Seit der Wiedervereinigung ist die Frage einer umfassenden Reform der bundesstaatlichen Ordnung immer wieder Gegenstand politischer Debatten. Der Marathon an Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen begann mit der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat 1992 bis 1994 und wurde fortgesetzt mit den ersten gesamtdeutschen Finanzausgleichsverhandlungen 1995 bis 2001, an die sich 2003 bis 2009 zwei Kommissionen zur Ausarbeitung der Föderalismusreformen I und II anschlossen. Seitdem bemühen sich die Länder um eine Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, der nach geltender Rechtslage Ende 2019 ausläuft. Die Verhandlungen erweisen sich jedoch als zäh: Bisher von Baden-Württemberg und dem Bund vorgelegte Kompromissvorschläge wurden von der Mehrheit der Länder abgelehnt und Beratungen mehrfach vertagt. Interesse an einer Reform scheinen nur die drei Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu haben – obwohl sich im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung ein Bekenntnis zu einer Föderalismusreform III findet. Die Ambitionen, von denen der darin enthaltene Themenkatalog zeugt, sind allerdings einer gewissen Ernüchterung gewichen, da es inzwischen offenbar nur noch um eine für alle Seiten belastungsneutrale Modifizierung der Detailregelungen des Finanzausgleichssystems geht.
In der Rückschau wird erkennbar, dass die deutsche Föderalismusdebatte stets dem gleichen Muster folgte: Mit Verweis auf modelltheoretische Annahmen standen am Anfang oft hochgesteckte Forderungen nach einer Stärkung der Autonomie von Bund und Ländern durch eine Entflechtung der grundgesetzlich normierten Kompetenz- und Finanzverteilung. Die unzähligen Institutionen zur ebenenübergreifenden Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gelten als Konterkarierung der föderalen Idee, die durch eine Unitarisierung sowie eine Schwächung der Länder und ihrer Parlamente noch weiter befördert worden sei. Trotz dieser Kritik standen am Ende der bisherigen Reformprozesse nicht selten Verhandlungskompromisse in Form von Detailregelungen mit Verfassungsrang, über deren begrenzte Tragweite auch nicht die politische Rhetorik der involvierten Akteure hinwegtäuschen konnte. Denn eine weitreichende Abschaffung der diversen Kooperations- und Mischfinanzierungsformen war bisher nicht nur nicht konsensfähig. Vielmehr wurden mit den sozial- und bildungspolitischen Reformen der jüngeren Vergangenheit neue Verbundfinanzierungen institutionalisiert. Dazu zählen unter anderem die "Kosten der Unterkunft" im Rahmen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz IV"), die "Eingliederungshilfe" beziehungsweise die Leistungen zur Teilhabe, die drei Hochschulpakte sowie etliche andere Maßnahmen, die außerhalb des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern abgewickelt werden.
Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, ob die im akademischen Diskurs seit Langem anzutreffende Diagnose, dass es in der deutschen Bundesstaatsdebatte nicht an einem Erkenntnis-, sondern an einem Umsetzungsdefizit mangele, überhaupt zutreffend ist. Die wachsende Diskrepanz zwischen den modelltheoretischen Annahmen und Reformvorschlägen, die zum Teil seit Jahrzehnten vorgetragen werden, und den sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lässt Zweifel aufkommen und begründet vielmehr die These von einer "Erschöpfung" im Bundesstaatsdiskurs. Sollte dies der Fall sein, wäre zu fragen, wie sich der daraus resultierende capability-expectations gap aus hochgesteckten Reformforderungen und inkrementellen Anpassungsreformen überwinden ließe. Mit einem Verweis auf die Schweiz wird am Ende dieses Beitrags ein ebenso einfacher wie einschneidender Ansatz vorgestellt, um der Normativität des Faktischen auch in der Verfassung Rechnung zu tragen.
Eigenheiten der deutschen Debatte
Schon früh wurden für den deutschen Bundesstaat Zustandsbeschreibungen geprägt, die bis heute bemüht werden: "unitarischer Bundesstaat", "Politikverflechtung" beziehungsweise "Politikverflechtungsfalle", "Exekutivföderalismus", "verkappter Einheitsstaat", "verkorkster Bundesstaat" und "Wettbewerbsföderalismus".
