Homogenität als Wesensmerkmal einer Nation ist nichts Natürliches, sondern eine soziale Konstruktion. Darüber hinaus ist sie ein Produkt der Macht, entstanden aus jenem Prozess, in dem die Nation in eine politische Form gegossen und zum Nationalstaat wurde. Die Vereinheitlichung des Heterogenen gelang zum einen durch physische Macht – nur wenige der heute existierenden Nationalstaaten sind keine Kriegsgeburten –, zum anderen durch die kulturelle Macht der jeweils dominanten Gruppe. Nationen sind "vorgestellte Gemeinschaften".
Weltweit ist kaum ein Staat ethnisch homogen. In der Bundesrepublik leben mit Sorben, Friesen, Dänen sowie Sinti und Roma vier weitere ethnische Gruppen. In den europäischen Staaten summiert sich deren Anzahl auf rund 350, weltweit sind es etwa 10000.
Die tatsächliche ethnische Heterogenität steht diametral zum Konzept des klassischen politischen Ordnungsmodells Nationalstaat. Das daraus resultierende Spannungsverhältnis entlädt sich in einer Vielzahl ethnischer Konflikte. Ob in den Balkankriegen oder im Osttimor-Konflikt – hinter der Gewalt steht das Bemühen, einen homogenen Staat in einer de facto heterogenen Welt zu realisieren. In vielen Fällen sind Gruppen nicht (mehr) bereit, das Homogenitätskonzept widerspruchslos mitzutragen. Sie empfinden die wahrgenommenen Ungleichheiten als ungerecht und stellen Forderungen nach politischer Teilhabe oder Selbstregierung, um die kulturellen Angelegenheiten der Identitätsgemeinschaft selbstständig regeln zu können. Ein Nationalstaat wertet solche Forderungen häufig als Angriff auf seine Souveränität.
Ethnische Konflikte sind die Folge, die weitaus häufiger vorkommen, als es die bekannten Brennpunkte vermuten lassen: Von den 347 innerstaatlichen Konflikten 2014 waren etwa 60 bis 70 Prozent als "ethnisch" zu deklarieren. Knapp jeder dritte Konflikt dreht sich um Autonomie- oder Sezessionsforderungen. Europa ist nach der asiatisch-ozeanischen Region der zweithäufigste Schauplatz.
Anerkennung durch Schutz
Die Forderung nach Anerkennung ist eine Forderung nach Aufwertung. Nicht-Anerkennung beschädigt kollektive Selbstbilder, was mitunter zu gewaltsamen Gegenreaktionen führt. Die Gretchenfrage ist dabei, wer über wen in welchem Maße Herrschaft ausüben darf – eine ordnungspolitische Frage. Ethnische Problemlagen bedürfen daher auch einer politischen Lösung. Strategien des Umgangs mit ethnischer Differenz lassen sich unter den Schlagworten der Eliminierung, Kontrolle und Anerkennung zusammenfassen.
Maßnahmen der Anerkennung sorgen dagegen für einen Verständigungsprozess zwischen den Gruppen. Sie haben eine Abkehr vom klassischen Nationalstaatskonzept zur Folge. Mittels geeigneter Instrumente kann ein konflikthaftes Verhältnis in eine friedliche Koexistenz transformiert werden. Das Nonplusultra der Anerkennung ist die volle Souveränität über ein Staatswesen. Staatsneugründungen verlaufen jedoch selten friedlich, wie zahllose Fälle von Abchasien bis Südsudan zeigen. Meist haben schon derartige Forderungen eine Eskalation zur Folge. Eine Sezession bedeutet den vollständigen Souveränitätsverzicht des Staates über ein Territorium. Das wird von diesem nicht ohne Weiteres akzeptiert. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker leitet sich nicht automatisch das Recht auf einen eigenen Staat ab. Mit den völkerrechtlichen Argumenten der Souveränität und territorialen Integrität wehren sich Nationalstaaten erfolgreich gegen derartige Forderungen. Die Furcht der Staatengemeinschaft vor einer Vielzahl kaum überlebensfähiger Staatseinheiten tut ihr Übriges. Minderheitenschutzrechte sind ein erfolgreicheres Konzept. Ein Beispiel sind die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, mit denen 1955 der dänischen Minderheit in Deutschland besondere Schutzrechte eingeräumt wurden. Eigene Kindergärten, Schulen, Sport- und Kulturvereine schützen die dänische Identität. Durch den Südschleswigschen Wählerverband sind die Dänen an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt. Mithilfe gesetzlich verankerter und beidseitig anerkannter Schutzrechte wurde aus einem historisch belasteten Gegeneinander ein friedvolles Miteinander. Die Implementierung derartiger Schutzrechte ist für einen Nationalstaat eine recht problemlose Möglichkeit der Anerkennung. Sie bringen keinen Souveränitätsverzicht mit sich. An der Vorherrschaft des Volkes ändert sich nichts. Die Rechte der ethnischen Gruppe beschränken sich auf Verwaltungskompetenzen, meist im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik. Sie schützen vor Assimilierung und bewahren die gruppenspezifische Identität.
