Feministische Kritik am Kapitalismus ist kein völlig neuer Denkansatz, im Gegenteil: Sie kann auf eine Tradition zurückblicken, deren Grundgedanken sich eindrücklich am Beispiel von Harriet Taylor Mill (1807–1858) zeigen lassen. Sie verband ihre ökonomische Analyse in den gemeinsam mit John Stuart Mill verfassten Publikationen mit einer Perspektive von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit im Geschlechterverhältnis: "Das Ziel des Fortschritts sollte nicht nur sein, Menschen in Verhältnisse zu bringen, wo sie ohne einander etwas ausrichten können, sondern sie fähig zu machen, mit- oder füreinander zu arbeiten in gegenseitigen Beziehungen, die durchaus nicht in Abhängigkeit auszuarten brauchen." Was sich hier primär auf Arbeitsverhältnisse bezieht, lässt sich auch auf die Lebensverhältnisse insgesamt übertragen: Freiheit nicht verstanden als Abgrenzung von und Distanzierung gegenüber anderen, was dem Idealbild bürgerlicher Autonomie entspräche, sondern Freiheit in wechselseitiger Bindung zu anderen, ohne dass diese Bindungen deshalb in Abhängigkeiten münden, die Hierarchien und Machtasymmetrien begründen.
Dieses Spannungsverhältnis von Autonomie und Bindung durchzieht die feministische Debatte insgesamt. Es wirft aber auch grundsätzliche Fragen auf, die für eine feministische Kritik des Kapitalismus relevant sind: Welche Bedeutung haben Bindung und Sozialität für eine ökonomische Organisation, die auf individueller Nutzenmaximierung gründet? Wie verhalten sich individuelle Nutzenmaximierung und gesellschaftliche Verantwortung zueinander? Wer trägt die Folgekosten in einem ökonomischen System, das Bindung als Voraussetzung für Sozialität und Verantwortung – für die Gesundheit und das Wohlergehen von Menschen, für den Zustand der natürlichen Umwelt, für globale Gerechtigkeit – grundsätzlich ausblendet und in den Bereich des Nicht-Ökonomischen verweist?
Die Konstruktion des homo oeconomicus als eines autonom handelnden Subjektes, das seine Entscheidungen entsprechend seiner individuellen Präferenzen und gemäß dem größtmöglichen individuellen Nutzen auf einem anonymen Markt trifft, wurde aus feministischer Perspektive vielfach kritisiert. Analog zur Analyse des Marktes als einer Institution, die alles andere als losgelöst von sozialen Verhältnissen ist, sondern fest eingebettet in soziale Beziehungen, normative Orientierungen und kulturelle Werthaltungen, untersucht die feministisch-ökonomische Perspektive die Einbettung ökonomischer Prozesse in die Geschlechterhierarchie. Letztere prägt nicht nur Entscheidungen auf dem Markt entsprechend einem eng gefassten ökonomischen Verständnis. In einem weit gefassten Verständnis von Ökonomie als social provisioning – "that is, the production and reproduction of human material life" – strukturieren Geschlechterverhältnisse den Kontext, also die Einbettung der Ökonomie in eine Ordnung von Bewertungen, Symbolisierungen, Ungleichheiten und Asymmetrien, die entlang der Achse "Geschlecht" hierarchisiert werden. Die Naturalisierung von Geschlecht, das heißt die Interpretation der Geschlechterdifferenz als eine naturgegebene Tatsache, stellt ein grundlegendes Problem für die feministisch-ökonomische Analyse und Praxis dar: Zum einen wird durch diese Naturalisierung die Geschlechterordnung zu einem außerökonomischen Faktum erklärt, zum anderen verstärkt die These von der Einbettung ökonomischer Prozesse in soziale Institutionen den nicht-ökonomischen Charakter der Geschlechterordnung. Mit anderen Worten: Die Reproduktion der Gesellschaft wird als soziales oder politisches, aber nicht als ökonomisches Phänomen aufgefasst.
