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AfD, Pegida und die Verschiebung der parteipolitischen Mitte | Rechts in der Mitte? | bpb.de

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AfD, Pegida und die Verschiebung der parteipolitischen Mitte

Frank Decker

/ 15 Minuten zu lesen

Pegida spiegelt eine rechtspopulistische Grundstimmung in Teilen Ostdeutschlands wider, von der auch die AfD profitierte. Durch deren Wahlerfolge verschiebt sich die Achse des Parteiensystems nach rechts.

Auf der Landkarte des europäischen Rechtspopulismus war die Bundesrepublik Deutschland lange Zeit ein weißer Fleck. Zwar hat es auch hier seit Mitte der 1980er Jahre gelegentliche Wahlerfolge verschiedener rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppierungen gegeben – von den Republikanern über die Schill-Partei bis hin zur NPD. Diese blieben aber im Wesentlichen auf die regionale Ebene der Landtagswahlen beschränkt und führten nicht zur dauerhaften Etablierung einer Rechtsaußenpartei im nationalen Rahmen. Mit dem Aufkommen der euro(pa)kritischen Alternative für Deutschland (AfD) änderte sich das. Bei der Bundestagswahl 2013 noch knapp an der Fünfprozentmarke gescheitert, gelang dem Neuankömmling ein gutes Jahr nach seiner Gründung bei den Europawahlen Ende Mai 2014 mit 7,1 Prozent der Stimmen ein eindrucksvoller Erfolg. Noch weitaus bessere Ergebnisse erzielte die AfD bei den im Spätsommer folgenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Etwas geringer blieb der Zuspruch bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg (Februar 2015: 6,1 Prozent) und Bremen (Mai 2015: 5,5 Prozent), was jedoch ausreichte, um erstmals auch im Westen in die Landesparlamente einzuziehen.

Stellt die Ankunft des neuen Rechtspopulismus im deutschen Parteiensystem eine Annäherung an den (west)europäischen Normalzustand dar, der bei ausländischen Beobachterinnen und Beobachtern zwar aufmerksames Interesse, aber keine echte Besorgnis auslöste, so rieben sich dieselben Beobachter erstaunt die Augen, als im Gefolge der ostdeutschen AfD-Wahlerfolge eine Bewegung namens Pegida ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden seit Oktober 2014 Tausende von Menschen Woche für Woche zu Massendemonstrationen auf die Straße lockte. Die aus einer Facebook-Gruppe hervorgegangene Pegida bildete rasch Ableger in anderen ost- und westdeutschen und sogar ausländischen Städten (Wien, Kopenhagen, Newcastle). Deren Zulauf blieb aber nicht nur deutlich hinter dem Dresdner Original, sondern auch hinter den nun geballt einsetzenden Gegendemonstrationen zurück. Letztere waren in ihrer Wirkung insofern ambivalent, als sie die mediale Aufmerksamkeit für Pegida über Gebühr verstärkten. Tatsächlich handelte und handelt es sich bei Pegida in hohem Maße um ein regionales – ostdeutsches und sächsisches – beziehungsweise lokales – Dresdner – Phänomen. Dass der Rechtspopulismus in den "neuen" Ländern ein günstigeres Terrain vorfindet als in den "alten", lässt sich auch an den Wahlergebnissen der AfD ablesen.

Ursprünge und Erfolgsursachen

Wenn dem so ist, bleibt die Frage, warum der Rechtspopulismus in Deutschland erst seit jüngster Zeit so lautstark auftritt und organisatorische Strukturen ausbildet. Aus der vergleichenden Forschung weiß man, dass es in der Regel einer bestimmten gesellschaftlichen Krisenkonstellation bedarf, um solche Parteien und Bewegungen hervorzubringen. Im Falle der AfD war dies die Finanz- und Eurokrise. Sie öffnete das Gelegenheitsfenster für eine neue, EU-kritische Partei, deren programmatische Kernforderungen – kontrollierte Auflösung der Währungsunion und Absage an eine weitere Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses – geeignet waren, um daran eine breitere rechtspopulistische Agenda anzudocken.

Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Partei genauer, zeigt sich, dass sie dabei auf ein bereits vorhandenes Netzwerk an gesellschaftlichen und politischen Strukturen zurückgreifen konnte. Die AfD fing also bei ihrer offiziellen Gründung im April 2013 nicht bei Null an. Als Vorläufer und Sammlungsbewegungen im Vorfeld sind unter anderem zu nennen: die im Gefolge des Maastricht-Vertrags 1993 entstandene und 2000 wieder aufgelöste europakritische Partei Bund freier Bürger, die Hayek-Gesellschaft, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, das Bündnis Bürgerwille, die Wahlalternative 2013 und das von Beatrix von Storch initiierte fundamental-christliche Kampagnennetzwerk Zivile Koalition. Dies weist darauf hin, dass die Verbindung von wirtschaftlich liberalen und gesellschaftlich konservativen beziehungsweise nationalen Positionen in der politischen Stoßrichtung der Partei von Anfang an angelegt war.

Neue Parteien entstehen entweder aus der Gesellschaft heraus oder als Abspaltung von bestehenden Parteien. Auch Letzteres trifft auf die AfD mit gewissen Einschränkungen zu. Viele ihrer Führungsfiguren stammen aus dem bürgerlichen Lager von Union und FDP, hier allerdings nur aus der "zweiten Reihe". So kehrte beispielsweise Bernd Lucke, der bis zu seinem Austritt im Juli 2015 das bekannteste Gesicht der AfD war und neben Alexander Gauland und Konrad Adam zu ihrem Gründungstrio gehörte, der CDU wegen deren Kurs in der Eurokrise den Rücken. Gauland dagegen verweist auf seine negativen Erfahrungen mit dem "Berliner Kreis" – einem Zusammenschluss von Vertreterinnen und Vertretern der Parteirechten innerhalb der CDU, der von der Vorsitzenden Angela Merkel und dem damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe offen bekämpft wurde (Gauland war 40 Jahre lang CDU-Mitglied und von 1987 bis 1991 Chef der hessischen Staatskanzlei). Der frühere Industrieverbandspräsident Hans-Olaf Henkel fand wiederum – nach einem kurzen Umweg über die Freien Wähler – von der FDP zur AfD.

Die Abspaltungstendenzen lassen sich nachvollziehen, wenn man die Entwicklung bedenkt, die CDU und FDP in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten genommen haben. Die CDU hat sich unter Merkels Führung einerseits wirtschaftspolitisch "sozialdemokratisiert" und der von Merkel selbst ursprünglich favorisierten liberalen Reformagenda abgeschworen. Andererseits ist sie kulturell immer mehr in die Mitte gerückt, indem hergebrachte Positionen in der Familien- und Gesellschaftspolitik reihum aufgegeben wurden: Von der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften über die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote in Unternehmen bis hin zur Öffnung für ein modernes Einwanderungsrecht liegt die Partei heute ganz auf der Linie des Zeitgeistes. Der FDP gelang es unterdessen nicht, in der gemeinsamen Regierung ein Gegengewicht zur Union zu bilden. Als euroskeptische Stimme fiel sie aus, nachdem die Parteibasis in dem von Frank Schäffler angestrengten Mitgliederentscheid mit knapper Mehrheit für eine Unterstützung der Rettungspolitik votierte. Und ihre Forderung nach Steuersenkungen konnte sie in der Koalition gegen den Widerstand der CDU/CSU nicht durchsetzen. Beide bürgerlichen Parteien haben also durch ihren programmatischen Kurs und ihr Regierungshandeln Nischen im Parteiensystem geöffnet, in die die AfD erfolgreich hineingesprungen ist.

Bei der Suche nach den Ursprüngen und Erfolgsursachen der Partei darf schließlich die Sarrazin-Debatte nicht unerwähnt bleiben. Die in Buchform veröffentlichten Thesen des SPD-Politikers und früheren Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin zum angeblichen Scheitern der Einwanderungs- und Integrationspolitik, die die Bundesrepublik im Sommer 2010 für mehrere Monate in Atem hielten, haben maßgeblich dazu beigetragen, den diskursiven Raum für den Rechtspopulismus zu öffnen. Dies gilt zumal, als Sarrazin dessen Programmformel mit Büchern zur Eurokrise und Political Correctness weiter ausbuchstabierte.

