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Junge Menschen, Geld, Schulden | Schulden | bpb.de

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Junge Menschen, Geld, Schulden

Andrea Braun Vera Lanzen Cornelia Schweppe

/ 14 Minuten zu lesen

Sie können nicht mit Geld umgehen und konsumieren zu viel – Jugendliche und junge Erwachsene werden oft als "Konsumidioten" dargestellt. Die Hintergründe ihrer Verschuldung sind komplexer, als der öffentliche Diskurs vermuten lässt.

Jugendliche und junge Erwachsene werden im öffentlichen, medialen und zuweilen auch fachlichen Diskurs oft als "Konsumidioten" dargestellt. Glaubt man diesen Schilderungen, ist Jugendverschuldung ein verbreitetes und alarmierendes Phänomen, dessen Ursachen schnell identifiziert sind: Der "falsche" Umgang mit Geld, das mangelnde Wissen über Finanzen, eine geringe Planungskompetenz und die unkontrollierte Erfüllung von Konsumwünschen sind die gängigen Erklärungen für finanzielle Schwierigkeiten bis hin zur Überschuldung bei jungen Menschen. So dominieren in den Medien Fotos von Jugendlichen mit Einkaufstüten auf Shoppingmeilen, mit Handys oder teurer Markenkleidung sowie beim Zücken der goldenen Kreditkarte.

Diese Haltung liegt auch vielen Erhebungen zum Thema zugrunde. Laut dem Überschuldungsreport des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) sind beispielsweise eine "fehlende finanzielle Allgemeinbildung", "unwirtschaftliche Haushaltsführung" und "Konsumverhalten" relevante Auslöser für Überschuldung. Noch eindrücklicher sind die vielfach zitierten Ergebnisse der Erhebung des Bundes Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), die sich explizit auf die Gruppe der jungen Erwachsenen beziehen: "Zu hohe Konsumausgaben", "schlechtes Vorbild des Elternhauses", "zu wenig Eigenverantwortung" und "zu wenige Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge" sind hier als maßgebliche Gründe für die Verschuldung bei jungen Erwachsenen aufgeführt.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Daten allerdings nur wenig verlässlich. So beruhen die Ergebnisse des iff-Überschuldungsreports auf Erhebungen bei Schuldnerberatungsstellen, wobei bereits im Vorfeld in Form vorgegebener Antwortkategorien "unwirtschaftliche Haushaltsführung" oder "fehlende Finanzkompetenz" als mögliche Erklärungen festgelegt werden. Die Studie des BDIU ist gläubigerorientiert und basiert auf Einschätzungen von Angestellten der beteiligten Inkassounternehmen. Insofern spiegeln die Daten dieser Studien im Wesentlichen Meinungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der entsprechenden Organisationen über Verschuldungszusammenhänge wider.

Aus dieser Perspektive ist im Umkehrschluss auch die Vorbeugung und Bearbeitung von finanziellen Schwierigkeiten beziehungsweise Verschuldung bei jungen Menschen relativ klar: Gefördert werden muss die Finanzkompetenz. Sie steht mittlerweile im Fokus vieler (pädagogischer) Programme. Angesichts des angenommenen "falschen" Umgangs mit Geld als Ursache finanzieller Schwierigkeiten und Überschuldung möchten diese zum "richtigen" Umgang mit dem zur Verfügung stehenden Geld befähigen und "sinnvollen" Konsum vermitteln. Dieses "vernünftige" Handeln in Bezug auf die eigenen Finanzen soll den Jugendlichen beispielsweise durch das Erstellen von Finanzplänen für den eigenen Haushalt, die dauerhafte Überwachung von Ein- und Ausgaben, den ständigen Preisvergleich sowie die Vermittlung von Wissen im Umgang mit Finanzdienstleistungen oder Informationen über Finanzfallen beigebracht werden. Die Erfüllung materieller Wünsche ist hierbei nur insofern gestattet, als sie mit dem Haushaltsplan vereinbar ist.

