Laut ZDF-Politbarometer schnellte das Thema "Zuwanderung" im Januar 2015 auf Platz 1 der von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommenen gesellschaftlichen Herausforderungen. Während eine unserer Umfragen ergab, dass ein Drittel der Bürger dabei eine stärkere Willkommenskultur fordert,
Je länger es die "Spaziergänge" gab, desto deutlicher wurde, wie menschenfeindliche Hetze zunehmend die Akzeptanz von Gewalt beförderte. Weite Teile der rechtsextremen und rechtspopulistischen Milieus radikalisierten sich. Für das erste Halbjahr 2015 meldete das Bundesinnenministerium auf Rückfrage im Deutschen Bundestag einen Höchststand politischer Kriminalität aus dem rechten Spektrum. Es wurden über 200 Überfälle auf Flüchtlingsunterkünfte registriert, von denen die überwiegende Mehrzahl von rechtsextremen Tätern, einige aber auch von anderen begangen wurden.
Auch die parteipolitische Landschaft hat sich verschoben. Im Frühsommer 2015 zeigte sich spätestens im Zerwürfnis der jungen und bis dahin erfolgreichen Partei Alternative für Deutschland (AfD) ihr extrem rechtes Gesicht,
Das alles fiel nicht vom Himmel. Publikationen wie zum Beispiel Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" (2010) hatten einen Stein ins Rollen gebracht,
Der "Mitte-These" zufolge gibt es in der Gesellschaft ein Reservoir an menschenfeindlichen und rechtspopulistischen Ideologien, an die rechtspopulistische wie rechtsextremistische Milieus anknüpfen können.
Rechtspopulistische Mentalitäten
Der Rechtspopulismus gebärdet sich als "Volkes Stimme". Er vereinfacht komplexe Sachverhalte, ist resistent gegen objektive Tatsachen und besseres Wissen, greift Versatzstücke aus Stimmungen auf, schmiedet sie zusammen und gießt sie in eine politische Rhetorik gegen "die Anderen" und "die da oben". Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler definiert Rechtspopulismus als "die volkstümlich und rebellisch-autoritäre Verkündung extremer rechter Theoreme auf der Basis emotionalisierter Agitation", der sich der "propagandistische(n) Simplifizierungen in Anlehnung an ‚des Volkes Stimme‘" bedient.
Der Mythos der Volksgemeinschaft hat hier eine wesentliche Integrations- und Aufwertungsfunktion.
Rechtspopulismus im Sinne eines generalisierten Einstellungsmusters setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen, die flexibel an Situationen und Propagandaziele angepasst werden können. Eine Kernkomponente in nahezu allen vorgeschlagenen Definitionen von Rechtspopulismus
Als eine weitere zentrale Komponente des Rechtspopulismus gilt der Autoritarismus. Er ist gekennzeichnet durch den Appell an Unterordnung und Gehorsam, eine konformistische Wertorientierung sowie eine aggressive Haltung gegenüber der selbst definierten Abweichung von anderen, die sich in einer an Strafen orientierten Law-and-Order-Haltung manifestiert. In Erinnerung an die klassische Studie zum "autoritären Charakter" spielen auch "Kraftmeierei", Aberglaube sowie ein übertriebenes Interesse an Sexualität eine Rolle.
Darüber hinaus werden als weitere Komponenten von Rechtspopulismus Rassismus, nationaler Chauvinismus und konservative Nostalgie sowie antidemokratische Tendenzen vorgeschlagen.
All dies spricht dafür, das beschriebene Einstellungsmuster als rechtspopulistisch zu bezeichnen. Inwieweit rechtspopulistische Einstellungen und Handlungen mit einer Fremd- oder Selbstkategorisierung als "rechts" einhergehen, ist eine andere Frage. In den Faschismusanalysen sprach der Soziologe Seymour Martin Lipset von einem "Extremismus der Mitte", der sich auch empirisch nachweisen ließe.
Mehr noch, von 2002 bis 2005 nahm unseren Analysen zufolge bei jenen, die sich konstant in der politischen Mitte verorteten, die Menschenfeindlichkeit zu. Darüber hinaus sind Personen von rechts in die Mitte gewandert, das heißt, sie verankerten sich selbst vormals im rechten Spektrum, später dann – unter Mitnahme ihrer feindseligen Einstellungen – in der Mitte.
Erfassung von Rechtspopulismus und Bestimmung der "Mitte"
Die Studie "Fragile Mitte – Feindselige Zustände", die hier zur Analyse der Verbreitung von Rechtspopulismus herangezogen wird, basiert auf einer telefonischen, repräsentativen Bevölkerungsumfrage von rund 2000 Personen ab 16 Jahren. Für die folgenden Auswertungen wurden nur Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit ausgewählt und diese Daten nach Repräsentativität gewichtet. Die Befragung folgt methodisch dem üblichen Vorgehen bei einem Telefonsurvey. Die Befragten wurden zu einer ganzen Reihe von Themen rund um Demokratie und Einstellungen zu Gruppen befragt. Dazu lasen ihnen geschulte Interviewer Aussagen vor, zu denen die Befragten anhand einer vierstufigen Antwortskala jeweils ihre Zustimmung oder Ablehnung signalisierten ("Ich stimme überhaupt nicht, eher nicht, eher oder voll und ganz zu").
