Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Globale Seuchenbekämpfung | Seuchen | bpb.de

Seuchen Editorial Seuchen – gestern, heute, morgen Infizierte Gesellschaften: Sozial- und Kulturgeschichte von Seuchen Globale Seuchenbekämpfung: Kooperation zwischen Ungleichen Von Ebola lernen: Was gegen künftige Epidemien getan werden muss Zu Struktur und Stabilität von medialen Seuchendiskursen

Globale Seuchenbekämpfung Kooperation zwischen Ungleichen

Tine Hanrieder

/ 14 Minuten zu lesen

Gesundheitssicherheit ist keineswegs ein globales öffentliches Gut, sondern sehr ungleich verteilt. Globale Seuchenkontrolle leidet unter notorischer Ressourcenknappheit, vor allem angesichts schwacher Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, und ist geprägt von Verteilungskonflikten zwischen armen und reichen Ländern.

Einem verbreiteten Ausspruch zufolge kenne Krankheit keine Grenzen. In der Tat: Ansteckungskrankheiten verbreiten sich in einer globalisierten Welt häufig sehr schnell über regionale Grenzen hinweg. Epidemien, also lokal begrenzte Ausbrüche, können mittels des internationalen Flugverkehrs schnell zu Pandemien werden, die mehrere Regionen oder Kontinente betreffen. Verheerende Seuchen wie beispielsweise die jüngste Ebola-Epidemie in Westafrika, die 2010 ausgebrochene Cholera-Epidemie in Haiti, und nicht zuletzt die seit den 1980er Jahren grassierende AIDS-Pandemie führen auf drastische Weise die schwerwiegenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Ansteckungskrankheiten vor Augen. Hinzu kommen Ängste vor gefährlichen neuen "Killerviren", etwa einer Mutation des Vogelgrippe-Erregers hin zu einer hochinfektiösen Seuche, die rasch zur weltweiten Gesundheitsbedrohung werden könnte.

Angesichts dieser weltweiten Seuchengefahr nimmt der Begriff der "Gesundheitssicherheit" mittlerweile einen zentralen Platz auf der internationalen Agenda ein. Bereits 2000 erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die AIDS-Pandemie zu einem globalen Sicherheitsproblem, und auch die westafrikanische Ebola-Epidemie deklarierte das Gremium im September 2014 zu einer Bedrohung für Sicherheit und Frieden. Die Dringlichkeit globaler Seuchenbekämpfung, die mit der Sicherheitsrhetorik zum Ausdruck gebracht wird, spiegelt sich auch in der institutionellen Landschaft der Global Health Governance wider. Eine große Anzahl internationaler Akteure ist mittlerweile im Gesundheitsbereich engagiert. Hierzu zählen internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Weltbank, Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Save the Children, private Stiftungen wie die Rockefeller Stiftung und die Bill & Melinda Gates Stiftung sowie eine Vielzahl öffentlich-privater Partnerschaften, etwa der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria und die Impfallianz Gavi. Der gestiegene Stellenwert globaler Gesundheitspolitik bildet sich auch finanziell ab. So sind die Entwicklungsgelder für Gesundheitspolitik allein zwischen 1990 und 2007 von 5,6 Milliarden auf 21,8 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Der höhere Stellenwert globaler Gesundheitspolitik kann jedoch nicht über die Grenzen globaler Seuchenkontrolle hinwegtäuschen. Gerade die westafrikanische Ebola-Epidemie hat aktuell wieder deutlich gemacht, dass Armutskrankheiten, die vor allem die Länder des Südens betreffen, bei der internationalen Seuchenbekämpfung nachrangig behandelt werden. Denn allen Beteuerungen zum Trotz ist Gesundheitssicherheit keineswegs ein globales öffentliches Gut, sondern sehr ungleich verteilt. Globale Seuchenkontrolle leidet unter notorischer Ressourcenknappheit, vor allem angesichts schwacher Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, und ist geprägt von Verteilungskonflikten zwischen armen und reichen Ländern.