Somit wird Verschuldung bei jungen Menschen im Rahmen des Konzepts der Finanzkompetenz als personenbezogenes und wachsendes Problem verortet, das im Wesentlichen durch problematische beziehungsweise fehlende individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten entsteht und dem durch die Förderung dieser Fähigkeiten entsprechend entgegengewirkt werden soll. Der in der Kognitionspsychologie beziehungsweise der pädagogischen Psychologie verankerte Begriff "Kompetenz", weist auf die individuumsbezogene Fokussierung hin. Nach der Definition des Psychologen Franz Weinert bedeutet Kompetenz "die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können".

Im Folgenden werden wir diese Annahmen diskutieren und einen Blick auf finanzielle Schwierigkeiten von jungen Menschen werfen, der Verschuldung in lebensweltliche Zusammenhänge einbettet und sie aus der Bedeutung von Geld und Verschuldung für junge Menschen heraus erschließt.

Jugendverschuldung – ein alarmierendes Problem?

Wirtschaftsunabhängige Daten zum Ausmaß der Verschuldung junger Erwachsener liefert das Statistische Bundesamt. Demnach gehören 0,2 Prozent der Klientinnen und Klienten der Schuldnerberatungsstellen der Altersgruppe der 18- bis 19-Jährigen an, und 6,5 Prozent der Ratsuchenden sind zwischen 20 und 25 Jahre alt. Da diese Daten auf Angaben der Schuldnerberatungsstellen basieren, sind auch sie allerdings in mehrerer Hinsicht begrenzt: Zum einen sind die Auskünfte der Schuldnerberatungsstellen freiwillig und die Weitergabe der anonymisierten Daten bedarf der Zustimmung der beratenen Personen; zum anderen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schuldnerberatungsstellen nur Auskunft über diejenigen jungen Menschen geben, die eine Beratung aufsuchen; weiterhin bleibt neben der "Dunkelziffer" verschuldeter Jugendlicher in den genannten Daten die Situation Minderjähriger mit finanziellen Problemen ebenfalls unberücksichtigt.

Die wenigen aus wissenschaftlicher Sicht seriösen Studien weisen insgesamt zwar auf die Relevanz der Verschuldungsthematik bei jungen Menschen hin. Sie zeigen aber auch, dass es sich um ein weniger verbreitetes Phänomen handelt als oftmals angenommen. 2005 wurden im Rahmen der repräsentativen Studie des Soziologen Elmar Lange und der Psychologin Karin Fries 1003 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren zu Verschuldung befragt. Dabei wurde Verschuldung folgendermaßen definiert: "(Wir) wollen von einer Verschuldung der Kinder und Jugendlichen sprechen, wenn sie sich Geld geliehen haben, das sie nicht gleich wieder zurückzahlen können." Dieser recht breit gefassten Definition folgend sind 6 Prozent der 10- bis 17-Jährigen verschuldet, wobei die durchschnittliche Verschuldungshöhe bei 72 Euro liegt. Berechnet man die Verschuldungshöhe im Median, so verringert sie sich auf 10 Euro.

Aufschlussreich hinsichtlich des Ausmaßes von Verschuldung unter 18- bis 24-Jährigen ist eine Studie aus der deutschsprachigen Schweiz. Sie umfasst 537 junge Menschen aus vier unterschiedlichen Schul- beziehungsweise Ausbildungstypen: Teilnehmende eines arbeitsmarktbezogenen Brückenangebots (SEMO), Lehrlinge, Diplomschülerinnen und -schüler sowie Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Die Ergebnisse zeigen, dass rund 62 Prozent der 18- bis 24-Jährigen keine Schulden haben. Von den 38 Prozent der verschuldeten Jugendlichen haben jeweils rund ein Viertel Schulden bis 100 Franken, zwischen 100 und 1000 Franken, zwischen 1000 und 2400 Franken und 2500 Franken und mehr.

