Die 1980er Jahre waren für einen Großteil der westdeutschen Linken ein deprimierendes Jahrzehnt. Zwar war es die Blütezeit der neuen sozialen Bewegungen, die Hunderttausende Bundesbürger mobilisierten und dazu beitrugen, das partizipatorische Element in der politischen Kultur der Bundesrepublik zu verstärken. Doch gerade weil die Hoffnungen auf vermehrte politische Einflussnahme von unten so sehr gewachsen waren, empfand man die dann sichtbarer werdenden Grenzen als umso frustrierender: die Ablösung der SPD- durch eine CDU-geführte Bundesregierung, das Scheitern der Massenbewegungen um das Kernkraftwerk Brokdorf, die Startbahn West des Frankfurter Flughafens, die Stationierung der Mittelstreckenraketen. Auch im kulturellen Feld waren die Hoffnungen auf Liberalisierung, die sich in den vorangegangenen Jahrzehnten so markant zur Geltung gebracht hatten, erheblich gedämpft worden. Eine "Kultur für alle", noch in den 1970er Jahren als Ort der Demokratie für alle Bevölkerungsschichten konzipiert, beschleunigte nur den Individualisierungsstrom. An die Stelle des gemeinsamen produktiven Tuns war eine hochgradig individualisierte "Erlebnisgesellschaft" getreten. Was einstmals als Befreiung von den Fesseln einer vermeintlich traditionalistischen Gesellschaft gedacht war, entpuppte sich als Entsolidarisierung und Vereinzelung unter neoliberalen Vorzeichen. So oder ähnlich nahmen sich pessimistische Gegenwartsdeutungen der linksliberalen bis linksradikalen politischen Strömungen am Ende der 1980er Jahre aus.
Inwieweit sie zutrafen, steht hier nicht zur Debatte. Sondern es geht im Folgenden um Versuche, nach dem Kater der unerfüllten Hoffnungen von "1968" nicht aufzugeben, sondern Elemente des Widerständigen zu retten. Das Fortschreiten der Konsum- und Erlebnisgesellschaft und die politische Rechtswende von 1982 forderten Akteure heraus, die aus politischer Opposition und Gegenkultur der 1970er Jahre kamen und nach Wegen suchten, eine linke Position unter widrigen Prämissen aufrechtzuerhalten und möglichst zu erneuern. Diese Suchbewegung soll hier außerhalb des unmittelbar politischen Feldes betrachtet werden, in der Sphäre der Kultur, wo sich linke Zielvorstellungen und Praktiken unterhalb des flüchtigen Gekräusels der Tagespolitik dauerhafter abgelagert hatten.
Trieb und Subversion: Die Debatte in der Sexualwissenschaft
Mit einer Riege junger Sexualwissenschaftler in Hamburg und Frankfurt am Main hatte sich seit den späten 1960er Jahren eine Sexualwissenschaft etabliert, die ihren Gegenstand nicht mehr von vorgefassten Moralvorstellungen her betrachtete, sondern vorbehaltlos empirisch untersuchte. Daraus resultierte ein Interesse an sozialwissenschaftlichen Methoden, die den Aspekt der Deutung und Bewertung weniger stark gewichteten. In dieser Bewegung gerieten psychoanalytische Konzepte in den Hintergrund. Volkmar Sigusch, seit 1972 Professor für Sexualwissenschaft (der erste in der bundesdeutschen Geschichte), mochte sich nicht auf das Definieren und Vermessen beschränken, sondern betrachtete Sexualforschung als "Subjektwissenschaft" und wollte ihre komplexen Phänomene deutend erfassen.
Mit diesem Ansatz stand Sigusch im Konflikt mit ihm nahestehenden Hamburger Kollegen. Gunter Schmidt hielt die Annahme innerlich sich akkumulierender Energien, die zur Entladung drängten – für ihn mit Eberhard Schorsch die "vulgäre Triebtheorie" –, für Ideologie, die wissenschaftlich nicht zu beweisen war.
Sigusch hingegen wollte den Abschied vom Trieb, der schon auf breite Akzeptanz stieß, aufhalten. Bei den "Motivationspsychologen", so erklärte er bei seiner Attacke gegen Schmidt auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung 1982 in Hamburg, "hat das Sexuelle seine Sprengkraft verloren, mit Spannung, Dampf, Durchbruch, Explosion nichts mehr zu tun", es war "saft- und kraftlos, bild- und klanglos, da entsubstanziiert und entzaubert". Für ihn war der Eros das große, mit rationalen Mitteln nicht ergründbare Geheimnis, dem eine rebellische Kraft innewohnte. Dieses Geheimnis konnte – Freud sei Dank – nicht gelüftet werden, so viel die Sexualwissenschaftler auch zählten und maßen. Der "Tyrannis und dem Spuk des Faktischen" setzte er die "Anarchie der Lust" entgegen, während für Schmidt theoretische Positionen in der Erklärung von Sexualität einem historischen Wandel unterlagen.
