Die jüdisch-christliche Tradition, zu der im weiteren Sinn auch der Islam, der Gott als den gerechten Erbarmer kennt und bekennt, gehört, hat eine Intuition hervorgebracht, die in der Antike – sogar angesichts ihrer bewegenden Tragödienliteratur – einzigartig war. Diese Intuition hat ihren treffendsten Ausdruck im Evangelium des Matthäus (25,40) gefunden, einer jüdischen Schrift aus dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, in der sich der messianische König beim jüngsten Gericht so zu den Angeklagten äußert: "Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." In der Ökumene der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts wird es auch darum gehen, diesem Gedanken vor dem Panorama der Erfahrungen des mörderischen 20. Jahrhunderts sozial-, geschichts- und erziehungswissenschaftlich gerecht zu werden.
Moralische Globalisierung?
Der ökonomisch und technisch unabweisbare, politisch noch kaum gestaltete Prozess der Globalisierung hat – nicht zuletzt kraft weltumspannender Medien – ein auch den Subjekten zugängliches Wissen von der Einheit des Menschengeschlechts geschaffen, das welthistorisch seinesgleichen sucht. Heute ist die Weltgesellschaft Wirklichkeit geworden. Zugleich stellt der globale Raum, den politisch und moralisch zu beurteilen sowie zu formen wir gefordert sind, alles andere als einen verheißungsvollen Ort dar. Vielmehr gilt ungebrochen, was Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bereits 1947 feststellten: "Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils."
Lassen sich in dieser Weltgesellschaft universalistische Werte überhaupt noch theoretisch nachvollziehen, sozialwissenschaftlich plausibilisieren und pädagogisch konkretisieren? Die Weltgesellschaft, so lehrt die systemtheoretische Soziologie, besteht weder aus Personen noch aus Staaten, sondern aus Kommunikationen unterschiedlichster Art in den Funktionssystemen von Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Religion und Erziehung. In dieser Weltgesellschaft – und es gibt nur noch diese eine Gesellschaft – werden territoriale, von Recht und Politik bestimmte Grenzen durch Wissenschaft, Kultur und Ökonomie ständig durchkreuzt. Die Ordnungs- und Störgrößen der alten, noch nicht globalisierten Welt, nämlich politisch geordneter Raum und personal strukturierte menschliche Körper, scheinen angesichts elektronischer Telekommunikation stetig an Bedeutung zu verlieren.
Als Äquivalent für das politische System des Nationalstaats stehen neue, rechtlich mehr oder minder dicht strukturierte politischen Großräume wie etwa die Europäische Union oder eventuell sogar die Vereinten Nationen zur Verfügung; als Öffentlichkeit vor allem grenzüberschreitende elektronische Medien sowie eine zunehmend monopolistisch homogenisierte Produktion von Printerzeugnissen. Die demokratische Öffentlichkeit des Globalisierungszeitalters
"Neue Räume", so die Soziologen Daniel Levy und Natan Sznaider, "öffnen sich. Und die von vielen Historikern geschmähte Massenkultur drängt (…) in den frei gewordenen Raum. Dieser Erinnerungsraum wird das kosmopolitische Gedächtnis werden (…) Damit zusammenhängende Fragen der Einzigartigkeit und Vergleichbarkeit des Holocaust führen dazu, dass diese Unterscheidungen aufgehoben werden. Der Holocaust wird als einzigartiges Ereignis vergleichbar. Die partikulare Opfererfahrung der Juden kann universalisiert werden."
Erklärung von Stockholm
Dieser und ähnlichen menschenrechtlich motivierten Stellungnahmen sollten nicht nur höchst problematische, ihrerseits die Menschenrechte verletzende militärische Interventionen, sondern auch politisch-pädagogische Absichtserklärungen folgen. So versammelten sich auf Einladung des schwedischen Staates zur Jahreswende 2000/2001 Vertreter von vierzig Staaten in Stockholm, um vor dem Hintergrund eines wiedererstarkten Rassismus über humane Werte im globalen Zeitalter zu diskutieren. Dabei sollten die allfälligen Lehren aus dem Holocaust gezogen werden, das heißt aus der industriellen Massenvernichtung der europäischen Juden – und nicht nur der Juden, sondern auch unzähliger Angehöriger anderer Minderheiten sowie Polen und Sowjetbürger. Die maßgeblich von dem israelischen Historiker Jehuda Bauer verfasste Abschlusserklärung des Stockholm International Forum on the Holocaust stellt entsprechend fest: "With humanity still scarred by genocide, ethnic cleansing, racism, anti-Semitism and xenophobia, the international community shares a solemn responsibility to fight those evils. (…) Our commitment must be to remember the victims who perished, respect the survivors still with us, and reaffirm humanity’s common aspiration for mutual understanding and justice."