Insgesamt kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis, dass einerseits die informelle Verschuldung, also das Leihen von Geld im Wesentlichen von Eltern, mit in der Regel geringen Beträgen und einer recht kurzfristigen Rückzahlung (meist innerhalb weniger Tage), "zur ‚normalen‘ Organisation des Alltags von Minderjährigen (gehört), mit der viele gut zurechtkommen". Andererseits identifizieren sie eine kleine Gruppe junger Menschen, die über mehrere Tausend Franken verschuldet sind und kaum eine Aussicht auf eine fristgerechte Rückzahlung haben. Hierbei handelt es sich um junge Erwachsene, die mehrheitlich aus sozial benachteiligten Familien kommen, über keine weiterführende Ausbildung verfügen und häufig mit kritischen Lebensereignissen wie etwa einem frühen Auszug aus dem Elternhaus, Arbeitslosigkeit oder Schul- beziehungsweise Lehrabbruch einschließlich (erheblicher) finanzieller Kostenfolgen konfrontiert sind. Diese Jugendliche erfahren zudem kaum Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld – weder bei den herannahenden Krisensituationen noch bei deren Bewältigung. Die Autorinnen und Autoren folgern: "Eine problematische Verschuldungssituation mit mehreren Tausend oder Zehntausend Franken steht meist am Ende einer Kette von sozialen und gesundheitlichen Problemen." Andere Studien bestätigen dieses Ergebnis.

Beispiel Frau F.

Daran anknüpfend möchten wir mit einem Fallbeispiel unsere weitere Auseinandersetzung einleiten. Frau F. ist 23 Jahre alt und seit zwei Jahren mit 7000 Euro bei unterschiedlichen Gläubigern (Möbelhäusern, Versandhäusern, Telefonanbietern) überschuldet. Teilweise kann sie ihre Miete nicht mehr zahlen, derzeit erhält sie Arbeitslosengeld II. Seit einem halben Jahr lebt Frau F. mit ihrem Freund, der noch studiert, und ihrem vierjährigen Sohn in einer Zweizimmerwohnung in einer Großstadt. Für den Sohn sucht sie derzeit einen Kindergartenplatz.

Frau F. erzählt, dass ihr Ex-Freund "aus besseren Verhältnissen" gekommen sei und sie vor ihm nicht "blöd dastehen" wollte. Sie habe daher Geld für gemeinsame Restaurantbesuche, Ausflüge und Medien ausgegeben, die sie sich nach eigener Einschätzung gar nicht leisten konnte. Im Gegenzug habe sie "andere Sachen" nicht bezahlt, "zum Beispiel Handyvertrag nicht, die Miete vielleicht nicht, aber dafür kann man dann, was weiß ich, nen schönen Tag im Freizeitpark oder was auch immer haben, dass wir drei weggehen konnten, essen gehen konnten, ins Schwimmbad gehen konnten. Halt eigentlich mehr diese Sachen, anstatt auf den Spielplatz zu gehen oder so, mehr die Sachen gemacht halt, die einfach Geld kosten. Eis essen gehen, ins Schwimmbad gehen oder ins Spieleland gehen oder was auch immer."

Hinzugekommen seien die finanziellen Probleme ihrer Mutter. Frau F. habe ihr einen Telefonanschluss eingerichtet, der aber auf ihren Namen lief. Die vielen Bitten an die Mutter, die Telefonkosten selbst zu bezahlen, seien größtenteils erfolglos gewesen. "Dann hab ich gesagt: Okay, dann gibst du mir das aber jeden Monat. Das hat dann mal geklappt, dann mal wieder nicht." Ihre Mutter habe schließlich den Vertrag wechseln wollen. "Da kam die Rechnung, Abschlussrechnung. Hab ihr die dann zurückgeschickt, hab gesagt: Hier, bezahl das. Und das hat sie wohl einfach nicht gemacht und da kam’s dann auch wieder vom Gericht und Mahnbescheid." Letztlich sei es zur Kontopfändung und zu einem Besuch des Gerichtsvollziehers gekommen. "Somit hab ich das jetzt dann auch nochmal zusätzlich am Backen kleben."

Zu viel und falscher Konsum? Oder: Kostenpflichtiger Jugendalltag

Die Ausführungen von Frau F. können schnell als Indiz für einen inkompetenten Umgang mit Geld und "unvernünftigen" Konsum gedeutet werden. Ein anderer Blick erschließt sich bei einer Betrachtung der Bedeutung von Geld im jungen Erwachsenenalter: Der Jugendalltag ist kostenpflichtig geworden. Egal, ob soziale Beziehungen zu Peers und (gemeinsame) jugendkulturelle Aktivitäten, Freizeit, die Ablösung vom Elternhaus, die mit dem Jugendalter einhergehende und normal gewordene Mobilität und mediale Kommunikation sind an finanzielle Mittel geknüpft. Geld ist ein notwendiges Mittel zur Bewältigung der Jugendphase und zentral für die damit verbundenen Bildungs-, Sozialisations- und Entwicklungsprozesse und Übergänge.