Als Grund für die wachsende Diskrepanz zwischen den Vorstellungen von Wissenschaft und Politik bezüglich der Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten in der scheinbar nicht enden wollenden Diskussion verweist ein Teil der Kritikerinnen und Kritiker auf eine vermeintliche Verrechtlichung des Diskurses. So würden innovative Reformansätze oft mit Blick auf ihre Unvereinbarkeit mit der bestehenden Ordnung des Grundgesetzes sowie den Maßstäben der Karlsruher Verfassungsrechtsprechung vorschnell verworfen. Vertreterinnen und Vertreter aus der Verfassungspraxis beklagen hingegen vor allem die Realitätsferne diverser Reformvorschläge aus dem akademischen Raum. Hier steht insbesondere die Finanzwissenschaft in der Kritik, die unter Zugrundelegung rationaler Verhaltensannahmen der politischen Akteure Dezentralisierungsmodelle entwickelt, denen eine Nullpunkt-Hypothese zugrunde liegt.
Auch in der Verfassungsrechtslehre sowie in Teilen der Politikwissenschaft wird ein fortbestehender Reformbedarf der föderalen Ordnung konstatiert und in einer eigentümlichen Ambivalenz nach wie vor an der Forderung nach einer grundlegenden Politikentflechtung festgehalten. Ein Trennföderalismus interstaatlichen Typs, wie er für die USA typisch ist, dient dabei oft explizit oder implizit als normatives Ideal, da alle Bundespartner in diesem Modell aufgrund klar definierter Kompetenzkataloge über je eigene autonome Gestaltungsspielräume verfügen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass erste Evaluationen der Föderalismusreformen I und II durchwachsen ausfallen und auch die Erfolgsaussichten für die gegenwärtigen Bestrebungen zur Reform des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern als bescheiden eingestuft werden. Der Grund für diese kritischen Bilanzen ist jedoch struktureller Natur: Die funktionale Aufgabenteilung, die charakteristisch für Föderalstaaten intrastaatlicher Prägung ist und in der Bundesrepublik dem Bund ein Vorrecht bei der Gesetzgebung und den Ländern nahezu ausschließliche Kompetenzen für den Gesetzesvollzug zuweist, macht eine Gewaltenverschränkung unumgänglich. Denn eine Gesetzgebung ohne hinreichende Berücksichtigung der verwaltungstechnischen Implikationen dürfte selten problemadäquat sein. Der Bundesrat dient deshalb als Mitwirkungsorgan des Bundes, in dem die Länder ihre Verwaltungserfahrungen einbringen können. Politikverflechtung zwischen den Verfassungsebenen stellt somit ein konstitutives Merkmal moderner Bundesstaatlichkeit dar.
Unbeschadet dessen werden in der derzeitigen Finanzausgleichsdiskussion erneut wissenschaftliche Reformvorschläge erörtert, die zu einem Großteil schon in den vorangegangenen Verhandlungsrunden diskutiert und politisch verworfen wurden. Zu den "Klassikern" zählen dabei Forderungen nach mehr Autonomie und Wettbewerb zwischen den Bundesländern, einer Länderneugliederung, einer Absenkung des Finanzausgleichsniveaus und der damit verbundenen Lockerung des bundesstaatlichen Haftungsverbunds zwischen den Ebenen, eigenen Einnahmequellen der Länder in Form autonomer Besteuerungskompetenzen sowie etwaiger Zu- und Abschlagsrechte auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie nach einer weiteren Verschärfung der Verschuldungsregeln – insbesondere auf Ebene der Länder und Kommunen.
Diese föderalen "Großentwürfe" stehen in einem eigentümlichen Gegensatz zur europäischen Dauerkrise, deren Bewältigung zunehmend den innerstaatlichen Reformmodus in der Bundesrepublik prägt: ein kleinschrittiger, erratischer und technokratischer Ansatz, der zwar in der Finanz- und Haushaltspolitik permanente Anpassungsnotwendigkeiten auf nationaler und subnationaler Ebene verlangt, sich aber oft erstaunlich lautlos – weil vermeintlich "alternativlos" – vollzieht, zumal die ganze Tragweite für das föderale Ordnungsgefüge nicht immer unmittelbar abschätzbar scheint oder Stabilisierungszielen untergeordnet wird. Zwar ist auch die Historie des deutschen Föderalismus durch eine erstaunliche Kontinuität inkrementeller Entwicklungsschritte geprägt. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass die Forderungen nach Stärkung der föderalen Autonomie in der deutschen Bundesstaatsdebatte in einem deutlichen Gegensatz zu den Bemühungen der EU stehen. Denn diese setzt zur Sicherung der eigenen Existenz auf eine immer weitere Vergemeinschaftung von Zuständigkeiten sowie eine Harmonisierung von Standards – gerade in den Bereichen Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.
