Jugendliche und junge Erwachsene werden im öffentlichen, medialen und zuweilen auch fachlichen Diskurs oft als "Konsumidioten" dargestellt.
Diese Haltung liegt auch vielen Erhebungen zum Thema zugrunde. Laut dem Überschuldungsreport des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) sind beispielsweise eine "fehlende finanzielle Allgemeinbildung", "unwirtschaftliche Haushaltsführung" und "Konsumverhalten" relevante Auslöser für Überschuldung.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Daten allerdings nur wenig verlässlich. So beruhen die Ergebnisse des iff-Überschuldungsreports auf Erhebungen bei Schuldnerberatungsstellen, wobei bereits im Vorfeld in Form vorgegebener Antwortkategorien "unwirtschaftliche Haushaltsführung" oder "fehlende Finanzkompetenz" als mögliche Erklärungen festgelegt werden.
Aus dieser Perspektive ist im Umkehrschluss auch die Vorbeugung und Bearbeitung von finanziellen Schwierigkeiten beziehungsweise Verschuldung bei jungen Menschen relativ klar: Gefördert werden muss die Finanzkompetenz. Sie steht mittlerweile im Fokus vieler (pädagogischer) Programme. Angesichts des angenommenen "falschen" Umgangs mit Geld als Ursache finanzieller Schwierigkeiten und Überschuldung möchten diese zum "richtigen" Umgang mit dem zur Verfügung stehenden Geld befähigen und "sinnvollen" Konsum vermitteln. Dieses "vernünftige" Handeln in Bezug auf die eigenen Finanzen soll den Jugendlichen beispielsweise durch das Erstellen von Finanzplänen für den eigenen Haushalt, die dauerhafte Überwachung von Ein- und Ausgaben, den ständigen Preisvergleich sowie die Vermittlung von Wissen im Umgang mit Finanzdienstleistungen oder Informationen über Finanzfallen beigebracht werden. Die Erfüllung materieller Wünsche ist hierbei nur insofern gestattet, als sie mit dem Haushaltsplan vereinbar ist.
Somit wird Verschuldung bei jungen Menschen im Rahmen des Konzepts der Finanzkompetenz als personenbezogenes und wachsendes Problem verortet, das im Wesentlichen durch problematische beziehungsweise fehlende individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten entsteht und dem durch die Förderung dieser Fähigkeiten entsprechend entgegengewirkt werden soll. Der in der Kognitionspsychologie beziehungsweise der pädagogischen Psychologie verankerte Begriff "Kompetenz", weist auf die individuumsbezogene Fokussierung hin. Nach der Definition des Psychologen Franz Weinert bedeutet Kompetenz "die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können".
Im Folgenden werden wir diese Annahmen diskutieren und einen Blick auf finanzielle Schwierigkeiten von jungen Menschen werfen, der Verschuldung in lebensweltliche Zusammenhänge einbettet und sie aus der Bedeutung von Geld und Verschuldung für junge Menschen heraus erschließt.
Jugendverschuldung – ein alarmierendes Problem?
Wirtschaftsunabhängige Daten zum Ausmaß der Verschuldung junger Erwachsener liefert das Statistische Bundesamt. Demnach gehören 0,2 Prozent der Klientinnen und Klienten der Schuldnerberatungsstellen der Altersgruppe der 18- bis 19-Jährigen an, und 6,5 Prozent der Ratsuchenden sind zwischen 20 und 25 Jahre alt.
Die wenigen aus wissenschaftlicher Sicht seriösen Studien weisen insgesamt zwar auf die Relevanz der Verschuldungsthematik bei jungen Menschen hin. Sie zeigen aber auch, dass es sich um ein weniger verbreitetes Phänomen handelt als oftmals angenommen. 2005 wurden im Rahmen der repräsentativen Studie des Soziologen Elmar Lange und der Psychologin Karin Fries 1003 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren zu Verschuldung befragt. Dabei wurde Verschuldung folgendermaßen definiert: "(Wir) wollen von einer Verschuldung der Kinder und Jugendlichen sprechen, wenn sie sich Geld geliehen haben, das sie nicht gleich wieder zurückzahlen können."
Aufschlussreich hinsichtlich des Ausmaßes von Verschuldung unter 18- bis 24-Jährigen ist eine Studie aus der deutschsprachigen Schweiz.
Insgesamt kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis, dass einerseits die informelle Verschuldung, also das Leihen von Geld im Wesentlichen von Eltern, mit in der Regel geringen Beträgen und einer recht kurzfristigen Rückzahlung (meist innerhalb weniger Tage), "zur ‚normalen‘ Organisation des Alltags von Minderjährigen (gehört), mit der viele gut zurechtkommen".
Beispiel Frau F.
Daran anknüpfend möchten wir mit einem Fallbeispiel unsere weitere Auseinandersetzung einleiten.