Siguschs Position war über die kleinen Kreise der Sexualwissenschaftler hinaus umstritten. Ihm traten andere entgegen, die ebenfalls etwas retten wollten – nämlich die Idee der Aufklärung vor der boomenden Rationalitätskritik. 1986 gab die Schriftstellerin Ulrike Heider einen Sammelband heraus, der den "Mythos neuer Sinnlichkeit" einer kritischen Revision unterzog und als "Erwiderung auf den erotischen Irrationalismus im zeitgenössischen Kulturbetrieb mit seiner antiaufklärerischen Rezeption von Denkern wie de Sade, Nietzsche und Bataille" gedacht war. Hier klagte der Sexualforscher Ernest Borneman Sigusch an, sich "in peinlichster Weise mit der neuen Romantik" assoziiert zu haben. Siguschs "Verhöhnung der Wissenschaft und der Ratio, diese Rechtfertigung des Irrationalen, geht Hand in Hand mit der neuen Gegenreform, mit der neuen Absage an die klassische Aufklärung, mit dem Verfall der großen französischen Tradition des klaren Denkens, mit der nostalgischen Nietzsche-Wagner-Hitler-Welle, mit der ‚poetischen‘ Unterwanderung des Verifizierbaren und Falsifizierbaren in der ‚neuen‘ französischen Philosophie".
Tatsächlich hatte Sigusch ein ambivalentes Bild der Liebe gezeichnet. In seinem "hohen Lied der Liebe" skizzierte er die Utopie eines harmonischen Miteinanders – "leicht, heiter und kindlich wie ein Abendwind über Ägadien", im "niederen Lied der Liebe" die andere, "vielleicht vertrauter(e)" Seite: "Unsere Liebe ist eine Orgie gemeinster Quälereien. Sie ist voll raffinierter Erniedrigung, wilder Entmächtigung, bitterer Enttäuschung, boshafter Rache und gehässiger Aggression. (…) Unsere Liebe ist egozentrisch und asozial, eine nahe Verwandte des Wahnsinns und der Sucht."
"Salonbolschewisten" von "Sounds" und "Spex"
In den 1980er Jahren änderte sich auch die Art und Weise, in der über Pop gesprochen wurde. Während ein neuerer, subjektiv-intellektualistischer Schreibstil des Pop-Journalismus auch in breiter angelegten Zeitgeistmagazinen wie "Tempo" oder "Wiener" zu Wort kam, artikulierte sich ein politisch links kodiertes, elitäres Selbstbewusstsein in den Musikmagazinen "Sounds" und "Spex". Um diese Blätter herum pflegte die junge Pop-Intelligenz in Anknüpfung an Susan Sontag und andere Theoretiker des Profanen eine Verehrung der Oberfläche, die sie vom Essenzialismus der "68er" als Vorgängergeneration befreien sollte und Pop eher als Material denn als Substanz betrachtete. Protagonisten von "Sounds" und "Spex" wie Diedrich Diederichsen und Olaph Dante Marx adaptierten Ideen der britischen Cultural Studies, insbesondere Dick Hebdiges Theorie vom politischen Potenzial des Stils, und leiteten daraus ein Konzept ab, das die Aneignung von Popkultur als subversive Technik propagierte.
Attackiert wurden die Konventionen einer etablierten Rockmusik, des Sozialismus, der neuen sozialen Bewegungen, aber – im Unterschied zur rechten Kritik an den 68ern – auch Staat, Nation und die von Helmut Kohl angestrebte "geistig-moralische Wende". Es ging also, wie die "Sounds"-Redaktion im September 1982 verkündete, gegen "die immer gleichen Leitideen, die dir von allen Vertretern der Herrschaft vorgeleiert werden. Dazu gehört auch, dass wir all die kleinen Teenie-Obsessionen fördern und ausleben, die wir damals wie heute haben und die wir uns nicht von rigider alternativer Moral zerstören lassen wollen, aber auch unsere ernsthafteren Erwachsenen-Obsessionen kommen nicht zu kurz. Trotzdem bleiben wir aufrechte Bolschewisten, bzw. Salonbolschewisten, je nachdem, nur in modernisierter Version."