Insofern ist beispielsweise der Wunsch von Jugendlichen nach modernen Technologien nicht primär als überhöhter Konsum zu problematisieren oder gar zu pathologisieren, sondern gewinnt seine Bedeutung insbesondere aus den für junge Menschen wichtigen Funktionen, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren, soziale Beziehungen mit ihnen aufrechtzuerhalten und an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen. Gerade auch für die Identitätsentwicklung junger Menschen und die damit verbundene Auseinandersetzung mit der Gruppe der Gleichaltrigen ist Geld beziehungsweise Konsum von zentraler Bedeutung. In der Jugendphase dient Konsum dazu, Differenz zu schaffen, aber auch Gleichheit, und stellt einen zentralen Faktor moderner Vergemeinschaftung dar. "Konsum ist zu einem unverzichtbaren Mittel geworden, um kulturelle Zugehörigkeiten auszudrücken, eigene Stile zu entwickeln, und ist somit auch für die Identitätsentwicklung nicht mehr wegzudenken." Dabei ist zu berücksichtigen, dass die häufig vorzufindende Annahme hoher Geldausgaben für Handy und Markenkleidung durch die wenigen Studien, die Geldausgaben junger Menschen untersuchen, infrage gestellt werden. Stattdessen heben diese die Ausgaben für Mobilität und Essen als häufigen Kostenfaktor hervor. Somit geht jugendlicher Konsum auch weit über die oft angenommene Statussymbolik hinaus.

Angesichts des kostenpflichtigen Jugendalters ist nicht zu konsumieren kaum eine Option beziehungsweise geradezu problembehaftet. Insbesondere für Jugendliche mit eingeschränkten finanziellen Mitteln bringt dies Fallstricke mit sich: Mangelnde finanzielle Möglichkeiten schließen einen Teil der Jugendlichen von der "Normalität und Notwendigkeit des Konsums" aus und bergen das Risiko, aus dem gesellschaftlich definierten leistungs-, wohlstands- und konsumorientierten Lebensentwurf ausgeschlossen zu werden. Der Sinn von Geld und Konsum geht weit über Anschaffungen zum notwendigen Gebrauch hinaus. Aus konsumsoziologischer Sicht lassen sich Bedürfnisse nach Gütern immer auch als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse verstehen. Geld und Konsum sind mit vielfältigen Funktionen verbunden. Sie sind von zentraler Bedeutung für die jeweiligen Handlungsmöglichkeiten, soziale Zugehörigkeiten und Partizipation sowie für den eigenen Selbstwert.

Sinnlose Geldverschwendung? Oder: Teilhabebemühungen

Angesichts der vielfältigen Funktionen von Geld im Leben junger Menschen lässt sich auch Verschuldung aus diesen Bedeutungsgehalten erschließen. Das Beispiel Frau F. deutet dies an: Sie wollte vor ihrem finanziell bessergestellten Ex-Freund nicht "blöd dastehen". Das wäre die Folge, aufgrund mangelnder finanzieller Mittel an gemeinsamen Aktivitäten und Interaktionen nicht teilzunehmen. Dies kann mit Gefühlen von Scham oder Angst sowie mangelnden Partizipationserfahrungen einhergehen. Die wahrgenommene sozioökonomische Ungleichheit kann durch die Verausgabung von Geld beziehungsweise Verschuldung verdeckt werden und durch die hierdurch bedingten erweiterten Handlungsoptionen vor schmerzlichen Erfahrungen und Gefühlen schützen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur der Hinweis des Arbeitsmarktforschers Andreas Hirseland wichtig, dass sozioökonomische Ungleichheiten durch eine "durch Kredit scheinbar gesteigerten individuellen Verfügbarkeit von Geld zumindest teilweise ‚unsichtbar‘ gemacht werden". Insgesamt können Schulden neue Spielräume eröffnen und dazu beitragen, "mithalten zu können", Ausgrenzungsprozesse zu vermeiden oder "einem materiellen Stigma zu entgehen".

