Polen wird in den nächsten Jahren mehrere Tausend Flüchtlinge im Zuge des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Quotensystems aufnehmen. In Anbetracht der Einwohnerzahl und des Ausländeranteils von etwa einem Prozent sind das keine hohen Zahlen. Flüchtlinge stellen ohnehin nur einen Bruchteil der Migranten in Polen dar.
Bisher kommen die meisten Flüchtlinge aus Russland (86 Prozent davon sind Tschetschenen), der Ukraine und Georgien. Die Zahl der Asylbewerber aus Syrien und aus Nordafrika lag 2014 bei etwa 150 und 2015 von Januar bis Juni bei etwa 70. Trotzdem hat die Flüchtlingskrise in Europa in Polen eine Debatte ausgelöst, deren Umfang bis heute beispiellos ist. Sie war zugleich ein entscheidendes Element im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015.
Die Haltung der Regierung
Anfangs hat sich die gesamte Visegrád-Gruppe den Plänen der EU-Kommission für die quotierten Aufnahme von Flüchtlingen widersetzt und damit harsche Kritik von Seiten einiger EU-Länder auf sich gezogen. Die Gruppe sprach sich für die Beibehaltung der "Freiwilligkeit der Solidaritätsmaßnahmen der EU" aus und für alternative Lösungen, um die Flüchtlingskrise zu überwinden. Die polnische Regierung nahm die Rolle eines harten Verhandlungspartners ein, der nicht zu den Anhängern der Aufnahme von Flüchtlingen gehörte. Nach langen Verhandlungen unterstützte die Regierung dann aber doch den Modus für die Aufteilung der Geflüchteten und so werden in den kommenden zwei Jahren rund 7.000 Personen zu uns kommen.
Premierministerin Ewa Kopacz rechtfertigte die Entscheidung in einer öffentlichen Rede am Rande eines Wirtschaftstreffens Anfang September 2015, in der sie davon sprach, dass es eine Pflicht sei, Flüchtlinge aufzunehmen. Es sei "ein Test für den Anstand". Obwohl die Regierung so letzten Endes ihre Bereitschaft bekräftigte, an der Überarbeitung des Asylsystems in Europa mitzuwirken, hat das mehrmonatige Zögern und das Zusammenhalten mit den anderen Visegrád-Staaten das Bild Polens in der EU beschädigt. Nach dem Ausscheren aus der Visegrád-Koalition sah sich die Regierung der Kritik der Opposition, hauptsächlich durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ausgesetzt: Man habe Verrat am eigenen Land und an der Visegrád-Gruppe begangen.
Während der Parlamentsdebatten zum Flüchtlingsthema im Sommer 2015 kam aus den Reihen der PiS das Argument, Flüchtlinge seien nicht ein polnisches Problem, sondern ein deutsches. Zudem solle der polnische Steuerzahler nicht für die Folgen der Kolonialpolitik einiger EU-Mitgliedstaaten aufkommen. Politiker des rechten Parteienspektrums bedienten sich des Arguments der im Ausland lebenden Polen und Personen polnischer Herkunft: Demzufolge müsse sich Polen darauf konzentrieren, die Wiedereinwanderung von Auslandspolen zu fördern oder die Repatriierung von Menschen polnischer Abstammung, die auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion leben, zu erleichtern.
Bemerkenswert ist dabei, dass der Koalitionspartner der regierenden Bürgerplattform (PO), die Bauernpartei PSL, keinen Standpunkt zur Flüchtlingsfrage einnahm. Die Stimmen der linken Parteien drangen nicht durch.
Gespaltene Gesellschaft
Wie blickt die Gesellschaft auf das Migrations- und Flüchtlingsproblem? Aus Meinungsumfragen geht vor allem hervor, dass die Menschen in Polen ein beschränktes Wissen über das Flüchtlingsthema haben. Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS in den vergangenen Monaten zeigen, dass sich im Zuge der Eskalation der europäischen Flüchtlingskrise die Ansichten geändert haben. Gegenwärtig spricht sich etwas mehr als die Hälfte der Polen (56 Prozent) für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Ländern aus, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Aufnahmegegner aber signifikant gewachsen (von 21 auf 38 Prozent). Die Hälfte der Polen findet, Geflüchtete könnten in Polen nur für eine bestimmte Zeit unterkommen.
Neueste CBOS-Untersuchungen, in denen Wähler der beiden großen Parteien PiS und PO gefragt wurden, ob Polen einen Teil der Flüchtlinge aufnehmen solle, zeigen große Unterschiede. Unter den PiS-Anhängern sind zwar die Flüchtlingsgegner in der Mehrzahl (52 Prozent), aber mehr als zwei Fünftel (42 Prozent) sind für die Aufnahme von Geflüchteten. Unter den PO-Wählern sind deutlich mehr für als gegen die Aufnahme von Flüchtlingen (70 zu 28 Prozent).
