Die Wahrung der inneren Sicherheit gehört zu den Kernaufgaben der europäischen Friedenspolitik. Gleichzeitig stellen der weitgehende Verzicht auf Grenzkontrollen, Schlagbäume und Zollschranken innerhalb der Europäischen Union sowie die Ausweitung der Grundfreiheiten das Sinnbild europäischer Einigungs- und Harmonisierungsbestrebungen dar. Während der Abbau von Hindernissen im Innern vor allem dem Binnenmarkt zu immer weiterer Effizienz verhilft, schirmt sich die Union nach außen hin umso vehementer ab. Der "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", dessen Verwirklichung in den europäischen Verträgen als zentrales Ziel verankert ist,
Die Sicherung der Außengrenzen der Union gestaltet sich heikel, da durch die Erweiterung der EU zwangsläufig äußere Krisen näher herangerückt sind. Bewaffnete Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und in großen Teilen Afrikas haben zu den größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die dadurch auftretende Problematik – "Flüchtlingsschutz versus Grenzschutz" – zeigt sich derzeit vor allem an den Seegrenzen, insbesondere im Mittelmeer. Da sich der "illegale" und damit unregulierte Weg über die Ufer der Mittelmeeranrainer der staatlichen Zugriffsmöglichkeiten weitgehend entzieht, schuf die EU bereits 2004/2005 die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, kurz Frontex.
Mit der Zunahme der Flüchtlingswanderungen nach Europa sind in den vergangenen Jahren die Methoden von Frontex verstärkt in die Kritik geraten. So sollen die Grenzschützer Flüchtlingsboote abgedrängt und internationale Standards des Völkerrechts verletzt haben.
Ressourcen und Operationen
Was leistet Frontex? Frontex arbeitet zu Wasser, zu Land und in der Luft, bildet Task Forces und verwaltet großflächige, langfristig angelegte Einsätze zur Sicherung der Außengrenzen. Die Agentur soll die operative Zusammenarbeit der EU-Staaten im Bereich des Außengrenzschutzes der Union koordinieren und sie bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsstandards unterstützen. Sie hilft insbesondere dann, wenn die beteiligten Staaten alleine überfordert oder überlastet wären. Durch die Bereitstellung von Soforteinsatzteams (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) gehen Operationen zielgenau und rasch vonstatten. Eine weitere Aufgabe besteht in der Unterstützung der EU-Staaten bei der Organisation der Rückführung von irregulär eingereisten Migranten.
Das Budget der Agentur fließt aus Geldquellen des EU-Haushalts, aus Beiträgen der Schengen-Mitgliedsstaaten (zu denen auch die Nicht-EU-Mitglieder Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein gehören) sowie aus Beiträgen Irlands und des Vereinigten Königreichs, die zwar der EU, nicht aber dem Schengenraum angehören. Seit der Gründung der Agentur wurde das Budget mehrfach erhöht, mittlerweile beträgt es rund 114 Millionen Euro.
Der Blick auf einige Frontex-Operationen ist geeignet, einen exemplarischen Eindruck der bisherigen Einsatzgebiete beziehungsweise -schwerpunkte zu vermitteln: Unter dem Namen "Hera" firmierten ab Sommer 2006 zwei der ersten bedeutenden Operationen, die der Bekämpfung illegaler Einwanderung aus Nordwestafrika auf die Kanarischen Inseln galten. Durch Unterstützung bei der Identifizierung von Menschen ohne gültige Legitimationspapiere wurde es den spanischen Behörden in wenigen Monaten ermöglicht, über 6000 Immigranten zurückzuführen; Seepatrouillen bewirkten zudem, dass sich der "Strom irregulärer Migration drastisch reduzierte".
Eine weitere, noch nicht abgeschlossene Operation zur Grenzsicherung im Mittelmeer ist "Triton".
Frontex in der europäischen Sicherheitsarchitektur
Frontex stellt nur eines von vielen Instrumenten des Außengrenzschutzes dar, ist aufgrund seiner spektakulären Einsätze jedoch vermehrt in den Fokus von Medien und Öffentlichkeit gerückt. Ihre exakte Verortung innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur bleibt gleichwohl schwierig. Die Agentur könnte zunächst als "kleine Schwester" der europäischen Polizeibehörde Europol bezeichnet werden.
Gemeinsam ist beiden, dass sie nicht vornehmlich exekutiv tätig werden, sondern die Aktivitäten der nationalen Sicherheitsbehörden koordinieren und unterstützen.
Frontex fiel damit von jeher in den Bereich europäischer Kompetenzen, die bereits am weitesten angeglichen waren. Das bedeutet, dass sie einem Zuständigkeitsfeld zufiel, auf den die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft bereits sehr weitreichende Kompetenzen überantwortet hatten. Zwar wurde das Säulenmodell mit dem Vertrag von Lissabon 2009 hinfällig, da mit der Etablierung der EU als Rechtsperson eine Überantwortung eines Großteils nationalstaatlicher Souveränität an die (quasi) supranationale Europäische Union einherging. Dennoch setzte sich der unterschiedliche "Integrationswille" der Nationalstaaten in manchen Regelungsbereichen fort. So blieb die Entwicklung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, die seit jeher als eine Art "souveränitätsfester Kern" der Nationalstaaten angesehen wird, auch im Vertrag von Lissabon hinter den anderen Kompetenzbereichen zurück.
Das erleichtert die Einordnung allerdings nur bedingt. Die Gemeinschaftsagenturen des alten Säulenmodells "sprengen" nämlich den herkömmlichen Rahmen europäischer Sicherheitsarchitektur, sobald ihnen operative Maßnahmen übertragen werden.
