Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Einhegen oder pflegen? | Schulden | bpb.de

Schulden Editorial Geldpolitik und Staatsverschuldung. Monetäre oder fiskalische Dominanz? Einhegen oder pflegen? Internationale Regulierung von Staatsverschuldungskrisen im langen 20. Jahrhundert Austeritätspolitik als gesellschaftliches Projekt Staatsschulden, Haushaltskonsolidierung und staatlicher Gestaltungsspielraum in Schweden Geld und Schulden. Zwei Seiten einer Medaille Junge Menschen, Geld, Schulden Wie geht es "raus aus den Schulden"? Narrative Krisenbewältigung in der Privatverschuldung Schuld und Schulden. Wie moralisch ist die Ökonomie?

Einhegen oder pflegen? Internationale Regulierung von Staatsverschuldungskrisen im langen 20. Jahrhundert

Laura Rischbieter

/ 15 Minuten zu lesen

Wie sich die internationale Kooperation bei Zahlungsschwierigkeiten von Staaten seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt hat, lässt sich anhand der Interventionen und Absprachen im Zuge von Auslandsverschuldungskrisen veranschaulichen.

Monetäre Schulden gehen hervor aus Kreditbeziehungen zwischen mindestens zwei Akteuren, dem Schuldner und dem Gläubiger. Staatsverschuldung ist so gesehen Gegenstand sozialer Praktiken sowie wissenschaftlicher und politischer Interpretationen über ihren Nutzen. Entsprechend divergierten je nach historischem und geografischem Kontext die Meinungen darüber, wie sinnvoll oder schädlich öffentliche Verschuldung sei und wie man am besten mit Verschuldungskrisen von Staaten umzugehen habe.

Vergleicht man jedoch die Vormoderne mit der Moderne, so lässt sich eine Zäsur ausmachen, die die Zeit ab dem 19. Jahrhundert von der vorigen unterscheidet. In der Vormoderne kannten sich Gläubiger und Schuldner meist und gingen ad personam eine Kreditbeziehung ein. Fürsten und Monarchen liehen sich Geld von einzelnen Bankhäusern, oder es konnten sogar Kreditgeber und -nehmer in einer Person aufgehen, wie das Beispiel der Niederlande demonstriert: Die politischen Vertreter der niederländischen Republik der Sieben Vereinigten Provinzen finanzierten die von ihnen geplanten öffentlichen Ausgaben oftmals mit einer Anleihe, die sie als Merchant Banker selber zeichneten und hielten. Ob einer konkreten Persönlichkeit oder Personengruppe eine gewünschte Summe zur Verfügung gestellt wurde und wofür sie Kredite erhielt, bestimmten also weniger Diskurse über den Sinn und die Notwendigkeit von Verschuldung für Regierungshandeln im Allgemeinen, als vielmehr der politische und soziale Kontext.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Verhältnis zwischen privaten Gläubigern und öffentlichen Schuldnern grundlegend. Erstens traten an die Stelle von Krediten, die an Personen oder Landstände gebunden waren, öffentliche, an den Staat gebundene Schulden. Sie nahmen nicht einzelne Regierungen, sondern alle Bügerinnen und Bürger in die Pflicht, und ihre Tilgung erfolgte über Steuereinnahmen. Schulden aufzunehmen, um etwa Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren und Haushaltsdefizite zu überbrücken, wurde zu einem grundlegenden Merkmal staatlichen Handelns. In der Öffentlichkeit debattierten die Zeitgenossen nun weniger darüber, ob der Staat sich überhaupt verschulden sollte, sondern darüber, wie hoch oder wie gering Staaten sich verschulden sollten und welche Kreditgeber und Finanzinstrumente hierfür die besten seien.

