Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Zu Struktur und Stabilität von medialen Seuchendiskursen | Seuchen | bpb.de

Seuchen Editorial Seuchen – gestern, heute, morgen Infizierte Gesellschaften: Sozial- und Kulturgeschichte von Seuchen Globale Seuchenbekämpfung: Kooperation zwischen Ungleichen Von Ebola lernen: Was gegen künftige Epidemien getan werden muss Zu Struktur und Stabilität von medialen Seuchendiskursen

Zu Struktur und Stabilität von medialen Seuchendiskursen

Bettina Radeiski

/ 17 Minuten zu lesen

Der mediale Diskurs konstituiert ein allgemein betroffenes Kollektivsubjekt, das sich zwischen den Polen "Angsterzeugung" und "Angstbewältigung" bewegt. Inszeniert wird auf der einen Seite ein Kriegsgeschehen gegen Ebola. Auf der anderen Seite wird die Warnung laut, dass übertriebene Angst und Panik fehl am Platz seien.

Jede empirische medien- beziehungsweise diskursanalytische Untersuchung von Seuchendiskursen wird nicht umhin können, so etwas wie eine traditionsmächtige Struktur und Stabilität zu erkennen; zugleich sucht sie das "Neue", mögliche "Abschweifungen", die sich im Vergleich mit anderen (früheren) Seuchendiskursen ergeben und entwickelt haben könnten. Diesem doppelten Blick liegt die einfache These zugrunde, dass sich massenmediale Inszenierungen von Seuchendiskursen nur sehr bedingt in Abhängigkeit von medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakten und Prognosen vollziehen. Stattdessen zeigt sich immer wieder, dass sie sich durch eine eigene, eine mediale Realität sui generis auszeichnen, die in diesem Beitrag am Beispiel der medialen Inszenierungen der Ebola 2014 aufgezeigt werden soll.

Forschungsanliegen solcher Art sind immer auch durch das mitunter nur vage Bewusstsein und von der damit einhergehenden Sorge motiviert, dass Medien zumindest potenziell zu Übertreibungen neigen könnten, die die Öffentlichkeit manipulieren, beziehungsweise dass Medien Angst und Panik überhaupt erst, das heißt unnötig, stiften. Diese Sorge wirft die Frage nach einer angemessenen Berichterstattung auf, die allerdings ihrerseits nicht unproblematisch ist und der in diesem Beitrag aus drei Gründen nicht nachgegangen wird. Der erste Grund liegt in der für Seuchendiskurse typischen, entgegengesetzten Doppelläufigkeit, sich einerseits "Panik stiftender" und andererseits "beruhigender" Elemente zu bedienen, sowie zweitens in der mit ihr verbundenen ambivalenten Wirkmächtigkeit auf die Bevölkerung. Der dritte Grund besteht in der Spezifik des Gegenstandes "Seuche", der für die Mehrzahl der Menschen nur über seine mediale Präsenz als gesellschaftlich relevantes Phänomen wahrzunehmen ist und auch praktisch relevant wird. Eine Beantwortung der Frage nach der "Angemessenheit" des medialen Diskurses unterstellt den Vergleich mit einer quasi außerdiskursiven sozialen Wirklichkeit und erscheint daher in diesem Zusammenhang nicht schlüssig.

Die diskursive Realität von Seuchendiskursen entfaltet sich zwischen den Polen "Angsterzeugung" – in den Worten medienkritischer Polemik: "Panikmache" – und "Beruhigung" – polemisch: "Abwiegelung". "Angsterzeugung" geschieht vor allem durch eine hohe Frequenz von Schreckensnachrichten und Bildern, die sich besonders negativer emotionaler Motive bedienen, wie beispielsweise die Darstellung von Not, Trauer, Verzweiflung, Angst einer großen Zahl von Betroffenen. Zugleich provozieren solche Nachrichten und Darstellungen immer auch Gegenentwürfe, die die Momente von "Beruhigung" aufweisen. Ein prototypisches Beispiel für solch einen Gegenentwurf besteht in dem Vorwurf, dass Medien das Katastrophale von Seuchen lediglich inszenieren, um medienwirksame Schlagzeilen zu produzieren. Dieser Vorwurf ist ein empirisch regelmäßig nachweisbarer und daher theoretisch offenbar konstitutiver Bestandteil von Seuchendiskursen, dem zugleich ein hier nicht näher zu beleuchtendes, aber doch deutliches Moment von Beruhigung, Einordnung und Relativierung anhaftet.

