Seit einigen Jahren werden die Begriffe "Historisierung" und "Universalisierung" im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Holocaust – ohne dass bei Letzterem konkretisiert wird, ob damit der Völkermord an den europäischen Juden oder die nationalsozialistische Verfolgungspolitik im Allgemeinen gemeint ist – geradezu inflationär genutzt. In Vorbereitung auf diesen Text habe ich daher einige Besucherinnen und Besucher der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz sowie Kolleginnen und Kollegen aus der schulischen und außerschulischen historischen Bildung zu ihrem Verständnis der Begriffe befragt. Heraus kam eine große Bandbreite an Definitionen, von denen hier nur einige genannt seien.
"Universalisierung des Holocaust" wird von manchen als Äquivalent für allgemeine Lehren verstanden, die aus der Vergangenheit zu ziehen seien – dieser Zugang verhandelt die Frage der Singularität des Holocaust vielfach gleich mit. Ähnlich ist die Position, die besagt, es gebe auf der Grundlage einer mittlerweile vermeintlich gemeinsamen deutschen, europäischen und weltweiten Auseinandersetzung mit dem Holocaust auch globale Standards in der Beurteilung heutiger Menschenrechtsverletzungen. Andere richten den Fokus eher auf internationale Gedenktage wie den 27. Januar oder auf Organisationen wie die International Holocaust and Remembrance Alliance (IHRA) und sehen darin Belege für die gestiegene Bedeutung dieser Geschichte. Wieder andere leiten die These einer Universalität des Holocaust aus der Heterogenität der deutschen und anderer europäischer Gesellschaften ab, das heißt, sie kommen zu der Überzeugung, die beispielsweise in Klassenzimmern vertretenen unterschiedlichen (Familien-)Geschichten führten zwangsläufig zu einer universellen Perspektive auf den Holocaust.
Auch hinsichtlich des Stichwortes "Historisierung" sind die Verständnisse vielfältig. Für die einen bedeutet Historisierung vor allem, den Nationalsozialismus in den Verlauf der Geschichte einzuordnen. Das kann auch das Verständnis einschließen, diese Geschichte nicht mehr einer besonderen oder spezifischen ethischen und moralischen Bewertung zu unterziehen, sondern sie rational und anhand epochenübergreifender Kriterien zu analysieren. Für andere steht der Begriff lediglich für die vermeintlich oder tatsächlich veränderten Rahmenbedingungen der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus wie beispielsweise der größer werdenden zeitlichen Distanz oder dem – seit zwanzig Jahren viel beschworenen – Sterben der letzten Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik (Ende der Zeitzeugenschaft).
Die Fragen nach dem Verständnis von Universalisierung und Historisierung verdeutlichen die mit diesem Thema verbundenen Herausforderungen: Die aufgeführten Definitionen lassen sich in größerem Kontext Vertreterinnen und Vertretern aus allgemeiner Öffentlichkeit, Politik oder Wissenschaft zuordnen, die mit ihren Standpunkten spezifische Forderungen an Gedenkstätten verbinden. Und wenn es um die Gedenkstättenarbeit im Kontext der Diskussionen um Universalisierung und Historisierung des Holocaust geht, haben wir es mit den Einrichtungen zu tun, in denen sich sämtliche Folgen unterschiedlicher Positionen wie durch ein Brennglas fokussiert bündeln. Mit anderen Worten: Da die Gedenkstätten im Positiven wie im Negativen häufig als die Einrichtungen gesehen werden, die für die Erinnerungskultur verantwortlich sind, werden unterschiedliche, sich vielfach widersprechende Erwartungen an sie gerichtet. Es ist deshalb zu fragen, wer im öffentlichen Diskurs welche Position vertritt und ob es hinter den verschiedenen Standpunkten jeweils eine hidden agenda gibt, die sich in Forderungen an diese Einrichtungen niederschlagen.