Zweitens führte die ökonomische Integration der Märkte seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer zunehmenden internationalen Investitionstätigkeit. Banken begannen, ihre Geschäftsaktivitäten systematisch über nationalstaatliche Grenzen auszuweiten. Die von England im 18. Jahrhundert ausgehende "finanzielle Revolution" professionalisierte das Bankgeschäft, und es entstanden neue Techniken und Praktiken für die Verschuldung von Unternehmen und Staaten.

Spätestens am Ende des 19. Jahrhunderts finanzierten moderne Steuerstaaten weltweit nun drittens ihre Ausgaben regelmäßig über festverzinsliche Wertpapiere und nutzten Anleihen, um Haushaltsdefizite auszugleichen. Diese Papiere fanden eine große Nachfrage auf den heimischen und ebenso auf den internationalen Kapitalmärkten. Der moderne Steuerstaat und der moderne Finanzmarkt entstanden zur selben Zeit und mit starkem gegenseitigen Interesse. Staatliche Zahlungskrisen strapazieren dieses Verhältnis aber seitdem.

Besonders oft gerieten in der Moderne Länder in Zahlungsverzug, die sich im Ausland massiv verschuldet hatten. Viele Staatsbankrotte waren in der Vergangenheit eine Folge exzessiver Auslandsverschuldung. Deshalb gilt den Auslandsschulden in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Debatten besondere Aufmerksamkeit. Von einer Auslandsverschuldungskrise ist in der Forschung landläufig die Rede, wenn eine Situation vorliegt, in der Staaten die bei ausländischen Gläubigern aufgenommenen Tilgungszahlungen ihrer Kredite oder die Anleihen und deren Zinsen nicht bedienen können oder wollen, ihren Schuldendienst in unterschiedlichem Ausmaß unterbrechen oder einstellen.

Auslandsverschuldungskrisen sind zudem selten Einzelfälle. So erklärten in den vergangenen 150 Jahren wiederholt mehrere Länder zugleich, ihren Schuldendienst einstellen zu müssen. Mehrere Länder bedienten gleichzeitig ihre Verpflichtungen nur teilweise oder überhaupt nicht in den 1870er und 1880er Jahren; eine ähnliche Situation trat kurz vor und dann kurz nach dem Ersten Weltkrieg erneut ein, ebenso in den 1930er und 1940er Jahren, in den 1980er Jahren sowie Ende der 1990er Jahre und seit 2007. Üblicherweise erfassten weitere ökonomische Turbulenzen die betroffenen Volkswirtschaften zusätzlich: Länder, die ein Moratorium ankündigten oder gar ihren Bankrott erklärten, kämpften zeitgleich mit Krisen ihres Banken-, Währungs- und Finanzsystems. Ein weiteres gemeinsames Merkmal gehäufter Auslandsverschuldungskrisen ist ihre Vorgeschichte: Vor ihrem Eintreten wiesen die Zinsen auf den Kapitalmärkten ein vergleichsweise niedriges Niveau auf, öffentliche Anleihen erfreuten sich wie in den 1860er Jahren einer massiven Nachfrage, oder es fand wie Mitte der 1970er Jahre ein regelrechter internationaler Boom in der Kreditvergabe an die öffentliche Hand statt. Die empirischen Befunde einer auf- und abschwingenden Intensität internationaler Finanztransaktionen zwischen der öffentlichen Hand und privaten Investoren und ihrem regelmäßigen Kulminationspunkt in gehäuften Auslandsverschuldungskrisen interpretieren einige Forscher daher als Teil zyklischer Konjunkturen des kapitalistischen Weltsystems.