Keineswegs deckt sich dabei die diskursive Rolle beziehungsweise Wirkung von Äußerungen mit dem unmittelbaren Aussagegehalt. Mit dem Psychologen Eugene E. Levitt lässt sich sagen, dass sich das Gefühl der Angst hauptsächlich aus seiner Unreflektiertheit reproduziert. Das heißt umgekehrt, dass jedes – eben auch mediale – Thematisieren von Angst zumindest potenziell dazu geeignet ist, zu dieser Angst zunächst eine Distanz aufzubauen und idealiter zu überwinden. Anders ausgedrückt: Ein und dieselbe Äußerung kann im Diskurs beide entgegengesetzte Rollen der "Angsterzeugung" und "Beruhigung" übernehmen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Umfragen wider, die im Übrigen ebenfalls ein typischer Bestandteil moderner Seuchendiskurse sind: Umfragen, die es sich zum Anliegen machen, zu prüfen, ob die Ebola-Epidemie die deutsche Bevölkerung verunsichere, ergeben immer wieder, dass die Berichterstattung von der befragten Bevölkerung ambivalent wahrgenommen wird. Lediglich "die Hälfte der Deutschen hat Angst vor Ebola", lautet das Ergebnis verschiedener Befragungen. Eine eindeutige Wirkmächtigkeit der Medien in Richtung Angst oder gar Panik ist demnach empirisch nicht nachweisbar und von daher auch nicht theoretisch aufrechtzuerhalten.

Das Vorhaben, die Berichterstattung nach ihrer Angemessenheit zu beurteilen, erscheint auch aus einem weiteren Grund als problematisch: "Angemessenheit" beziehungsweise "Unangemessenheit" sind komparative Urteile. Sie halten die Thematisierung eines Gegenstandes gleichsam vor die Folie seiner "wirklichen" Beschaffenheit und stellen dann Übereinstimmung und/oder Nicht-Übereinstimmung fest. Nur: Wie können diejenigen, die diese Urteile treffen, sagen, was diese Wirklichkeit ist? Für die Mehrzahl der Menschen ist der Gegenstand "Seuche" überhaupt nicht anders wahrzunehmen als über seine massenmediale Vermittlung; und auch praktische Betroffenheit ist vor allem sozialer und damit wiederum diskursvermittelter Natur. Welche Eigenschaft das Ebolavirus besitzt, wie relevant es ist, ob eine weltweite Gefährdungslage überhaupt vorliegt und worin sie besteht – all dies ist für uns alle (abgesehen von der Minderheit der naturwissenschaftlichen Spezialisten) nicht anders zu erfahren als in der Wahrnehmung der medialen Aufbereitung dieses Themas.

Um solcher Schwierigkeiten wenigstens zum Teil Herr zu werden, werde ich erstens einen solchen von außen herangetragenen Maßstab fallen lassen und zweitens versuchen, den massenmedial vermittelten Diskurs als Diskurs zu untersuchen und nicht als bloße – "angemessene" oder "unangemessene" – Abbildung einer extradiskursiven Realität.

Bevor ich die einzelnen Diskurselemente an einigen Beispielen genauer darstelle, will ich kurz vorstellen, welche Grundannahmen und Texte den nachfolgenden Ausführungen zugrunde liegen. Die vorliegende Studie ist als Exploration konzipiert, sodass kein ausgearbeitetes Kategoriensystem existiert und das Grundgerüst für alle möglichen Erscheinungen in der Darstellung des Seuchengeschehens offen bleibt. Das Hauptaugenmerk liegt, wie bereits erwähnt, auf der medialen Darstellung von Ebola. Ich gehe der Frage nach, ob und wie sich die traditionsmächtige Struktur und Stabilität von Seuchendiskursen auch als Teil des Eboladiskurses auffinden und darstellen lässt. Das versuche ich, anhand der prominentesten Topoi darzulegen.