Zwischen den aufgezählten Zugängen und Verständnissen gibt es Zusammenhänge, jedoch können die verschiedenen Konnotationen zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Arbeit und Funktion von Gedenkstätten führen. Im Folgenden werde ich eine Reihe von Aspekten ansprechen, die zwar auf den ersten Blick nicht alle unmittelbar mit dem Thema Universalisierung oder Historisierung zu tun zu haben scheinen, deren Erläuterung aber notwendig ist, um die Komplexität der Herausforderungen für Mitarbeitende in Gedenkstätten zu verdeutlichen und Schlussfolgerungen für die Gedenkstättenarbeit ziehen zu können.
Ende der Zeitzeugenschaft
Wird im Kontext von Bildungspolitik von Historisierung gesprochen, stehen in der Regel die Rede über das Ende der Zeitzeugenschaft und die wachsende zeitliche Distanz zu den Ereignissen im Zentrum. Dennoch gibt es auch andere Beobachtungen: Nicht nur die Selbsthilfeorganisation von Holocaust-Überlebenden Amcha verweist regelmäßig darauf, dass die Zahl der von ihnen betreuten Menschen stetig wächst, auch die Gedenkstätten stehen nach wie vor mit vielen Zeitzeugen in Kontakt, die für Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Allein in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz fanden 2015 zehn öffentliche Großveranstaltungen mit Menschen statt, die die Verfolgung unmittelbar erlebt haben. Lehrkräfte, die seit Langem mit Zeitzeugen arbeiten, laden diese nach wie vor in Schulen ein.
Dass Zeitzeugen in der Gedenkstättenpädagogik schon seit Beginn der 1990er Jahre keine zentrale Rolle mehr spielen, hat andere Gründe. Zwar ist die Begegnung mit ihnen nach wie vor nicht zu ersetzen, und die Mitarbeitenden in Gedenkstätten sind sich ihrer Bedeutung für sich persönlich bewusst. Aber es ist das Bewusstsein der Pädagoginnen und Pädagogen dafür gewachsen, dass Zeitzeugen kein "Allheilmittel" für die Vermittlung von Geschichte sind, sondern sogar eine kontraproduktive Rolle im Bildungsprozess spielen können – nämlich dann, wenn nicht deutlich wird, dass ihre Funktion nicht die der Erzähler und Erzählerinnen einer historischen "Wahrheit" sein kann und auch nicht sein sollte. Veröffentlichungen wie Imre Kerteszs’ "Roman eines Schicksallosen" (1975) haben den Blick für die Notwendigkeit geschärft, die Perspektive von Überlebenden mit anderen Perspektiven zu ergänzen oder zu kontrastieren – sofern sie sich nach dem Krieg nicht selbst der Geschichtswissenschaft zugewandt und die unglaubliche Leistung erbracht haben, Beschreibungen von Erlebtem gleichzeitig auf der Metaebene zu analysieren, also ihren in der akuten Situation zwangsläufig eingeschränkten Blick auf das Gesamtbild der Geschichte für die Zuhörenden transparent zu machen.
Die gewachsenen wissenschaftlichen Kenntnisse der Zusammenhänge und Abläufe im Nationalsozialismus, der Generationenwechsel im öffentlichen Leben und der damit verbundene veränderte gesellschaftliche Diskurs, der es ermöglichte, Tätergruppen und Tatkomplexe präzise zu benennen, führten darüber hinaus zu einer Erweiterung des Spektrums der Gedenk- und Dokumentationsstätten an historischen Orten. In der Villa ten Hompel Münster, dem Haus der Wannsee-Konferenz oder der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin geht es aus guten Gründen in erster Linie um die Rolle der Täter und Täterinnen, die Perspektive der Opfer wird vorwiegend im Rahmen besonderer Veranstaltungen berücksichtigt. Zeitzeuginnen und -zeugen stehen hier vor allem mit den Mitarbeitenden in Kontakt. Gleichzeitig stehen immer mehr Vertreterinnen und Vertreter der "Zweiten Generation" in Verbindung mit den Gedenkstätten. Nicht nur bei Bildungsveranstaltungen, bei denen ihre Perspektive hinzugezogen wird, zeigt sich, dass sie häufig die Rolle ihrer Eltern übernehmen wollen. Sie als Erzähler und Erzählerinnen der Geschichte ihrer Eltern auftreten zu lassen, wäre jedoch ausgesprochen problematisch. Mit ihren persönlichen Erfahrungen, wie ihre Eltern mit den erlebten Traumata umgegangen sind, stellen sie jedoch eine neue Zeitzeugengeneration für die Unmittelbarkeit der Folgen von Geschichte dar.