Feministische Analysen der kapitalistischen Produktions- und Konsumweise
Ausgangspunkt feministischer Analysen des Kapitalismus ist die Soziale Reproduktion, also die gesellschaftliche Organisation der (Wieder-)Herstellung der Arbeitskraft. Darin eingeschlossen sind die generative Reproduktion – das Gebären und Aufziehen der nachfolgenden Generation – und die alltägliche Reproduktion – die Regeneration der Arbeitsfähigkeit durch materielle und immaterielle Versorgungsleistungen. In einem weiteren Sinne muss auch die Versorgung von nicht mehr arbeitsfähigen Personen, die wegen Krankheit oder Alter nicht selbst für sich sorgen können, hinzu gezählt werden. Weil nicht alle feministischen Ökonominnen den etwas technisch klingenden Begriff "Soziale Reproduktion" und seine Ableitung aus der marxistischen Theorietradition positiv besetzen, haben sich in der aktuellen Debatte um die Verantwortungs- und Sorgearbeit die Begriffe "Care" und "Care-Ökonomie" weitgehend durchgesetzt. Um etwas deutlicher zu benennen, worum es dabei im Kern geht, hat die Philosophin Cornelia Klinger den deutschen Begriff "Lebenssorge" vorgeschlagen. Ich benutze meist die Umschreibung der Sorgeverpflichtung und Verantwortungsübernahme für Menschen, die nicht selbst für sich sorgen können.
Feministische Kapitalismuskritik umfasst diverse theoretische Strömungen, von institutionenökonomischen über marxistische und ökofeministische bis hin zu postmodernen Positionen. Aktuelle feministisch-ökonomische Stimmen sprechen im Anschluss an derzeitige Krisenanalysen des Kapitalismus – Überproduktionskrise, Bankenkrise, Umweltkrise – von der Krise der Sozialen Reproduktion. Damit bezeichnen feministische Ökonominnen die Unterversorgung von Menschen mit Zuwendung und Fürsorge, die vor allem zeitintensiv und den Rationalisierungsbestrebungen der kapitalistischen Produktionsweise nicht zugänglich sind – und dies aufgrund der Inhalte der reproduktiven Arbeit auch nicht sein sollten. Arbeitsleistungen der Sozialen Reproduktion werden sowohl unbezahlt in privaten Haushalten als auch – meistens schlecht – bezahlt über den Arbeitsmarkt vermittelt (auch in Form von Schwarzarbeit) erbracht. Charakteristisch für diese Form der Arbeit sind ihre Unaufschiebbarkeit, die nötige zwischenmenschliche Empathie und ihre hohe Verbindlichkeit. Mit der Krise der Sozialen Reproduktion ist gemeint, dass über die Ausweitung der kapitalistischen Verwertungslogik auch die Versorgungsarbeit durch den ökonomischen Imperativ von Beschleunigung, Rationalisierung und Arbeitsintensivierung überformt wird.
Für beide Seiten, die Versorgenden und diejenigen, die versorgt werden, ist die Krise der Sozialen Reproduktion spürbar in der Überlastung und Überforderung derjenigen Menschen, die die Verantwortung für die Care-Arbeit tragen. Dies sind unter den gegebenen Verhältnissen der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung in der großen Mehrheit Frauen: Frauen leisten den weitaus größten Anteil an unbezahlter familialer Arbeit und versorgen dabei nicht nur Kinder, sondern stellen auch trotz eigener Erwerbstätigkeit die Verfügbarkeit der männlichen Arbeitskraft für den Arbeitsmarkt sicher. Frauen sind es auch, die weitgehend die Soziale Reproduktion in der Sphäre der Erwerbsarbeit übernehmen, sei es in der Betreuung und schulischen Bildung, sei es in der Kranken- und Altenpflege. Ein häufig gewählter Ausweg aus der Überlastung durch die Sorgekrise ist die Delegation reproduktiver Arbeit im eigenen Haushalt auf migrierte oder ethnisierte Frauen. Dies ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass eine anteilige Übernahme der unbezahlten Arbeit in der Lebenssorge durch Männer trotz einer lang andauernden Debatte über die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht stattfindet.