Die umfangreiche Berichterstattung zu den Ebola-Ereignissen erlebte im Herbst 2014 einen Boom. Daher werde ich Texte untersuchen, die im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 erschienen sind. Es handelt sich also nur um einen Diskursausschnitt; die Texte, die vor und nach diesem Zeitraum publiziert worden sind, habe ich zumindest auf kontextueller Ebene berücksichtigt. In meine Analyse habe ich Pressetexte aus den Print- und Online-Ausgaben regionaler und überregionaler Tageszeitungen, Wochenmagazinen und Zeitschriften sowie aus Nachrichtenportalen einbezogen. Insgesamt flossen 805 Artikel, Interviews und Kommentare ein; Kurzmeldungen, Dokumentationen und Reden wurden nur am Rande berücksichtigt, da sich dort keine wesentlich neuen Gesichtspunkte ergaben.

In den folgenden Abschnitten werden keine Profile der untersuchten Medien erstellt, sondern es wird der Gesamttenor in der Berichterstattung über Ebola im Herbst 2014 beschrieben.

Vom Superlativ zum Kollektivsubjekt

In den für diesen Beitrag untersuchten Medien herrscht Einigkeit, dass Ebola eine Gefahr nicht nur für (West-)Afrika, sondern für die ganze Welt bedeutet. Das Magazin "Der Spiegel" titelte am 22. September 2014: "Ebola – Die entfesselte Seuche" und berichtete über die "apokalyptischen Zustände" in Westafrika, die eine "Gefahr für den Weltfrieden" bedeuten. Für die Beurteilung des Seuchengeschehens als weltweite Gefahr wurde dabei immer wieder ein und derselbe Grund genannt: Die Ebolafieberepidemie, die 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern ausbrach, gilt nach der Zahl der erfassten Erkrankungen und Todesfälle als bisher größte ihrer Art. Die Äußerung der WHO, dass es sich bei diesem Ausbruch um den "größten Ausbruch aller Zeiten" handele, wird von zahlreichen Beiträgen zitiert. Die mediale Realität sui generis zeigt sich besonders in der argumentativen Funktion, die dieser Superlativ im Diskurs erhält.

Das in der Superlativform stehende Adjektiv "größte" bringt im Diskurs über die Ebola-Epidemie mehr zum Ausdruck als den bloßen quantitativen Vergleich verschiedener Ausbrüche. Bezeichnungen solcher Art sind Träger einer Implikation, die im Rahmen des Diskurses ihre spezifische Wirkung entfaltet. Mit der Superlativform "größte" wird das Ebolageschehen auf eine bisher neue Stufe gehoben. Diese neue Dimension ist es, die aus der Betroffenheit Westafrikas eine weltweite Betroffenheit macht – unabhängig davon, ob die Bevölkerungen außerhalb Westafrikas tatsächlich einer Ansteckungs- und Todesgefahr ausgesetzt sind. Epidemien stellen in Seuchendiskursen nie nur lokal verortbare Phänomene dar, sondern konstituieren immer auch zugleich ein weltweit existierendes, abstrakt betroffenes Kollektivsubjekt, das der Epidemie zwar nicht wirklich ausgesetzt, aber von ihr "bedroht" ist.

Konstitution von Ungewissheit

Gerade für die Plausibilität der diskursiv erzeugten "Bedrohungslage" ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil eines jeden Seuchendiskurses entscheidend: das Spannungsverhältnis Nichtwissen – Wissen – Ungewissheit. Hierbei handelt es sich nicht einfach nur um eine Feststellung, dass Wissenschaftler und Fachleute nicht vorhersehen können, ob und wie sich das Virus verbreitet oder ob und wann ein Impfstoff gegen Ebola entwickelt werden kann. Viele Fragen sind nicht einfach nur offen und müssen noch erforscht werden. Mit der herrschenden Thematisierung von Nichtwissen und Ungewissheit wird vielmehr das Bild einer "theoretischen Machtlosigkeit" in für uns wichtigen Fragen entworfen, mit der es irgendwie, womöglich dauerhaft, zu leben gelte und mit der ein Umgang gefunden werden müsse. "Die entscheidende Frage für uns ist doch: Kommt diese Epidemie überhaupt hierher? Darauf gibt es aber keine akuten Hinweise. (…) Man muss auch mit Ungewissheit umgehen können, also heuristisches Denken beherrschen. Wir wissen nicht, wie sich die Ebola-Seuche entwickeln wird."

