in Bezug auf Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität anpassen sollte.
Dies gilt insbesondere mit Blick auf das Diskriminierungsmerkmal Behinderung. Private Versicherungen waren bereits wenig entzückt, als sie nach dem Test-Achats-Urteil des EuGH nicht mehr aufgrund des Geschlechts diskriminieren durften, und erhöhten darauf die Prämien für alle Geschlechter. Wenn nun auch Benachteiligungen aufgrund von Alter und Behinderung entfallen sollten, wird die Laune nicht besser. Darüber hinaus verlangt bereits Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG angemessene Vorkehrungen, um Menschen mit Behinderung den ungehinderten Zugang zur Arbeitswelt zu ermöglichen. Müssten auch soziale Einrichtungen und Leistungen, Schulen und Hochschulen sowie der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen barrierefrei ausgestaltet werden, würde dies ganz erhebliche Veränderungen bedeuten.
Die Bundesrepublik hat im europäischen Vergleich