Solche "weichen" Formen der Anerkennung reichen oftmals aus, um eine Gruppe friedlich in ein Staatswesen zu integrieren. Allerdings funktioniert dies nur, wenn es sich dabei um eine Minderheit handelt, die sich mit dem Schutz ihrer Kultur zufrieden gibt. Beides trifft auf die dänische Minderheit zu. Ihr Mutterland liegt zudem in unmittelbarer Nähe. So schlug die Forderung nach Anerkennung nie in ein Verlangen nach einem eigenen Staatswesen um. Anders ergeht es den Katalanen, Kurden oder Osseten. Sie haben keinen Patronagestaat und fordern ihre Selbstregierung. In solchen Fällen erweisen sich bloße Schutzrechte als zu schwach. Es bedarf weitergehender Maßnahmen, die mit einer Übertragung von Souveränitätsrechten einhergehen. Dafür kommen verschiedene Formen des Föderalismus infrage.
Annäherung durch Teilung
Das Ordnungsprinzip des Föderalismus beruht auf sich weitestgehend selbst bestimmenden Föderationssubjekten. Im Rahmen eines ethnischen Föderalismus werden Gruppen selbst zu staatstragenden Elementen. Dies führt automatisch zur Anerkennung ethnischer Differenz. Die Möglichkeiten des Föderalismus, eine friedliche Koexistenz herzustellen, basieren auf geteilter Souveränität, wobei eine Balance zwischen notwendiger Einheit und gewünschter Vielfalt hergestellt werden soll. Die Existenz mehrerer Amtssprachen, die Berücksichtigung ethnischer Zugehörigkeit bei der Zusammensetzung von Institutionen und ein entlang ethnischer cleavages gespaltenes Parteiensystem sind mögliche Erkennungsmerkmale. Eine Verallgemeinerung ist kaum möglich, da das Prinzip meist maßgeschneidert zur Geltung kommt.
Aus theoretischer Sicht basieren föderale Strukturen auf einer gesetzlichen Vereinbarung über den Zusammenschluss einzelner Gliedstaaten zu einem Gemeinwesen. Die Gliedstaaten sind auf Bundesebene repräsentiert und beteiligen sich am Gesetzgebungsverfahren. In einem klassischen "symmetrischen" Bundesstaat besitzen alle Gliedstaaten dieselben Kompetenzen. Ethnische Versionen dieses Typus sind selten. In Grundzügen gehört Belgien mit seinen drei Gemeinschaften für die flämische, wallonische und deutsche Volksgruppe dazu. In der Regel sind jedoch nicht alle Gruppen staatstragend. Grundsätzlich werden im ethnischen Föderalismus territoriale Gruppen vor nicht-territorialen Gruppen privilegiert. Unter letzteren stattet er jene, die Anerkennung fordern, mit bestimmten Souveränitätsrechten aus. Er kann also flexibel durch positive Diskriminierungsmaßnahmen auf ethnische Problemlagen reagieren. Ein Beispiel für eine solche ethnische Variante des asymmetrischen Föderalismus ist Spanien. Das Land ist in 17 "autonome Gemeinschaften" mit unterschiedlichen Befugnissen unterteilt. Hier fungierte der Föderalismus als Ex-ante-Strategie, um das multiethnische Gemeinwesen vor dem Auseinanderfallen zu bewahren (holding together federations). Gleichwohl kann das föderale Prinzip auch ex post wirken. Sich bereits in einem Konflikt befindliche Gruppen sollen sich im Rahmen eines föderalen Arrangements versöhnen. Dann handelt es sich um coming together federations.