Internationale Institutionen beheben diese Probleme nur zum Teil, wie ich im Folgenden darlegen werde. Ich werde dabei schlaglichtartig auf Politikinstrumente eingehen, die zur globalen Seuchenbekämpfung durch epidemiologische Überwachung, Forschungszusammenarbeit und Arzneimittelpolitik beitragen. Zunächst stelle ich das zentrale Rechtsinstrument für die Seuchenüberwachung und -kontrolle vor: die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), mithilfe derer die WHO auf Gesundheitsnotfälle wie beispielsweise Ebola reagiert. Daraufhin gehe ich besonders auf die aktuellen Reformvorhaben für die IGV ein, durch die Konsequenzen aus der Ebolakatastrophe gezogen werden sollen. Anschließend diskutiere ich für den Bereich Forschungskooperation das WHO-Grippe-Netzwerk und insbesondere den Streit um die Weitergabe von Proben des Vogelgrippevirus. Abschließend gehe ich auf die Bandbreite an Mechanismen ein, die den Zugang zu Arzneimitteln auch für arme Länder und Bevölkerungsgruppen verbessern sollen, bevor ich mit einem Plädoyer für ein breites und sektorenübergreifendes Verständnis globaler Gesundheitspolitik schließe.

Die IGV und das Ende staatlicher Zensur

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Sorge um Gesundheitssicherheit konkurriert seit jeher mit anderen politischen und ökonomischen Motiven. So bezweckten erste Vereinbarungen zur internationalen Seuchenbekämpfung gerade nicht die Maximierung der Gesundheitssicherheit. Vielmehr ging es auf den sogenannten Internationalen Sanitärkonferenzen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darum, den Einsatz von Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel Quarantänen auf das Notwendigste zu begrenzen. Denn gerade See- und Handelsmächte, allen voran Großbritannien, waren an einem reibungslosen Verkehr von Personen und Waren interessiert, der nicht durch überzogene Sicherheitsvorkehrungen anderer Länder behindert werden sollte.

Die Sorge um wirtschaftsverträgliche Maßnahmen bei der Seuchenbekämpfung schlug sich auch in den IGV nieder, die aus den Internationalen Sanitären Regulierungen hervorgingen. Die Betreuung und Umsetzung der IGV obliegt seit ihrer Gründung 1946 der Weltgesundheitsorganisation. Als Sonderorganisation für Gesundheit der Vereinten Nationen mit derzeit 194 Mitgliedsstaaten ist die WHO die zentrale Koordinationsinstanz internationaler Gesundheitspolitik, auch und gerade bei der Seuchenbekämpfung. Zwar verfügt die WHO selbst über keine Einsatzkräfte, um in betroffenen Ländern Hilfe zu leisten, doch soll sie im Krisenfall Hilfseinsätze vernetzen und verlässliche Informationen über akute Bedrohungen und geeignete Gegenmaßnahmen zur Verfügung stellen.

Die IGV fungieren als rechtliche Grundlage der WHO-Krisenpolitik. Die Reichweite dieses Instruments war bis vor zehn Jahren freilich deutlich begrenzt. Sie galten nur für einige wenige "quarantänefähige" Krankheiten wie Gelbfieber, Cholera oder Pocken und legten detailliert fest, welche Schutzvorkehrungen die WHO im Ernstfall empfehlen durfte. Doch nicht einmal diese Vorschriften wurden konsequent umgesetzt. Staaten hatten sich das Recht vorbehalten, Ausbrüche von Infektionskrankheiten an die WHO zu melden beziehungsweise Hilfe anzufordern. Ohne offizielle Anfrage staatlicherseits war die WHO zur Untätigkeit verdammt. Sie mochte durch nichtstaatliche Kanäle von drastischen Cholera-Ausbrüchen erfahren, doch wenn die betroffenen Länder sich um ihr Prestige, um Reise- oder Warenströme sorgten und offiziell nichts meldeten, musste auch die WHO schweigen und sich dem souveränen Veto fügen.