Festhalten lässt sich, dass die zunehmende Integration der Finanzmärkte seit dem 19. Jahrhundert dazu führte, dass die Verschuldungskrise eines Staates bis heute selten allein blieb. Je höher sich ein Land bei ausländischen Geldgebern verschuldete, umso abhängiger wurde es von denjenigen Entwicklungen, die die Launen der Investoren lenkten. So versiegte der ausländische Kapitalimport in den vergangenen 150 Jahren oftmals abrupt infolge eines Vertrauensverlustes auf den Finanzmärkten. Dieser wurde häufig durch politische und wirtschaftliche Krisen hervorgerufen, die das Schuldnerland selbst gar nicht betrafen. Wenn dieser Faktor alleine nicht schon reichte, um zahlungsunfähig zu werden, so führte nicht selten der in Vertrauenskrisen einsetzende plötzliche Wertanstieg der eigenen Auslandsschulden dazu. Da sie in der Regel in einer fremden Währung bedient werden müssen, steigt und fällt der Wert der aufgenommenen Schulden mit den volatilen Zinsentwicklungen jener internationalen Leitwährungen, die auf den Anleihen vermerkt sind oder auf die die Kreditverträge lauten. Neben einer ungünstigen volkswirtschaftlichen Gesamtsituation eines Landes lösen auch weltwirtschaftliche und politische Interdependenzen Auslandsverschuldungskrisen aus.

Internationale Regulierung öffentlicher Schulden

Diese Phänomene und ihre potenzielle Kausalität gerieten Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend in den Fokus der Politik. Dampfschiffe brachten Menschen und Waren schnell und preiswert in fast alle Regionen des Globus, und Nachrichtenagenturen verbreiteten Informationen über politische Ereignisse und ökonomische Trends in die ganze Welt. Gleichzeitig hielt die Unsicherheit darüber Einzug, ob Entwicklungen in entfernten Regionen sich nachteilig auf die eigene Unternehmung oder die gesamte Wirtschaft auswirken könnten. Die Gründerkrise der 1870er Jahre bestätigte diese Sorgen nachdrücklich. Da globale ökonomische Interdependenzen in Krisenzeiten besonders sichtbar werden, tauschten sich die Zeitgenossen auf der Suche nach Lösungen nun vermehrt international über mögliche Strategien aus, um einen gemeinsamen Umgang mit Zahlungsschwierigkeiten von Staaten zu finden. Wie sich die Strukturen internationaler Kooperation seitdem und bis in die Gegenwart herausbildeten und ihre Mechanismen veränderten, lässt sich daher anhand der Interventionen und Absprachen im Zuge der gehäuft auftretenden Auslandsverschuldungskrisen veranschaulichen.

In den 1870er bis 1890er Jahren meldeten Länder vor allem in Südamerika und Südeuropa in 28 Fällen an, ihre meist durch britische und französische Banken emittierten Anleihen nicht bedienen zu können. Eine wirkliche internationale Kooperation mit dem Ziel eines koordinierenden Eingreifens erfolgte nicht: Schuldner und Gläubiger verhandelten bilateral über Umschuldungsmaßnahmen und ihre Konditionen. Um die destabilisierenden Effekte weltwirtschaftlicher Verflechtung auf die nationalen Währungen zu begrenzen, fanden jedoch einige internationale Konferenzen statt. Sie zielten darauf, geldpolitische Regeln zu etablieren und den Goldstandard und damit das internationale Wechselkurssystem zu stabilisieren. Ebenso stützten Zentralbanken nun zunehmend gegenseitig ihre Operationen. Ihre Konferenzen und die Hilfsmaßnahmen, die sie sich gegenseitig gewährten, mündeten aber nicht in einer institutionalisierten Kooperation der Zentralbanken, um internationale Maßnahmenkataloge für den Krisenfall zu etablieren.

Dies änderte sich erst in der Zwischenkriegszeit, als – ausgelöst durch die zweite Welle moderner Staatsverschuldungskrisen (25 Fälle) – erstmals konzertierte Krisenmanagementstrategien diskutiert wurden. Um den Austausch und die Zusammenarbeit der Zentralbanken langfristig zu gewährleisten und insbesondere die deutschen Reparationszahlungen kurzfristig zu verwalten und zu verteilen, richtete die internationale Staatengemeinschaft 1930 eine multilaterale Finanzorganisation ein: die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Zudem begann der Völkerbund, Daten über die Haushaltsdefizite der Staaten zu sammeln. Mit diesen Informationen hoffte man, das Phänomen als solches erforschen zu können, um besser für den Krisenfall gewappnet zu sein.

