Die Welt ist erneut in Bewegung geraten: Durch Kriege und bewaffnete Konflikte, Armut und Umweltzerstörung sind Millionen von Menschen gegenwärtig auf der Flucht. Für andere ist die tägliche Mobilität, das Pendeln zum Arbeitsplatz oder auch die saisonale Arbeitsmigration Teil ihres Alltags. Eingebunden in diese Dynamiken der Moderne leben auch Nomaden. "Nomaden" – ein Wort, das heute bei vielen Europäern romantische Vorstellungen weckt. Doch nur wenige von uns sind ihnen jemals begegnet. Die Vorstellungen und Zuschreibungen sind umso abenteuerlicher. Nomaden gelten häufig als wild, freiheitsliebend, kriegerisch und geheimnisumwoben. Mobilität wird verklärt. In vielen Ländern, nicht nur Afrikas und Asiens, sind Nicht-Sesshafte den Behörden ein Dorn im Auge. Mit Herden und Zelten dem Regen und der Weide zu folgen, wird regelmäßig als Paradebeispiel für Rückständigkeit und Unzivilisiertheit verurteilt. Eine ganz andere Seite am Nomadentum hat in jüngerer Zeit die Tourismusbranche entdeckt: Nomadische Gruppen werden in Werbeprospekten häufig als vom Aussterben bedrohte, seltene Kulturen inszeniert, die es möglichst bald vor ihrem Verschwinden zu erleben gilt. Wieder andere denken bei Nomaden vor allem an die großen Dürren und Hungerkrisen der 1970er und 1980er Jahre, die viele afrikanische Tierhalter der Verarmung ausgesetzt und in die Slums von großen Ballungszentren getrieben haben.
Doch wie steht es gegenwärtig um die Nomaden? Ist ihr Überleben im Zeitalter der Globalisierung angesichts veränderter politischer, kultureller und sozioökonomischer Rahmenbedingungen tatsächlich bedroht? Und wenn ja, wie reagieren Nomaden in unterschiedlichen Teilen der Welt auf neue Risiken, denen sie und ihre Tiere ausgesetzt sind? Welche Vorteile bietet nomadische Viehhaltung angesichts steigender Nahrungsmittel- und Energiepreise? Können nomadische Produktionssysteme in Zeiten globaler Hunger- und Finanzkrisen gar ein Zukunftsmodell sein?
Bevor diese Fragen aufgegriffen werden, sind zunächst einige Merkmale herauszustellen:
Weideland: Niemandsland oder Jemandsland?
Für Nomaden und andere Viehhalter ist Weideland von besonderer Bedeutung. Es erstreckt sich über etwa 40 Prozent der Landoberfläche der Erde. Allein seine extensive nomadische und pastorale Nutzung
Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst die grundlegenden Eigenschaften von Land zu nennen: Land ist vor allen Dingen unbeweglich, es ist immobil, hat eine territoriale Dimension und einen unverrückbaren Standort. Land ist zudem fast immer aufgeladen mit persönlichen Geschichten und Identität, es stellt vielfach eine kognitive Referenz von "Heimat" dar. Darüber hinaus ist Land produktiv. Es kann Erträge hervorbringen und Tiere sowie Menschen ernähren. Schließlich bietet Land Sicherheiten, ökonomische und soziale. Es kann symbolisch und materiell "beliehen" werden. Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der privaten Aneignung und der staatlichen Regulation von Land- und Weiderechten zu lesen. Vier Phasen bilden das Grundgerüst nomadischer Positionen im globalen Gefüge ambivalenter Landrechte; diese überlagern sich und entfalten je nach regionalem Kontext unterschiedliche Auswirkungen.
An erster Stelle ist gerade für Europa die Auflösung der Allmende zu nennen, also des gemeinschaftlich genutzten und öffentlich zugänglichen Landes. Gemeinschaftseigentum wurde im Laufe der Geschichte – besonders drastisch im England des 16. Jahrhunderts – zunehmend durch Hecken oder Zäune begrenzt und privat angeeignet.
Seit den 1980er Jahren greift im Nachgang der internationalen Schuldenkrise als viertes Prozessbündel die neoliberale Globalisierung, die mit großem Druck weltweit auf die Privatisierung von Land und anderen Eigentumsrechten setzt.
Land wird damit immer mehr zum Spekulationsobjekt; eine Entwicklung, die beschleunigt wird durch die internationale Finanzkrise seit 2008, da die Anleger auf der Suche nach neuen Sicherheiten nun wieder in Land investieren. Jüngster Ausdruck ist der Kauf oder die langjährige Pacht von Agrarflächen durch ausländische Investoren.