Distanz und Nähe
Mit der Rede über die zeitliche Distanz und das Ende der Zeitzeugenschaft geht vielfach auch die Feststellung einher, dass es im Umgang mit der Geschichte eine Ent-Emotionalisierung gebe – was als Chance für den Lernprozess aufgefasst werden könne.
Sprechen wir von der zeitlichen Distanz, gilt es, einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: Der Umgang mit der Vergangenheit wirkt in der Diskussion häufig wie etwas Statisches – gehen wir aber von den Zielgruppen der Gedenkstätten aus, trifft so eine Zuschreibung mitnichten zu. Wer die Gelegenheit hat, über einen langen Zeitraum zu beobachten, wie Jugendliche und zunehmend auch Erwachsene sich der Geschichte annähern, wird feststellen, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Völkermord an den europäischen Juden prozesshaften Charakter hat.
Dabei ist der erste Zugang vieler Gedenkstättenbesucher und -besucherinnen tatsächlich mehrheitlich vom Empfinden einer großen Distanz und damit einhergehender Rationalität oder Emotionslosigkeit geprägt. Aus eigener Erfahrung wissen wir jedoch, dass man bei der Auseinandersetzung mit den Fakten der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik immer wieder an die Grenzen des Erträglichen stößt, was unweigerlich mit Emotionen verbunden ist. Möglicherweise rührt es daher, dass Besucherinnen und Besucher unterschiedlichen Alters bei der Beschäftigung mit diesem Thema oft ein Bedürfnis entwickeln, die geweckten Emotionen zu kanalisieren, also zum Beispiel (Gedenk-)Rituale fordern. Diese sollten nicht bloß als Kitsch abgetan werden. Vielmehr geht es darum, Räume zu bieten, in denen diesem Aspekt der Auseinandersetzung Rechnung getragen werden kann.
Diese erste Phase der emotionalen Betroffenheit (bei einer noch nicht gänzlich abgebauten Distanz) geht häufig mit der Formulierung moralisch konnotierter Forderungen einher: beispielsweise, dass der Besuch von NS-Gedenkstätten für jede Schülerin und jeden Schüler verpflichtend sein müsste. Dieser Umgang mit der Geschichte wird unter anderem in der Bildungsforschung oft als "sozial erwünschte Reaktion" bewertet. Zwar ist die Auseinandersetzung mit dem Wissen von Schülerinnen und Schülern um "die moralische Botschaft" durchaus wichtig,
Zwischen Aneignung und Überdruss
Lassen die Rahmenbedingungen aber eine weitere Vertiefung in die Geschichte zu, werden sich die beteiligten Personen der Dimension der Verbrechen bewusst, erleben manchmal eine daran verknüpfte Phase der Ablehnung und entwickeln von sich aus neue und weiterführende Fragen. Jugendliche und Erwachsene lernen, Geschichte aus einer Metaperspektive zu betrachten, sie zu dekonstruieren und beispielsweise Erinnerungspolitik kritisch zu hinterfragen. Die moralische Haltung geht über in den Anspruch, sich weiteres Wissen anzueignen. Vor allem aber lernen sie, den historischen Ereignissen eine Relevanz für die eigene Gegenwart zuzuerkennen.