Zu dieser Zeit kursierten mehrere Konzepte, um zukünftige Rückzahlungsschwierigkeiten der öffentlichen Hand besser zu organisieren. So sah beispielsweise der Kindersley-Norman-Plan vor, eine noch zu gründende internationale Organisation damit zu beauftragen, die Schulden koordiniert umzuschulden und internationale Lösungsmechanismen zu entwickeln. Letztendlich zeigte sich schon nach kurzer Zeit, dass keine nennenswerte Unterstützung für ein solches konzertiertes Vorgehen der Staatengemeinschaft zu finden war; insbesondere nicht von Seiten der Kreditgeberländer wie den USA und Großbritannien. Im Gegenteil: In der politischen Stimmung der späten 1930er Jahre stand nicht Kooperation auf der Agenda; Regierungen neigten dazu, eine Zins- und Währungspolitik zu verfolgen, die keine Rücksicht auf andere Staaten nahm. Diese "Beggar-thy-Neighbour-Politik" oder auch "Währungskriege" genannten Aktionen heizten die politische Stimmung an und lösten innen- wie außenpolitisch desaströse soziale und ökonomische Entwicklungen aus. Demensprechend scheiterten alle Pläne für eine internationale Kooperation in währungs-, zins- und schuldenpolitischen Fragen. Bilaterale Verhandlungen blieben in den 1930er und 1940er Jahren das Mittel der Wahl zwischen den rund 25 in Zahlungsverzug geratenen Ländern und ihren vielen Hunderten privaten Geldgebern.

Pflegen und institutionell eingehen

Trotz dieser Erfahrungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden sich kaum kritische Stimmen gegen die ab den 1960er Jahren weltweit zunächst mäßig, in den 1970er Jahren für Friedenszeiten bemerkenswert schnell wieder ansteigende Verschuldung der öffentlichen Hand. Im Gegenteil, es war nach dem Zweiten Weltkrieg politisch durchaus gewollt, dass Investoren die Infrastrukturmaßnahmen in anderen Ländern mittels Anleihen und Krediten aktiv förderten. Die Vorstellung dominierte, man müsse die Kapitalströme nur optimal lenken. Dies lag zum einen an der allgemeinen zeitgenössischen Einschätzung, dass der internationale Kreditmarkt ein effizienter Intermediär zwischen Angebot und Nachfrage sei. Zum anderen strukturierte eine bestimmte Argumentationskette den Diskurs: Der Nutzen der Verschuldung bestehe darin, dass sich die Volkswirtschaften mittels der Kredite besonders gut entwickeln könnten. Dieses angestrebte Ziel, gepaart mit hohen Wachstumszahlen, ließ es möglich erscheinen, dass die Schuldner aus ihren Defiziten langfristig selbstständig herauswachsen könnten.

Der weltweite Trend einer verstärkten Ausgabenfinanzierung durch Schulden trotz steigender öffentlicher Einnahmen in Zeiten weltwirtschaftlicher Prosperität fand innerhalb eines institutionellen Settings internationaler Kooperation statt. Geplant hatten diese Wirtschaftsordnung rund 700 Delegierte aus 44 alliierten Ländern 1944 auf einer Konferenz im US-amerikanischen Städtchen Bretton Woods. Das daraus hervorgegangene Vertragswerk erhob Kreditvergabe zu einem zentralen Steuerungsinstrument in der internationalen Wirtschaftspolitik. Um Kreditaufnahmen zu erleichtern, Umschuldungskredite zu gewährleisten und Verschuldungskrisen zu lösen, nahmen fast unmittelbar nach Kriegsende der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ihre Arbeit auf. Ihre Aktivitäten flankierten bald der Pariser Club, in dem staatliche Gläubiger und Schuldner miteinander verhandeln, und die nach wie vor existierende BIZ, in der Zentralbanken Verschuldungspolitiken koordinieren.

