Der apokryphen Definition eines US-amerikanischen Diplomaten zufolge bedeutet die Globalisierung, "dass alles mit allem zusammenhängt, nur noch mehr als früher". Präziser, aber weniger einprägsam formuliert, lässt sich Globalisierung definieren als grenzüberschreitende Interaktionsprozesse aller Art (von Gütern, Dienstleistungen und Geld über Ideen und Informationen bis hin zu Menschen), die sich mit immer größerer Reichweite, höherer Geschwindigkeit und zunehmenden Wirkungen ausbreiten und damit alle Bereiche des menschlichen Lebens immer stärker durchdringen und miteinander verknüpfen. Natürlich verlaufen diese Prozesse nicht gleichförmig, ihre Ausbreitung erfasst Gesellschaften in durchaus unterschiedlicher Weise und Intensität. Aber sie sind grundsätzlich unumkehrbar und gewinnen weiter an Tempo und Durchschlagskraft: Niemand kann sich den Auswirkungen der Globalisierung mehr entziehen.
Globalisierung ist demzufolge der wichtigste Megatrend unserer Zeit, und nicht erst der unsrigen: Sie bildet ein Kernphänomen der Moderne und treibt seit rund zweihundert Jahren Modernisierungsprozesse voran. Ihre ungeheure Durchschlagskraft bezieht die Globalisierung aus fortschreitendem technologischen Wandel, mit anderen Worten: aus den Erkenntnisfortschritten der Wissenschaften und deren Umsetzung in praktische Problemlösungen.
Im Folgenden geht es um die Auswirkungen der Globalisierung auf die Politik. Diese verstehen wir als ein Kontinuum, ein Spektrum, das von der Gemeinde bis zur Weltorganisation reicht. Um Politik geht es überall da, wo Kollektive beziehungsweise Gesellschaften darüber entscheiden, wie sie leben wollen, und dann versuchen, diese Entscheidungen umzusetzen. Dabei geht es immer auch um die Verteilung von verfügbaren Ressourcen und Lebenschancen innerhalb der eigenen Gesellschaft und ihren Umgang mit anderen Gesellschaften. In diesem Kontinuum der Politik, das jede und jeden Einzelnen in die Weltpolitik einbindet, lassen sich freilich mindestens fünf Ebenen unterscheiden: Die lokale Ebene (Gemeinden, Städte), die substaatlich regionale Ebene (Provinzen, Bundesländer), die nationalstaatliche Ebene, die regionale Ebene jenseits des Nationalstaates (zum Beispiel die Europäische Union) und schließlich die globale Ebene (repräsentiert durch das Institutionengefüge der Vereinten Nationen).
Über das gesamte Spektrum der Politik hinweg, so die hier vertretene These, lässt sich als Megatrend seit etwa einem Vierteljahrhundert (also seit etwa 1990) eine sich tendenziell immer weiter öffnende Schere zwischen dem Bedarf an politischer Steuerung einerseits und der Fähigkeit der Politik, diese Steuerungsleistungen zu erbringen, andererseits feststellen. Dieser im Folgenden als das "Angebots-Nachfrage-Dilemma der Politik" bezeichnete Megatrend entsteht im Kontext der Globalisierung und wird durch sie ausgelöst.
Wie entstand diese strukturelle Überforderung der Politik? Und warum lässt sich der Beginn dieses Dilemmas plausibel im Jahr 1990 verorten? Ganz allgemein formuliert, bewirkten und bewirken die Prozesse der Globalisierung zugleich zunehmende Vernetzungen (Integration) von Individuen und Gesellschaften in tendenziell immer weiter ausgreifenden, nicht selten globalen Zusammenhängen wie auch einen gegenläufigen Trend der Fragmentierung und Zersplitterung. Diese beiden Tendenzen scheinen dialektisch miteinander verknüpft zu sein und sich gegenseitig voranzutreiben: Je mehr Integration und Vernetzung, desto mehr Fragmentierung. Die Folge ist, dass immer längere und vielfältigere Wirkungsketten entstehen und zugleich auch immer mehr Akteure auftreten, die auf den Gang der weltweiten Entwicklungen Einfluss zu nehmen vermögen.