Auch Frau F. versucht, durch die Teilnahme an kostenpflichtigen Freizeitangeboten gemeinsam mit ihrem Freund ihre soziale Eingebundenheit vor dem Hintergrund ihrer sozialen Benachteiligung aufrechtzuerhalten. Dafür nimmt sie Mietschulden in Kauf. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass gesellschaftliche Teilhabe "(…) durch Schuldenanhäufung hervorgebracht (werden kann) und Personen durch die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Teilhabe zu Schuldnerinnen und Schuldnern werden (können)". Allerdings ist Verschuldung gleichzeitig risikobehaftet und birgt wiederum die Gefahr sozialer Exklusion. Bei Frau F. zeigt sich dies am drohenden Wohnungsverlust aufgrund der nicht bezahlten Miete.Diese Risiken nehmen für junge Menschen aus "armen Verhältnissen" zu, denn sie haben weniger "Auffangmöglichkeiten" in Form einer Unterstützung durch die Eltern.

Wichtig ist bei der Diskussion über die Risiken und Belastungen durch Schulden bei jungen Menschen das oben genannte Studienergebnis, dass Schulden meist mit vielfältigen Problembelastungen und Lebensschwierigkeiten verwoben sind. So schreibt die Sozialwissenschaftlerin Christa Schär, "dass bei (…) jungen Erwachsenen weniger die Schulden an sich destabilisierend wirken, sondern die Schulden im Zusammenhang oder am Ende einer kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen stehen und daraus destabilisierte kumulierte Lebenslagen hervorgehen, wobei Schulden ein Nebenproblem darstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass besonders hohe Belastungen weniger mit den Schulden an sich im Zusammenhang stehen als vielmehr mit einer solchen kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen". Insofern ist auch der Schlussfolgerung zuzustimmen, "dass junge Erwachsene oftmals insgesamt nicht nur vor der Bewältigung der Schulden an sich stehen, sondern auch davor, gesellschaftliche Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, wiederherzustellen oder hin zur autonomen Lebensführung überhaupt herzustellen".

Individuelles Problem? Oder: Komplexes soziales Phänomen

Mit diesem Ergebnis werden die sozialen Zusammenhänge von Verschuldungsprozessen junger Menschen nochmals pointiert. Auch bei der Schuldenproblematik von Frau F. wurde deutlich, dass diese sich vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Problemlagen wie Arbeitslosigkeit und Armut sowie kritischer Lebensereignisse (frühe Schwangerschaft) aufspannt. Das Problem bei Frau F. ist nicht, dass sie nicht mit Geld "umgehen" kann und ihr Wissen in finanziellen Fragen fehlt. Frau F. erliegt auch keinem "Shoppingrausch". Sie verschuldet sich zu einem wesentlichen Teil auch für andere, für ihre Mutter. Insgesamt versucht sie, vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit und unter Bedingungen knapper finanzieller Ressourcen ihr Leben zu gestalten, dabei Teilhabe zu sichern und auch Verantwortung für andere zu übernehmen.

Das Konzept der Finanzkompetenz erweist sich in seinen Annahmen individueller Defizite als Ursache von Verschuldung als Umdeutung einer sozialen Problemlage. Die Verschuldung junger Menschen ist als sozialer Prozess in gesellschaftliche Bezüge, sozioökonomische Strukturen und in die Bewältigungskonstellationen sich verändernder Lebenswelten des jungen Erwachsenenalters einzubetten. Fragen zunehmender sozialer Ungleichheiten, prekärer Arbeitsverhältnisse, Armut und kritische Lebensereignisse sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die jeweils konkreten und lebensweltlichen Erfahrungen junger Menschen. Diese Strukturen und Erfahrungen werden auf der biografischen Ebene virulent und betten Verschuldungsprozesse in ganz spezifische biografische Verläufe ein.

Die bisherigen Ausführungen geben einen Einblick darin, wie vielfältig und komplex die Hintergründe jugendlicher Verschuldung sein können. Junge Menschen erweisen sich dabei nicht als "inkompetente" Personen, denen der "richtige Blick" aufs Geld verloren gegangen ist, sondern als Akteurinnen und Akteure, die Antworten auf Zumutungen, prekäre Lebensverhältnisse oder eingeschränkte Handlungsoptionen zu finden versuchen.