Ein für mediale Seuchendiskurse typisches Phänomen besteht darin, den Gegenstand vor allem anhand der offenen Fragen zu thematisieren. Rein theoretisch wäre es ja möglich, all das zu thematisieren, was zumindest im engeren Zirkel der Epidemiologen als "sicheres Wissen" gilt. Es passiert jedoch genau das Umgekehrte: Den Rezipienten werden die Antworten auf die "wichtigsten Fragen" zu Ebola versprochen – und damit werden ihnen diese Fragen sozusagen erst in den Mund gelegt. Zu diesen gehören eben vor allem jene, auf die zum derzeitigen Zeitpunkt nur negative beziehungsweise relativierende Antworten gegeben werden können. Die Frage, ob es einen Impfstoff gebe, wird und muss verneint werden. Die andere "wichtigste" Frage, ob für Deutschland Gefahr bestehe, kann nur relativ verneint werden: "Unwahrscheinlich", aber "nicht unmöglich", heißt es in den Antworten.

Inszenierung verheerender Folgen und Zukunftsszenarien

Trotz vieler im Diskurs explizit gestellter und dennoch offener Fragen wird so etwas wie Gewissheit konstituiert – die wiederum oft eine negative ist. Ein häufig aufgegriffenes Element in Seuchendiskursen ist die Gewissheit über die Gefährlichkeit katastrophaler Zukunftsentwicklung. Prognosen werden erstellt, die ausgerechnet haben, wie viel Tausende durch eine Ansteckung zukünftig in Lebensgefahr sein könnten: "Die Ebola-Epidemie hat ungekannte Ausmaße erreicht. Wie wird sie sich weiterentwickeln? Was droht in den nächsten Monaten? (…) Zudem zeichnet die WHO ein düsteres Zukunftsszenario: Mittelfristig sei es möglich, dass Ebola in der Bevölkerung von Westafrika endemisch werde, also in der Region dauerhaft auftrete."

Ebenso wie solche "düsteren Zukunftsszenarien" finden sich im Diskurs Anspielungen auf fiktive Welten. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper beschreibt die massenkulturelle Grundierung der Erzählmuster, deren Bilder denen im Kino auffallend gleichen. So hat der Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen 1995 in seinem Film "Outbreak" eine Ebola-Epidemie verarbeitet. Ob tatsächlich bei allen, bei der Mehrheit oder auch nur bei einer relevanten Minderheit der Rezipienten die Erinnerung an solche fiktiven Welten präsent waren und sind, ist dabei für die diskursive Rolle, die solche Bilder spielen, unerheblich – solche "Anspielungen" funktionieren nämlich sehr oft auch in umgekehrter Richtung: Durch den Verweis auf diese Bilder werden diese unter Umständen erst zu dem gemeinsamen Bildervorrat, das heißt zu dem Reservoir "gemeinsamer Erinnerungen" an Zustände der Katastrophen- beziehungsweise Existenzangst, auf die sich der Diskurs dann wie auf eine von ihm getrennte, ihm vorgängige Sache beziehen kann. Wenn zum Beispiel allen Schilderungen des Seuchengeschehens das Prädikat "wie im Horrorfilm" hinzugefügt wird, muss der einzelne Rezipient noch nie einen Horrorfilm gesehen haben. Der Vergleich geht bei ihm in umgekehrter Richtung vonstatten, das heißt, er überträgt die Bilder des Seuchengeschehens auf seine Vorstellung von Horrorfilmen, über die er auf jeden Fall sicher und sich darin einig mit allen anderen weiß, dass die Kategorie "Horrorfilm" für das Äußerste an Grausamkeit steht. So schafft der Diskurs selbst die geteilten Voraussetzungen, Grundannahmen und kollektiven Bilder, auf die er anschließend Bezug nimmt, die er in den Zusammenhang mit dem aktuellen Seuchengeschehen bringt und entsprechend deutet: beispielsweise "so, wie es in Zukunft bei Ebola" aussehen könnte.