Vernetzung und Fragmentierung: Erderwärmung, Welthandel, demografischer Wandel
Die geschilderten Entwicklungen hin zu größerer Vernetzung und Fragmentierung lassen sich an einigen Beispielen verdeutlichen. Für die wachsenden weltweiten Interdependenzen steht besonders exemplarisch die Erwärmung der Erdatmosphäre, die bereits heute globale Veränderungen des Klimas und der Wetterbedingungen nach sich zieht und dies in Zukunft noch verstärkt tun wird.
Jeder Erdbewohner ist als Energieverbraucher und viele sind auch als Produzenten von Treibhausgasen an dieser Veränderung des Klimas beteiligt. Um die damit verbundenen Risiken zu beherrschen, bedarf es einer Veränderung individuellen und kollektiven Verhaltens im Weltmaßstab. Dies kann allein Politik leisten. Ohne eine global abgestimmte politische Umsteuerung – gleichviel welcher Art diese sein mag – könnte es zu katastrophalen Folgen vor allem in den Ballungsräumen auf der Südhalbkugel kommen.
Es ist unübersehbar, dass die bisherigen klimapolitischen Anstrengungen, die im Übrigen in einer unüberschaubaren Menge von zwischenstaatlichen und transnationalen Kooperationsverbünden vorangetrieben werden (Fragmentierung der klimapolitischen Regelwerke), völlig unzureichend sind, um das selbstgesteckte Ziel der Begrenzung der Erderwärmung um zwei Grad Celsius zu erreichen. Tatsächlich haben sich die CO2-Emissionen weltweit von rund 22,7 Milliarden Tonnen 1990 auf etwa 35,5 Milliarden im Jahr 2014 erhöht; die Konzentration der CO2-Partikel in der Erdatmosphäre, die für die Aufheizung verantwortlich sind, stieg im selben Zeitraum von 354ppm (parts per million) auf 397ppm.
Ein anderer Bereich, in dem das Zusammenwirken von weltweiter Integration und Fragmentierung, aber auch die Auswirkungen auf die politische Steuerung im Sinne des Angebots-Nachfrage-Dilemmas deutlich werden, ist der globale Güterhandel. Sein Wert nahm von 1990 bis 2010 um 339 Prozent zu, seine Expansionsdynamik übertraf damit deutlich die Wachstumsrate der Weltwirtschaft (59 Prozent).
Der internationale Warenhandel verfügt mit der Welthandelsorganisation (WTO) über ein globales Regelwerk und eine Art Weltregierung mit einer Legislative (die Versammlung der Mitgliedsstaaten), einer (schwachen) Exekutive (der WTO-Generaldirektor und das Sekretariat in Genf) sowie eine (starke) Judikative (die Streitschlichtungsorgane und ihre Berufungsinstanz). Dieses Regelwerk hat bislang bemerkenswert gut funktioniert: Es stellt derzeit den vielleicht effektivsten Aspekt des Weltregierens überhaupt dar. Entscheidungen der unabhängigen Streitschlichtungsinstanzen bei Handelskonflikten wurden selbst von den größten Handelsmächten USA, China und der Europäischen Union bislang stets akzeptiert. Unübersehbar ist allerdings, dass die Bemühungen um eine weitere Verbreiterung und Vertiefung des Regelwerkes im Rahmen der sogenannten Doha-Entwicklungsrunde nur sehr bescheidene Ergebnisse geliefert haben.