Erweiterung von Handlungsspielräumen als Perspektive

Angesichts dieser Überlegungen erweist sich eine Perspektive als weiterbringend, die Verschuldung mit den sozialen Handlungsspielräumen junger Menschen in Bezug setzt und die Grenzen von Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten offenlegt. Verschuldungsproblematiken werden hierdurch nicht an ein Set individueller Fähigkeiten geknüpft, sondern der Fokus wird auf soziale Prozesse gelegt, durch die Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Fragen der Benachteiligung, Chancengleichheit und gesellschaftlichen Anerkennung von Bedürfnissen und Herausforderungen zur Bewältigung der alltäglichen Lebensführung geraten hier in den Blick. Hiernach gilt es, die sozialen Strukturen und die darin enthaltenen Handlungsoptionen so zu gestalten beziehungsweise zu erweitern, dass sich Akteurinnen und Akteure als handlungsmächtig erfahren, indem die subjektive Handlungsfähigkeit sozial und politisch abgesichert und darüber gestärkt werden kann. Dies schließt verlässliche und leicht zugängliche Unterstützungsstrukturen ein, die das oft schambesetzte und tabuisierte Thema der Verschuldung in den ganz "normalen" Kanon der Hilfe bei schwierigen Lebenssituationen aufnehmen.

Dies bedeutet nicht, auf Angebote der finanziellen Bildung prinzipiell zu verzichten. Der Umgang mit Geld ist ein wichtiger Bestandteil des jugendlichen Alltags, und Fragen rund um Geld und Schulden finden oftmals keinen Raum in der Schule oder Familie. Statt einen vorgegebenen Wissenskanon abzuarbeiten, erscheint es allerdings sinnvoller, jene Fragen aufzugreifen, die Jugendliche in Bezug auf Geld und Schulden auch wirklich beschäftigen. In diesem Sinne könnte die Auseinandersetzung mit diesen Themen jenseits einer sogenannten Finanzkompetenz ermöglicht werden. Eine lebensweltliche Orientierung am Alltag der Jugendlichen, die die "Selbstbestimmung der Adressatinnen und Adressaten ernst" nimmt und "eigene Ideal- und Wunschvorstellungen" eines "richtigen" Lebens nicht durchzusetzen versucht, gilt als Paradigma für die Präventions- und Bewältigungsarbeit im Problemfeld Jugendverschuldung genauso wie für jene in Bezug auf andere soziale Problemlagen. Ob sich dabei das Ziel der Unterstützung am Ideal der Schuldenfreiheit orientiert oder auch in der Förderung einer selbstbestimmten Verschuldung liegen könnte, wäre dabei zu diskutieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hans Ebli, Über Konsumentenkredite, Überschuldung, "jugendliche Konsumidioten" und "Schuldenprävention" in der "Kreditgesellschaft", in: Unsere Jugend, (2005) 6, S. 243–253.

  2. Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (iff), iff-Überschuldungsreport 2014. Überschuldung in Deutschland, S. 9, Externer Link: http://www.iff-ueberschuldungsreport.de/media.php?id=4874 (14.12.2015).

  3. Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V., Mitgliederbefragung 1. Halbjahr 2015, S. 10, Externer Link: http://inkasso.de/sites/default/files/downloads/06%20-%20Grafiken%20Jun15.pdf (14.12.2015)

  4. Vgl. iff (Anm. 2), S. 9.

  5. Franz E. Weinert, Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Leistungsmessung in Schulen, Weinheim–Basel 20022, S. 17–32, hier: S. 27.

  6. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistik zur Überschuldung privater Personen, Wiesbaden 2014.

  7. Elmar Lange/Karin R. Fries, Jugend und Geld 2005. Eine empirische Untersuchung über den Umgang von 10–17-jährigen Kindern und Jugendlichen mit Geld, München–Münster 2006, S. 67.

  8. Vgl. ebd., S. 67.

  9. Vgl. Elisabeth Streuli et al., Eigenes Geld – Fremdes Geld. Jugendverschuldung in Basel-Stadt, Olten–Basel 2008.

  10. Ebd., S. 4.

  11. Ebd., S. 5.

  12. Vgl. etwa Christa Schär, Verschuldung in der Lebensphase Jugend bewältigen. Eine qualitative Forschungsarbeit über das Bewältigungshandeln junger Erwachsener vor dem Hintergrund ihrer sozialstrukturellen Herkunfts- und Lebenslagebedingungen, Masterarbeit, Universität Freiburg (CH) 2014.