Inszenierung eines Kampfes gegen Ebola

Innerhalb der zitierten, aktualisierten und diskursiv kollektivierten Fiktionen und damit auch im medialen Diskurs selbst wird in aller Regel die Metaphorik des Krieges umfassend ausbuchstabiert: Erstes entscheidendes Moment ist die diskursive Moralisierung des Seuchenphänomens. Die bereits in zahlreichen Studien analysierte moralische Dimension der Seuche zeigt sich auch im Diskurs zur Ebola-Epidemie. Der (seuchen)medizinische Umgang mit dem Virus wird in zahlreichen Texten in den Kategorien von "Gut" und "Böse" beziehungsweise des Kampfes zwischen diesen beiden Seiten besprochen. Das oben bereits erwähnte globale Kollektivsubjekt werde durch das "gefährliche" Virus bedroht. Es befinde sich im "Abwehrkampf" gegen ein tödliches "Killervirus". Die "Unsichtbarkeit" des Virus und seine "Unberechenbarkeit" lassen sich, sofern als Feind gedacht, als Ergebnisse der Bösartigkeit und Böswilligkeit des Virus deuten. Alle Varianten einer teils kriminologischen und teils bellizistischen Sprache sowie deren Wort- und Bildervorrat aus der Welt des Verbrechens, des bewaffneten Kampfes bis hin zum Krieg unterstützen diese Vorstellung.

Die für den Diskurs konstitutive Angsterzeugung funktioniert hier mittels einer eindeutig martialischen Sprache, die die Rezipienten in ein bereits laufendes, in mehr oder weniger direkter Nähe zu ihm stattfindendes "Kriegsgeschehen" versetzt. Diese "Kriegsberichterstattung" ist per se nicht "neutral"; das Geschehen, so wie es gezeichnet wird, verlangt geradezu eine eindeutig parteiliche Sicht und ist ohne sie nicht zu denken. Die eigene Seite führt in aller Regel einen "Kampf", ist auf der "Jagd", mitunter eben auch im "Krieg". Der Gegenseite bleibt es vorbehalten, nicht einfach zu "töten", sondern sie "wütet", "rafft hin" und sorgt in ihrer Raserei für "verheerende Folgen". Dabei ist das Virus nicht nur moralisch böse, es ist in seiner Bösartigkeit auch maßlos: Es ist in der Lage "uns alle hinzuraffen", es ist schlicht ein "Massenmörder".

Zuschreibung von Angst und Panik

Geht man den eben angestellten Überlegungen weiter nach, so verwundert es nicht, dass sich die Journalisten in den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften einig sind, dass "die Bevölkerung" oder "die Öffentlichkeit" tatsächlich verängstigt sein müsse. In Seuchendiskursen allgemein wie auch im Diskurs zur Ebola-Epidemie findet seitens der Medien immer auch eine Zuschreibung in Richtung ihrer Adressaten statt. Diese werden als verängstigt charakterisiert, genauso wie dem Ebolavirus als quasi natürliche Eigenschaft zugesprochen wird, dass es Angst auslöse: "Noch ist die Seuche nicht in Deutschland angekommen. Doch ihr Vorbote ist schon da: die Angst." "Ebola-Angst: Amerika ist infiziert."

Die Angst vor einer weltweiten Seuchenausbreitung wird in medialen Seuchendiskursen aber nicht nur "entdeckt", "beschrieben" und "kommentiert", vollendet wird sie damit, dass sie erstens als "unbegründet" und zweitens selbst als der eigentliche Grund für Angst auftritt. Medien, so lässt sich an verschiedenen Beiträgen studieren, belassen es nicht dabei, der Bevölkerung Angst einfach zuzuschreiben, sondern sie thematisieren immer auch vermeintlich übertriebene, pathologische Formen der Angst vor der Seuche. So ist beispielsweise mit der Charakterisierung von Angst als "Panik" oder "Hysterie" nicht nur Angst vor dem Virus geboten, sondern mindestens in gleichem Maße auch Angst vor der Angst vor dem Virus. Die Angst vernebele den klaren Blick auf die Realität, so heißt es an vielen Stellen, genauso wie an anderer Stelle zu lesen ist, dass Angst die eigentlich schlimmste Seuche sei.

Relativierungsversuche

Seuchendiskurse hantieren mit dem Motiv vergessener Fakten, die dem Vergessen (wieder) entzogen werden müssten. Ein typisches Beispiel für solche Erinnerungsstrategien findet sich beispielsweise bei dem Psychologen Gerd Gigerenzer, der in einem Interview mit "Zeit online" die Frage "Was hat die Ebola-Seuche an sich, dass sie derlei unbegründete Angst auslöst?" folgendermaßen beantwortet hat: "Die Gefahr dabei ist, dass man die Ursachen aus dem Blick verliert, die uns viel wahrscheinlicher das Leben kosten; Rauchen zum Beispiel oder Motorradfahren. Aus Sicht der Risikoforschung ist zum Beispiel Lungenkrebs eine größere Bedrohung für die Menschen in Deutschland als eine Infektion mit Ebola."