In der vorangegangen, verwandten Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF)
Nationalismus und eine Anti-EU-Haltung spielen bei rechtspopulistischen Diskursen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Der Rechtspopulismus-Index hängt empirisch hoch mit der "kollektiven Wut" zusammen. Er ist zudem mit einer Anti-EU-Haltung,
Die sogenannte Mitte der Gesellschaft lässt sich politisch oder sozioökonomisch definieren und kann anhand objektivierbarer Indikatoren oder durch Selbstzuschreibung erfasst werden. Für die folgenden Analysen wurde die "Mitte", wie in den Politikwissenschaften üblich, zum einen über die Selbstverortung der politischen Position als "links", "eher links", "genau in der Mitte", "eher rechts" oder "rechts" und die Wahlintention (Sonntagsfrage) erfasst, zum anderen über Bildung und Einkommen definiert. Darüber hinaus wurden die Befragten gebeten, sich selbst auf einer zehnstufigen Skala zwischen "unten" und "oben" zu verorten, ohne vorzugeben, anhand welcher Kriterien sie dies tun. Zudem wurden sie danach gefragt, inwieweit sie sich selbst zur "Mitte der Gesellschaft" zählen (fünfstufiges Antwortformat von 1 = "ich stimme überhaupt nicht zu" bis 5 = "ich stimme voll und ganz zu").
Rechtspopulismus inmitten der Gesellschaft
Die Befragung ergab, dass insgesamt fast 42 Prozent der befragten Deutschen mit ihren Einstellungen in Richtung Rechtspopulismus tendieren, so wie er oben beschrieben und erfasst wurde. Hierunter werden Befragte summiert, die auf der verwendeten vierstufigen Skala Werte von über 2,5 erreichen, also im Zustimmungsbereich des Index liegen. Rund 20 Prozent erreichen sogar einen Wert von mindestens 3, was für eine eindeutige rechtspopulistische Orientierung spricht. In den "neuen" Bundesländern (28 Prozent Zustimmung) sind rechtspopulistische Einstellungen weiter verbreitet als in den "alten" (18 Prozent Zustimmung). Unter der strengeren Vorgabe der Zustimmung zu allen sechs Komponenten sind es knapp 5 Prozent der Befragten (im Westen knapp 4, im Osten 10 Prozent). Ältere Befragte ab 60 Jahren neigen stärker zu rechtspopulistischen Einstellungen als Befragte bis 30 Jahren und jenen im mittleren Erwachsenenalter, die in der Tendenz die niedrigsten Zustimmungswerte aufweisen. Frauen tendieren etwas stärker zum Rechtspopulismus als Männer, wobei der Unterschied absolut gesehen gering ist. Die Größe des Wohnortes spielt keine Rolle: Rechtspopulistische Einstellungen sind in kleinen Gemeinden nicht weiter verbreitet als in größeren Städten.
In der letzten Erhebung der GMF-Langzeitstudie des Jahres 2011 waren, gemessen an dem strengen Kriterium einer Zustimmung zu allen Komponenten, knapp 9 Prozent der Befragten rechtspopulistisch eingestellt (verglichen mit den oben genannten 5 Prozent 2014). Dabei zeichnet sich eine gewisse Polarisierung bei einigen der einzelnen Einstellungskomponenten ab: Während im Erhebungsjahr 2011 nur 20,5 Prozent der Befragten eindeutig eine positive Haltung
Mit zunehmender Selbstverortung der eigenen politischen Position nach rechts nimmt auch die Tendenz zum Rechtspopulismus in der Bevölkerung zu (Abbildung 1), mit der geringsten Verbreitung unter den sich "eher links" Verortenden. Unter potenziellen Wählern von Bündnis 90/Die Grünen ist die Tendenz zum Rechtspopulismus am geringsten, bei der Anhängerschaft von CDU/CSU, SPD, FDP und der Linkspartei etwas höher (die Anzahl von Anhängern anderer Parteien ist zu gering, um hier eine Aussage treffen zu können). Mit Abstand besonders verbreitet ist die Neigung zum Rechtspopulismus bei potenziellen AfD-Wählern sowie ganz besonders bei den Nichtwählern (Abbildung 2).