Frau F. erzählt, dass ihr Ex-Freund "aus besseren Verhältnissen" gekommen sei und sie vor ihm nicht "blöd dastehen" wollte. Sie habe daher Geld für gemeinsame Restaurantbesuche, Ausflüge und Medien ausgegeben, die sie sich nach eigener Einschätzung gar nicht leisten konnte. Im Gegenzug habe sie "andere Sachen" nicht bezahlt, "zum Beispiel Handyvertrag nicht, die Miete vielleicht nicht, aber dafür kann man dann, was weiß ich, nen schönen Tag im Freizeitpark oder was auch immer haben, dass wir drei weggehen konnten, essen gehen konnten, ins Schwimmbad gehen konnten. Halt eigentlich mehr diese Sachen, anstatt auf den Spielplatz zu gehen oder so, mehr die Sachen gemacht halt, die einfach Geld kosten. Eis essen gehen, ins Schwimmbad gehen oder ins Spieleland gehen oder was auch immer."
Hinzugekommen seien die finanziellen Probleme ihrer Mutter. Frau F. habe ihr einen Telefonanschluss eingerichtet, der aber auf ihren Namen lief. Die vielen Bitten an die Mutter, die Telefonkosten selbst zu bezahlen, seien größtenteils erfolglos gewesen. "Dann hab ich gesagt: Okay, dann gibst du mir das aber jeden Monat. Das hat dann mal geklappt, dann mal wieder nicht." Ihre Mutter habe schließlich den Vertrag wechseln wollen. "Da kam die Rechnung, Abschlussrechnung. Hab ihr die dann zurückgeschickt, hab gesagt: Hier, bezahl das. Und das hat sie wohl einfach nicht gemacht und da kam’s dann auch wieder vom Gericht und Mahnbescheid." Letztlich sei es zur Kontopfändung und zu einem Besuch des Gerichtsvollziehers gekommen. "Somit hab ich das jetzt dann auch nochmal zusätzlich am Backen kleben."
Zu viel und falscher Konsum? Oder: Kostenpflichtiger Jugendalltag
Die Ausführungen von Frau F. können schnell als Indiz für einen inkompetenten Umgang mit Geld und "unvernünftigen" Konsum gedeutet werden. Ein anderer Blick erschließt sich bei einer Betrachtung der Bedeutung von Geld im jungen Erwachsenenalter: Der Jugendalltag ist kostenpflichtig geworden. Egal, ob soziale Beziehungen zu Peers und (gemeinsame) jugendkulturelle Aktivitäten, Freizeit, die Ablösung vom Elternhaus, die mit dem Jugendalter einhergehende und normal gewordene Mobilität und mediale Kommunikation sind an finanzielle Mittel geknüpft. Geld ist ein notwendiges Mittel zur Bewältigung der Jugendphase und zentral für die damit verbundenen Bildungs-, Sozialisations- und Entwicklungsprozesse und Übergänge.
Insofern ist beispielsweise der Wunsch von Jugendlichen nach modernen Technologien nicht primär als überhöhter Konsum zu problematisieren oder gar zu pathologisieren, sondern gewinnt seine Bedeutung insbesondere aus den für junge Menschen wichtigen Funktionen, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren, soziale Beziehungen mit ihnen aufrechtzuerhalten und an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen. Gerade auch für die Identitätsentwicklung junger Menschen und die damit verbundene Auseinandersetzung mit der Gruppe der Gleichaltrigen ist Geld beziehungsweise Konsum von zentraler Bedeutung. In der Jugendphase dient Konsum dazu, Differenz zu schaffen, aber auch Gleichheit, und stellt einen zentralen Faktor moderner Vergemeinschaftung dar. "Konsum ist zu einem unverzichtbaren Mittel geworden, um kulturelle Zugehörigkeiten auszudrücken, eigene Stile zu entwickeln, und ist somit auch für die Identitätsentwicklung nicht mehr wegzudenken."
Angesichts des kostenpflichtigen Jugendalters ist nicht zu konsumieren kaum eine Option beziehungsweise geradezu problembehaftet. Insbesondere für Jugendliche mit eingeschränkten finanziellen Mitteln bringt dies Fallstricke mit sich: Mangelnde finanzielle Möglichkeiten schließen einen Teil der Jugendlichen von der "Normalität und Notwendigkeit des Konsums" aus und bergen das Risiko, aus dem gesellschaftlich definierten leistungs-, wohlstands- und konsumorientierten Lebensentwurf ausgeschlossen zu werden.
Sinnlose Geldverschwendung? Oder: Teilhabebemühungen
Angesichts der vielfältigen Funktionen von Geld im Leben junger Menschen lässt sich auch Verschuldung aus diesen Bedeutungsgehalten erschließen. Das Beispiel Frau F. deutet dies an: Sie wollte vor ihrem finanziell bessergestellten Ex-Freund nicht "blöd dastehen". Das wäre die Folge, aufgrund mangelnder finanzieller Mittel an gemeinsamen Aktivitäten und Interaktionen nicht teilzunehmen. Dies kann mit Gefühlen von Scham oder Angst sowie mangelnden Partizipationserfahrungen einhergehen. Die wahrgenommene sozioökonomische Ungleichheit kann durch die Verausgabung von Geld beziehungsweise Verschuldung verdeckt werden und durch die hierdurch bedingten erweiterten Handlungsoptionen vor schmerzlichen Erfahrungen und Gefühlen schützen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur der Hinweis des Arbeitsmarktforschers Andreas Hirseland wichtig, dass sozioökonomische Ungleichheiten durch eine "durch Kredit scheinbar gesteigerten individuellen Verfügbarkeit von Geld zumindest teilweise ‚unsichtbar‘ gemacht werden".