Hier zeigt sich das Phänomen, dass der Diskurs selbst die Tendenz und die entsprechenden diskursiven Äußerungsformen hervorbringt, die der Angsterzeugung entgegenwirken. Die Angst wird auf diese Weise bereits mit der Fragestellung als unbegründet apostrophiert und im Prinzip zurückgewiesen. Der Vergleich mit anderen "Risiken" bringt zum Ausdruck, dass die Angst dem eigenen Wissen widerspreche und daher vor allem eine leicht abzustellende Gefühlslage sei. Die Gefahr eines bestimmten Schadens – so das Argument – könne allein schon deshalb niedriger eingestuft werden, weil es auch noch andere oder in ihrem Ausmaß größere Quellen von Gefahr gebe.

Darstellung des Ausbruchsortes und Seuchengeschehens

Moderne Seuchendiskurse räumen der Bebilderung und Ausschmückung des Ausbruchsortes sehr viel Platz ein. Sie konstituieren dabei eine Zweiteilung der Welt: der Ausbruchsort der Seuche auf der einen Seite, "wir" auf der anderen Seite. Im Falle von Ebola könnte sie lauten: "wir im Norden" versus "die im Süden". Integraler Bestandteil der Gefährlichkeit des Virus scheint seine fremde Herkunft zu sein. Sämtliche Angaben über den Ort des grausamen beziehungsweise gefährlichen Geschehens erfüllen die Funktion einer Verortung der Gefahr, des Gegners außerhalb des positiv konstituierten Kollektivs. Angesichts der geografischen Ausdehnung dieses Teilkontinents ist die Lokalbestimmung "(in) Westafrika" an und für sich als nähere, erläuternde Ausführung schlicht untauglich, vielmehr steht sie für den (bisher) großen Abstand zu "uns". Mit Äußerungen wie "Es ist kein Wunder, dass Ebola gerade in Westafrika solche verheerenden Folgen hat, dass ausgerechnet hier eine Epidemie wütet, wie es sie seit der Entdeckung des Virus Mitte der 1970er Jahre nicht gab" wird dem Subkontinent zugeschrieben, dass es kein natürlicher Zufall sein kann, dass "ausgerechnet" dort die Seuche ausgebrochen ist und sich verbreitet. Berichtet wird über fehlende medizinische Kapazitäten, Ärzte und monetäre Engpässe, die dafür sorgen, dass die Ebola-Epidemie nicht wie erhofft in den Griff zu bekommen ist. Stereotype Vorstellungen über Afrika werden bedient, das Geschehen und die Gefahr werden so in eine Fremde verlagert, die mit "uns" nichts zu tun hat: "Die Epidemie hat genau die Länder im Griff, die politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich besonders schwach sind. Jahrzehntelange strukturelle Armut, Unterentwicklung, fehlende Staatlichkeit, aber auch der Einfluss internationaler Interessen – all das sind Faktoren, die den Boden für diese Epidemie bereitet haben."

Mit diesen Aufzählungen findet gewissermaßen eine Vollendung der "Fremdheit" statt. Dies erfolgt dadurch, dass die Bedingungen vor Ort ausgemalt werden, die Entstehung und Ausbreitung der Seuche nicht nur begünstigen, sondern im Prinzip geradezu provozieren. All diese "Faktoren" legen die Schlussfolgerung nahe, dass dort ein Unheil ausbrechen musste. Umgekehrt scheint es nur schwer vorstellbar, dass "uns" etwas Ähnliches passieren könnte. Tatsächlich aber wirkt die geografische wie die politisch-gesellschaftliche Scheidelinie zwischen Europa und Westafrika gerade nicht als eine natürliche Ausbreitungsbarriere für Viren und ansteckende Krankheiten. Und auch diskursiv können alle Schilderungen von Fremdheit und Unzugänglichkeit jeden Moment in ihr Gegenteil umschlagen: Dann stehen all diese Eigenschaften für das unbekannte und gerade in seiner Unbekanntheit so bedrohliche Virus.