Zweierlei Trends sorgten jedoch ab den 1990er Jahren dafür, dass die IGV und damit auch die WHO deutlich gestärkt wurden. Zum einen war dies die oben erwähnte Angst vor Pandemien in einer sich globalisierenden Welt. Die Wiederkehr besiegt geglaubter Krankheiten – etwa eine Pestepidemie in der indischen Stadt Surat 1994 oder die Rückkehr der Cholera nach Lateinamerika 1991, zehn Jahre nach ihrer vermeintlichen Ausrottung – sowie neue Krankheiten wie Ebola oder AIDS stärkten das Bedürfnis nach effektiver Seuchenkontrolle. Ein zweiter wichtiger Trend war die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Denn während die Reform der IGV zunächst stockte, begann die WHO bereits, "informelle" Quellen systematisch zu nutzen, und zwar nicht nur Medienberichte: Es entstanden weltweit neue Informationssysteme wie das 1993 gegründete Program for Monitoring Emerging Diseases (ProMED), das von Gesundheitsfachleuten betrieben wurde, oder das Global Public Health Intelligence Network (GPHIN), das die kanadische Regierung 1997 mit tatkräftiger Unterstützung des WHO-Sekretariats gründete. Diese Quellen erlaubten es der WHO, auch ohne staatliche Mithilfe Krankheitstrends zu beobachten und Informationen schnell zu verarbeiten. Über ihr neues Global Outbreak Alert and Response Network (GOARN) sammelte und vernetzte die WHO fortan Informationen aus aller Welt, in Zusammenarbeit mit nationalen Forschungseinrichtungen, anderen internationalen Organisationen und nichtstaatlichen Akteuren.

GOARN operierte zunächst ohne formales Mandat, doch durchaus mit dem Wohlwollen der WHO-Mitgliedsstaaten. Denn wo Informationen über Krankheitsausbrüche sich ohnehin "viral" ausbreiten, kann die WHO als glaubwürdige Informationsinstanz Gerüchten entgegentreten und – so die Hoffnung – verlässliche Einschätzungen und Empfehlungen aussprechen. Spätestens mit der schnellen und erfolgreichen Eindämmung der bis dahin unbekannten Lungenkrankheit SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) 2002 und 2003 erfüllte GOARN solche Erwartungen und erfuhr weltweite Anerkennung. SARS gilt als Musterfall einer raschen Eindämmung durch schnelle Vernetzung und Informationsaustausch zwischen Laboren in verschiedenen Ländern. Ebenso war die SARS-Krise insofern ein Novum, als WHO-Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland eigenmächtig Staaten wie China für ihre Vertuschung der Krise rügte und Reisewarnungen gegen betroffene Länder wie China und Kanada aussprach. Diese Kompetenzanmaßung haben die Mitgliedsstaaten der WHO jedoch im Nachhinein gebilligt und durch die umfassende Neugestaltung der IGV auch rechtlich abgesichert.

Unter den 2005 verabschiedeten "neuen" IGV, die seit 2007 in Kraft sind, genießt die WHO für alle potenziellen Gesundheitsbedrohungen – vom Krankheitsausbruch bis hin zum Chemieunfall – große Entscheidungsfreiheiten. Die WHO-Generaldirektorin kann unter den neuen IGV auch ohne staatliche Erlaubnis globale Gesundheitsbedrohungen – egal welcher Art – zu internationalen Gesundheitsnotfällen (Public Health Emergencies of International Concern, PHEIC) erklären und zeitlich befristete Empfehlungen für geeignete Kontrollmaßnahmen aussprechen. Diese Empfehlungen sind zwar nicht rechtlich bindend, können aber durchaus wirkmächtig sein. Man denke an den ersten PHEIC der WHO, die Schweinegrippe von 2009: Hier hat die (später umstrittene) Pandemie-Erklärung der WHO zahlreiche Staaten zum Hamsterkauf von Impfstoffen und antiviralen Arzneien bewegt.

Grenzen der neuen IGV

Weniger schlagkräftig erwiesen sich die neuen IGV indes bei den anderen beiden Notstandswarnungen, die die WHO seither ausgesprochen hat: im Frühjahr 2014 angesichts der Rückschritte bei der Polio-Ausrottung und im August 2014 angesichts der westafrikanischen Ebola-Epidemie. Insbesondere Letztere zeigt die Grenzen der IGV deutlich auf. Denn erstens können Informationen über Ausbrüche nur verwertet werden, wo sie auch vorliegen. Dies erfordert Diagnosemittel und Fachpersonal. Gerade arme Staaten können jedoch die – ebenfalls in den IGV verankerten – Vorgaben zur Seuchenüberwachung gar nicht umsetzen, besonders wenn es sich um Ausbrüche in entlegenen Regionen handelt. Die IGV verlangen zwar von allen Staaten die Einrichtung von Kontrollpunkten und WHO-Kontaktstellen, doch bis Anfang 2015 hatten lediglich 64 Mitgliedsstaaten die geforderten Kernkapazitäten zur Seuchenüberwachung aufgebaut.

