Da viele Politikfelder wie die Handels-, Entwicklungs- oder Umweltpolitik nicht nur zwei oder drei Staaten betreffen, sondern ganze Regionen oder gar die ganze Welt, kommen die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs regelmäßig auf internationalen Konferenzen zusammen. Dort vereinbaren sie gemeinsame Normen und Regeln, um grenzüberschreitende Probleme zu lösen. Was simpel und naheliegend klingt, gestaltet sich in der Realität jedoch schwierig: Meinungen und Interessen liegen in der Staatengemeinschaft oft weit auseinander, sodass die Verhandlungen sich nicht selten um den kleinsten gemeinsamen Nenner drehen und deren Ergebnisse von außen betrachtet dürftig erscheinen. Dennoch reißt die Liste internationaler Konferenzen nicht ab. Allein in diesem Jahr stehen im Rahmen der Vereinten Nationen mehrere Konferenzen an, von denen der im September in New York stattfindende Millenniumsgipfel+15 und die für November geplante Klimakonferenz in Paris nur die bekanntesten sind. Welchen Stellenwert nimmt die Konferenzdiplomatie also im globalen Regieren, in der global governance ein?
Ich zeige in diesem Beitrag zwei Entwicklungen auf. Erstens sind internationale Konferenzen nicht als einzelne Phänomene zu sehen. Sie sind vielmehr Ausdruck einer umfassenderen Institutionalisierung der internationalen Politik. Zweitens ist die Blütezeit der Konferenzdiplomatie und damit der zwischenstaatlichen Institutionalisierung vorüber. Während seit den 1970er Jahren große Hoffnung mit diesem Governance-Element verbunden war, zeigt sich heute zunehmend, dass globales Regieren auch jenseits der Konferenzdiplomatie und damit jenseits internationaler Organisationen stattfindet.
Konferenzdiplomatie als Fortschritt
Absprachen über Angelegenheiten zwischen Herrschenden gab es schon in der Antike. Mit der Herausbildung des Westfälischen Staatensystems gewannen internationale Vereinbarungen an Bedeutung, da die innere und vor allem die äußere Souveränität mit den Friedensverträgen beziehungsweise der Nachkriegsordnung von 1648 anerkannt wurden.
Dass der Wiener Kongress dennoch als Fortschritt angesehen werden kann, hängt mit dem Format des Zusammentreffens zusammen: Fast zweihundert Staatschefs, Monarchen, Fürsten und ihre Bevollmächtigten trafen sich, um gemeinsam über die Ordnung Europas zu diskutieren. Sie etablierten ein Konsultationssystem zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung und legten darüber hinaus die Grundlage für die moderne Diplomatie,
Die internationale Konferenzdiplomatie nimmt unterschiedliche Formen an. Zumeist treffen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Staaten zu einem zuvor festgelegten Zeitpunkt und debattieren die auf der Tagesordnung stehenden Themen. Die Verhandlungen sind in der Regel ritualisiert. Hierzu zählen ein formeller Rahmen mit einer Sitzungsleitung, die eine Eröffnungsrede hält, sowie zuvor festgelegte, begrenzte Redezeiten für die einzelnen Rednerinnen und Redner, ein Wechsel aus Plenar- und Arbeitsgruppenphasen und ein fester Endpunkt der Verhandlungen. Entscheidungen werden bei internationalen Konferenzen meist im Konsens getroffen. Gestaltet sich dies aufgrund klarer Konfliktlinien und geringer Kompromissbereitschaft schwierig, kommt den letzten Stunden einer Konferenz häufig eine besondere Bedeutung zu. So konnten beispielsweise die Klimaverhandlungen in Kyoto 1997 nur durch ein symbolisches Anhalten der Uhr zu einem produktiven Ende gebracht werden. Die Ergebnisse internationaler Konferenzen werden zumindest in Teilen veröffentlicht, meist wird auch eine Überprüfung der Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen vereinbart, etwa im Rahmen einer Folgekonferenz. Idealerweise nehmen alle von dem Problem beziehungsweise einer Entscheidung betroffenen Staaten an den Verhandlungen teil.