Mit den Aufgaben dieser multilateralen Finanzorganisationen, ihren ökonomischen Mitteln und ihrer Personalausstattung haben sich seit ihrer Gründung zugleich die Möglichkeiten ausgeweitet, Kredite als wirtschaftspolitische Steuerungsinstrumente sowie als Hilfsmaßnahmen zur Umschuldung alter Schulden im Krisenfall einzusetzen. Die Organisationen verteilten von Beginn an Verantwortlichkeiten für Gläubiger und Schuldner und legten fest, was als ökonomisch funktional galt und was nicht. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelten zudem im Laufe der Zeit ein Set von Bedingungen für die Kreditvergabe. Wer, wann, wofür und unter welchen Bedingungen Kredite erhielt, war zunehmend an feste Bedingungen geknüpft. Ihre multilaterale Kreditvergabepolitik transformierte sich dabei von einem Instrument, das Wechselkurse zu stabilisieren suchte und Infrastrukturprojekte förderte, um den internationalen Handel zu erleichtern, ohne die nationalstaatlichen Politiken zu tangieren, zu einem Instrument, mit dem sie moderierend, aber zunehmend auch koordinierend in die Wirtschafts- und Sozialpolitik von krisengebeutelten Volkswirtschaften eingriffen.

Die Weltwirtschaftskrise sowie die "Beggar-thy-Neighbour-Politik" der 1930er Jahre waren der intellektuelle Referenzpunkt ihrer Arbeit. Dieser Erfahrung setzten sie ein Weltordnungskonzept entgegen, das auf wirtschaftliche Koordination und verbindliche Normen abzielte. Die Kreditaufnahme von Staaten im Ausland zu protegieren, gehörte ebenso zum Ordnungskonzept, wie Kredite durch den IWF zu verteilen, um kurzfristige Kapitalbilanzdefizite von Staaten auszugleichen. Diese positive Sichtweise auf das Lenken und Umlenken von internationalen Kapitalströmen geriet in Bedrängnis, als im August 1982 mit dem Moratorium Mexikos ein Jahrzehnt anbrach, in dem 44 Staaten mindestens einmal Zahlungsschwierigkeiten ankündigten.

Zurück ins 19. Jahrhundert?

Auch der Verschuldungskrise der 1980er Jahre ging ein Boom auf den Finanzmärkten voraus. Im Zuge der ersten Ölpreiskrise 1973 stiegen die Umsätze der ölfördernden Staaten, und sie legten ihre Gewinne bei europäischen und US-amerikanischen Banken an. Die Banken wiederum "recycelten" diese Ölgelder, indem sie Kredite mit äußerst günstigen Zinsen und langen Laufzeiten an kreditsuchende Staaten vergaben. Doch die weltwirtschaftliche Konjunktur verschlechterte sich im Laufe des Jahrzehnts; ab 1977 konnten immer mehr Staaten ihre Schulden oder deren Bereitstellungskosten nicht mehr bedienen, die Zinsen auf dem Interbankenmarkt und für öffentliche Kredite stiegen wieder. Zeitgleich verteuerten sich die aufgenommenen Summen aufgrund der US-amerikanischen Hochzinspolitik, da die Verträge auf Dollar lauteten. 1982 brach das Finanzierungssystem zusammen.