Zentral für die feministische Analyse des Kapitalismus, darin sind sich feministische Ökonominnen unterschiedlicher Provenienz einig, ist der Blick auf die Soziale Reproduktion als gleichwertiger und ökonomisch ebenso relevanter Bereich wie die marktvermittelte, sogenannte produktive Erwerbsarbeit – produktiv deshalb, weil hier Waren und Mehrwert produziert werden. Aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive gelten die Investitionen in die soziale Infrastruktur, also Bildung, Betreuung und Pflege, als konsumtive Ausgaben und die unbezahlte Arbeit in privaten Haushalten, so sie denn überhaupt als Arbeit gesehen wird, als reproduktiv. Um diese Begriffe und die damit verbundenen Prämissen gibt es in der feministischen Diskussion eine rege Debatte, auf die ich im Folgenden kurz eingehen werde.
ReProduktivität als Analysekonzept feministisch-ökologischer Forschung
Der Begriff "Reproduktion" hat schon früh Widerspruch bei Feministinnen ausgelöst: Warum sollte nur die Herstellung von Gütern und Waren für den Tausch als "produktiv" angesehen werden, nicht jedoch die "Herstellung" von Leben und das Aufrechterhalten lebendiger Prozesse? Und weiter gedacht: Warum gilt nur die Verarbeitung von Natur als produktiv, nicht jedoch die Natur als solche? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt für die feministisch-ökologische Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Kapitalismus. Diese verbindet die ökologische Kritik an der Ausbeutung und Übernutzung natürlicher Ressourcen mit der feministischen Kritik an der Ausbeutung und gesellschaftlichen Aneignung der (unbezahlt oder unterbezahlt) geleisteten Arbeit von Frauen in der Sozialen Reproduktion. Diese Arbeit ist ökonomisch unsichtbar und wird in ihrer Bedeutung deshalb maßlos unterschätzt, weil es sich um die Arbeit von Frauen handelt und sie damit in die Nähe der Natur gerückt wird: Frauen wird qua ihrer potenziellen Gebärfähigkeit unterstellt, für die Versorgung von Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können, "von Natur aus" prädestiniert zu sein. Oder anders gesagt: Sorgekompetenzen seien Frauen "von der Natur" in die Wiege gelegt, sie bräuchten nicht erlernt und entwickelt und damit auch nicht bezahlt zu werden. Sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt – und de facto wäre keine Gesellschaft, kapitalistisch oder nicht, überlebensfähig ohne die Arbeit von Frauen für die Soziale Reproduktion.
Gesellschaftliche Naturverhältnisse im Kapitalismus sind aus einer feministisch-ökologischen Perspektive also durch ein doppeltes Herrschaftsverhältnis gekennzeichnet, durch die Unterwerfung und Ausbeutung der Natur und der zur Natur erklärten Arbeit von Frauen. Gleichzeitig gäbe es keine (Über-)Lebensfähigkeit im Kapitalismus ohne die produktiven Kräfte der Natur – und hier kommt erneut die potenzielle Gebärfähigkeit des Frauenkörpers in den Blick. Die ReProduktivität des weiblichen Körpers ist es, die Feministinnen im Kern beschäftigt. Wie soll mit diesem grundsätzlichen Unterschied – dem einzigen sozial und ökonomisch relevanten biologischen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Körpern – analytisch und politisch umgegangen werden?
Feministische Perspektiven zur Überwindung des Kapitalismus
Feministisch-ökologische Positionen analysieren ausgehend von der ReProduktivität des Frauenkörpers die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Verstärkung von kapitalistischer und patriarchaler Ordnung. Der radikalen Kritik des Ökofeminismus gelten die Kontrolle der weiblichen Sexualität und Reproduktionsfähigkeit und die Zerstörung der Natur als Basis kapitalistischer Ausbeutung und männlicher Herrschaft. Diese Kritik verbindet sich mit der ökonomischen Vision der Subsistenz. Damit ist eine Vorstellung vom "guten Leben" gemeint, die unter dem Stichwort "Postwachstum" in der aktuellen Debatte um Alternativen zum Kapitalismus hoch im Kurs steht: "Eine neue Definition des Begriffs von ‚gutem Leben‘ wird nicht einfach Verzicht predigen, sondern die Werte hervorheben, die in unserer Konsum- und Leistungsgesellschaft auf der Strecke bleiben, z.B. Kooperation anstatt Konkurrenz, (…) Selbstversorgung (self-sufficiency) anstatt Abhängigkeit von externen Märkten, Absage an Ausbeutung und Kolonisierung als Grundlage für eigene Vorteile, Gemeinschaftlichkeit statt Verfolgung privater und egoistischer Einzelinteressen, Kreativität, Souveränität und Würde statt dauerndes ‚Schielen nach oben‘, Befriedigung in der eigenen Arbeit statt imitativem und kompensatorischem Konsum und, statt eines stets steigenden quantitativen Lebensstandards, Lebensfreude und Glück, die aus der Zusammenarbeit mit anderen und einer sinnvollen Tätigkeit entspringen." Unschwer sind hier die Prinzipien einer Postwachstumsgesellschaft zu erkennen, wie sie zum Beispiel von der Philosophin Barbara Muraca skizziert werden.