Ideologische Einordnung und Programmatik

Manche Beobachter wollten der Verlegenheit, die AfD als rechtspopulistisch einzustufen, entkommen, indem sie unter Verweis auf die Personalquerelen und Richtungskonflikte in der Partei behaupteten, diese bestehe aus drei im Grunde unverträglichen Strömungen: einer wirtschaftsliberalen, einer national-konservativen und einer rechtspopulistischen. Darin liegt aber ein Missverständnis, denn die Strömungen sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern in gewisser Weise sogar aufeinander bezogen. Zusammen bilden sie die programmatische und elektorale "Gewinnerformel" der neuen Rechtsparteien, in die sich auch die euroskeptischen Positionen problemlos einfügen. Der Populismus fungiert dabei als übergreifendes Scharnier. Er steht für die Anti-Establishment-Orientierung der Partei, die bereits im Namen "Alternative" zum Ausdruck kommt, und für ihren Anspruch, das "eigentliche" Volk beziehungsweise dessen schweigende Mehrheit zu vertreten. Des Weiteren teilt die AfD mit dem Mainstream des europäischen Rechtspopulismus die – aus der Systemkritik abgeleitete – Forderung nach mehr direktdemokratischen Beteiligungsrechten, die sich laut ihren politischen Leitlinien am "Schweizer Vorbild" orientieren sollen.

Die wirtschaftsliberalen und konservativen Positionen der Partei stellen ebenfalls keinen Gegensatz dar. Sie werden in einem nationalen "Besitzstands- oder Wettbewerbspopulismus" zusammengeführt, der die Überlegenheit des eigenen Wirtschaftsmodells gegenüber anderen Ländern und Kulturen betont. Die aktuelle Misere der Südländer im Euroraum spielt dieser Argumentation in die Hände, lässt sie sich doch mit der vermeintlichen deutschen Tugendhaftigkeit unmittelbar verknüpfen. Dasselbe gilt für das von der AfD gegen den bestehenden Sozialstaat hochgehaltene Bild einer "Leistungsgesellschaft", das sich zum Beispiel in der Konzeption einer ausschließlich auf Nützlichkeitsüberlegungen beruhenden Zuwanderungspolitik niederschlägt. Dies schließt sowohl an christlich-konservative als auch ordoliberale Ordnungsvorstellungen an.

Weil der wirtschaftsliberale Flügel in der Führung personell dominierte, trug die offizielle Programmatik der AfD, die in ihren politischen Leitlinien und den Programmen zur Bundestags- und Europawahl niedergelegt wurde, zunächst ganz dessen Handschrift. In den Wahlkampagnen waren allerdings von Beginn an andere Töne zu vernehmen. Das galt insbesondere für die ostdeutschen Bundesländer, wo das Thema nationale Identität und ein rigoroser Anti-Establishment-Diskurs mehr Resonanz versprachen als im Westen. Weil sich die gemäßigten Vertreter um Bernd Lucke in diesen Sog freiwillig hineinziehen ließen, konnte man ihnen später den Vorwurf machen, zum Erstarken der radikalen Kräfte in der AfD selbst beigetragen zu haben.

Schon bei der Bundestagswahl 2013 zeigte sich, dass die kritische Haltung vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber Zuwanderung ein wichtigeres Motiv für die Wahl der AfD abgab als deren euroskeptische Positionen, die im Mittelpunkt des Wahlprogramms standen. Bei der Europawahl wurde die Einwanderung von den AfD-Wählerinnen und -Wählern genauso häufig als ausschlaggebendes Thema für ihre Wahlentscheidung genannt wie die Stabilität der Währung (40 gegenüber 41 Prozent). Unter den Wählern aller Parteien waren es nur 13 gegenüber 29 Prozent. Das Überwiegen rechter Einstellungsmuster in der AfD-Wählerschaft lässt sich auch an ihrer Unterstützungsbereitschaft der Dresdner Pegida-Bewegung ablesen. Obwohl diese wegen ihrer fremdenfeindlichen und rechtsextremen Tendenzen von den AfD-Offiziellen – allerdings mit erkennbaren Akzentunterschieden – auf Distanz gehalten wurde, äußerten 76 Prozent der AfD-Wähler Verständnis für die Proteste. Unter der Wählerschaft aller Parteien betrug der Zustimmungswert nur 22 Prozent; selbst unter den Nichtwählern lag der Wert mit 36 Prozent deutlich darunter.