Mit dieser Erklärung haben sich eine Reihe von Staatschefs – nicht nur der EU – dazu verpflichtet, in ihren Ländern pädagogische Bemühungen mit dem Ziel in Gang zu bringen, Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus einzudämmen. Die massenhafte Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland soll so einem zukunftsgerichteten Zweck dienen. Damit wird die kollektive und individuelle Erinnerung an ein ebenso herausragendes wie grauenhaftes zeitgeschichtliches Ereignis zum Mittel, einer friedlicheren, gerechteren und demokratischen Welt den Weg zu bereiten. Allerdings ist – realistisch betrachtet – nicht davon auszugehen, dass die Kenntnis dieses Verbrechens unter den jeweiligen Bevölkerungen über undeutliche, ja ungenaue Fragmente hinausgeht – wie überhaupt ein mehr als oberflächliches historisches Wissen weltweit weder bei Erwachsenen noch gar bei Kindern und Jugendlichen vorausgesetzt werden kann. Damit käme der Pädagogik eine besondere Rolle für die Vergegenwärtigung von Geschichte zu.
Im Übrigen hat die im Dokument von Stockholm ausgesprochene Verpflichtung nicht nur das Gedenken globalisiert, sondern auch die innere Struktur der deutschen Gedenkkultur und damit des deutschen Nachkriegsbewusstseins verändert. Der Verfasser einer immerhin vor dem 11. September 2001 erschienenen Studie zur deutschen "Vergangenheitsbewältigung" diagnostiziert, dass gegenwärtig, da die Massenvernichtung der europäischen Juden zum zentralen Thema einer weltgesellschaftlichen Erinnerungskultur wird, eben das eintritt, was während des Historikerstreits Mitte der 1980er Jahre noch erbittert bekämpft wurde: die unwiderrufliche Historisierung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Globalisierung und Historisierung gingen so Hand in Hand: Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zu den Mordtaten wachse ihre geografische Bekanntheit.
In diesem Sinne ließe sich wie in der Stockholmer Abschlusserklärung festhalten, dass die Erinnerung an den Holocaust zu einem zentralen Thema der westlichen Zivilisation geworden ist: "The Holocaust (Shoah) fundamentally challenged the foundations of civilization. The unprecedented character of the Holocaust will always hold universal meaning."
Menschenrechtsbildung
Die industrielle Massenvernichtung der europäischen Juden dient gemäß der Erklärung von Stockholm als gleichsam negative Folie, als unüberbietbares Extrembeispiel für die Verletzung der Würde des Menschen, dem drastisch sichtbar und fühlbar wird, wohin blinder Partikularismus und eine entfesselte, von aller ethischen Bindung gelöste Sozialtechnik führen kann. So, wie das deutsche Grundgesetz aus der Erfahrung des Nationalsozialismus die Prinzipien einer moralisch verantworteten Demokratie entfaltet, wird es demnach in Zukunft darauf ankommen, auf und aus der Erziehung über Auschwitz eine Bildung zu den Menschenrechten zu entwickeln.
Die Perspektiven dieser Pädagogik bestehen einerseits in der Unterweisung ins Eingedenken, wie sie etwa Walter Benjamin in seinen "Geschichtsphilososphischen Thesen" vorschlug, sowie andererseits in der Erziehung nicht nach, sondern "über Auschwitz", wie sie Adorno postulierte. Es wird nun deutlich, dass diese beiden Perspektiven eine zeitgemäße Deutung in einer allgemeinen "Pädagogik der Menschenrechte"
Im Folgenden sei der These nachgegangen, dass weltbürgerliche Bildung
Fernstenliebe und menschliche Würde
Die Frage nach den Kompetenzen, die Menschen benötigen, die in dieser globalisierten Welt überleben, leben und einander beistehen wollen und sollen, ist indes noch kaum beantwortet. Dies gilt, obwohl diese Frage seit Jahrtausenden gestellt wird, und zwar als die Frage nach der Tugend der Weltbürger, also jener, die im Kosmos ein Bürgerrecht genießen. Wir können an dieser Stelle dahingestellt lassen, ob die antike Philosophie, die den Begriff des Kosmopolitismus geprägt hat, das Problem, das sie damit lösen wollte, überhaupt richtig beschrieben hat, ob ein Kosmos überhaupt ein Raum ist, der politisch geformt werden kann. Womöglich kann von wahrem Kosmopolitismus erst dann gesprochen werden, wenn die Polis, das zunächst stets begrenzte politische Gemeinwesen, einmal universell geworden ist.