Mit dieser Sichtweise verbindet sich auch ein bestimmtes Freiheitsverständnis. Wie eingangs betont, ist feministische Ökonomiekritik immer auch verbunden mit der Suche nach Freiheit – in Anerkennung von "gegenseitigen Beziehungen, die durchaus nicht in Abhängigkeit auszuarten brauchen", wie es bei Taylor Mill heißt. Die ökofeministische Subsistenzperspektive versteht Freiheit vor allem als Befreiung vom Konsum, die eben nicht als Verzicht, sondern als "Einforderung eines anspruchsvolleren, glücklicheren, gesünderen, heiteren Lebens" verstanden wird: "Konsumbefreiung bedeutet eine Verbesserung der Lebensqualität, nicht bloße Askese." Auch diese Vision von Lebensqualität ist anschlussfähig für radikale Kritiken der kapitalistischen Produktions- und Konsumweise. Allerdings verbindet sie sich im Ökofeminismus mit einer klaren Forderung nach "Veränderungen in der geschlechtlichen Arbeitsteilung, in der Wirtschaft und in der Politik. Nur wenn Männer tatsächlich die Sorge für Kinder, Alte, Kranke und die Natur mitübernehmen, wenn sie erkennen, dass diese lebenserhaltende Subsistenzarbeit wichtiger als die Arbeit für Geld ist, werden sie in der Lage sein, ein verantwortungsbewusstes, fürsorgliches, erotisches Verhältnis zu ihren PartnerInnen zu entwickeln, egal ob Mann oder Frau."
Ökofeministische Positionen sind im deutschsprachigen Raum umstritten, da ihnen ein essentialistisches Verständnis von Natur und Weiblichkeit unterstellt wird. Im englischsprachigen Kontext wurde die ökofeministische Debatte von Autorinnen wie Karen Warren, Catriona Sandilands, Noel Sturgeon oder Stacy Alaimo produktiv weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund des neu erwachten feministischen Interesses an Materialität werden diese Überlegungen unter dem konzeptionellen Dach von queer ecologies beziehungsweise queer nature-cultures fortgeführt.
Ebenfalls inspirierend für alternative ökonomische Praxen jenseits der kapitalistischen Verwertungs- und Akkumulationslogik, allerdings mit einem völlig anderen Theoriebezug, ist der Ansatz der community economy von Katherine Gibson und Julie Graham. Während der Ökofeminismus politökonomisch inspiriert ist, schließen Gibson-Graham an einen mit Theoremen des Diskurstheoretikers Michel Foucault unterlegten Poststrukturalismus an und verstehen ihre Konstruktion einer diverse economy als gegenhegemoniales Projekt zum dominanten Diskurs eines alternativlosen globalen Kapitalismus. Die Dominanz dieser Denkform nennen sie "Kapitalozentrismus" und beschreiben sie als "dominant economic discourse that distributes positive value to those activities associated with capitalist economic activity however defined, and assigns lesser value to all other processes of producing and distributing goods and services by identifying them in relation to capitalism as the same as, the opposite of, a complement to, or contained within".