In sehr seltenen Fällen sind im Schulunterricht oder in außerschulischen Projekten der historischen Bildung solche Rahmenbedingungen gegeben. Von daher bleiben die meisten unserer Adressaten – sofern sie sich nicht privat weiter mit dem Thema beschäftigen – in den ersten Phasen verhaftet, empfinden den Nationalsozialismus als etwas, was mit ihnen nichts zu tun hat, formulieren moralisch aufgeladene Lehren aus der Vergangenheit oder können ihre Ablehnung nicht bearbeiten. Damit können dann Empfindungen des Überdrusses einhergehen, weil eine Belanglosigkeit bei der Behandlung nicht wirklich überschritten wird. Dieser Überdruss könnte eine Erklärung dafür sein, dass häufig die Forderung erhoben wird, sich mit heutigen Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen, wobei gleichzeitig diejenigen, die sich für den Nationalsozialismus und den Holocaust interessieren, als rückwärtsgewandt beschrieben werden.
Ein vermeintlich notwendiger "Lebensweltbezug" soll den unterstellten oder realen Überdruss überwinden helfen. Dabei ist unklar, was genau damit gemeint beziehungsweise wie dieser Bezug herzustellen ist: Während die einen Parallelen ziehen zu den Mobbingerfahrungen der heutigen Schüler, verweisen andere auf die Menschenrechtsverletzungen im Gefangenenlager von Guantánamo. Wieder andere setzen die Konferenz von Evian 1938 mit dem Schengen-Abkommen gleich oder damalige Pogrome mit der aktuellen Gewaltwelle gegen Flüchtlingsheime.
Zweckgerichtete Universalisierung
Im Widerspruch zur Rede über die zeitliche Distanz steht die institutionelle Einrichtung von Gedenktagen und Gremien, die auf nationaler und internationaler Ebene zur Stärkung der Bedeutung der Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust beitragen. Der 27. Januar als Holocaust-Gedenktag wird in Deutschland seit 1996, auf europäischer Ebene erst seit 2002 begangen. Die IHRA nahm ihre Arbeit Ende der 1990er Jahre mit einer stetig wachsenden Zahl an Mitgliedsstaaten auf. Ihre Etablierung ist eine Grundlage für die Wahrnehmung einer Universalisierung oder Transnationalisierung des Holocaust.
Doch auch hier fehlt eine eindeutige Definition der Begriffe beziehungsweise ist unklar, was unterschiedliche Adressaten darunter verstehen. Die Gremien der IHRA orientieren sich im Hinblick auf ihre Projektförderungen und ihre politischen Aussagen grundsätzlich am Umgang und an der Vermittlung der Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, haben dabei das Thema Holocaust aber ausgeweitet auf die Opfergruppe der Sinti und Roma. Demgegenüber nehmen andere Einzelpersonen und Institutionen den Begriff der Universalisierung zum Anlass, jede Form von Gewalt mit dem Holocaust gleichzusetzen, was teilweise bis ins Absurde reicht.
Wenn Opfer von Völkermorden wie dem in Ruanda oder von Militärdiktaturen wie denen in Lateinamerika die Erfahrungen ihrer Gesellschaft mit dem Holocaust gleichsetzen, steht wieder eine andere Intention dahinter. Angesichts der Bedeutung, die dem Völkermord an den europäischen Juden international zumindest verbal zugeschrieben wird, erhoffen sich viele aufgrund der Analogie die gleiche Aufmerksamkeit für das eigene Leid.
Wissen und Erinnern
Um genauer zu beleuchten, was die Rolle von Gedenkstättenarbeit angesichts dieser Vielfalt an Zugängen, Prämissen und Zielsetzungen sein kann, muss ein weiterer Begriff eingeführt werden, der in den vergangenen Jahren in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zunehmend an Bedeutung gewonnen hat: Erinnerung.