Ein drittes Beispiel für die zunehmenden Verflechtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten im Weltmaßstab liefert der demografische Wandel. Während in vielen westlichen und ostasiatischen Industriestaaten das Bevölkerungswachstum seit 1990 rapide zurückging und die Gesellschaften dort rasch alterten und teilweise sogar zu schrumpfen begannen, wuchsen die Bevölkerungen in anderen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika, der arabischen Welt und Süd- sowie Südostasien, weitgehend ungebremst fort. Aus den demografischen Ungleichgewichten resultieren Wanderungsbewegungen zwischen Regionen; aus den hohen Geburtenraten wurde in Verbindung mit stagnierenden Volkswirtschaften und unzureichenden Beschäftigungsperspektiven der explosive Cocktail des "Jugendüberhangs" (youth bulge): eine große Zahl gut ausgebildeter, wirtschaftlich aber dennoch häufig perspektivloser junger Männer und Frauen. Die Folgen der verbreiteten Perspektivlosigkeit erlebt(e) die Welt zum Beispiel in der "Arabellion" und ihren Weiterungen, in der Ausbreitung des islamistischen Terrors sowie in massiven transnationalen Flüchtlingswanderungen.
Diffusion von Macht – und mögliche Antworten darauf
Die dynamischen Wachstumsprozesse der Globalisierung tragen mit ihrer inhärenten Integrations- und Fragmentierungsdialektik dazu bei, dass Wirkungszusammenhänge über nationale Grenzen hinweg immer komplizierter werden. Zugleich haben sie auch zu einer deutlichen Zunahme von Akteuren in vielen Bereichen der internationalen Beziehungen geführt. So stieg die Zahl der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen von 91 im Jahr 1960 und 154 im Jahr 1990 auf derzeit 195. Weitaus dynamischer noch verlief das zahlenmäßige Wachstum bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Während die Statistiken der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) 1990 rund 35000 transnationale Unternehmen verzeichneten, waren es 2008 bereits 82000.
Die drastische Zunahme an Akteuren in den internationalen Beziehungen verweist auf eine gewichtige machtpolitische Auswirkung der Globalisierung: die Diffusion von Macht. Hinzu kommt, dass unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Globalisierung auch kleine Gruppen und sogar Individuen, die auf eigene Rechnung handeln, in der Lage sind, großen Einfluss auf die weltwirtschaftliche und weltpolitische Entwicklung zu nehmen. So spielte etwa ein einzelner Investor, der Spekulant George Soros, eine entscheidende Rolle bei der Krise von 1992 im Europäischen Währungssystem (EWS), die den Rückzug des Britischen Pfunds aus dem EWS erzwang. Ebenso waren es nur einige Dutzend Islamisten um Osama bin Laden, die durch ihre Terroranschläge am 11. September 2001 in New York und Washington die USA zu einem grundlegenden außenpolitischen Kurswechsel veranlassten und dadurch folgenreich Einfluss auf das Weltgeschehen nahmen.
Immer kompliziertere Wirkungsketten und immer mehr relevante Akteure, zunehmende Interdependenzen und Machtdiffusion erschweren also die Steuerung der Weltpolitik, das Regieren der Welt (global governance). Interessenausgleich wird schwieriger, Problemlösungen werden komplexer und politische Steuerung wird aufwendiger. Bei alledem muss die Politik zugleich stets darauf bedacht sein, jene öffentlichen Güter zu gewährleisten, auf die alle Gemeinwesen angewiesen sind, wie Sicherheit, Frieden und eine intakte Umwelt. Diese Gegebenheiten bestimmen keineswegs nur das Regieren auf der globalen Ebene, sondern sie beeinflussen das gesamte Spektrum der Politik über all ihre Ebenen hinweg.