Konferenzdiplomatie als Teil eines Institutionalisierungsprozesses
Während vom 17. bis zum 19. Jahrhundert internationale Konferenzen meist ad hoc stattfanden, etwa infolge einer Krise oder eines Krieges, ist die Konferenzdiplomatie seit dem 20. Jahrhundert eng an internationale Institutionen gebunden. Die Politikwissenschaft unterscheidet vier Formen internationaler Institutionen: Ordnungsprinzipien, Netzwerke, Regime und Organisationen.
Internationale Regime sind politikfeldspezifische Institutionen, die sich durch gemeinsame Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren auszeichnen, die das Verhalten der Akteure anleiten.
Internationale Konferenzen sind ein integraler Bestandteil des Klimaregimes. Die Staaten einigten sich 1992 auf jährliche Treffen, um weitere Normen und Regeln zu erarbeiten beziehungsweise die Umsetzung bestehender Regeln zu überwachen. Diese an verschiedenen Orten der Welt stattfindenden Vertragsstaatenkonferenzen haben meist ein Leitthema: Die Klimakonferenz in Bali erarbeitete 2007 einen Zeitplan für die Klimapolitik nach Ablauf des Kyoto-Protokolls; 2009 in Kopenhagen hielten die Staaten fest, dass jeder Staat die Maßnahmen zur Begrenzung des durchschnittlichen Temperaturanstiegs auf zwei Grad Celsius selbst definiert; und in Cancún beschlossen die Staaten 2010 ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das die vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten unterstützen soll. An den Klimakonferenzen nehmen nicht nur Vertreter von Staaten, sondern auch verschiedener nichtstaatlicher Akteure teil.
Internationale Organisationen (IOs) stellen eine "Sonderform zwischenstaatlicher Kooperation" dar.
IOs laden teils regelmäßig, teils zu besonderen Anlässen zu internationalen Konferenzen ein. Daher lohnt ein Blick auf die Entwicklung von IOs. Bis in die 1980er Jahre hinein nahm ihre Zahl stetig zu: Nachdem es in den 1920er bis 1940er Jahren fast konstant knapp siebzig IOs gegeben hatte, stieg ihre Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg rasant an: 1945 gab es 99 IOs, Anfang der 1970er Jahre waren es schon mehr als zweihundert;
Die vier verschiedenen Institutionentypen interagieren zunehmend miteinander. Daher nimmt die Zahl sogenannter Regimekomplexe zu. Es gibt also mehr sich teilweise überlappende, nicht hierarchisch zueinander stehende internationale Institutionen, die einen bestimmten Gegenstandsbereich regeln.
Konferenzdiplomatie im Rahmen der Vereinten Nationen
Die Vereinten Nationen (UN) sind eine internationale Organisation, die besonders oft das Format internationaler Konferenzen nutzt, um Fortschritte in der internationalen Norm- und Regelsetzung beziehungsweise deren Umsetzung zu erzielen. Der Griff zu diesem Mittel erklärt sich auch aus der Identität der UN als inklusive und transparente IO heraus. Die folgenden Beispiele stehen zugleich exemplarisch für die Interaktionsformen von internationalen Konferenzen und IOs.
Erstens war die Gründung der UN selbst Ergebnis einer internationalen Konferenz. Fünfzig Diplomaten diskutierten zwischen dem 25. April und dem 26. Juni 1945 in San Francisco den Entwurf der UN-Charta. Dieser war wiederum auf anderen internationalen Konferenzen, insbesondere in Dumbarton Oaks (1944) und Jalta (1945) erarbeitet worden. In San Francisco arbeiteten auch nichtstaatliche Akteure mit, rund hundertsechzig NGOs hatten sich erfolgreich um einen Platz bemüht.
Zweitens laden die UN innerhalb der eigenen Institution zu internationalen Konferenzen ein. Um die Arbeit voranzubringen, haben sie Sondergeneralversammlungen initiiert. Dies sind außerhalb der regulären Sitzungszeit stattfindende Tagungen der UN-Generalversammlung mit einem Schwerpunktthema. Daran nehmen zumindest zeitweise auch die Staats- und Regierungschefs der derzeit 193 UN-Mitgliedstaaten teil.