Blickt man aus makroökonomischer Perspektive auf die gewählten Bewältigungsstrategien zwischen Gläubigern und Schuldnern, so zeigt sich ein dominierendes Lösungsmuster: Um die fälligen Rückzahlungsraten und Zinsverpflichtungen wieder zu gewährleisten, wählten die beteiligten Akteure mehrheitlich das Mittel der Umschuldung. Die Neuaufnahme von Schulden erwies sich demnach als bevorzugter Weg aus der Krise. Der Schuldenerlass bildete nur einen geringfügigen Beitrag im Rahmen größerer Umschuldungsmaßnahmen. Neu war die Form der internationalen Koordination in der Krise: Der IWF und das US-amerikanische Finanzministerium organisierten Verhandlungen zwischen allen beteiligten Akteuren. Dieses konzertierte Vorgehen brachte zwar neue Kredite für die strauchelnden Volkswirtschaften, aber auch sechs Jahre nach Mexikos Moratorium hatte sich die Situation nicht entspannt. Je länger die Krise anhielt, desto lauter wurden kritische Stimmen, die sich gegen das System koordinierter Umschuldung und die hierfür geltenden Regeln, den "Washingtoner Konsens", aussprachen.

Unter diesem Schlagwort war ein Bündel an Auflagen der internationalen Finanzorganisationen zusammengefasst, die die Regierungen der Schuldnerländer erfüllen mussten, wenn sie Umschuldungskredite des IWF oder gar Schuldenerlasse im Rahmen des Pariser Clubs beantragen wollten. Dazu gehörten unter anderem, dass die Schuldnerländer als oberste Priorität einen ausgeglichenen Haushalt anstreben mussten, was in der Praxis zur Streichung sozialstaatlicher Fürsorgemaßnahmen und zur umfassenden Privatisierung staatlichen Eigentums führte. Schon Mitte des Jahrzehnts erholten sich die betroffenen Volkswirtschaften trotz der Maßnahmen des Washingtoner Konsens nicht; deutlich zeichneten sich hingegen die hohen sozialen Kosten für die Gesellschaften ab, bei einem weiteren Anstieg der Auslandsverschuldung und sinkenden Wachstumszahlen.

Doch die Finanzorganisationen entschieden sich nachdrücklich nicht, das bestehende System der Umschuldung im Krisenfall grundsätzlich infrage zu stellen, auch wenn die Industriestaaten im Rahmen des Pariser Clubs ab Mitte der 1980er Jahre hochverschuldeten Ländern mit einer besonders schlechten wirtschaftlichen Prognose einen anteiligen Schuldenerlass gewährten. Alternative Maßnahmen wie zum Beispiel ein Insolvenzrecht für Staaten fanden seit den 1980er Jahren zwar viele Befürworter, die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft lehnt sie aber bis heute ab. Durchsetzen konnte sich hingegen die besonders unter den G7-Staaten mehrheitsfähige Position, die kreditbasierte Finanzierung der öffentlichen Hand schrittweise durch neue Finanzinstrumente zu ersetzen. Zur Lösung der Krise brauche man, so die Mehrheitsmeinung, neue Liquidität durch neue Finanzmarktakteure und dementsprechend auch neue Finanzprodukte.

Gerade der spekulative Charakter verbriefter Papiere erschien wünschenswert, um ganz verschiedene Akteure anzulocken. In der Streuung öffentlicher Schulden unter vielen privaten Investoren sah man die Zukunft staatlicher Verschuldung. Schon 1989 führte der nach dem damaligen US-Finanzminister benannte Brady-Plan zu einer umfassenden Umwandlung öffentlicher Verbindlichkeiten weg von Krediten, die durch Banken ausgegeben werden, hin zu verzinslichen Wertpapieren sowie individuell vereinbarten Tauschgeschäften, sogenannte Swaps: Kreditforderungen der Banken tauschten die in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Staaten zum einen gegen die sogenannten Brady Bonds. Diese Deals zwischen Schuldnern und Banken finanzierten sie mit eigenen Ressourcen und Krediten des IWF und der Weltbank. Weitere "alternative" Finanzinstrumente bildeten zum anderen Debt-equity-Swaps oder Debt-to-nature-Swaps, bei denen die Schuldnerländer offene Forderungen gegen Anteile an öffentlichen Unternehmen beziehungsweise natürliche Ressourcen ihres Landes tauschten.