Wie kann sich die Politik unter diesen Voraussetzungen behaupten? Grundsätzlich stehen ihr mehrere Möglichkeiten offen, sich auf die wachsenden Anforderungen einzustellen. Sie kann versuchen, ihre inneren Abläufe, ihre Entscheidungsprozesse und ihre Steuerungsfähigkeiten zu optimieren – etwa, indem sie Aufgaben nach unten delegiert (Föderalisierung, Dezentralisierung politischer Einheiten) oder sich mit anderen in regionalen Zusammenschlüssen oder in internationalen Organisationen und Regimen zusammenschließt, um geteilte Probleme gemeinsam zu lösen. Oder sie kann sich bemühen, zuhause zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren – indem sie etwa Steuern und Abgaben erhöht oder mit religiösen oder ideologischen Parolen beziehungsweise durch Verweis auf äußere oder innere Bedrohungen Emotionen schürt und diese für ihre Zwecke instrumentalisiert. Für Letzteres bot in der jüngeren Geschichte die US-Regierung unter George W. Bush das dramatischste Beispiel: Die Mobilisierung für den "globalen Krieg gegen den Terror" als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 zeigte eindrucksvoll die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen US-amerikanischer Gestaltungsmacht in der Weltpolitik auf.
Die Politik kann sich aber auch um externe Hilfe bemühen. Ein extremes Beispiel hierfür bildet Nordkorea, dessen kommunistische Familiendynastie sich nur durch massive Unterstützung von außen an der Macht halten konnte. Diese erhielt das Regime während des Kalten Krieges aus China und der Sowjetunion, indem es beide Alliierten gegeneinander ausspielte; danach nicht zuletzt durch Erpressung der Nachbarn und Geiselnahme der eigenen Bevölkerung, die ohne internationale Nahrungsmittelhilfe noch stärker von Hungersnöten dezimiert worden wäre, als es ohnehin schon der Fall war.
Die gängige Form der Mobilisierung von Ressourcen außerhalb der eigenen Grenzen ist jedoch die internationale Zusammenarbeit. Für das kooperative Regieren jenseits des Nationalstaates bedienen sich Staaten seit Langem internationaler Regelwerke ("internationale Regime") und internationaler Organisationen. Um den gesteigerten Anforderungen an die Politik zu genügen, können bestehende Regime und Organisationen durch die Aufnahme neuer Mitglieder erweitert und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit vertieft werden – beispielsweise durch die Einführung neuer Verfahren (zum Beispiel Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit) oder durch das Aufgreifen neuer Aspekte (etwa die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Anpassungslasten im Zusammenhang mit dem Klimawandel). Natürlich können auch neue Regime und Organisationen ins Leben gerufen werden; die Zahl der internationalen Organisationen hat sich wie gesagt seit 1990 deutlich erhöht.
Eine weitere Möglichkeit, das Regieren jenseits des Nationalstaates leistungsfähiger zu machen, besteht in der Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren (Public-Private-Partnerships). Dabei wirken staatliche Instanzen mit Unternehmen, privaten Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen zusammen, wie dies etwa sehr erfolgreich im Rahmen der internationalen Impfallianz GAVI geschieht, in der sich auf Initiative der Bill und Melinda Gates Stiftung seit 2000 internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation und UNICEF, Regierungen von Industrie- und Entwicklungsländern, Unternehmen der pharmazeutischen Industrie sowie Nichtregierungsorganisationen zusammengetan haben. Nach eigenen Angaben gelang es GAVI seither, mit ihren Impfprogrammen eine halbe Milliarde Kinder zu erreichen und damit mindestens sieben Millionen Menschenleben zu retten.