Innere Entwicklung und Spaltung

Der Rechtsruck der AfD wurde dadurch begünstigt, dass nach den erfolgreich verlaufenen Bundestags- und Europawahlen im Spätsommer 2014 drei Landtagswahlen in Ostdeutschland anstanden. Die Partei erzielte dort bessere Ergebnisse als im Westen, was die Landesverbände als Bestätigung ihrer Linie auffassten, die bisherige Fixierung der AfD auf das Eurothema zugunsten einer breiteren rechtspopulistischen Plattform zu überwinden. Ehemalige Mitglieder der Republikaner, der Schill-Partei und der Partei Die Freiheit traten der AfD reihenweise bei und drängten nach und nach in ihre Vorstände. In fast allen Landesverbänden kam es darüber zu zum Teil heftig ausgetragenen Konflikten. Der Bundesvorstand versuchte dem durch eine Erweiterung seiner eigenen Befugnisse zu begegnen, was aber den Widerstand an der Basis erst recht provozierte.

Spätestens Anfang 2015 zeichnete sich ab, dass die mehrheitlich aus Vertretern der Gemäßigten bestehende Parteiführung den Rückhalt der Funktionäre und Mitglieder der AfD verloren hatte. Lucke versuchte die Kontrolle durch eine Satzungsänderung zurückzugewinnen, durch die die AfD nach einer kurzen Übergangsphase nur noch von einem einzigen Vorsitzenden – ihm selbst – geführt werden sollte. Obwohl ihm der Bremer Parteitag Ende Januar 2015 darin folgte, erwies sich der Beschluss als Pyrrhussieg, da dieser weder die Zuspitzung des nun immer erbitterter ausgetragenen innerparteilichen Machtkampfes noch Luckes Niederlage gegen die Vorsitzende der AfD Sachsen, Frauke Petry, bei der Wahl des/der Bundesvorsitzenden auf dem Essener Parteitag Anfang Juli 2015 verhindern konnte. Lucke stemmte sich gegen die Abwahl, indem er im Vorfeld des Parteitages seine Anhängerinnen und Anhänger in einem eigenen Verein (Weckruf 2015) versammelte. Dieser nahm die Spaltung der AfD vorweg. Bis Mitte Juli verließen mehr als 2000 Mitglieder die Partei, darunter neben Lucke selbst mit Hans-Olaf Henkel, Ulrike Trebesius, Bernd Kölmel und Joachim Starbatty fast alle Protagonisten des liberalen Flügels. Die Mitglieder des Weckrufs befürworteten mit großer Mehrheit die Gründung einer neuen europakritischen Partei unter Luckes Führung, die den Namen Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) tragen soll.

Die Chancen für die Neugründung sind gering. Denn wo sollte das Potenzial für eine "Lucke-Partei" liegen, die politisch zwischen der Rest-AfD und der FDP zu verorten wäre? Dies gilt zumal, wenn sich Letztere nach den für sie erfreulichen Wahlergebnissen in Hamburg und Bremen regeneriert. Als Hauptproblem dürfte sich erweisen, dass der Partei ihr wichtigstes Thema – die Kritik an der Währungsunion – aus den Händen rinnt, ohne dass andere Themen in Sicht sind, die eine nennenswerte Wählermobilisierung versprechen. Von der FDP könnte sie sich zwar durch eine konservative Linie in der Rechts- und Gesellschaftspolitik abheben, die sie dann aber in unmittelbarer Konkurrenz zur Rest-AfD vertreten müsste.