Ihre Vision einer postkapitalistischen Politik beruht auf der Analyse bereits praktizierter Formen ökonomischer Diversität jenseits kapitalistischer Ausbeutung von Mensch und Natur, wobei sie sich explizit auf die Darstellung der "Eisberg-Ökonomie" der ökofeministischen Analyse beziehen. Mit der "Eisberg-Ökonomie" ist gemeint, dass im Kapitalismus nur ein Zehntel der tatsächlichen ökonomischen Leistungen sichtbar, da monetarisiert, neun Zehntel der Ökonomie jedoch unter der Oberfläche schwimmen und entsprechend unsichtbar sind. Dazu gehören alle ökonomischen Aktivitäten, bei denen entweder kein Geld fließt oder kein Kapital akkumuliert wird, also zum Beispiel Freundschaftsdienste, Geschenke und Tausch, Freiwilligenarbeit, Konsumentenkooperativen und eben auch unbezahlte Hausarbeit. In dieser Sichtweise wird die kapitalistische Ökonomie zu einer von vielen möglichen ökonomischen Formen in einem Meer der unterschiedlichsten Arten und Weisen, social provisioning sicherzustellen.
Gibson-Grahams postkapitalistisches Verständnis von Ökonomie wird inspiriert von identitätskritischen Positionen von Chantal Mouffe/Ernesto Laclau über Judith Butler und die Psychoanalyse bis hin zu buddhistischen Praxen: "What Buddhist practice offers, then, is not unlike the fruits of psychoanalysis: less investment in the self of ego and identity, greater openness to change (in the self and world), and enlarged capacities for joy and connection". Auch hier werden Visionen erkennbar, die die Debatten um Perspektiven jenseits des kapitalistischen Wachstumsimperativs vorantreiben können. Affekt und Emotionen sind ebenso behindernde wie befördernde Quellen einer postkapitalistischen Subjektivität. Für die Konstitution von geschlechtlichen Subjektivitäten stellt die Auseinandersetzung mit der symbolischen Ordnung von Männlichkeit und Weiblichkeit eine nach wie vor bestehende zentrale Herausforderung dar.
Die Perspektive einer Dezentrierung des Kapitalismus und der von ihm geforderten (Selbst-)Zurichtung der Subjekte ermöglicht es, den kapitalistischen Hegemonieanspruch zu überwinden und den Blick zu öffnen für Praxen, die schon heute existieren und die von Gibson-Graham als community economy bezeichnet werden. Diese sind charakterisiert durch ihren lokalen, kleinräumlichen Bezug, durch gemeinschaftlichen Besitz, gemeinsame Kontrolle und Entscheidungsfindung, sie sind umweltgerecht, ethisch, kulturell divers, sozial eingebettet und lebensorientiert.
Ähnliche Vorstellungen verbinden sich mit dem Konzept der sustainable livelihoods, eine Formulierung, die von feministischen Umweltbewegungen als Gegenbild zum dominanten Diskurs der Nachhaltigkeit geprägt wurde. Das Leitbild von sustainable livelihoods umfasst eine Abkehr vom dominanten westlichen Konzept von Entwicklung und ökologischer Modernisierung, ein Modell, das als Grundlage der globalen Umweltzerstörung abgelehnt wird. Es wurde 1991 auf dem World Women’s Congress for a Healthy Planet formuliert und gilt seither als Bezugsrahmen feministischer Wachstums- und Kapitalismuskritik. Während nach gängigem Verständnis nachhaltige Entwicklung eng mit dem Wachstumspostulat verbunden ist – Wachstum gilt diesem Ansatz als Voraussetzung für mehr Umwelt- und Verteilungsgerechtigkeit – sehen die Vertreterinnen und Vertreter des Sustainable-livelihood-Ansatzes im ökonomischen Wachstum nicht die Lösung, sondern die Ursache für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und die globale Ungleichverteilung von Reichtum und Ressourcen. Entsprechend umstritten sind unter Feministinnen aktuelle Forderungen nach "grünem Wachstum" oder einem "Green New Deal". Es wird dabei argumentiert, dass ein grüner Kapitalismus die Wachstumslogik nur fortschreibt, ohne an den Grundlagen der kapitalistischen Produktions- und Konsumweise zu rütteln.