Abbildung 2: Rechtspopulistische Einstellungen nach Wahlintention (© bpb)
Abbildung 2: Rechtspopulistische Einstellungen nach Wahlintention (© bpb)
Mit höherer Schulbildung sinkt die Neigung zum Rechtspopulismus recht deutlich, und Befragte mit niedriger Schulbildung neigen eher zu rechtspopulistischen Einstellungen als Befragte mit mittlerer Schulbildung. Die geringste Zustimmung findet sich bei Befragten mit höherer Schulbildung; diese Tendenz wird auch in anderen Studien mit Blick auf Fremdenfeindlichkeit beobachtet. Hier dürfte allerdings die Tendenz höher Gebildeter, sozial erwünscht zu antworten, eine Rolle spielen. Ebenso mag hier aber auch politische Bildung und das Einüben einer demokratischen Kultur Einfluss nehmen, die mit höherer Schulbildung ausgeprägter ist.
Ähnlich drücken sich Einkommensunterschiede aus: Ärmere Befragte neigen eher zum Rechtspopulismus, gefolgt von denjenigen mit mittleren Einkommen und den vergleichsweise geringsten Zustimmungswerten bei wohlhabenden Befragten, wenngleich auch von den Wohlhabenden immerhin jeder Zehnte rechtspopulistische Einstellungen teilt.
Dies spiegelt sich nur bedingt in der Selbsteinschätzung wider, zur "Mitte der Gesellschaft" zu gehören. Zwar sinkt mit zunehmenden rechtspopulistischen Einstellungen die Tendenz, sich selbst zur Mitte der Gesellschaft zu zählen beziehungsweise verorten sich die Befragten eher Richtung "unten" auf der sozialen Leiter, doch sind die Zusammenhänge nicht sehr hoch. Es deutet sich zudem ein U-förmiger Trend an: Jene, die sich selbst eher "unten" oder "oben" verorten, stimmen stärker rechtspopulistischen Meinungen zu, während jene, die sich selbst in der besseren Mitte positionieren, vergleichsweise weniger zum Rechtspopulismus tendieren.
Verschiebungen und Zerrüttungen
Der Rechtspopulismus ist im politischen Raum der Bundesrepublik ganz offenbar verankert. Dies legt die hohe Zahl von Bürgerinnen und Bürgern, die rechtspopulistische Gruppierungen wie Pegida und ihre Ableger erreichen und mobilisieren konnte, nahe, und dies bestätigen auch die vorgestellten Befunde. Auch jene, die sich selbst der Mitte zurechnen oder anhand objektiver Indikatoren dazu gerechnet werden können, sind anfällig, auch wenn rechtspopulistische Einstellungen nach wie vor unter jenen besonders verbreitet sind, die sich selbst im rechten Spektrum verorten, sowie unter Befragten mit weniger Bildung und Einkommen.
Der Rechtspopulismus ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er geschickt an Grundmotive menschlichen Handelns anknüpft und Funktionen vorurteiliger Einstellungen erfüllt:
Rechtspopulismus kommt bei vielen gesellschaftlichen Gruppen an, auch wenn er zugleich auf Gegenbewegungen und Protest stößt. Die Polarisierung, die der Rechtspopulismus vorantreibt, gelingt, weil die Annahme der Ungleichwertigkeit von sozialen Gruppen – verbunden mit der Hoffnung, sich absetzen zu können – in bürgerlichen Milieus verbreitet ist. Dass dabei rechtspopulistisch orientierte Akteure eine neoliberale Ideologie von Kosten und Nutzen auf die Beurteilung sozialer Minderheiten übertragen, liegt nahe, denn das befriedigt zugleich den autoritären Reflex.
Rechtsextremismus wird üblicherweise über den Aspekt der Gewalt vom Rechtspopulismus abgegrenzt. Auch die Pegida-Führung hat zu Beginn ihre Distanz zur Gewalt verkündet. Doch die Annahme, rechtspopulistisch orientierte Mitglieder der Mitte der Gesellschaft neigten nicht zu Gewalt und seien daher eben keine Rechtsextremisten, lässt sich so nicht halten. Unseren empirischen Analysen zufolge geht eine rechtspopulistische Einstellung mit kollektiver Wut und oft auch der Akzeptanz von Gewalt einher. Der Rücklauf der Teilnahme an den "Spaziergängen" hat den Kern von Pegida und ihren Ablegern enthüllt, der zuvor gerade in seiner Aggressivität die Anziehungskraft für Wutbürger ausmachte. Sie liebäugeln mit der Gewalt, die andere für sie verüben, ohne ihr dabei selbst allzu nahe kommen zu wollen, um nicht das bürgerliche Gesicht der Mitte zu verlieren. Der Rechtspopulismus in Deutschland hat einen Rechtsruck erlebt, und dieser hat sich in den vorangegangen Jahren bereits angedeutet. Dieser Rechtsruck vergrößert die Risse in der Gesellschaft und fordert die demokratische Mitte der Gesellschaft, ihre politischen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Vertreter auf, sich klar zu Vielfältigkeit und Gleichwertigkeit zu bekennen und in diesem Sinne zu handeln.