Überlastungssymptome
Fortschritte bei der Anpassung der Institutionen und Prozesse des Regierens an neue Anforderungen auf allen Ebenen und über das gesamte Spektrum der Politik hinweg – von der Dorfgemeinde und der Großstadt über die nationalstaatliche Ebene bis hin zu den Vereinten Nationen – sind also durchaus erkennbar. Dennoch zeichnet sich seit einem Vierteljahrhundert immer deutlicher eine globale Krise des Regierens ab. Festmachen lässt sich diese vor allem an Phänomenen fragiler Staatlichkeit bis hin zum Staatszerfall in vielen Ländern – insbesondere, aber keineswegs nur der Südhalbkugel – sowie an verbreiteten Krisen- und Überlastungssymptomen bei internationalen Organisationen, Institutionen und Regimen. Es gibt kaum eine größere internationale Organisation, die nicht damit ringt, den Gang der Entwicklungen in ihrem Zuständigkeitsbereich – sei er nun regional oder thematisch – in geordneten Bahnen zu halten, Risiken und Gefahren einzudämmen und Zukunftschancen angemessen zu nutzen. Häufige Themen dieses Ringens sind knappe finanzielle und personelle Ressourcen, unzulängliche Kompetenzen und Autorität aufgrund der Souveränitätsvorbehalte und Einmischungen der Mitgliedsstaaten sowie generell deren oft mangelhafte Unterstützung und schließlich die Schwierigkeiten dabei, eine Politik kohärent und konsistent über längere Zeit hinweg zu verfolgen und diese mit anderen relevanten Akteuren abzustimmen.
Die Überlastungssymptome internationaler Regelwerke sollen die folgenden zwei Beispiele veranschaulichen. Das wohl wichtigste dieser Regelwerke im Feld der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist das der Welthandelsorganisation. Wie bereits angedeutet, sind alle Versuche, die Vertragsgrundlagen der WTO zu vertiefen und neue Bereiche des Welthandels und der internationalen Investitionsströme in diesen Rahmen einzugliedern, bislang weitgehend gescheitert: Die Doha-Entwicklungsrunde, die dies in Verhandlungen der Mitgliedsstaaten erreichen sollte, brachte bis heute nur eine sehr bescheidende Übereinkunft zu Fragen der bürokratischen Erleichterung der Abwicklung des Welthandels mit Industriegütern zustande (das sogenannte Bali-Paket von 2013). Zudem gerät die "Welthandelsregierung" der WTO durch die rasche Ausbreitung regionaler Freihandelsvereinbarungen, die das universelle WTO-Regelwerk durch Sondervereinbarungen überlagern und tendenziell aushöhlen, zunehmend unter Druck. In einer Bilanz dieser Entwicklungen schreibt der Politikwissenschaftler Heribert Dieter: "Das multilaterale Handelssystem ist mit einer systemischen Konkurrenz bevorrechteter Freihandelsabkommen konfrontiert. Die politischen Entscheidungsträger sollten es unterlassen, abgeschottete Handelsblöcke zu schaffen und stattdessen die Doha-Runde zu einem Abschluss bringen. (…) Die scheinbar überzeugende Alternative zur WTO – bevorrechtete Handelsabkommen – ist mit erheblichen Kosten verbunden. Auf Dauer würde sie zu einer Balkanisierung der Handelsregulierung führen."
Ein zweites Beispiel bildet der Atomwaffensperrvertrag mit seinen Institutionen, der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien und dem UN-Sicherheitsrat als oberstem Wächter über die Nichtverbreitungsordnung. Der Vertrag hat die Ausbreitung der Verfügungsgewalt über Kernwaffen nicht verhindern können: Allein seit 1990 haben sich drei Staaten außerhalb dieses Regelwerkes oder sogar als Vertragsmitglieder rechtswidrig Atomwaffen verschafft (Indien, Pakistan und Nordkorea), weitere Länder haben es versucht (oder, wie Israel und Südafrika, es schon vorher geschafft). Zudem gerät der grundlegende Kompromiss zwischen den offiziellen Kernwaffenstaaten des Atomwaffensperrvertrages und den anderen Mitgliedsländern, der das Vertragswerk trägt, immer mehr unter Druck: Die Atommächte, die sich im Vertrag verpflichteten, ihre Atomwaffen abzurüsten, machten dabei bislang nur begrenzte Fortschritte, die nach Auffassung vieler anderer Mitgliedsstaaten unzureichend sind, um ihren Verzicht auf Kernwaffen zu rechtfertigen. Aus Sorge um die Zukunft der Kontrolle von Atomwaffen hat das renommierte "Bulletin of the Atomic Scientists" 2015 seine doomsday clock (eine Uhr, die auf dem Titelbild vor einer nuklearen Katastrophe warnt) auf drei Minuten vor zwölf vorgestellt und damit signalisiert, wie besorgniserregend die Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen wieder geworden ist.