Aber auch die Postwachstumsdebatte ist noch weitgehend geschlechtsblind. Dabei sind zentrale Forderungen für eine Postwachstumsgesellschaft gar nicht zu realisieren, ohne die feministische Kritik und daraus abgeleitete Visionen zu berücksichtigen – oder vielmehr: Sollten diese Forderungen ohne Betrachtung ihrer geschlechtlichen Implikationen verfolgt werden, dann verstärken sie die hierarchische Geschlechterordnung. Eine wichtige Bedeutung kommt beispielsweise der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zu, um einerseits Erwerbsarbeit gerechter zu verteilen und andererseits den Zugriff der Kapitalseite auf das Leben der Menschen zu begrenzen. "Verkürzung der Arbeitszeit" setzt aber implizit voraus, dass wir über die Erwerbsarbeitszeit sprechen, denn die Arbeitszeit in der Sozialen Reproduktion lässt sich nicht verkürzen. Entsprechend muss die Forderung aus einer feministischen Perspektive lauten: Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und Ausweitung der Arbeitszeit von Männern in der Sphäre unbezahlter Arbeit, damit die Verantwortungs- und Sorgearbeit für das Wohlergehen anderer Menschen nicht länger eine quasi exklusive Anforderung an Frauen ist.
Allerdings scheinen manche Postwachstumstheoretiker keine konkrete Vorstellung davon zu haben, was sie in dieser Sphäre erwartet. An prominenter Stelle, in der Einleitung zum Schwerpunktheft "Degrowth" der wissenschaftlichen Zeitschrift "Ecological Economics", findet sich dazu die Formulierung, Tätigkeiten von geringer Produktivität – Care wird hier explizit genannt – repräsentierten einen "sector of pleasant and non-stressful occupations". Mit einer solchen Einschätzung von Sozialer Reproduktionsarbeit schließt diese Postwachstumsvision nahtlos an die Minderbewertung von Frauenarbeit im Kapitalismus an und setzt ihre Ausbeutung als quasi-natürliche, unendlich zur Verfügung stehende Ressource fort.
Damit soll nicht gesagt sein, dass Praxen des Postwachstums generell keinen kritischen Umgang mit der Geschlechterhierarchie pflegen, die Beispiele bei Gibson-Graham geben dazu Hinweise. In der Wissenschaft allerdings bleibt noch viel Raum für Diskussionen. Die Richtung dieser Debatten weist das Konzept "(Re)Produktivität" von Adelheid Biesecker und Sabine Hofmeister: "(Re)Produktivität ist eine Kategorie, die das Ganze der Produktivität umfasst". Gemeint sind damit die Produktivität der Natur und die "soziale Reproduktion menschlichen Lebens durch sozial Frauen zugewiesene Sorgearbeit (Care)".
Ökonomische und symbolische Ordnung zusammen denken
Die Sicht auf das Ganze der Ökonomie muss verknüpft werden durch die Analyse und Kritik der zweigeschlechtlichen symbolischen Ordnung, die Bewertungen und Hierarchien entlang der Achse Männlichkeit/Weiblichkeit zuweist. Es ist kein Zufall, dass Arbeiten in der Sozialen Reproduktion als Arbeiten von Frauen gelten und mit symbolischer Weiblichkeit identifiziert werden: Sie werden aufgrund der potenziellen Gebärfähigkeit des weiblichen Körpers und der Bindung dieser Produktivität an die Natur abgewertet. Freiheit entsteht für das bürgerliche männliche Subjekt durch die Befreiung von Abhängigkeit von der Natur und natürlichen Prozessen. Die Spaltung in Kultur und Natur, Produktion und Reproduktion, Männlichkeit und Weiblichkeit durchzieht die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus. Dass diese Spaltungen nach wie vor höchst relevant sind, zeigt sich deutlich in der Tatsache, dass trotz verbreiteter Emanzipationsrhetorik die Haus- und Sorgearbeit nicht zwischen den Geschlechtern neu verteilt, sondern auf migrierte Frauen mit niedrigerem sozialen Status verlagert wird. Hier setzt sich die symbolische Identifikation von Sozialer Reproduktion mit Weiblichkeit fort und trägt nicht dazu bei, die Geschlechterhierarchie aufzubrechen. Alternativen zum Kapitalismus müssen sich daran messen lassen, inwiefern sie die Minderbewertung von natürlicher und weiblicher ReProduktivität materiell und symbolisch beenden. Erst dann werden Ideen von Autonomie und Freiheit und wechselseitiger Bindung und Verantwortung jenseits geschlechtshierarchischer Zuweisungen denk- und lebbar.