Die Problematik der zwei kaum überbrückbaren Arenen im deutschen Bundesstaatsdiskurs ließe sich mit Verweis auf die natürliche Unvereinbarkeit zwischen wissenschaftlicher und politischer Rationalität leicht entkräften. Denn das konträre Streben nach einer "guten Ordnung" der Wissenschaft einerseits und "pragmatischen Problemlösungen" der Politik andererseits scheint seit jeher inkompatibel. Folgt man dieser Argumentation, wäre jedoch auch die geringe Resonanzfähigkeit wissenschaftlicher Reformvorschläge im politischen Raum zu akzeptieren. Eine Verwirklichung entsprechender Modelle ließe sich mithin allenfalls langfristig und schrittweise durch eine beständige Adressierung der Politik realisieren. Die geringe Anschlussfähigkeit zwischen wissenschaftlichem und politischem Diskurs ist jedoch unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten nicht unproblematisch: Hochgesteckte und durch modelltheoretische Annahmen gestützte Erwartungen in der Öffentlichkeit einerseits und kleinteilige politische Kompromisslösungen andererseits bergen die Gefahr, dass die für ein Gemeinwesen essenzielle "Legitimation durch Anerkennung" erodiert. Umfragen zur Bedeutung der Bundesländer im Allgemeinen und einzelner policies in Länderzuständigkeit im Besonderen deuten auf solche Legitimationsverluste hin – ein Umstand, der angesichts der seit jeher ambivalenten Einstellungen der Deutschen zu ihrem Föderalismus nicht unproblematisch ist.
"Erschöpfter Föderalstaat"
Die scheinbaren Inkonsistenzen der jüngeren Maßnahmen zur Reform der föderalen Ordnung lassen sich jedoch auch als Form politischer und wissenschaftlicher Orientierungslosigkeit deuten. Denn die zum Teil seit Jahrzehnten vorgetragenen Reformempfehlungen aus der traditionell stark normativ geprägten akademischen Debatte treffen in der Politik auf vermeintliche Beharrungskräfte und persistente Verteilungskoalitionen, die sich bisher allenfalls zu punktuellen Verfassungsänderungen durchringen konnten. Die beständigen Reformversuche, die Autonomie von Bund und Ländern zu stärken, ohne dass es bisher zu einer umfassenden Entflechtung der föderalen Kooperations- und Finanzierungsverbünde zwischen den Ebenen gekommen wäre, prägen inzwischen eine Abfolge immer kleinteiligerer Reformsequenzen, die sich – in Anlehnung an einen für den deutschen Sozialstaat geprägten Begriff – mit dem Terminus vom "erschöpften Föderalstaat" umschreiben ließe.
Mit dem Begriff der "Erschöpfung" wird dabei ein Mechanismus der Transformation von Politikfeldern beschrieben, die sich eigentlich durch Kontinuität und "eine hohe Beharrungstendenz gegenüber grundlegenden Veränderungen" auszeichnen. Zwar stellt der Föderalismus an sich kein Politikfeld dar, da er den strukturellen Rahmen für nahezu alle Politikfelder bildet. Gleichwohl sind Fragen der föderalen Ordnung Gegenstand der Verfassungspolitik, die sich – ähnlich wie die Sozialpolitik – durch eine gegenüber "anderen Politikfeldern und der Ökonomie relativ autonome (verselbstständigte), sektorale Konstellation von Akteuren, Interessenstrukturen und Machtverhältnissen" auszeichnet.Tatsächlich sind Reformfragen der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik im Wesentlichen Sache der Exekutiven von Bund und Ländern. Diese verfügen über politische und finanzielle Autonomie und stellten in der Vergangenheit eine vergleichsweise "homogene und konfliktarme Gruppe von Akteuren" dar. Seit der Wiedervereinigung hat sich dies gewandelt. Ausdruck dessen sind nicht nur die gewachsenen Disparitäten in der Wirtschafts- und Finanzkraft zwischen alten und neuen Bundesländern, sondern auch die gestiegene parteipolitische Heterogenität, die die Koalitionsbildung vor allem auf Länderebene prägt und damit die Entscheidungsfindung im Bundesrat beeinflusst.