Auf der wichtigsten Ebene der Politik, innerhalb der knapp zweihundert Staaten der Erde, zeigen sich die Krisensymptome des Regierens insbesondere in politischen Blockaden (wie etwa in den USA zwischen dem Präsidenten und der Mehrheit im Kongress) und in fragiler, zerfallender oder bereits zerfallener Staatlichkeit. Dies bedeutet, dass der Staat in diesen Gesellschaften nicht mehr willens oder in der Lage ist, das Gemeinwohl zu schützen und die von jeder Gesellschaft benötigten öffentlichen Güter wie innere und äußere Sicherheit, medizinische Versorgung, Bildungsangebote und Infrastrukturen der Mobilität und Kommunikation bereitzustellen. Unter den Bedingungen fragiler Staatlichkeit gehen diese Aufgaben an nichtstaatliche Instanzen wie religiöse Gemeinschaften oder internationale Hilfsorganisationen, aber auch Stammes- oder Familienverbände und Netzwerke organisierter Kriminalität über. Zudem kann es dazu kommen, dass sich Eliten der Reste des Staatsapparates bedienen, um die eigene Gesellschaft auszuplündern oder gar bestimmte Gruppen (etwa ethnische oder religiöse Minderheiten) auszulöschen. Der Staat, der eigentlich die Interessen der Gesellschaft schützen sollte, kann auf diese Weise sogar zur Gefahr für seine Bürgerinnen und Bürger werden.
Fazit
Natürlich ist es schwierig, das Verhältnis zwischen den steigenden Anforderungen an die Politik und ihren Anpassungsleistungen über ihr gesamtes Spektrum hinweg im Weltmaßstab insgesamt zu bilanzieren. Dennoch erscheint die Vermutung plausibel, dass wir es hier mit einer sich öffnenden Schere zu tun haben: Die Versuche der Politik, mit den steigenden Anforderungen und Erwartungen, die sich an sie richten, Schritt zu halten, wären demnach insgesamt unzureichend.
Viele Indizien sprechen insgesamt dafür, dass die Leistungsfähigkeit der Politik im Weltmaßstab durch die enormen – und voraussichtlich in Zukunft weiter rasch zunehmenden – Anforderungen der technologischen Entwicklung und der Globalisierung zunehmend prekär geworden ist. Symptome der Überlastung zeigen sich in vielen Bereichen und über das gesamte Spektrum der Politik hinweg, von der Überforderung kommunaler Regierungen etwa durch die Entstehung sogenannter Megastädte bis hin zur erneuten Lähmung des UN-Sicherheitsrates in vielen Zusammenhängen.
Besonders bedenklich sind in diesem Zusammenhang die Symptome des Staatszerfalls. Denn sie verweisen darauf, dass sich die Überlastung der Politik nicht nur in Erosion, sondern auch in Brüchen, ja Zusammenbrüchen politischer Ordnungen niederschlagen kann, die zum Rückfall in systematische Gewaltanwendung und damit zu schwerwiegenden Entzivilisierungsprozessen führen. Wie schwierig und langwierig es ist, die Folgen derartiger Brüche zu überwinden, zeigt in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union die Lage auf dem Balkan nach dem blutigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens von 1991 bis 1995: Auch zwanzig Jahre nach dem Ende des Krieges in Bosnien und fünfzehn Jahre nach dem Krieg um den Kosovo kann dort von einer nachhaltigen Politik im Inneren wie in den zwischenstaatlichen Beziehungen noch keine Rede sein.