Polen ist in der Flüchtlingsfrage tief gespalten, das zeigen nicht nur die Umfragen. Ein Teil der Bürger organisiert oder schließt sich Demonstrationen unter dem Motto "Flüchtlinge gern gesehen" an, andere gehen zu Protestaktionen wie "Wir wollen Repatrianten statt Immigranten". Schockierend ist auch eine Welle von Hasskommentaren im Internet.
Gleichzeitig sprechen sich sowohl Vertreter der Wissenschaft als auch von NGOs für die Aufnahme einer höheren als der in Brüssel vereinbarten Zahl an Flüchtlingen aus, so beim Aktionstag "Solidarität mit Flüchtlingen" am 15. Oktober 2015, an dem sich rund 130 Institutionen, darunter Theater und Museen, beteiligt haben. Aber auch die Aufklärungskampagne "Mehr Wissen – weniger Angst – Flüchtlinge in Polen" ist zu nennen, bei der mehr als 40 Redaktionen zusammen mit dem Amt für Ausländerangelegenheiten das Ziel verfolgten, über die Flüchtlingsproblematik seriös zu informieren. Die Initiative "Refugees Welcome Polska" hilft unter anderem bei der Suche nach Unterkünften für Flüchtlinge. In den vergangenen Wochen fanden schließlich auch eine Reihe von Expertenpodien und Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen statt, in denen die Herausbildung einer Willkommenskultur als notwendig erachtet und wirksame Integrationspolitik, insbesondere was Antidiskriminierung angeht, diskutiert wurde.
Zwei Grundhaltungen
Am Anfang der Auseinandersetzungen stand eine Kontroverse über die Aufnahme von syrischen Christen durch die Stiftung "Ester". Es ging dabei vor allem darum, ob die Auswahl bestimmten Kriterien (wie der Religion, A.d.Ü.) folgen sollte. In den folgenden Wochen konzentrierte sich die Diskussion auf die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Aufteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsländer. Einem Bericht des "Observatoriums für öffentliche Debatten" (Obserwatorium Debaty Publicznej) zufolge dominieren in den Medien gegenwärtig zwei Grundhaltungen: Bedenken wegen des Zusammenpralls verschiedener Kulturen beziehungsweise eines "Kampfes der Kulturen" auf der einen und die Bereitschaft, aus moralischer Pflicht Flüchtlinge aufzunehmen, auf der anderen Seite.
Zu migrantenfeindlichen Parolen, die in Polen salonfähig sind, gehören Argumente wie die, dass Flüchtlinge und Migranten nicht integrationsfähig seien, Arbeit und Sozialhilfe wegnähmen oder terroristischen Vereinigungen angehörten. In der Presse des rechten Spektrums wird immer wiederhervorgehoben, Polen habe der Europäischen Kommission und vor allem Deutschland nachgegeben.
Befürworter der Aufnahme von Flüchtlingen unterstreichen dagegen den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt, den demografischen Wandel sowie die Solidarität mit diesen Menschen.
Die Ängste in der Gesellschaft sind bis zu einem gewissen Punkt verständlich. Ihre Ursachen sind vor allem das fehlende Wissen, Stereotype und die Furcht vor dem Unbekannten. Das Maß an negativen Emotionen allerdings überrascht angesichts der Tatsache, dass es bislang in Polen nur ganz wenige Asylbewerber aus dem Nahen Osten oder Nordafrika gibt und die Flüchtlinge auf ihrem Weg über Südeuropa oder Ungarn es noch gar nicht nach Polen geschafft haben. Mehr noch: Polen hat mehrere Jahre lang Tausende Geflüchteter aus Tschetschenien aufgenommen, ohne dass solch starke Ängste geschürt wurden, wie sie die Perspektive der Aufnahme von viel weniger Flüchtlingen jetzt hervorrufen.
Bedauerlicherweise hat die bisherige Opposition gemerkt, dass sie mit diesem Thema Wahlkampf machen kann und ist im Oktober 2015 siegreich aus den Wahlen hervorgegangen. Die Frage ist, inwieweit die flüchtlingsfeindlichen Parolen aus dem Wahlkampf die künftige Politik in Migrationsfragen beeinflussen werden. Mit Sicherheit braucht niemand darauf zu zählen, dass jetzt die Integration, der virulenteste Bereich der Migrationspolitik, beschleunigt wird.
Übersetzung aus dem Polnischen: Markus Nowak, Berlin.