Darüber hinaus lassen sich auch in der Verfassungspolitik Formen der inhaltlichen und fiskalischen "Entautonomisierung" beobachten. Denn durch den europäischen Integrationsprozess ist es nicht nur zu machtpolitischen Verschiebungen im föderalen Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern gekommen. Auch die politische Agenda sowie Debatten über normative Prinzipien der Staatstätigkeit werden zunehmend von exogenen Akteuren wie der EU bestimmt. In fiskalischer Hinsicht erweist sich – spätestens seit der Föderalismusreform II – die in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegene Verschuldung aller gebietskörperschaftlichen Ebenen als Hypothek für deren autonome Politikgestaltung. Die eigentliche Erschöpfung, die sich in der Föderalstaatsdiskussion – ähnlich wie in der Sozialpolitik – beobachten lässt, "materialisiert sich als eine Dynamik von Problem- und Konfliktsequenzen, die wiederum Folge vergangener politischer Entscheidungen" der involvierten Akteure sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der verfassungspolitische Reformaktionismus von Bund und Ländern möglicherweise Ausdruck einer schwindenden Handlungsfähigkeit ist, die durch Reformvorstellungen befördert wird, die zwar vordergründig auf eine Stärkung der Autonomie der bundesstaatlichen Ebenen abheben mögen, aber den sich wandelnden exogenen und endogenen Rahmenbedingungen nur noch bedingt Rechnung tragen.
"Entautonomisierung" der Debatte
Am neuen haushaltspolitischen "Konsolidierungsparadigma", das seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 sowohl die Rechtsetzung der EU als auch der Mitgliedsstaaten perpetuiert hat, lässt sich die "Entautonomisierung" des Föderalismusdiskurses besonders anschaulich verdeutlichen. Die hinter diesen Maßnahmen stehende Vorstellung, dass solide Staatsfinanzen eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte und der Realwirtschaft darstellen, bestimmt inzwischen auch die verfassungspolitische Agenda in einer Weise, dass ein eigenständiger Diskurs über föderale Leitbilder sowie eine "gute föderale Ordnung" – im Sinne einer zeitgemäßen Verteilung von Zuständigkeiten und Ressourcen zwischen den Ebenen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme – kaum mehr geführt wird.
Auch in der Finanzausgleichsdebatte ist die Frage "Wozu eigentlich Ausgleich?" weitgehend durch ein framing ersetzt worden, dass auf eine Begrenzung und Kontrolle der Umverteilung im Ausgleichssystem abhebt. Forderungen nach Kappungsobergrenzen, Konditionalitäten und degressiver Ausgestaltung von Zuweisungen im Länderfinanzausgleich einschließlich entsprechender Berichtspflichten zielen vordergründig auf eine Verbesserung der finanzpolitischen Planbarkeit für Bund und Länder, würden aber gleichzeitig die natürliche "Atmungsaktivität" des bisherigen Ausgleichssystems einschnüren. Diese sorgt dafür, dass das Umverteilungsvolumen in Relation zur Entwicklung des jährlichen Steueraufkommens steigt beziehungsweise sinkt und die einzelnen Länder – gemäß ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit – begünstigt oder belastet. Bemerkenswert an diesen Forderungen ist jedoch, dass sie einem gänzlich anderen Diskurskontext entstammen: Ausgehend von den Beratungen zur Föderalismusreform II über die Begrenzung der öffentlichen Verschuldung und die Einführung der neuen Schuldenbremse, waren sie leitend für die europäischen Verhandlungen zum Fiskalpakt und sind von dort inzwischen auch in die Finanzausgleichsdebatte eingewandert.
Dass das finanz- und haushaltspolitische Konsolidierungsparadigma eine derartige Dominanz entfalten konnte, gründete nicht zuletzt in den akuten Gefährdungen, die von der Finanz- und Wirtschaftskrise ausgingen und die eine immer engere Taktung der regulatorischen Maßnahmen durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten erforderlich machten. Die kurze Abfolge der diversen Krisenbekämpfungsmaßnahmen lässt sich als eine "negative Rückkoppelungsschleife" deuten, die letztlich auch die "Entautonomisierung" des Föderalismus- und Finanzausgleichsdiskurses in der Bundesrepublik befördert hat. Denn mit der Implementierung der Maßnahmen durch Überführung in nationales Recht gingen in der Bundesrepublik oft mehr oder minder offenkundige Folgewirkungen für die föderale Ordnung und ihre Finanzverfassung einher, die in absehbarer Zeit weitere Reformen nach sich ziehen werden: "Die negative Rückwirkung des Politikfeldes auf sich selbst bringt mit sich, dass Prozesse, in denen Präferenzen geformt und Konflikte um Macht und Interessen ausgetragen werden, das Politikfeld in eine Phase der Entautonomisierung treiben".