Während der Begriff im Kontext von lokalen Initiativen auf die besondere Funktion von Gedenken deuten kann, wird er im Hinblick auf Lernempfehlungen oder Lernkonstellationen schwierig. "Lebendige Erinnerung",
Brauchen Besucherinnen und Besucher von Gedenkstätten im 21. Jahrhundert Wissen, um sich der Geschichte nähern zu können, so stellt dieses Wissen auch die Grundlage dar, um sich konstruktiv im Feld der Historisierung und der Universalisierung bewegen zu können. Den Nationalsozialismus und die in dieser Zeit begangenen Verbrechen mit soziologischen, historischen oder politologischen Ansätzen und Kriterien zu untersuchen, trägt zu einem vertieften Verständnis bei. Dabei kann es um Erkenntnisse im Hinblick auf ideologische Traditionslinien gehen, um Erklärungsansätze für die Motivation von Täterinnen, Tätern und Zuschauenden, die Handlungsspielräume von unterschiedlichen Verfolgtengruppen oder um Radikalisierungsprozesse bei den Stufen der Verfolgung. Auch sollte die Beschäftigung mit den Kontinuitätslinien und Brüchen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern nach 1945 nicht fehlen, um eine nachvollziehbare Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen zu können. Insgesamt sind es diese Wissensbestände, die – wenn altersangemessen und zu unterschiedlichen Momenten bearbeitet – es Menschen ermöglichen, nicht in Belanglosigkeit verhaftet zu bleiben, sondern eine tatsächliche Relevanz für ihre eigene Gegenwart zu erkennen.
Darüber hinaus bildet das Wissen um diese Fragen die Grundlage, strukturelle Vergleiche zu anderen Gewaltverbrechen zu ziehen und kompetent Auskunft über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu geben. Selbst Werturteile oder politische Schlussfolgerungen können nachdenklicher und reflektierter ausfallen, wenn sie nicht in der Phase der ersten Beschäftigung formuliert werden.
Rolle der Gedenkstätten
Auch ohne bei der Vermittlung von Wissensbeständen die zentrale Instanz zu sein oder sein zu können, sind es die Gedenkstätten mit ihren ständigen Ausstellungen, Mediatheken, Archiven und pädagogischen Angeboten, die einen erheblichen Beitrag zur Aneignung von Geschichte leisten können. Gerade durch ihre Vielfalt ermöglichen sie es, an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Fragestellungen zu behandeln. Wer die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht, kann sich mit dem System der Konzentrationslager beschäftigen oder den Alltag von Häftlingen ins Zentrum der Betrachtung stellen. Im Haus der Wannsee-Konferenz ist eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Verwaltungsapparat sinnvoll, ohne den die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden nicht möglich gewesen wäre. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sich mit dem Berufsalltag von Polizisten oder der Entwicklung vom Krankenmord zum Judenmord auseinanderzusetzen. In der Gedenkstätte Neuengamme wurden spezifische Angebote für bestimmte Berufsgruppen entwickelt, die zurückhaltend, angemessen und ohne moralisch oberflächliche Konnotationen die Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten spezifischer beruflicher Kontexte stellen, in denen die Wahrung von Menschenrechten gefährdet waren und sind. Da die Gedenkstätten sich jeweils an ihrer spezifischen Geschichte orientiert entwickelt haben, ist mit ihnen ein sehr breites und diversifiziertes Angebot entstanden.