Im Rückblick erinnert sich Diederichsen, schon in den 1980er Jahren "hatte irgendeine politische Reflexion, wie irre auch immer, eigentlich jeden Text durchzogen. (…) In einem Text über eine Band wie die Bad Brains ging es dann halt auch um die RAF oder und um die Volkszählung. Diese Verbindung fand ich ideal." Eine ganze Reihe der jungen Pop-Journalisten hatte, so Diederichsen weiter, "eine linke Vergangenheit, und zwar eine organisierte".
Der subjektive Schreibstil und die Ausbreitung popkulturellen und theoretischen Spezialwissens, das Musik, Politik, Film, Kunst und Mode mehr oder weniger assoziativ zusammenfügte, "erweitert(e) den popkulturellen Wunsch nach Distinktion um die Inszenierung des eigenen kritischen Denkens".
Blickt man auf die Rezipienten von Popmusik, so mochte manchen die ostentative Lektüre von "Spex" als Marker des gehobenen Andersseins dienen, vielen blieb der hier gepflegte Jargon wohl verschlossen – was für andere wiederum besonders anziehend wirkte. Vor allem aber blieb die Einlösung des politischen Anspruchs aus. Auf eine zu mobilisierende Masse hatte er sich niemals gerichtet – im Gegenteil –, aber in der Ironie und der Distanzierung von dem Gros der als identifikatorisch geschmähten Linken verflüchtigten sich die Maßstäbe eines Linksseins jenseits der für Außenstehende kaum mehr nachvollziehbaren, mehrfach gebrochenen Haltung der verinselten Pop-Intellektuellen.
Mag sein, dass die linke Pop-Intelligenz arrogant war und in einem Insiderduktus schrieb, den kein Mensch verstand. Aber manche Akteure passten sich dennoch nicht dem Zeitgeist an, sondern waren und blieben links – im Unterschied zu zahlreichen Zeitgeistsurfern unter Pop-Adepten und früheren Linksintellektuellen, die sich im Laufe der 1980er Jahre von ihrem Linkssein verabschiedeten und einem neuen Nationalgefühl huldigten oder sich ganz zum wirtschaftlichen und politischen Einzelkämpferideal à la Maggie Thatcher bekannten. Sich offensiv links zu verorten, war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre keine Selbstverständlichkeit mehr. So hat "Spex", gemeinsam mit den bekennenden linken Popbands versucht, Pop als Zentralelement eines kulturellen Linksblocks zu etablieren. Dass es in der Bundesrepublik für kulturelle Hegemonie nicht mehr reichte, demonstrierten schon vor den reaktionären neuen Pop-Literaten der 1990er Jahre Neonazi-Bands wie "Landser", die mit dem Missverständnis aufräumten, dass Rockmusik per se links sein musste.
Rezeption von Peter Weiss’ "Ästhetik des Widerstands"
Das in den 1980er Jahren postulierte "Ende der Ideologien" wurde von einer erstaunlichen Bewegung begleitet, die in der individuellen und gemeinschaftlichen Lektüre des dreibändigen Romans "Die Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss bestand. Für zahlreiche Linke in West- und Ostdeutschland wurde der Roman – erschienen 1975, 1978 und 1981 – zu einem Schlüsselwerk, weil er die Geschichte der Arbeiterbewegung aus einer kommunistischen, aber antistalinistischen Perspektive reflektierte und dabei am Beispiel junger, selbst denkender Akteure die Legitimität eines Sozialismus von unten verfocht. Trotz des unablässigen Scheiterns, so Weiss, "war das Wesentliche nicht, dass da Mächte am Werk waren, Menschen in gewaltigen Mengen nieder zu metzeln, sondern dass einige sich daran gemacht hatten, diesen Taten entgegen zu wirken, und das Denkwürdige daran war wiederum nicht, dass sie kaum vernehmbar waren, sondern dass es sie überhaupt gab".
Als Gegenstand der Krisenbearbeitung besonders attraktiv wurde das Werk durch die Verbindung von Politik und Kultur: das Aufbrechen der Verengung auf das Politische, das die linke Radikalisierung der 1970er Jahre mit sich gebracht hatte; die im Scheitern des Linksradikalismus evident gewordene Notwendigkeit, grundsätzliche Fragen wie das Verhältnis von Autoritarismus und Autonomie, von Kultur und Politik, von Offenheit und taktischem Schweigen neu zu denken; die Verteidigung der Legitimität des Sozialismus im Emanzipationsstreben des Einzelnen. Eine der bemerkenswertesten Wirkungen dieser Romantrilogie bestand im Entstehen zahlreicher Lesezirkel, die den diskursiven Gestus des Buches als Anleitung für die eigene Praxis aufnahmen.