Zweitens müssen relevante Informationen innerhalb der WHO weitergegeben werden. Altbekannte Schwächen der Organisation – ihre unzureichende Finanz- und Personalausstattung sowie Kommunikationsprobleme zwischen den Länderbüros, Regionalorganisationen und der Genfer Zentrale – standen dem zu Beginn der Ebolakrise im Wege und haben so die Reaktion zusätzlich verzögert. Und drittens bedarf es für die Bekämpfung von Gesundheitsnotfällen erheblicher Ressourcen wie Personal oder medizinische Ausrüstung, über die gerade Entwicklungsländer nicht verfügen. Als Reaktion auf das Versagen beim Umgang mit Ebola hat der Exekutivrat der WHO im Januar 2015 eine Reihe von Reformen vorgeschlagen, die diese Schwächen beheben sollen. Zum einen soll die WHO-interne Kommunikation verbessert werden. Ferner sollen die IGV mit einem Krisenfonds (im Gespräch sind 100 Millionen US-Dollar) und einem Personalpool für Gesundheitskrisen flankiert werden. Diese Reformen wird die Weltgesundheitsversammlung, die jährliche Mitgliedsstaatenversammlung der WHO, voraussichtlich im Mai 2015 beschließen. Sie mögen erste Anlaufschwierigkeiten bei der internationalen Hilfe überbrücken, werden jedoch kaum ausreichen, um auch armen Ländern einen Mindestschutz vor akuten Gesundheitskrisen zu bieten.

Influenzaforschung: Wem gehören die Grippeviren?

Die ungleiche Teilhabe an globaler Gesundheitssicherheit zeigt sich auch bei einem weiteren wichtigen Instrument der internationalen Zusammenarbeit, dem WHO-Netzwerk zur Influenzaüberwachung (seit 2011 Globales Influenza Überwachungs- und Reaktionssystem, GISRS). Dieses existiert bereits seit 1952. Es koordiniert die Arbeit von über hundert nationalen Instituten, die Informationen über den Verlauf der saisonalen Grippe und anderer Grippe-Arten teilen und auswerten. Denn Grippeviren wandeln sich permanent, sodass sich auch die Impfstoffentwicklung stets den neuesten Mutationen anzupassen versucht. Auf die Arbeit dieses Netzwerks gestützt, formuliert die WHO jeweils Empfehlungen für geeignete Impfpräparate.

Gerade angesichts der Angst vor einer hochinfektiösen Mutation der Vogelgrippe ist das GISRS wieder in den Mittelpunkt der internationalen Gesundheitszusammenarbeit gerückt. Verteilungskonflikte um den Zugang zu Virenproben und Medikamenten führten dabei zu einer Weiterentwicklung der Kooperationsregeln, die gewährleisten sollen, dass auch arme Länder an den Erträgen der Zusammenarbeit teilhaben. Auslöser der Kontroverse war die Ankündigung Indonesiens im Dezember 2006, künftig keine Virenproben mehr über das GISRS-Netzwerk zu teilen. Dies war insofern ein Schock, als die Vogelgrippe in dem Inselstaat besonders virulent war. Der Zugang zu Proben von Viren, die aktuell in Indonesien zirkulierten, war entscheidend für die Überwachung des Erregers und vor allem für die Erforschung neuer Impfstoffe durch die GISRS-Partner. Indonesien begründete seinen Schritt damit, dass es von den Forschungsergebnissen – Publikationen, aber auch Arzneimitteln – ausgeschlossen wurde. Impfstoffe wurden andernorts produziert und teils auch patentiert, sodass sie zuletzt für die indonesische Regierung selbst unerschwinglich wurden. Das Problem verschärfte sich dadurch, dass westliche Staaten, obwohl weit weniger bedroht, sich durch Hamsterkäufe mit Arzneimitteln eindeckten, was deren Preis zusätzlich in die Höhe trieb.