Auch für diese dürften sich die Aussichten nach der Spaltung eintrüben. Blickt man auf die Motive, um derentwillen die Partei bisher gewählt worden ist, scheint der Abgang der Liberalen zwar verkraftbar. Dies gilt aber nur für die östlichen Landesverbände, die im Unterschied zu den Parteigliederungen im Westen kaum Austritte verzeichnen, weil sie sich längst zu einem Sammelbecken für den rechten Rand entwickelt haben. Ausgerechnet der sächsische Landesverband von Frauke Petry spielt hier eine unrühmliche Vorreiterrolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die AfD unter diesen Vorzeichen zu einer Regionalpartei des Ostens entwickelt, ist hoch. Auch hier wird sich für die neue Führung um Petry aber das Problem der Abgrenzung nach ganz rechtsaußen unweigerlich stellen. An der Frage, wie man mit den unerwünschten Unterstützern umgeht, sind in der Vergangenheit alle rechtspopulistischen Neugründungen gescheitert – von den Republikanern über den Bund freier Bürger bis hin zur Schill-Partei. Bei der AfD könnte sich diese Geschichte jetzt wiederholen.

Rätsel Pegida

Größere Rätsel als die sich in die Phalanx der europäischen Rechtspopulisten einreihende AfD gibt aus vergleichender Sicht Pegida auf. Dass eine im bürgerlich-konservativen Lager angesiedelte Organisation auf Formen der politischen Partizipation zurückgreift, die man eher aus dem linken Spektrum kennt, ist an sich schon ungewöhnlich. Die "Pegidisten" nahmen damit die Tradition der "Montagsdemonstrationen" auf, die auf die Massenproteste gegen das untergehende DDR-Regime im Herbst 1989 zurückging und seither auch bei anderen Anlässen aktiviert wurde (etwa bei den Protesten gegen die Sozial- und Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung 2004). Ihren Höhepunkt erreichten die Demonstrationen in Dresden im Januar 2015, als geschätzt etwa 20000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wöchentlich auf die Straße gingen. Danach ging der Zulauf stark zurück (bis auf durchschnittlich jeweils 2500 Teilnehmer im Mai und 1500 im Juni 2015).

Umfragen und teilnehmende Beobachtungen bestätigen, dass der Typus des routinierten Demonstrationsteilnehmers, der etwa bei den Protesten gegen den Bahnhofsneubau "Stuttgart 21" in der Mehrheit war, bei Pegida nur eine Randerscheinung darstellt. Der durchschnittliche Pegidist ist mittelalt, männlich, in familiäre Strukturen eingebunden, befindet sich in einer Vollzeitanstellung und verfügt über einen mittleren bis gehobenen Bildungsabschluss. Die überwiegende Mehrheit der zu zwei Dritteln aus Dresden beziehungsweise Sachsen stammenden Demonstranten verortet sich im liberal-konservativen Lager, wobei die AfD als bevorzugte Partei deutlich vor der CDU liegt. Nach den Gründen ihrer Teilnahme befragt, nennen 71 Prozent die "Unzufriedenheit mit der Politik", 35 Prozent "Kritik an Medien und Öffentlichkeit" und 31 Prozent "grundlegende Vorbehalte gegen Asylbewerber und Migranten". Ablehnende Haltungen speziell gegenüber Muslimen oder dem Islam äußern 15 Prozent.

Offizielle Solidaritätsadressen, Unterstützungsbekundungen oder eine Einladung zur Zusammenarbeit mit Pegida blieben vonseiten der AfD aus, weil man die Sorge hatte, mit etwaigen rechtsextremen Tendenzen sowohl in der Organisation der Protestbewegung als auch unter den Demonstrationsteilnehmern in Verbindung gebracht zu werden. Dennoch scheint es nicht unangebracht, Pegida als Ausdruck derselben rechtspopulistischen Grundstimmung in weiten Teilen der ostdeutschen Wählerschaft zu deuten, die der AfD bei den Landtagswahlen im Spätsommer 2014 zweistellige Ergebnisse einbrachte. Ob Pegida ohne die "Vorarbeit" der AfD in dieser Form entstanden wäre und einen so starken Zulauf gehabt hätte, ist fraglich, wenngleich das stark konservativ geprägte Umfeld der sächsischen Politik, die Anknüpfungspunkte im organisierten rechtsextremen Milieu und der spezifische Dresdner Opferstolz am Erfolg sicherlich großen Anteil hatten.