Drittens haben die UN internationale Konferenzen außerhalb der eigenen Organisation initiiert. So beschloss die Sondergeneralversammlung zu Abrüstung 1983 die Einrichtung einer ständigen Abrüstungskonferenz in Genf. Diese konnte zunächst einige Erfolge wie das Chemiewaffenübereinkommen und den umfassenden Teststoppvertrag vorweisen. Von 1997 bis 2009 war sie jedoch blockiert, da die Staaten sich nicht einmal auf ein Arbeitsprogramm einigen konnten.
Nur Talk Shops?
Internationale Konferenzen stehen in dem Ruf, nur dürftige Ergebnisse hervorzubringen, sodass der Aufwand nicht lohne. Dieses (Vor-)Urteil trifft insofern zu, als es einzelne Konferenzen gab, die deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. So verabschiedete etwa die Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 eben kein verpflichtendes Kyoto-Nachfolgeinstrument, sondern hielt nur freiwillige Maßnahmen in einem unverbindlichen Papier fest. Auch auf den folgenden Klimakonferenzen gelang es den Vertretern der Staaten nicht, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Hier zeigt sich die Schattenseite des bei internationalen Konferenzen herrschenden Konsensprinzips: Es stellt ein "de-facto Vetorecht für jeden Mitgliedsstaat" dar.
Von internationalen Konferenzen gingen jedoch immer wieder auch bedeutende Fortschritte aus: Neue Normen wurden entwickelt und Wege zu deren Umsetzung identifiziert. Die genannten Abrüstungsnormen sind ein Beispiel. Ein anderes ist die Post-2015-Agenda, die im Herbst 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden soll und neue Ziele nachhaltiger Entwicklung definieren wird. Diese sollen sowohl die Millenniumsentwicklungsziele fortschreiben als auch die beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Rio 2012 vereinbarten Nachhaltigkeitsziele operationalisieren
Internationale Normen werden von Staaten internalisiert, also national umgesetzt. Das kann aufgrund eines strategischen Verhaltens, einer inhaltlichen Überzeugung oder durch eine habituelle Übernahme des Staates erfolgen.
Widersprüchliche Trends
Obwohl internationale Konferenzen relativ legitime und zumindest in Ansätzen effektive Elemente einer global governance sind – schließlich sind sie inklusiv und haben wichtige Normen entwickelt –, ist ihre Blütezeit vorüber. Dies ist die Folge einer umfassenden Veränderung des Regierens. Schon seit drei Dekaden ist zu beobachten, dass das Regieren (governance) immer weniger mit dem Handeln von Regierungen (government) deckungsgleich ist.
Die heutige global governance unterscheidet sich in drei Dimensionen vom zwischenstaatlichen Regieren (international governance) des 20. Jahrhunderts: Erstens ist eine Akteurspluralität feststellbar. Staatliche wie nichtstaatliche Akteure tragen zur Norm- und Regelsetzung beziehungsweise deren Umsetzung bei. Zweitens findet politische Regulierung auf verschiedenen, miteinander interagierenden Ebenen statt. So werden einerseits internationale Normbildungsprozesse auch durch lokale Akteure angestoßen, andererseits wirken globale Normen auch lokal beziehungsweise werden auf lokaler Ebene entsprechend angepasst (Mehrebenenpolitik). Drittens ändern sich damit auch die Steuerungsmodi. An die Stelle des hierarchischen Regierens tritt zunehmend die horizontale Steuerung.
Für die internationale Konferenzdiplomatie bedeutet dies erstens, dass die Partizipationsmöglichkeiten nichtstaatlicher Akteure tendenziell zunehmen. Sie haben heute umfassendere Teilnahmerechte als früher und können sich so in vielen Verhandlungen zu Wort melden oder auch schriftliche Stellungnahmen einbringen.
Zweitens engagieren sich die nichtstaatlichen Akteure zunehmend eigenständig in der Norm(um)setzung. Zertifikate des Forest Stewardship Council (FSC) für Holz aus nachhaltiger Bewirtschaftung sind ein Beispiel, das viele aus dem Alltag kennen.
Schließlich ist ein gegenteiliger Trend festzustellen: Staaten handeln vermehrt ihre Vereinbarungen in sogenannten Klubs wie der G20 aus, also in informellen und flexiblen Zusammenschlüssen.