Neben der ökonomischen stehen zwei weitere Perspektiven im Fokus: die von Nomaden und die von Staaten. Aus nomadischer Sicht ist zu bedenken, dass Weideland kein homogenes Territorium darstellt, sondern sich sehr komplex gliedert, etwa in sonnen- oder windexponierte, schattige, trockene, wasserreiche oder salzhaltige Böden und Orte, die komplementäre Eigenschaften für eine pastorale Nutzung hervorbringen. Natürliche Ressourcen sind weit und spärlich über ein Territorium verteilt und nur saisonal und unter bestimmten Umständen nutzbar. Große Erfahrung ist notwendig, um mit der Variabilität von Niederschlägen, der spezifischen Herdenkomposition, dem lageabhängigen Bewuchs und den schwer vorauszusehenden Nutzungsansprüchen von Dritten umzugehen. Dies alles muss zusammenhängend bewertet werden, um die Ansprüche an Weiden saisonal und institutionell zu justieren. Nomadische Weidenutzung ist daher gleichzeitig mobil, hochgradig flexibel und jedenfalls sensibel. Fällt nur eine Weide aus, kann dies das gesamte Nutzungsgefüge bedrohen.
Staatliches Handeln spielt für den Status und die Nutzung von Land ebenfalls eine besondere Rolle: Der Staat kann Grenzen um und durch Standorte errichten; Enteignungen, Deportationen und Vertreibungen veranlassen oder dulden, also Heimat entziehen; er kann Produktionsmöglichkeiten einschränken und Rechtsansprüche, aus denen Sicherheiten abzuleiten wären, verwehren. Moderne Staaten haben die territorialen Hoheitsrechte und das Gewaltmonopol inne. Nomadisches Weideland versperrt sich allerdings bis heute oft staatlicher Kontrolle: Es liegt in der Regel entfernt von sesshaften, städtischen Zentren, erstreckt sich häufig über Grenzgebiete und umfasst Wüsten oder Gebirge. Aus Sicht der Sesshaften, also aus der Perspektive von Planern, Bürokraten und Investoren, wird es als weitgehend unbewohnt wahrgenommen und offen für die Landnahme und die Aneignung von außen angesehen. In diesem Sinne scheint Weideland einem ungeregelten Niemandsland nahezukommen. Analog steht das Nomadische wie kaum ein anderer Begriff nicht nur gegenwärtig für das Fremde, das nicht Eigene. Immer wieder wurden und werden mit Nomaden von staatlicher Seite auch Bedrohung und Unsicherheit assoziiert. Die lange Geschichte der Interaktionen zwischen Nomaden und Sesshaften spiegelt dieses Spannungsfeld von räumlich mobiler, zeitlich flexibler, individuell nicht festgeschriebener Ressourcennutzung gegenüber standortfester, invariabler und fixierter Ressourcennutzung wider, die sich in der gesellschaftlichen Differenzkonstruktion von Sesshaften/Nomaden und Eigen/Fremd festschreibt.
Weideland ist allerdings weder ein "unbesetzter Raum", noch ein "Raum ohne Ansprüche" und aus Sicht der Nomaden auch kein unbestimmter "Zwischenraum". Im Gegensatz zu einem utopischen Niemandsland war und ist sowohl der Zugang als auch die Nutzung von Weideland geregelt; zwar nicht (immer) durch den Staat und kaum durch private Rechte an Land, sondern vielmehr durch lokale Nutzergruppen und ihre Gewohnheitsrechte. Allerdings ändert sich dies dramatisch: Sowohl der Staat als auch globale Marktmechanismen lösen traditionelle Weiderechte und nachhaltige Nutzungsformen auf.
Architektur der Privatisierung
Eigentum ist keine statische, bereits immer schon existierende Einheit, sondern abhängig von aktivem Handeln, das Ansprüche gegenüber anderen hervorbringt.
Im historischen Gefüge verschieben sich kollektive Land- und Nutzungsrechte von Gemeinschaften in Richtung privater Eigentumsrechte. Der Zugang zu Land wird exklusiver, ausschließender. Gesellschaften wandeln sich: Die Kommodifizierung von Land und die Kommerzialisierung von Landmärkten nehmen dramatisch bis in die Spitzen internationaler Immobilienspekulationen zu. Die soziale Kontrolle über Landnutzung verändert sich. Einerseits wird der Staat zum wichtigsten Akteur, da er die territorialen Hoheitsrechte des jeweiligen Landes verwaltet. Entsprechend bildet Staatseigentum an Land gegenwärtig fast überall die unterliegende Struktur, während Privateigentum die darin eingebettete wichtigste Rechtsform geworden ist. Andererseits kaufen neue Akteure über Staatsfonds und andere Finanzinstrumente "fremdes" Land in großem Stil auf.