Die Motivlagen der AfD-Wähler und Pegida-Teilnehmer lassen sich mit dem Begriffspaar Unsicherheit und Unbehagen am besten umschreiben. Unsicherheit bezieht sich dabei mehr auf die soziale Situation, also die Sorge vor Wohlstandsverlusten, während Unbehagen auf kulturelle Entfremdungsgefühle abzielt, den Verlust vertrauter Ordnungsvorstellungen und Bindungen. Dass die Angst vor "den Fremden" nicht unbedingt dort am größten ist, wo die meisten Fremden leben, ist keine neue Erkenntnis. Durch Pegida ist sie noch einmal ins Bewusstsein gerückt worden. Wenn die AfD durch die Bestellung des rechtspopulistischen Terrains zur Entstehung von Pegida beigetragen hat, so könnte sie auch der Grund sein, warum die Bewegung nach ihrem Höhepunkt im Januar 2015 rasch in sich zusammengefallen ist. Denn mit der AfD haben Protest und Unzufriedenheit der "Wutbürger" in das Parteiensystem ja bereits Einzug gehalten, verfügen diese also gerade in Ostdeutschland über eine kontinuierlich vernehmbare, politisch wirksame Stimme.

Schlussbemerkungen

Abschließend stellen sich zwei Fragen. Die erste Frage bezieht sich auf die politische Funktion von Parteien und Bewegungen wie AfD und Pegida. Nützlich wären sie, wenn sie dazu beitragen, dass der Protest nicht in schlimmere, sprich: gewaltsame Bahnen abgleitet (Kanalisierungsthese). Der Soziologe Ruud Koopmans hat in einer internationalen Vergleichsuntersuchung, die inzwischen allerdings über 20 Jahre zurückliegt, Belege dafür beigebracht. Der umgekehrte Zusammenhang erscheint aber theoretisch mindestens genauso plausibel. Machen Rechtspopulisten Stimmung gegen die Fremden und diejenigen, die das "Eindringen der Fremden" betreiben, erzeugen sie ein Klima, das zur Gewaltanwendung erst ermuntert (Verstärkerthese). Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die Pegida-Bewegung in Ostdeutschland in dieses gewaltbereite Milieu "diffundiert" ist. Gleichzeitig vermelden die Verfassungsschutzämter einen Anstieg der rechtsextrem motivierten Gewalttaten um 24 Prozent im Jahr 2014, obwohl die Szene selbst mit rund 21000 Personen nicht größer geworden ist. Zugenommen haben insbesondere die Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte (von 55 im Jahr 2013 auf 170 im Jahr 2014 und 150 im ersten Halbjahr 2015). Die ostdeutschen Länder und hier wiederum vor allem Sachsen sind dabei überproportional vertreten.

Die zweite Frage bezieht sich auf die Konsequenzen einer möglichen Etablierung der AfD für das deutsche Parteiensystem. Die Analyse ihrer bisherigen Wahlergebnisse belegt, dass die Rechtspopulisten von allen anderen Parteien (und aus dem Lager der Nichtwähler) Stimmen abgezogen haben – die Verortung der AfD im rechten politischen Spektrum findet insofern keine Entsprechung auf der Wählerebene. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieser Effekt in Ostdeutschland: So sind bei der Landtagswahl in Thüringen im September 2014 insgesamt mehr Wählerinnen und Wähler von den drei linken Parteien (Linke, SPD und Grüne) zur AfD übergelaufen als von CDU und FDP. Und in Brandenburg war es ausgerechnet die Linkspartei, die den größten Abfluss in Richtung der Rechtspopulisten hinnehmen musste.

Dass die Wähler linker Parteien für konservativ-autoritäre Wert- und Ordnungsvorstellungen durchaus empfänglich sind, weiß man in den Sozialwissenschaften seit Langem. Wahlerfolge der Rechtspopulisten tragen insofern dazu bei, dass sich die Achse des Parteiensystems insgesamt nach rechts verschiebt. Dies ist einerseits eine schlechte Nachricht für die deutsche Sozialdemokratie, weil es ihre Chancen für eine Rückeroberung des Kanzleramtes von der Union weiter vermindert. Andererseits schadet es CDU und CSU, die zumindest mittelfristig kein Interesse daran haben können, mit der AfD eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit einzugehen. Deren Präsenz erhöht also sowohl die Polarisierung als auch die Segmentierung des Parteiensystems. Dieses könnte damit künftig in eine ähnliche Lage geraten wie in Österreich, wo der Wettbewerb inzwischen mehr an den Rändern als in der Mitte stattfindet und die mangels anderer Koalitionsmöglichkeiten erzwungene Fortsetzung der Großen Koalition den Rechtspopulisten direkt in die Hände spielt. Ob dies für die Bundestagswahl 2017 ein realistisches Szenario ist, wird sich vielleicht schon im kommenden Frühjahr bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt andeuten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Frank Decker, Warum der parteiförmige Rechtspopulismus in Deutschland so erfolglos ist, in: Vorgänge, (2012) 1, S. 21–28.