Ob das denkbar, wünschbar und möglich ist, steht hier nicht zur Debatte. Worum es geht, ist, ob in einer Ökumene, die als politischer Raum aus vielen Staaten und entsprechend vielen Menschen besteht und auf absehbare Zeit auch bestehen wird, minimale moralische Standards und eine entsprechende, nun freilich nicht mehr minimale, sondern doch sehr anspruchsvolle ethische Motivation überhaupt denkbar sind. Als moralisches Problem rückt diese Frage als solche spätestens im Zeitalter des Imperialismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ins Bewusstsein. Friedrich Nietzsche, der für dieses Problem einen Begriff gesucht hat, gibt uns allerdings immer noch große Rätsel auf: "Rate ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rate ich Euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe. Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fünfen miteinander seid, muß immer ein sechster sterben."
Die heute, in der globalisierten Weltgesellschaft unausweichlich gewordene Frage nach der Fernstenliebe hat als die Frage, ob und wie weit wir auf Kosten anderer leben und – mehr noch – wie weit wir vital mit ihnen verbunden sind, nicht nur Nietzsche beschäftigt, sondern auch dem Kolonialismus kritisch gegenüberstehende Schriftsteller wie etwa Joseph Conrad, der diese Problematik im "Herz der Finsternis" (1899) ebenso drastisch abgehandelt hat wie Leo Tolstoi in seiner Novelle "Hadschi Murat" (1912), in der es um den grausamen zaristischen Kolonialkrieg im Kaukasus geht. Könnte es ein, dass das Fehlen von Fernstenliebe auch das Symptom einer gigantischen Verdrängung ist, einer Verdrängung, die sich gegen unsere konstitutive Abhängigkeit von den Fernsten und Fremdesten wendet? "Manche freilich", heißt es in Hugo von Hoffmannsthals Gedicht aus dem Jahr 1895,
"Manche freilich müssen drunten sterben, wo die schweren Ruder der Schiffe streifen, Andere wohnen bei dem Steuer droben, Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.
(…)
Doch ein Schatten fällt von jenen Leben In die anderen Leben hinüber, und die leichten sind an die schweren Wie an Luft und Erde gebunden:
Ganz vergessener Völker Müdigkeiten Kann ich nicht abtun von meinen Lidern, noch weghalten von der erschrockenen Seele Stummes Niederfallen ferner Sterne
Viele Geschicke weben neben dem meinen, Durcheinander spielt sie alle das Dasein, Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens Schlanke Flamme oder schmale Leier."
Der Schatten, der im 20. Jahrhundert auf die Leben mindestens der Deutschen gefallen ist, war der Schatten der von den Nationalsozialisten Ermordeten, ein langer Schatten, der schließlich in der deutschen Verfassung, im Grundgesetz, genauer gesagt in dessen Artikel 1, der die "Würde des Menschen" als Kriterium aller Gesetzgebung und aller staatlichen Machtausübung festlegt, seinen gültigen Ausdruck gefunden hat. Es war die kosmopolitische Philosophie der deutschen Aufklärung, zumal Immanuel Kants, die das Grundgesetz wesentlich geprägt hat. Als oberstes Prinzip der Tugendlehre weist Kant in der "Metaphysik der Sitten" (1797) Folgendes aus: "Nach diesem Prinzip ist der Mensch sowohl sich selbst als andern Zweck und es ist nicht genug, dass er weder sich selbst noch andere bloß als Mittel zu brauchen befugt ist, sondern den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen, ist des Menschen Pflicht."