Trotz aller Appelle an seine Verantwortung für die globale Gesundheitssicherheit beharrte das Land auf seiner "viralen Souveränität" und betrachtete Viren als natürliche Ressource im Sinne der Biodiversitätskonvention – sprich: als nationales Eigentum. Zudem unterstützten Entwicklungsländer und die Bewegung der Blockfreien Staaten das Land. Daher wurde in den folgenden vier Jahren die Nutzenverteilung aus der Forschungskooperation im WHO-Netzwerk neu verhandelt. Das Ergebnis waren 2011 zwei neue Vorlagen für sogenannte Material-Transfer-Vereinbarungen für das Teilen von biologischem Material. Die erste Standardvereinbarung bezieht sich auf die Weitergabe an Partner des WHO-Netzwerks. Sie fordert etwa eine angemessene Beteiligung der Forschungslabore in den Herkunftsländern und verbietet die Patentierung von Forschungsergebnissen. Die zweite Standardvereinbarung gilt für die Zusammenarbeit mit externen Parteien. Externe Nutznießer müssen nun aus einer Liste möglicher Gegenleistungen für erhaltene Virenproben auswählen. Die Gegenleistung kann beispielsweise in Technologietransfers oder Arzneimittelspenden an Entwicklungsländer oder in der Abgabe von zehn Prozent der entwickelten Arzneimittel an die WHO bestehen. Mit diesem Konsens einer marginalen Umverteilung der Kooperationsfrüchte wurde die Ungleichheit beim Zugang zu Gesundheitssicherheit zwar nicht behoben. Doch der akute Konflikt um die Pandemiebereitschaft konnte so befriedet werden. Freilich ist der Streit um Grippe-Arzneien nur ein kleiner Bereich des weit größeren Problemfeldes "Zugang zu Medikamenten".

Ungleicher Zugang zu Medikamenten

Die medizinische Behandlung ist ein wesentliches Element der Seuchenbekämpfung. Viele Infektionskrankheiten können geheilt (Tuberkulose) oder wenigstens gelindert (AIDS) werden. Gegen andere, etwa Kinderlähmung, gibt es wirksame Impfstoffe. Die Entwicklung von Arzneimitteln ist freilich kostspielig und wird den Herstellern mit teils sehr hohen Preisen und Patentrechten entgolten, das heißt, sie ist überwiegend an den Bedürfnissen zahlungskräftiger Kundschaft orientiert. Um trotz dieser Hürden auch Entwicklungsländern und armen Bevölkerungsschichten Zugang zu Arzneimitteln zu gewährleisten, gibt es eine Bandbreite internationaler Politikinstrumente.

Auf der einen Seite sind hier diejenigen Maßnahmen zu nennen, mithilfe derer Entwicklungsländern der Zugang zu bereits vorhandenen Arzneimitteln erleichtert werden soll. Eine wichtige Komponente sind hier Gesundheitsklauseln im internationalen Handelsrecht, das heißt zuvorderst die Doha-Erklärung und ihre Nachfolgevereinbarungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Denn die 1995 gegründete WTO sieht mit dem sogenannten TRIPS-Abkommen über intellektuelles Eigentum eigentlich eine strikte Durchsetzung von Patentrechten in den WTO-Mitgliedsländern vor. Doch mit der Doha-Erklärung wurde 2001 klargestellt, dass Ausnahmen vom Patentschutz da zulässig sind, wo die öffentliche Gesundheit auf dem Spiel steht. Sprich: Regierungen dürfen bestimmte Patente auf Medikamente aufheben und sogenannte Zwangslizenzen an Produzenten erteilen, die die entsprechende Arznei kostengünstiger herstellen und vertreiben können. 2003 wurde zudem bekräftigt, dass diese Ausnahmeregel nicht nur für die nationale Produktion dringend benötigter Arzneimittel gilt, sondern auch für den Export in Entwicklungsländer, die keine heimischen Produktionskapazitäten haben.