Dies bedeutet: Die Zuteilung der an sich ähnlichen, Behörden/Agenturen Europol und Frontex unterscheidet sich deshalb so stark, weil sie völlig verschiedenen "Kompetenztöpfen" der identischen Regelungsmaterie angehören. Beide sollen die Sicherheit schützen und nationale Behörden unterstützen. Außengrenzschutz ist allerdings per se eine Angelegenheit der Union. Der Schutz der inneren Grenzen bleibt als souveränitätsfester Kern dagegen traditionell "näher" bei den Nationalstaaten. Die "kleine Schwester" Frontex hat somit faktisch mehr Einfluss als die Schutzbehörden des Innengrenzschutzes, da im bereits vertieften supranationalen Außengrenzschutz der regulierende Einfluss der Nationalstaaten vergleichsweise gering ist.
Kritik
Frontex ist jedoch nicht nur aufgrund ihrer institutionellen Verfasstheit, sondern auch und vielmehr wegen ihrer Praktiken in die Kritik geraten. Allem voran wurden die sogenannten push-backs kritisiert, bei denen Flüchtlinge, die sich bereits in unmittelbarer Grenznähe befanden, mitsamt ihrer Boote zurückgedrängt wurden. Diese Praktik, auch "heiße Abschiebung" genannt,
Nach dem Bekanntwerden mehrerer push-backs und deren Bestätigung durch Frontex
Für eine Bewertung der Frontex-Operationen hat man sich zusätzlich die Situation in vielen Transitstaaten zu vergegenwärtigen: "Aufgrund der fehlenden Durchlässigkeit der Grenzen durch die operative Arbeit von Frontex 'stranden' zahlreiche Flüchtlinge vor den Außengrenzen der EU."
Rechtsfreier Raum?
Welchen Schutz genießen Flüchtlinge? Die gesamte Problematik um Grenzschutz und das Aufgreifen von Flüchtlingen auf dem Meer spielt sich in einem Bereich ab, in dem zahlreiche Rechtsregime aufeinandertreffen. Welcher Schutz den Betroffenen dabei tatsächlich gewährt werden kann und sollte, ist nicht einfach zu beantworten. Zum Einflussbereich der Operation "Triton" erklärte Italiens Innenminister Angelino Alfano im Januar 2015: "30 Seemeilen vor der italienischen Küste endet Europa, bis dahin helfen wir. Dahinter befinden sich die internationalen Gewässer und dort gilt das internationale Seerecht."
Zwar ist diese Aussage so nicht ganz richtig, der Grundkonflikt wird dabei aber anschaulich skizziert. Verschiedene Rechtsmassen des Völkerrechts (zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, das Internationale Seerecht und die Genfer Konventionen) und des Europarechts (Unionsrecht wie die EU-Grundrechtecharta und Sekundärrechtsakte) "streiten" um den Anwendung- und Geltungsvorrang im Herrschaftsgebiet.
Dabei besitzen lediglich eigene Staatsangehörige ein Menschenrecht auf Rückkehr in ihren Heimatstaat. Für Drittstaatsangehörige hingegen besteht kein Einreiserecht.
Doch selbst wenn sich das Betätigungsfeld der Operation außerhalb des Territoriums der EU befindet, kann sich die handelnde Behörde nicht aus der Verantwortung winden. Es existiert eine "extraterritoriale Wirkung" von Grund- und Menschenrechten. Extraterritorialität meint hierbei, dass Staaten bestimmte Rechte auch außerhalb ihres Staatsgebietes achten, schützen und gewährleisten müssen. Zur Begründung werden nicht nur die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte herangezogen, deren Geltungsanspruch universell und unabhängig von Staatsgebieten ist. Die grundsätzliche extraterritoriale Wirkung von Menschenrechten wird darüber hinaus durch eine Vielzahl gerichtlicher und nicht-gouvernementaler Entscheidungen bekräftigt: Sowohl Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR)
Die europäischen Grenzschutzorgane, allen voran Frontex, sind demnach an Grund-, Menschen- und Flüchtlingsrechte gebunden. Daran ändert auch die räumliche Verschiebung der Operationen außerhalb des europäischen Hoheitsgebietes nichts.
Fazit
Eine enge Zusammenarbeit an den europäischen Außengrenzen ist zwingend notwendig, um die Sicherheit auf dem Kontinent zu gewährleisten. Jedoch sollten hierfür klarere Regeln aufgestellt beziehungsweise explizite Vorschriften formuliert werden, die die Vollzugsbehörden strenger an bestehende Menschenrechtsstandards binden. Flucht und Asyl nach Europa müssen möglich sein und dürfen nicht an unüberwindbaren rechtlichen oder faktischen Hindernissen scheitern.
Frontex erledigt nur zum Teil "saubere Arbeit". Bedenklich am Gesamtprozedere ist vor allem, dass viel Aufwand und große Geldmittel hauptsächlich in die Abwehr von Flüchtlingen investiert werden. Läge die Priorität weniger auf der Bekämpfung des Symptoms Zuwanderung und stattdessen mehr auf der Bekämpfung der Ursachen (also der Konfliktherde in den Fluchtländern), wäre der Zustrom Hilfesuchender langfristig geringer. Insbesondere sollte es jedoch nicht dazu kommen, dass der Kontinent Europa durch verworrene Rechtsregime und grenzlegale Operationen zur "Festung Europa" verbarrikadiert wird.