Landrechte beruhen heute jedoch vor allem auf westlichen Klassifikationen: Zu unterscheiden sind beispielsweise Staatsland, Privateigentum, privater Pachtbesitz, kommunaler Besitz und Gewohnheitsrechte. Sie umfassen je spezifische Rechtsbündel: von Rechten des Zugangs zum Land, des Ausschlusses von anderen Personen, zum Recht der Nutzung von (bestimmten) Ressourcen und der Möglichkeit, den Rechtstitel an andere zu verkaufen, zu verpachten oder zu vererben, bis hin zu Kompensationsansprüchen bei Schädigung oder Enteignung. Die jeweiligen Rechtsbündel sind entsprechend asymmetrisch verteilt. Außerdem sind sie in verschiedene Legitimierungsbezüge eingebunden: Im Mittelpunkt steht dabei der Nationalstaat mit dem Hoheitsrecht über sein Territorium. Erst nachgelagert gelten die unterschiedlichen Rechtsbündel von Privateigentum, Pachtbesitz oder Gewohnheitsrecht. Daraus folgt, dass sich Privateigentum allein gegenüber dem Staat legitimieren muss; Pachtbesitz gegenüber dem Eigentümer und dem Staat; kommunaler Besitz gegenüber dem Staat, eventuell aber auch gegenüber der Gemeinde und privaten Eigentümern. Die Rechtsbündel werden damit ausgehend vom Privateigentum bis zur Illegalität immer schwächer, während gleichzeitig die Legitimierungsbezüge immer komplexer ausfallen. Diese, in der Gegenwart gängige Situation, müsste nicht zwingend so sein. Denn sie gilt nur, wenn sesshafte Klassifikationssysteme von Territorialität und Eigentum zugrunde gelegt werden. Sie begreifen Landeigentum nicht als einen mehrdimensionalen Ort, sondern als zweidimensionale Parzelle mit eindeutigen Grenzen. Land wird nicht als vielfältig und als niemals endgültig zuordenbar verstanden, sondern als standardisierbare Ware behandelt, die – wenn sie erst privatisiert ist – ohne weitere Pflichten gegenüber der Gemeinschaft vor allem Rechte für Einzelne kennt.
Werden vor diesem Hintergrund typische gewohnheitsrechtliche Konstellationen bei Nomaden betrachtet, so wird deutlich, dass es sich – entsprechend heute gängiger sesshafter Sichtweise – um relativ schwache Rechte handelt. Wenn asymmetrische Rechtsansprüche aufeinandertreffen (etwa Privateigentum und Gewohnheitsrecht) ist gegen den höherrangigen Anspruch (Privateigentum) kaum etwas auszurichten. Hinzu kommt, dass die engen territorialen Referenzsysteme westlicher Eigentumsrechte sich nicht nur in den Globalen Süden ausgebreitet haben. Auch die weiter greifenden Verfahren der Konfliktaustragung haben sich geändert: Aus der Mündlichkeit von Verträgen und aus Überlieferungen können kaum mehr Rechtstitel an Land begründet werden, sondern allein schriftliche Verträge entfalten Gültigkeit. Neben dem Alter der Ansprüche ist zudem die Gewaltsamkeit bei der Durchsetzung für den letztendlichen Zugang und die Nutzung von Ressourcen ausschlaggebend. Der Zugang und die traditionelle Nutzung weidewirtschaftlicher Ressourcen kann allerdings vereinzelt erfolgreich sein, etwa wenn es traditionellen Nutzergruppen gelingt, ihre Ansprüche im globalisierten Bezugsrahmen als indigene Rechte zu reformulieren.
Festzuhalten ist, dass Konflikte ein Grundmerkmal jedes gesellschaftlichen Zusammenseins sind. Sie stellen weder die Ausnahme dar, noch sind sie notwendigerweise destruktiv. Sie können ebenso zur Integration von Gesellschaften beitragen, wie dazu, diese zu zerbrechen.