Broker, Investment-, Pensions- und Hedgefonds, Versicherungen und andere Nichtbanken fragten die Papiere der öffentlichen Hand rasch und verstärkt nach. Die Situation an den Finanzmärkten entspannte sich allmählich, da die in Bonds und Swaps umgewandelten Kredite an der Börse handelbar geworden waren, ein entscheidender Unterschied zu Bankkrediten. Auf verzinsliche Wertpapiere setzten zeitgleich auch die Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Von Geschäftsbanken an die öffentliche Hand ausgegebene Kredite verloren ihre Bedeutung, und die Staaten wählten mit der Emission von Anleihen wieder das gleiche Verschuldungskonzept wie im 19. Jahrhundert.

Grenzen der Schulden und Grenzen der Märkte

Die Verschuldungskrise der 1980er Jahre veränderte die Grundlagen der Finanzierung der öffentlichen Hand umfassend. Es etablierten sich Konzepte und Strukturen internationaler Kooperation im Krisenfall, die bis in die Gegenwart hinein gelten. Strukturell ist der Umgang mit Staatsverschuldungskrisen seitdem von einem konsensualen Prinzip bestimmt, das auf der Basis einer gemeinsamen Interpretation von Ursache und Lösung der Krise eine Stoßrichtung protegiert und diese über die internationalen Finanzorganisationen und Foren wie G7 und G20 umsetzt. Konzeptionell dominiert hierbei die Maxime, durch konzertiertes Vorgehen von Zentralbanken, betroffenen Staaten und Finanzorganisationen vor allem neue Liquidität zu schaffen, um alte Schulden umzuschulden.

Nicht die Solvenz der Kreditgeber oder die Stabilität des Finanzmarktes wurde daher zwischen 1998 und 2004 in der Welle mit 16 Staatsverschuldungskrisen vor allem in Asien infrage gestellt, sondern das Verhalten einzelner Regierungen. Einhegen, so die Maxime, müssten die Staaten jeweils ihre individuelle Verschuldung, während es zugleich galt, öffentliche Verschuldungspapiere unter vielen privaten institutionellen Investoren zu streuen und dafür einen uneingeschränkten Kapitalverkehr zu pflegen. Nicht durchsetzen konnten sich damit Positionen, die die Krise der 1980er Jahre als systemisch bewerteten. Im Kern sahen diese Interpretationen als schwerwiegenderes Problem die Volatilität, die ein Wirtschaftssystem kennzeichnet, dessen Kapitaltransaktionen mehrheitlich aus zukünftigen Zahlungsversprechen bestehen. Eine weitreichende wissenschaftliche und politische Bedeutung erlangten solche Positionen nicht.

Die tendenziell positive Einschätzung der Funktion öffentlicher Verschuldung in den Nachkriegsjahrzenten ließ die Mehrheit der Ökonominnen und Ökonomen ab den 1980er Jahren fallen. Anhand der Analyse einzelner Volkswirtschaften konzentrierten sich die fachwissenschaftlichen Diskussionen auf Modelle, die auch in der Betriebswirtschaft Anwendung fanden. Ziel war unter anderem zu bestimmen, ab welcher Höhe der Verschuldung ein Staat seine zukünftigen Schulden nicht mehr bedienen könne oder sich das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft zwangsläufig verringere. Diese Studien konzipierten Verschuldung weitgehend als technisches und damit beherrschbares Problem; zugleich bewerteten sie sie als potenzielles Risiko und nicht mehr unbedingt als Motor für zukünftiges Wirtschaftswachstum. Ein solches Vorgehen entsprach der mikrofundierten Marktideologie der Mehrheit der ökonomischen Zunft, die auch politisch mit den Machtantritten des US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher akzeptabel geworden waren.