Einen Menschen als Zweck seiner selbst zu betrachten, bedeutet, ihn in mindestens drei wesentlichen Dimensionen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, zu tolerieren, sondern auch anzuerkennen, nicht also nicht nur hinzunehmen, sondern zu bejahen in der Dimension körperlicher Integrität, personaler Identität und soziokultureller Zugehörigkeit. Mit dieser Anerkennung korrespondiert ein Demütigungsverbot. Das Demütigungsverbot aber bezieht sich auf die "Würde" eines Menschen. Diese "Würde" eines Menschen ist der äußere Ausdruck seiner Selbstachtung, also jener Haltung, "die Menschen ihrem eigenen Menschsein gegenüber einnehmen, und die Würde ist die Summe aller Verhaltensweisen, die bezeugen, dass ein Mensch sich selbst tatsächlich achtet".
In Primo Levis kristallklarem und nüchternem Bericht über seine Lagerhaft wird den Erfahrungen absoluter Entwürdigung Rechnung getragen; der Ausdruck von der "Würde des Menschen" beziehungsweise der "Würde des Menschen" gewinnt vor der Kulisse von Auschwitz eine gebieterische und einleuchtende Kraft: "Mensch ist", so notiert Levi für den 26. Januar 1944, also für den letzten Tag vor der Befreiung des Lagers, "wer tötet, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der roheste Pygmäe und der grausamste Sadist." Unter diesen Bedingungen schwindet dann auch die natürliche Neigung zur Nächstenliebe. Levi fährt fort: "Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns Nahestehenden: darum ist das Erleben dessen ein nicht-menschliches, der Tage gekannt hat, da der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding gewesen ist."
Mit dem Begriff der "Würde des Menschen" wird lediglich ein Minimum angesprochen, der kleinste gemeinsame Nenner nicht von Gesellschaften, sondern von jenen politischen Gemeinwesen, von Staaten, die wir als "zivilisiert", nicht unbedingt als "gerecht" bezeichnen. Bei alledem ist die Einsicht in die Würde des Menschen jedoch nicht auf kognitive, intellektuelle Operationen beschränkt, sie ist mehr oder gar anderes: Das Verständnis für die Würde des Menschen wurzelt in einem moralischen Gefühl.
Würde-Empfinden und universalistische Moral
Wer erst lange darüber nachdenken muss, ob einem oder mehreren Menschen die proklamierte Würde auch tatsächlich zukommt, hat noch nicht verstanden, was "Menschenwürde" ist. Es handelt sich beim Verständnis der Menschenwürde also um ein moralisches Gefühl mit universalistischem Anspruch, das unter höchst voraussetzungsreichen Bedingungen steht. Erstens: Die Anerkennung der Integrität anderer ist an die Erfahrung eigener Integrität und Anerkennung, die sich in Selbstgefühl, Selbstrespekt und Selbstachtung artikuliert, gebunden. Zweitens: Niemand kann Selbstgefühl, Selbstrespekt und Selbstachtung entfalten, der nicht seinerseits in allen wesentlichen Bezügen toleriert, akzeptiert und respektiert worden ist. Drittens: Selbstgefühl, Selbstrespekt und Selbstachtung sind die logischen und entwicklungsbezogenen Voraussetzungen dafür, Einfühlung, Empathie für andere entfalten zu können.
Daraus folgt, dass das Empfinden für Menschenwürde sowohl unter der Bedingung einer nicht als fragmentarisch erfahrenen vorsprachlichen Sozialisation steht – etwa Akzeptanz des Kindes
Gleichwohl entwickelt sich weltweit eine entsprechende universalistische Moral und ist sogar dabei, den evolutionären Sprung ins System internationalen Rechts zu vollziehen.
Universalisierung und Opferkonkurrenz
Freilich verläuft die kulturelle Globalisierung im Sinne einer großen Erzählung von der Verletzung der Menschenrechte nicht linear – im selben Ausmaß, in dem der Holocaust zur universal einsetzbaren Chiffre für Unrecht und zur Legitimation für die dem eigenen Anspruch nach auf den Menschenrechten basierenden Kultur des Westens wird, steigt umgekehrt die Ablehnung dieser Form der Gedenkkultur und werden jene, die dem Holocaust zum Opfer fielen, beziehungsweise deren Nachkommen gelegentlich selbst zur Zielscheibe des Hasses.