Dynamiken ökonomischer Räume
Wie gestalten sich vor diesem Hintergrund die sich verändernden Wirtschaftsräume von Nomaden, Pastoralisten und Farmern, die extensive Weidewirtschaft betreiben? Dazu ist zunächst festzuhalten, dass besonders Nomaden auf kargen Weiden Erträge erwirtschaften, die andere wirtschaftliche Aktivitäten bisher kaum dauerhaft erreichen konnten. Während ihre Produktionsleistungen bemerkenswert sind, erfolgen sie keineswegs abgekoppelt von größeren Wirtschaftskreisläufen. Kein Nomade oder Farmer ernährt sich allein durch Produkte der Viehwirtschaft, sondern ergänzt diese durch agrarische Erzeugnisse und Waren vom Markt. Beispiele für den Austausch von Produkten zwischen Nomaden und Sesshaften sind Milch, Fleisch, Wolle und Tierkot (Dünger) gegen Getreide und Weiderechte. Vieh übernimmt zudem auch andere Funktionen; es ermöglicht Transporte, steht als Nahrungs- und Kapitalreserve sowie generell als Absicherung gegenüber Krisen zur Verfügung. Doch das Wissen über diese ökonomischen Bedeutungen ist bisher gering, nationale Statistiken erfassen Nomaden und ihre Produkte kaum und falls doch, ist die Qualität der Daten oft fragwürdig. Damit bleiben die Erzeugnisse der Subsistenzproduktion und die nomadische Wirtschaftsleistung insgesamt weitgehend unsichtbar.
Die Geschichte der nomadischen und pastoralen Produktionssysteme hat aufgrund der kolonialen Vergangenheit in Afrika und Asien sowie infolge der sozialistischen Erfahrungen und der frühen Marktintegration industrialisierter Staaten unterschiedliche Strukturen hinterlassen, die sich auf die aktuellen Vermarktungssysteme auswirken.
Erstens, die nomadischen Produkte in Afrika und Asien, insbesondere Fleisch, erreichen, obwohl sie zunehmend kommerzialisiert sind, kaum internationale Standards. Die Vermarktungswege beschränken sich abgeschottet durch Zölle, Regulationen und Grenzen vielfach auf den nationalen Raum, den nahen Grenzhandel oder regionale Märkte. Dennoch sind Millionen von nomadischen Haushalten von ihrem Vieh abhängig, um ihre Existenz zu bestreiten. Während Fleischprodukte von ihren Rindern, Schafen, Ziegen oder Yaks somit kaum jemals zahlungskräftige Konsumenten in den urbanen Zentren Europas oder Nordamerikas erreichen, gelangen allerdings einige Nischenprodukte auf die internationalen Exportmärkte: So zirkulieren etwa Kaschmirwolle aus der Mongolei, Geweihe aus Sibirien oder Raupenpilze (ein traditionelles Medizinprodukt) aus Tibet über weite Distanzen und prägen transnationale Warenketten.
Zweitens, weidewirtschaftliche pastorale Produktionsgebiete, die für die weltweiten Exportmärkte von Bedeutung sind, bleiben regional konzentriert: Der globale Markt für Schaf- und Lammfleisch wird durch Australien und Neuseeland dominiert, ebenso wie die Exportmärkte für Wolle. Demgegenüber stammt etwa die Hälfte der weltweiten Rindfleischexporte aus vier lateinamerikanischen Ländern (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay). Große nationale Tierbestände bedeuten dabei nicht automatisch ein großes Exportvolumen. Wiewohl beispielsweise China einen der weltweit größten Produzenten für Fleisch und Wolle darstellt, ist es aufgrund seines hohen Eigenbedarfs ein Nettoimporteur.
Drittens, die Beziehungen, die Produzenten und Konsumenten miteinander verbinden, gestalten sich kontinuierlich neu – dies ist prägend für ökonomische Räume, die sich aus nahen und fernen Beziehungen konstituieren. So gelangen beispielsweise lebende Schafe aus Westaustralien, die auf Frachtern transportiert werden, als potenziell nach islamischen Regeln zu schlachtende Halal-Produkte in die arabischen Golfstaaten und konkurrieren in Saudi-Arabien mit anderen Lebendimporten aus Somalia und dem Sudan sowie mit tiefgefrorenem Fleisch aus Neuseeland. Gleichzeitig verändern sich durch Urbanisierung, Kaufkraftgewinne sowie neue Einzelhandelsstrukturen (Hypermärkte und Malls) lokale Konsumkulturen und Ernährungsgewohnheiten. Fertigprodukte werden zunehmend nachgefragt. So beträgt der globale Halal-Markt mittlerweile über 600 Milliarden US-Dollar und wächst jährlich mit bis zu 20 Prozent.