Einer der aktivsten Propagandisten der "Ästhetik des Widerstands" war Wolfgang Fritz Haug, der 1980 die erste "Volksuni" in West-Berlin ins Leben gerufen hatte, um über die Grenzen der akademischen Institution hinauszugreifen. Ihm schwebte vor, wie er Peter Weiss schrieb, "die Ästhetik des Widerstands in unsere ‚zweite Kultur‘ einzubauen, zu benutzen, sie keinesfalls den Germanisten zu überlassen."
Unter früheren Maoisten und anderen Angehörigen der "Neuen Linken" war die Resonanz gemischt. Während einige, politisch gewendet, in der "Ästhetik" eine Neuauflage kommunistischer Dogmatik erblickten, war sie für andere eine Gelegenheit, frühere Haltungen zu überprüfen, ohne das Ziel einer gerechten Gesellschaft aufzugeben. Ein Leser sah rückblickend zwei Phasen der Bewältigung seiner Loslösung von einer kommunistischen Gruppe: erstens die "radikale Trennung", "seinen ganzen Hass und seine Wut abzureagieren, um für sich selber einen festeren Stand zu finden", und zweitens, sich nach einigem Abstand "ein komplexeres Bild von der Sache zu machen".
In der DKP und ihrem Umfeld stieß der Roman auf großes Interesse, allerdings vornehmlich unter Protagonisten der bald darauf entstehenden "Erneuerer"-Strömung, die den dogmatischen Kurs der Parteiführung attackierte und auf eine Revision des kommunistischen Geschichtsbildes drängte. Michael Ben, der bald darauf wegen Herausgabe der oppositionellen Zeitschrift "Düsseldorfer Debatte" aus der DKP ausgeschlossen wurde, erklärte 1982, dieser Roman funktioniere "im Gebrauch". Er "verweigert sich Dogmatikern der Halbheit, den Kämpfern reiner Politik und mehr noch Literaturbetrieblern, die sich mit den Maßstäben für liberalen Zwergwuchs anschleichen, um dem Kommunisten und Künstler abwechselnd das eine oder andere wegzustutzen".
Deutlich wird: In vielen Fraktionen der Linken hat es eine intensive Rezeption der "Ästhetik des Widerstands" gegeben, die ausgelöst wurde und überformt war von der Krise des Linksradikalismus seit den späten 1970er Jahren, einem vermeintlichen "Ende der Ideologien" und insbesondere einem gewachsenen Geschichtsbewusstsein, das den großen Meistererzählungen misstraute und stattdessen an alternativen Perspektiven "von unten" interessiert war. Gleichzeitig wollten diejenigen, die sich so intensiv mit "der Ästhetik" identifizierten, auch weiterhin am sozialistischen Projekt festhalten, allerdings in einer demokratisierten Form. Doch zu einer "Instandbesetzung des Sozialismus", wie Klaus Scherpe es formulierte, kam es nicht.
Fazit
In der Krise der Linken der 1980er Jahre wurde versucht, zentrale Elemente des eigenen Welt- und Politikverständnisses zu retten – teils durch den Kampf gegen die Delegitimierung von Begriffen und Konzepten wie etwa Freuds Kategorie des "Triebes", teils durch Umdeutung vormals abgelehnter Erscheinungen wie der Popmusik. Es ging darum, Wege einer Erneuerung zu suchen, die die revolutionäre Intention nicht verabschiedete, sondern die Aufrechterhaltung eines rebellischen Habitus ermöglichte – entweder durch ein Insistieren auf "linken" Konzepten oder durch Neubewertung aktueller Erscheinungen.
Schon vor Michail Gorbatschow und lange vor der "Wende" in der DDR zeichnete sich hier ein Neuformierungsprozess ab, der nicht nur im Politischen sichtbar wurde – dem Kampf gegensätzlicher Linien bei den Grünen und der DKP etwa –, sondern sehr markant im Feld der Kultur, das seit den 1960er Jahren bevorzugt zum Ort des Kampfes um Hegemonie geworden war. Mit Erneuerung war gleichzeitig ein Streit um die Legitimität "alter" wie "neuer" Positionen verbunden. Nach wie vor aber hielten die Protagonisten einer Erneuerung am Ziel des kritischen Bewusstseins und der sozialistischen Perspektive fest – nun allerdings gewendet auch gegen traditionelle linke Positionen. Der Impuls des Aufräumens wurde noch verstärkt in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als Gorbatschow "Glasnost" und "Perestroika" zu Leitlinien sowjetischer Politik erhob. Das Ende war ambivalent: der Sozialismus delegitimiert, der "Trieb" Begründung kommerzialisierter Sexualität, die Popmusik Medium der verschiedensten politischen Richtungen. Das Vorhaben, in der Sphäre der Kultur eine linke Hegemonie zu begründen, war jedenfalls gescheitert.