Das wurde etwa auf der Antirassismuskonferenz der UN in Durban 2001 deutlich, die begleitet wurde von einer großen NGO-Konferenz. Seither entsteht auch im globalen Kontext so etwas wie eine Hierarchie, genauer gesagt eine Konkurrenz der Opfer,
An diesem Debakel werden systematische Schwierigkeiten einer ethisch unzureichend begründeten Menschenrechtspolitik deutlich, die auch eine Menschenrechtspädagogik und eine antirassistische Erziehung nicht gleichgültig lassen können. Nicht minder als der soziale Protest der Globalisierungsgegner auf der Konferenz in Genua im Jahr zuvor war die offizielle Konferenz in Durban allemal ein globalisierungskritisches Forum und zeigte als solches – stärker noch als das in Genua der Fall war – die Schwäche und Verführbarkeit einer noch zu naiven universalistischen Moral.
Angesichts des Umstandes, dass die Kurdenfrage auf dieser Konferenz – abgesehen von einer kurzen Erwähnung im Papier der NGOs – ebenso wenig eine Rolle spielte wie die Unterdrückung der Bevölkerung in Afghanistan oder die russischen Menschenrechtsverletzungen an den Tschetschenen, lassen sich bestimmte Formulierungen aus einer der unzähligen Fassungen der NGO-Schlusserklärung nur als antisemitisch verstehen.
In der am 21. Dezember 1965 von der UN-Vollversammlung abgestimmten und nach einem Ratifizierungsverfahren am 4. Januar 1969 in Kraft gesetzten Internationalen Konvention zur Eliminierung aller Formen rassistischer Diskriminierung wird unter racial discrimination "jede Unterscheidung, Ausschließung, Einschränkung oder Bevorzugung, die auf Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft basiert und den Zweck oder Effekt hat, die Anerkennung, den Genuss oder das Ausüben von Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten im politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Feld des öffentlichen Lebens zu verunmöglichen oder zu verzerren" verstanden. Bevorzugungen zur Besserstellung oder zum Schutz bestimmter Gruppen sollen gleichwohl zulässig sein, solange sie die Rechte anderer nicht beeinträchtigen beziehungsweise nicht länger aufrechterhalten werden, als zur Verfolgung ihres Zwecks nötig sind.
Das Problem besteht darin, dass trotz einer Reihe maßgeblicher Publikationen kein Konsens darüber erreichbar ist, was zu Recht als Rassismus geächtet werden soll. Während die einen "Rasse" funktional als Machtbeziehung verstehen, sehen andere darin eine bedeutungsgeladene Diskriminierungspraxis, ohne doch angeben zu können, worin genau sich diese Praxis von anderen, etwa sexistischen oder klassenbezogenen Diskriminierungen unterscheidet. So wird rasch jede Ungleichbehandlung als "rassistisch" bezeichnet.
Rassistische Diskriminierung aber ist eine Diskriminierung, die deshalb moralisch besonders empört, weil sie Menschen für das bestraft, wofür sie per definitionem keine Verantwortung tragen, für wirkliche oder für wirklich gehaltene unveränderliche biologische Eigenschaften. Der neue antirassistische Diskurs versucht jedoch, über diese enge Definition hinauszugehen: Er möchte das Gewicht der Empörung, das nur die biologistische Diskriminierung vor dem Hintergrund der Massenvernichtung der europäischen Juden, Sinti und anderer durch das nationalsozialistische Deutschland auslöst, beibehalten, den historischen Anlass jedoch aufheben, da faktische Diskriminierung in heutigen westlichen Gesellschaften tatsächlich immer seltener diesem biologistischen Deutungsmuster folgt.
Moralische Bildung in weltgesellschaftlicher Verantwortung
Im Fall des transatlantischen Sklavenhandels – jenes Thema, das auf der Konferenz von Durban 2001 ursprünglich im Mittelpunkt stehen sollte – ging es tatsächlich "nur" um eine "klassische" Form des Rassismus, den auf Grundlage der Hautfarbe.
Es war und ist daher nur konsequent, dass die kulturellen Untergliederungen der Vereinten Nationen, namentlich die UNESCO, historisches Lernen zum transatlantischen Sklavenhandel schon vor Jahren zu einem ihrer vornehmsten Anliegen gemacht haben, um an diesem, vermeintlich nicht so eurozentrischen Thema wie es der Holocaust ist, eine universalistische und universale Erziehung zur Achtung der Menschenrechte zu begründen und umzusetzen.
Mit dem transatlantischen Sklavenhandel stellt sich ein geschichtsphilosophisches Problem, das – mit der Ausnahme einer Studie des konservativen Hermann Lübbe