  2. Vgl. Werner J. Patzelt, Was ist Pegida – in Dresden und anderswo?, in: Forum Politikunterricht, 28 (2015) 1, S. 34ff.

  3. Vgl. David Bebnowski, Die Alternative für Deutschland. Aufstieg und gesellschaftliche Repräsentanz einer rechten populistischen Partei, Wiesbaden 2015, S. 19ff.

  4. Vgl. Sebastian Friedrich, Der Aufstieg der AfD. Neokonservative Mobilmachung in Deutschland, Berlin 2015.

  5. Vgl. Frank Decker, Wenn die Populisten kommen. Beiträge zum Zustand der Demokratie und des Parteiensystems, Wiesbaden 2013, S. 82ff.

  6. Vgl. Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010. Zur Debatte vgl. z.B. Patrik Schwarz (Hrsg.), Die Sarrazin Debatte. Eine Provokation – und die Antworten, Hamburg 2010.

  7. Vgl. z.B. Alban Werner, Vor der Zerreißprobe: Wohin treibt die AfD?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 60 (2015) 2, S. 85f.

  8. Vgl. Frank Decker, Der neue Rechtspopulismus, Opladen 20042, S. 177f.

  9. Vgl. David Bebnowski/Lisa Julika Förster, Wettbewerbspopulismus. Die Alternative für Deutschland und die Rolle der Ökonomen, Arbeitspapier der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt/M. 2014.

  10. Vgl. Simon Tobias Franzmann, Die Wahlprogrammatik der AfD in vergleichender Perspektive, in: Mitteilungen des Instituts für Parteienrecht und Parteienforschung, 20 (2014), S. 115–124.

  11. Vgl. Rüdiger Schmitt-Beck, Euro-Kritik, Wirtschaftspessimismus und Einwanderungsskepsis: Hintergründe des Beinahe-Erfolgs der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 45 (2014) 1, S. 94–112.

  12. Vgl. Lars Geiges/Stine Marg/Franz Walter, Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld 2015, S. 151ff.

  13. Zahlen von TNS Infratest.

  14. Vgl. Oskar Niedermayer, Eine neue Konkurrentin im Parteiensystem? Die Alternative für Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden 2015, S. 201ff.

  15. Vgl. "Sing, mei Sachse, sing!", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.7.2015.

  16. Vgl. Karl-Heinz Reuband, Wer demonstriert in Dresden für Pegida? Ergebnisse empirischer Studien, methodische Grundlagen und offene Fragen, in: Mitteilungen des Instituts für Parteienrecht und Parteienforschung, 21 (2015), S. 133–143.

  17. Vgl. Hans Vorländer et al., Wer geht zu Pegida und warum? Eine empirische Umfrage unter Pegida-Demonstranten in Dresden, Dresden 2015.

  18. Vgl. L. Geiges/St. Marg/F. Walter (Anm. 12), S. 179ff.

  19. Vgl. Ruud Koopmans, A Burning Question: Explaining the Rise of Racist and Extreme Right Violence in Western Europe, Berlin 1995.

  20. Vgl. Doreen Reinhard, "Werte Brandstifter", in: Die Zeit vom 2.7.2015.

  21. Vgl. Gewalt gegen Asylbewerber nimmt drastisch zu, in: Süddeutsche Zeitung vom 1.7.2015.

  22. Laut TNS Infratest.

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Dr. rer. pol., geb. 1964; Professor für Politische Wissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Lennéstraße 27, 53113 Bonn. E-Mail Link: frank.decker@uni-bonn.de