Beide Formen sind an Voraussetzungen geknüpft: Sie benötigen mehrere politisch relevante Gruppen ähnlicher Größe, die konzentriert siedeln und vergleichbare Forderungen nach Anerkennung artikulieren. Selbst wenn dies gegeben ist, bleibt das Leistungspotenzial des ethnischen Föderalismus überschaubar. Der Grund liegt im ihm inhärenten Prinzip der Machtteilung. Die Gruppen sollen das Gemeinwesen gemeinsam regieren. Das setzt eine ständige Kooperations- und Kompromissbereitschaft voraus. Die Inklusion sämtlicher gesellschaftlicher Gruppen am politischen Aushandlungsprozess kann schnell zum Fluch werden. Das zeigt die gescheiterte Konfliktregulierung auf Zypern: Per Verfassung sollten die Interessen beider Gruppen unter einen Hut gebracht werden. So bildeten ein griechisch-zyprischer Präsident, ein türkisch-zyprischer Vize-Präsident und ein Rat aus Mitgliedern beider Gruppen die geteilte Exekutive. Für das Parlament wurde eine genaue ethnische Zusammensetzung festgelegt, ebenso für den öffentlichen Dienst. Doch die griechischen Zyprer empfanden es als Benachteiligung, dass die türkischen Zyprer nur 18 Prozent der Bevölkerung stellten, aber gut ein Drittel aller staatlichen Jobs erhalten sollten. Der Streit über eine Verfassungsänderung eskalierte schließlich zum Bürgerkrieg.
Auch aus Angola oder Bosnien-Herzegowina gibt es diesbezüglich wenig Erfreuliches zu berichten. Annäherung durch (Macht-)Teilung funktioniert nur begrenzt. In einem womöglich gewaltsam verlaufenden Konflikt sind Kooperations- und Kompromissbereitschaft zwischen den verschiedenen Gruppen schlicht nicht vorhanden. Das Regulierungsmodell der territorialen Autonomie verschiebt den Schwerpunkt von der Machtteilung auf begrenzte Eigenständigkeit. Die Zusammenarbeit zwischen Gruppen wird auf ein Mindestmaß beschränkt.
Annäherung durch Eigenständigkeit
Die finnischen Åland-Inseln, Italiens Südtirol oder das moldawische Gagausien – vielfach führte die Übertragung von Autonomierechten zu einer friedlichen Konfliktbeilegung. Territorialautonomien bilden einen Subtypus des asymmetrischen Föderalismus. Im Gegensatz zu klassischen Föderationen entstehen sie nicht "von unten" durch den Zusammenschluss einzelner Gliedstaaten, sondern "von oben": Territoriale Autonomien werden in der Regel von einem Staat durch ein (Verfassungs-)Gesetz eingerichtet. Es handelt sich um keine ausgehandelte Machtteilung, sondern um eine Kompetenzübertragung einer höheren Ebene auf eine tiefere. Eine klassische Territorialautonomie ist nicht am staatlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Auch gibt es keine rechtliche Vorrangstellung von staatlichem Recht wie in einem Bundesstaat ("Bundesrecht bricht Landesrecht"). Von Autonomie-Institutionen beschlossene Regelungen können daher innerhalb eines gewährten Kompetenzbereiches nicht aufgehoben werden.
Die Selbstregierung einer Gruppe durch territoriale Autonomie basiert auf dem Sonderstatus ihres Siedlungsgebietes innerhalb der Staatsordnung. Damit einher gehen vom Staat unabhängige Institutionen mit weitreichenden und exklusiven exekutiven und legislativen Kompetenzen. Der Grad an Selbstbestimmung übersteigt jenen bei Minderheitenschutzrechten um ein Vielfaches. Nicht nur Angelegenheiten in Bezug auf Kultur und Bildung, sondern auch die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden von der Gebietskörperschaft geregelt (Tabelle).