  13. Das Fallbeispiel basiert auf einem biografischen Interview, das im Rahmen des Dissertationsprojektes von Vera Lanzen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zum Thema Schulden im Übergang ins Erwachsenenalter erhoben wurde.

  14. Claus Tully/Wolfgang Krug, Konsum im Jugendalter. Umweltfaktoren, Nachhaltigkeit, Kommerzialisierung, Schwalbach/Ts. 2011, S. 207.

  15. Lothar Böhnisch, Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung, Weinheim–Basel 2008, S. 235.

  16. Vgl. Norbert F. Schneider, Konsum und Gesellschaft, in: Doris Rosenkranz/ders. (Hrsg.), Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen 2000, S. 9–22, hier: S. 21.

  17. Vgl. Elisabeth Streuli, Geld, Knappheit und Verschuldung im Jugendalter – Zwischen finanzieller Abhängigkeit und Mündigkeit, in: Stefan Schnurr/Edith Maud Piller (Hrsg.), Handbuch Kinder- und Jugendhilfe in der Schweiz. Forschung und Diskurse, Wiesbaden 2013, S. 333–368.

  18. Andreas Hirseland, Schulden in der Konsumgesellschaft. Eine soziologische Analyse, Amsterdam 1999, S. 83.

  19. Elias Scotson, zit. nach: Christoph Mattes, Schuldnerberatung als Antwort auf Verschuldung? Ein Beitrag zum Methodendiskurs in der Sozialen Arbeit, in: BAG-SB Informationen 2/2012, S. 113–120, hier: S. 116.

  20. Désirée Bender et al., Gesellschaftliche Teilhabe trotz Schulden – Gesellschaftliche Teilhabe aufgrund von Schulden? Sozialpädagogische Perspektiven für ein diskursives Verständnis von gesellschaftlicher Teilhabe, in: Forschungscluster "Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke" (Hrsg.), Gesellschaftliche Teilhabe trotz Schulden? Perspektiven interdisziplinären Wissenstransfers, Wiesbaden 2012, S. 35 (Herv.i.O.).

  21. Vgl. ebd.

  22. Vgl. Christoph Mattes, Gute Schulden – schlechte Schulden? Jugendverschuldung zwischen Problematisierung und Banalisierung, in: Jugendsozialarbeit aktuell, (2010) 95, o.S.

  23. Ch. Schär (Anm. 12), S. 125.

  24. Ebd., S. 10.

  25. Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 2006, S. 58ff.; Hans-Günther Homfeldt/Wolfgang Schröer/Cornelia Schweppe, Transnationalisierung Sozialer Arbeit – Transmigration, Soziale Unterstützung und Agency, in: Neue Praxis, (2007) 3, S. 239–249.

  26. Vgl. ebd.

  27. Vgl. Stephan Sting, Suchtprävention im Kindes- und Jugendalter. Potenziale und Grenzen der verschiedenen Ansätze zur Suchtprävention im Hinblick auf Gesundheitsförderung unter Berücksichtigung der Lebens- und Risikolagen und der Suchtgefährdung von Kindern und Jugendlichen, München 2009, Externer Link: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/13_KJB_Expertise_Sting_TG_Suchtpraevention.pdf (14.12.2015), S. 39.

  28. Ebd., S. 39.

  29. Vgl. Christoph Mattes, Verschuldung erlaubt? Schuldnerberatung – ein Feld im Umbruch?, in: Sozial Aktuell, (2010) 4, S. 40–43.

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Dr. phil., geb. 1979; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schuldnerfachberatungszentrum des Arbeitsbereichs "Jugend und Schulden" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Hegelstraße 59, 55122 Mainz. E-Mail Link: brauna@uni-mainz.de

Dipl.-Päd., geb. 1986; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schuldnerfachberatungszentrum (s.o.). E-Mail Link: vera.lanzen@uni-mainz.de

Dr. phil., geb. 1955; Professorin für Sozialpädagogik und Leiterin der Forschungs- und Dokumentationsstelle für Verbraucherinsolvenz und Schuldnerberatung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Erziehungswissenschaft, Jakob-Welder-Weg 12, 55128 Mainz. E-Mail Link: schweppc@uni-mainz.de