Sie sind die Einrichtungen, deren Mitarbeitende spätestens seit den Auseinandersetzungen um die Wehrmachtsausstellung(en) ab 1995 und den in diesem Zusammenhang entstandenen Standards zur Präsentation historischer Quellen den Transfer von der Wissenschaft in die Gesellschaft leisten. Auf dem Stand der historischen Forschung und gleichzeitig im Bewusstsein der Besonderheit ihrer Orte wurden im Rahmen unterschiedlicher Foren die Fragen diskutiert, wie Gedenkstättenpädagogik an Orten von NS-Verbrechen sowohl zur Historisierung des Nationalsozialismus und des Holocaust sinnvoll beitragen kann als auch zur nicht-trivialisierenden Universalisierung dieser Geschichte. Damit schaffen Gedenkstätten die Grundlage dafür, dass Besucherinnen und Besucher eigene Schlussfolgerungen aus der Geschichte und im nächsten Schritt fachlich kompetent Vergleiche ziehen können. Sie instrumentalisieren die in der Vergangenheit begangenen Verbrechen nicht für aktuelle politische Entscheidungen. Damit ermöglichen sie, Gedenken als von unmittelbaren Zwecken freie Praxis umsetzen zu können und werden dadurch einer ihrer zentralen Aufgaben gerecht: Gedenkstätten sind neben ihrer wichtigen Funktion als Lernorte eben auch immer noch Gedenk-Orte.
Die Geschichte, die hier präsentiert wird, ist von so großer Bedeutung, dass sie verdient, um ihrer selbst Willen vermittelt zu werden. Die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik als Individuen vorzustellen, ihr persönliches Profil erkennbar zu machen, ist die eine Seite dieser Aufgabe. Die andere ist die Ermöglichung einer vertieften Beschäftigung mit den Kontinuitäten von Rassismus und Gewalt am Beispiel des Nationalsozialismus. Diese Perspektive führt unmittelbar in aktuelle politische Problem- und Handlungsfelder, zu denen auch die Auseinandersetzung und das Transparentmachen einer ambivalenten Seite der Arbeit von Gedenkstätten im erinnerungspolitischen Feld gehören sollten.
So stehen die für manche aus der Universalisierung des Holocaust resultierenden globalen Standards im Hinblick auf die Wahrung von Menschenrechten und die Vermeidung politischer oder staatlicher Verbrechen in der Gegenwart in enger Beziehung etwa zur Frage einer Beteiligung deutscher Verbände an militärischen Operationen, die zur Wahrung dieser Standards dienen sollen. Gleichzeitig jedoch bedeutet diese Beteiligung auch die Übernahme einer gleichberechtigten Rolle auf dem weltpolitischen Parkett.
Hatten viele Länder unmittelbar vor und nach der Wiedervereinigung 1990 Sorgen, dass es ein neues "Großdeutschland" geben könnte, konnte ihnen mit den zahlreichen Gedenkstätten – insbesondere mit dem Anfang des 21. Jahrhunderts in der Mitte Berlins errichteten Denkmal für die ermordeten Juden Europas – demonstriert werden, dass Deutschland sich seiner Verantwortung bewusst ist. Sarkastisch ausgedrückt könnte man sagen, dass sich die Gedenkstätten für die Bundesrepublik zumindest teilweise als Eintrittsbillet zum Terrain der global player erwiesen haben. Dieses Narrativ im öffentlichen Diskurs passte gut zur Rede der zeitlichen Distanz und war vielfach an die bekannten "Nie-wieder"-Floskeln gekoppelt, da die Stärke der Vielfalt regionaler kleiner und großer Gedenkstätten tendenziell nicht wahrgenommen wurde. Den Besucherinnen und Besuchern die Entwicklung der Gedenkstätten "vom gegenkulturellen Projekt zur staatlichen Gedenkstättenkonzeption"
Insgesamt sollten die Mitarbeitenden in Gedenkstätten in Bezug auf die Diskussionen zu Historisierung und Universalisierung weiter um eine reflexive und professionelle Arbeit bemüht sein. Sie tun dabei gut daran, die Diskussionen um diese Fragestellungen zu verfolgen, um eine Orientierung für die eigene Arbeit dahingehend zu haben, dass sie einschätzen können, woraus welche Erwartungen und Äußerungen von Besucherinnen und Besuchern resultieren könnten. Dies hilft ihnen schließlich auch, sich ihrer Funktion weiterhin bewusst zu bleiben.