Medienwirksam bestritten nicht nur Reagan und Thatcher ihre politischen Kampagnen mit einem lautstarken Plädoyer für strikte Haushaltsdisziplin. Es blieb in beiden Ländern bei solchen Ankündigungen, und nur wenige Staaten reduzierten ihre Staatsausgaben im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum mittel- und langfristig. Im Gegenteil, im weltweiten Vergleich erhöhten sich die Staatsausgaben von durchschnittlich 28 Prozent 1960 auf 46 Prozent Mitte der 1990er Jahre. Obwohl in den OECD-Ländern der Anteil der Einnahmen stieg, die die Staaten aus dem Steueraufkommen bezogen, erhöhte sich die Staatsschuld relativ zu den Einnahmen seit Mitte der 1970er Jahre. Zugenommen haben in den vergangenen 35 Jahren zudem die Frequenz der Zentralbankinterventionen, um sich gegenseitig zu unterstützen, sowie die im Krisenfall hierbei aufgebrachten Summen.

Erst in der aktuellen Krise mehren sich die Anzeichen, dass die geltenden Strukturen und Konzeptionen der internationalen Regulierung von Staatsverschuldungskrisen sich überlebt haben. Die Kritik am Vorgehen von Ländern wie Deutschland, die im Wesentlichen an den Maßnahmen des Washingtoner Konsens festhalten wollen, um die europäische Schuldenkrise zu lösen, bricht nicht ab. Dieses Mal melden mit dem IWF, der BIZ und der Weltbank jedoch zentrale Akteure der internationalen Regulierung der Finanzmärkte öffentlich Bedenken an. Es scheint, dass nach über 30 Jahren die Konzepte zur Interpretation staatlicher Verschuldungskrisen und ihrer Ursachen in Washington, Paris und Basel wieder neu überdacht werden. Aus Sicht der historischen Forschung zu Finanzmärkten und öffentlicher Verschuldung ist dies dringend nötig, denn ökonomisch, technisch, sozial und auch politisch ähnelt die Welt kaum mehr jener der 1980er Jahre.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. David Stasavage, States of Credit: Size, Power, and the Development of European Politics, Princeton 2011.

  2. Vgl. Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2005.

  3. Zu den allgemeinen Trends aus makroökonomischer Perspektive vgl. Carmen M. Reinhart/Kenneth Rogoff, This Time Is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2009.

  4. Vgl. u.a. Christian Suter, Debt Cycles in the World Economy. Foreign Loans, Financial Crises, and Debt Settlements, 1820–1990, Boulder u.a. 1992.

  5. Vgl. Barry Eichengreen, International Policy Coordination. The Long View, NBER Working Paper 12/2011.

  6. Vgl. Gianni Toniolo, Central Bank Cooperation at the Bank for International Settlements, New York u.a. 2005.

  7. Vgl. Catherine R. Schenk, International Economic Relations since 1945, New York 2011.

  8. Vgl. u.a. Ngaire Woods, The Globalizers. The IMF, the World Bank, and Their Borrowers, Ithaca 2007.

  9. Vgl. William R. Cline, International Debt Reexamined, Washington D.C. 1995; Karin Lissakers, Banks, Borrowers, and the Establishment. A Revisionist Account of the International Debt Crisis, New York 1991.

  10. Vgl. Vito Tanzi/Ludger Schuknecht, Public Spending in the 20th Century. A Global Perspective, Cambridge 2000; Moritz Schularick, Staatsverschuldung in der Westlichen Welt (1880–2009), in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 98 (2011) 3, S. 307–316.

  11. Vgl. Daniel Edwin McDowell, Brother Can You Spare a Billion. The International Political Economy of the U.S. Sovereign-to-Sovereign Bailouts, Dissertation, University of Virginia 2012.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Laura Rischbieter für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Dr. phil., geb. 1977; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. E-Mail Link: rischbieter@hu-berlin.de