Viertens, die Existenzsicherung von Nomaden und Produzenten in postkolonialen, armen Staaten (wie dem Sudan) und in industrialisierten Ländern (wie Neuseeland) sind oft miteinander verbunden. Sie können sogar von den gleichen externen Entscheidungen, politischen Regimen und ökonomischen Regulationen abhängig sein, die sich häufig außerhalb ihrer Einflussnahme befinden. So beruht der Marktzugang von neuseeländischem Lammfleisch in die Europäische Union auf einer garantierten Einfuhrquote; dies schränkt wiederum die Vermarktungsmöglichkeiten etwa von nordafrikanischen Nomaden ein. Gleichzeitig werden Standards und Zertifizierungen immer wichtiger: Die international tätigen Einzelhandelsketten wie Aldi, Rewe, Carrefour oder Walmart steuern und kontrollieren dabei zunehmend die Warenketten, während die Produzenten immer geringeren Einfluss haben.
Fünftens spielen darüber hinaus unsere Entscheidungen als Konsumenten in der hochtechnisierten Welt des globalisierten Güteraustauschs eine wachsende Rolle für die Zukunft der Nomaden. Wird neuseeländisches Lammfleisch in einem europäischen Supermarkt gekauft, übermittelt der an der Kasse gelesene Barcode in Echtzeit im 18000 Kilometer entfernten Neuseeland sofort alle relevanten Informationen (Kaufzeitpunkt, Eigenschaften des Produkts, Herkunft). Unser Kaufverhalten entscheidet hier über das Leben von Tieren dort, und durch die Vielzahl von individuellen Konsumpräferenzen stimmen wir über die Wirtschaftlichkeit eines kompletten Produktionssystems ab. So setzt sich unter Umständen nicht das lokale/regionale Produkt, sondern ein anderes durch. Bezahlen wir dabei elektronisch und verwenden auch noch ein Bonusprogramm, wird unser Konsumverhalten zudem noch ausrechen- und damit kollektiv steuerbar.
Fazit
Die tiefgreifenden Transformationen der vergangenen Jahrzehnte – die Prozesse der Marktöffnung und die Privatisierung von Landrechten, die wirtschaftliche Spezialisierung und Diversifizierung, die Einbindung nomadischer Produktion in globale Warenketten und die Erosion von Solidarität in lokalen Gemeinden – haben die Lebenszusammenhänge von nomadischen Gruppen vielerorts aufgebrochen und radikal verändert. Einerseits müssen Nomaden heute neue Herausforderungen meistern, um ihre Existenzen zu sichern. Andererseits sind wir alle von diesen Umbrüchen, inklusive der Gewinne und Verluste, betroffen. Drei Prozesse sind zentral:
Erstens, die Handlungsräume für Nomaden werden immer kleiner: Zum einen nimmt das verfügbare Weideland ab, es wird privatisiert und der kollektiven Nutzung entzogen; zum anderen werden die wirtschaftlichen Handlungsoptionen zum Vermarkten ihrer Produkte auf internationalen Märkten durch Regulationen, Standardisierungen und Zugangsbarrieren immer weiter eingeschränkt. Nomadische Gruppen, die ohnehin oft zu den Armen zählen, werden noch weiter ins Abseits gedrängt, Biodiversität geht verloren und offene Landschaften werden verplant.
Zweitens, die Leistungen nomadischen Wirtschaftens, inklusive der Nachhaltigkeit – also der angepasste Umgang mit der Umwelt – bleiben weitgehend unsichtbar; sie werden vielfach unterschätzt, oft gar behindert und durch Entscheidungen der Sesshaften kaum gefördert. Einblicke in den Umgang mit kollektiven Ressourcen gehen ebenso verloren wie Vorbilder für lokal angepasste institutionelle Regelungen und indigenes Wissen.
Drittens, das schwache öffentliche Interesse an Weideland scheint sich erst zu verändern, wenn – wie im Zuge des aktuellen Staatszerfalls im saharischen Afrika (etwa in Mali und Südalgerien) und im Nahen Osten (im Irak und in Syrien) – neue gewalttätige Regime versuchen, sich zu etablieren. Auch hierbei sind nicht nur die Nomaden als Verlierer auszumachen. Krieg und kriegsbedingte Umweltzerstörungen sowie die Privatisierung der Gewalt hinterlassen nur schwer reversible verwüstete Natur- und Soziallandschaften. Nomadische Auf- und Umbrüche bleiben nicht im "dort", sie betreffen uns alle auch "hier" und verlangen nach Verantwortlichkeiten und neuen gesellschaftlichen Haftungsprinzipien.