Wie sehr inzwischen die Funktionalität des Finanzausgleichssystems in den Fokus der Debatte gerückt ist, zeigen auch die Reformvorschläge, die vor allem auf eine Reduktion des Ausgleichsvolumens, mehr Anreizgerechtigkeit und Transparenz, geringere Streitanfälligkeit einzelner Ausgleichsmechanismen sowie die Herstellung von mehr Kohärenz mit dem Maßstäbegesetz zielen.
Negative Rückkoppelungsschleifen, bei denen sich "Problem- und Konfliktsequenzen" aus vergangenen politischen Entscheidungen ergeben, können offenbar auch als Folge von (normativ inspirierten) Reformmaßnahmen auftreten, die sich in der politischen Praxis als problemunangemessen erweisen. Ein Beispiel ist das 2006 mit der Föderalismusreform I verabschiedete "Kooperationsverbot" zwischen Bund und Ländern für den Bildungsbereich, das auf Kompetenzentflechtung und Wiederherstellung der Länderautonomie zielte. Schon kurz nach ihrem Inkrafttreten regte sich Kritik an dieser Regelung, da sie mit dem fachpolitischen Ziel, den Bildungsstandort Deutschland zu stärken, kollidierte. Im Dezember 2014 wurde das Verbot deshalb – zumindest für den Hochschulbereich – wieder gelockert.
Ein zweites Beispiel bildet die derzeit geführte Debatte über die Investitionspolitik der öffentlichen Hand. Die 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erweist sich immer mehr als weiteres Hemmnis für die ohnehin schwache Investitionstätigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden, da die im alten Artikel 109 des Grundgesetzes vorgesehene Bindung der Nettokreditaufnahme an die Höhe der Investitionen formal entfallen ist und fachpolitische Ausgabenentscheidungen mit Blick auf die im Stabilitätsrat vereinbarten Ziele zur Haushaltskonsolidierung zurückgestellt werden. Jahrzehntealte ökonomische und fiskalische Disparitäten im Nord-Süd- sowie im Ost-West-Vergleich könnten sich auf diese Weise weiter verfestigen.
Auch die von der Bundesregierung verstärkt propagierte Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur durch private Träger oder Public-private-Partnerships ist ein Beleg für die "Entautonomisierung" der finanzpolitischen Reformdebatte: Denn letztlich sollen als Ausfluss einer normativen Idealvorstellung für die finanzföderale Ordnung vormals öffentliche Güter zu einem Objekt von Renditeorientierung und Entgeltpflicht für die Bürgerinnen und Bürger werden. Obwohl davon die grundlegende Frage tangiert wird, welche (sozial-integrativen) Funktionen der Bundesstaat und seine Glieder zukünftig eigentlich (noch) erfüllen sollen, wird sie im gegenwärtigen Reformdiskurs allenfalls punktuell erörtert – ganz abgesehen davon, dass die öffentliche Hand damit ureigene Gestaltungsspielräume aufgibt.
Perspektiven
Die Debatte zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung und ihrer Finanzverfassung sitzt seit geraumer Zeit in einer "Entflechtungsfalle" fest.
Da Kooperation offenkundig eine wesentliche Voraussetzung für die Anpassungsfähigkeit des deutschen Bundesstaates darstellt, scheint mit Blick auf einen Erhalt der Handlungsfähigkeit vor allem der Länder ein Hinterfragen der bisher leitenden föderalismustheoretischen Grundannahmen notwendig. Als Anregung für ein grundsätzliches Nachdenken über Formen der ebenenübergreifenden Kooperation lohnt deshalb ein Blick auf die seit jeher konkordanzdemokratisch geprägte Schweiz.
Neben einer Aufgaben- und Kompetenzentflechtung zielte die jüngste große Finanzausgleichs- und Föderalismusreform auf eine Verbesserung der ebenenübergreifenden und horizontalen Kooperation auf Kantonsebene. In der Schweizer Bundesverfassung wurden dementsprechend Grundsätze zum Zusammenwirken von Bund und Kantonen normiert. So stellt Artikel 44 Absatz 1 ebenso einfach wie überzeugend fest: "Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen." Damit wird das, was in der Bundesrepublik so negativ als "Politikverflechtung" konnotiert ist, sogar mit Verfassungsrang geadelt. Noch deutlicher wird in dieser Hinsicht Artikel 44 Absatz 3 der Bundesverfassung, der für den Konfliktfall vorsieht, dass "Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund (…) nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt" werden. Mit diesem verfassungsrechtlichen Bekenntnis wird der Autonomieanspruch von Bund und Kantonen nicht aufgegeben, aber doch weithin sichtbar anerkannt, dass ein Föderalstaat ohne intergouvernementale Verhandlungselemente nicht auskommt.