Auch Frau F. versucht, durch die Teilnahme an kostenpflichtigen Freizeitangeboten gemeinsam mit ihrem Freund ihre soziale Eingebundenheit vor dem Hintergrund ihrer sozialen Benachteiligung aufrechtzuerhalten. Dafür nimmt sie Mietschulden in Kauf. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass gesellschaftliche Teilhabe "(…) durch Schuldenanhäufung hervorgebracht (werden kann) und Personen durch die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Teilhabe zu Schuldnerinnen und Schuldnern werden (können)".
Wichtig ist bei der Diskussion über die Risiken und Belastungen durch Schulden bei jungen Menschen das oben genannte Studienergebnis, dass Schulden meist mit vielfältigen Problembelastungen und Lebensschwierigkeiten verwoben sind. So schreibt die Sozialwissenschaftlerin Christa Schär, "dass bei (…) jungen Erwachsenen weniger die Schulden an sich destabilisierend wirken, sondern die Schulden im Zusammenhang oder am Ende einer kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen stehen und daraus destabilisierte kumulierte Lebenslagen hervorgehen, wobei Schulden ein Nebenproblem darstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass besonders hohe Belastungen weniger mit den Schulden an sich im Zusammenhang stehen als vielmehr mit einer solchen kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen".
Individuelles Problem? Oder: Komplexes soziales Phänomen
Mit diesem Ergebnis werden die sozialen Zusammenhänge von Verschuldungsprozessen junger Menschen nochmals pointiert. Auch bei der Schuldenproblematik von Frau F. wurde deutlich, dass diese sich vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Problemlagen wie Arbeitslosigkeit und Armut sowie kritischer Lebensereignisse (frühe Schwangerschaft) aufspannt. Das Problem bei Frau F. ist nicht, dass sie nicht mit Geld "umgehen" kann und ihr Wissen in finanziellen Fragen fehlt. Frau F. erliegt auch keinem "Shoppingrausch". Sie verschuldet sich zu einem wesentlichen Teil auch für andere, für ihre Mutter. Insgesamt versucht sie, vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit und unter Bedingungen knapper finanzieller Ressourcen ihr Leben zu gestalten, dabei Teilhabe zu sichern und auch Verantwortung für andere zu übernehmen.
Das Konzept der Finanzkompetenz erweist sich in seinen Annahmen individueller Defizite als Ursache von Verschuldung als Umdeutung einer sozialen Problemlage. Die Verschuldung junger Menschen ist als sozialer Prozess in gesellschaftliche Bezüge, sozioökonomische Strukturen und in die Bewältigungskonstellationen sich verändernder Lebenswelten des jungen Erwachsenenalters einzubetten. Fragen zunehmender sozialer Ungleichheiten, prekärer Arbeitsverhältnisse, Armut und kritische Lebensereignisse sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die jeweils konkreten und lebensweltlichen Erfahrungen junger Menschen. Diese Strukturen und Erfahrungen werden auf der biografischen Ebene virulent und betten Verschuldungsprozesse in ganz spezifische biografische Verläufe ein.
Die bisherigen Ausführungen geben einen Einblick darin, wie vielfältig und komplex die Hintergründe jugendlicher Verschuldung sein können. Junge Menschen erweisen sich dabei nicht als "inkompetente" Personen, denen der "richtige Blick" aufs Geld verloren gegangen ist, sondern als Akteurinnen und Akteure, die Antworten auf Zumutungen, prekäre Lebensverhältnisse oder eingeschränkte Handlungsoptionen zu finden versuchen.
Erweiterung von Handlungsspielräumen als Perspektive
Angesichts dieser Überlegungen erweist sich eine Perspektive als weiterbringend, die Verschuldung mit den sozialen Handlungsspielräumen junger Menschen in Bezug setzt und die Grenzen von Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten offenlegt. Verschuldungsproblematiken werden hierdurch nicht an ein Set individueller Fähigkeiten geknüpft, sondern der Fokus wird auf soziale Prozesse gelegt, durch die Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden.
Dies bedeutet nicht, auf Angebote der finanziellen Bildung prinzipiell zu verzichten. Der Umgang mit Geld ist ein wichtiger Bestandteil des jugendlichen Alltags, und Fragen rund um Geld und Schulden finden oftmals keinen Raum in der Schule oder Familie. Statt einen vorgegebenen Wissenskanon abzuarbeiten, erscheint es allerdings sinnvoller, jene Fragen aufzugreifen, die Jugendliche in Bezug auf Geld und Schulden auch wirklich beschäftigen.