Moralische Dimension

In der medialen Berichterstattung über die Ebola-Epidemie kommt es zudem zu einer besonderen diskursiven Verschiebung innerhalb des Themas Seuche zum Topos weltweiter Humanität. Die im Diskurs omnipräsenten Titel "humanitäre Katastrophe", "menschliche Tragik" und "weltpolitisches Gewissen" transportieren ganz offensichtlich eine moralische Botschaft. Die in diesen Titeln stillschweigend vorausgesetzten Topoi, einerseits der Aufruf, endlich etwas oder noch mehr zu tun, andererseits Hilflosigkeit und Verzweiflung, wirken trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit: Die Perspektive ist nun die, dass nicht nur die Verantwortungsträger versagt haben, sondern die Menschheit überhaupt. Dieses Schuldmuster wird ergänzt durch "harte" und "realistische" Argumentationen. Die im Diskurs stets präsente Zahl von (erneuten und prognostizierten) Toten und Erkrankten verleiht dem Seuchengeschehen ebenso eine besondere moralische Dimension. Die gewaltigen Zahlen, die die schiere Masse der menschlichen Opfer kennzeichnen, plausibilisieren die besondere Tragik, die den Menschen in Westafrika, ja der Menschheit überhaupt widerfährt.

Zusammenfassung

Der mediale Diskurs zur Ebola-Epidemie ist nicht einfach das Abbild einer davon getrennt vorliegenden "Realität", sondern eine eigene Sphäre sui generis. Konstituiert wird ein allgemein betroffenes Kollektivsubjekt, das sich zwischen den Polen "Angsterzeugung" und "Angstbewältigung" bewegt. Topoi und Motive, die der "Angsterzeugung" zuzuordnen wären, bestehen in der omnipräsent thematisierten Ungewissheit bezüglich der Entwicklung des Seuchengeschehens, aber auch in der gleichzeitig vermittelten Gewissheit, dass im Fall der Fälle auch für "uns" Schäden ungeahnten Ausmaßes auftreten können. Inszeniert wird auf der einen Seite ein Kriegsgeschehen gegen die Ebola-Epidemie. Auf der anderen Seite wird gewarnt, übertriebene Angst, Panik und Hysterie seien völlig fehl am Platz. Die Bevölkerung solle sich bewusst werden, dass es auch andere, mindestens genauso verheerende Gefahren gebe und dass das Ebolavirus nicht "zufällig" in einer "uns" fernen und fremden Welt grassiere. Zugleich wird die Zweiteilung der Welt in "die" und "wir" wieder aufgehoben. Das Kollektivsubjekt des humanitären Verantwortungsträgers vereint beide Gefühlslagen: den Aufruf, gegen diese katastrophale Tragik etwas zu tun, und sich zugleich eingestehen zu müssen, auf humanitärer Ebene versagt zu haben.

Das Virus unterliegt einer zweifachen Transformation: Die naturwissenschaftliche Forschung macht aus einem Phänomen der belebten Natur ein in wissenschaftlichen Kategorien zu fassendes, mit den Mitteln der Naturwissenschaft zugängliches und in ihrer Sprache beschreibbares System von Gründen und Folgen, Mikro- und Makrostrukturen, Wechselwirkungen und Wahrscheinlichkeiten. Damit ist die Voraussetzung – aber eben auch nur die Voraussetzung – dafür geschaffen, dass in einer weiteren Transformation aus dem Gegenstand der in einem begrenzten Zirkel betriebenen Forschung ein gesellschaftlich relevanter Gegenstand wird, der es aufgrund seiner Beschaffenheit ermöglicht, Angst hervorzurufen, eine Gefahr darzustellen und so weiter. Diese zweite Transformation leisten die Medien. Sie sind der Ort der Entstehung dieses transformierten Virus und zugleich der Raum seiner diskursiven Zirkulation und fortwährenden Veränderung.

Dr. phil., geb. 1982; wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt "Denkstile als kommunikative Paradigmen – am Beispiel der Wirtschaftsberichterstattung in der DDR vor der Wende"; Germanistisches Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Luisenstraße 2, 06099 Halle/Saale. E-Mail Link: bettina.radeiski@germanistik.uni-halle.de