Die Anwendung dieser "Flexibilitäten" beim Patentschutz ist notorisch umstritten. Dies gilt auch für die zahlreichen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, die in den vergangenen Jahren zusätzlich zu den WTO-Verträgen abgeschlossen wurden und die bei Fragen intellektuellen Eigentums häufig über TRIPS hinausgehen. Hier steht bei jedem Vertrag die Frage des Zugangs zu Medikamenten erneut auf dem Spiel. Beispiele sind die aktuellen Verhandlungen über das transpazifische Partnerschaftsabkommen zwischen den USA und elf pazifischen Staaten oder die Gespräche zwischen der neuen indischen und der US-Regierung über den Schutz intellektuellen Eigentums.

Neben staatlich verfügten Ausnahmen vom Patentschutz für Gesundheitsbelange gibt es indes auch freiwillige Mechanismen, über die Unternehmen Patentrechte abtreten und Lizenzen zum Nachbau ihrer Arzneimittel zur Verfügung stellen. Teils geschieht dies schlicht bilateral, zu Bedingungen, die Konzerne mit Generikaherstellern aushandeln. Als Beispiel für ein multilaterales Instrument mag hier der Medicines Patent Pool fungieren, der 2010 im Rahmen der 2006 gegründeten Organisation UNITAID ins Leben gerufen wurde und sich auf den Erwerb von Medikamenten gegen HIV/AIDS konzentriert. UNITAID handelt dabei in einem ersten Schritt besondere Lizenzvereinbarungen mit Patentinhabern aus und sucht die Medikamente dann durch wettbewerbliche Ausschreibung kostengünstig herstellen zu lassen. Für die Verteilung der Arzneimittel arbeitet UNITAID mit anderen Akteuren wie dem Globalen Fonds für AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammen.

Andere Mechanismen konzentrieren sich hingegen auf die Entwicklung neuer Medikamente. Denn für viele weit verbreitete Krankheiten werden Medikamente mangels Marktanreizen gar nicht erst produziert. Dies sind die "vernachlässigten" oder "Tropenkrankheiten", in die Entwickler und Hersteller ohne gesonderte Förderung gar nicht erst investieren würden. Die Weltgesundheitsorganisation listet allein 17 vernachlässigte Krankheiten, die 149 Länder und mehr als 1,4 Milliarden Menschen betreffen, etwa das Denguefieber oder die Flussblindheit. Um bei ihrer Behandlung oder auch Vermeidung Fortschritte zu machen, existieren ebenfalls eine Vielzahl von Initiativen. Zu ihnen zählen das Forschungs- und Ausbildungsprogramm in Tropenkrankheiten TDR, das die WHO mit weiteren Organisationen der Vereinten Nationen seit 1974 betreibt, Stiftungen wie die Drugs for Neglected Diseases Initiative oder öffentlich-private Partnerschaften wie die Medicines for Malaria Venture (beide 1999 gegründet).

Gesundheit in allen Politikbereichen

Initiativen wie den oben genannten gelingt es immer wieder, Heilungschancen zu verbessern oder lebensverlängernde Medikamente breiter zugänglich zu machen. Daneben existieren zahlreiche weitere Initiativen, etwa die Impfallianz Gavi, die 2002 mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Stiftung gegründet wurde. Dennoch fangen die Instrumente die globale Ungleichheit im Zugang zu Gesundheitssicherheit nur sehr begrenzt auf. An der globalen Wirtschaftsordnung und den ungleichen Lebensverhältnissen, die Gesundheitschancen und damit die Verwundbarkeit gegenüber Seuchen zuvorderst bestimmen, ändern sie nur wenig. Dies belegen beispielsweise Statistiken über die stark divergierenden Lebenserwartungen und das unterschiedliche Krankheitsaufkommen in armen und reichen Ländern. Es bleibt also zu betonen, dass Global Health Governance breit verstanden werden muss. Gesundheit wird in allen Politikbereichen gestaltet – von der Agrar- bis zur Bildungspolitik. Ohne ausreichende Ernährung, Bildung und sanitäre Standards bleiben die Mechanismen zur globalen Pandemiebekämpfung ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dr. rer. pol., geb. 1980; wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Global Governance, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin. E-Mail Link: tine.hanrieder@wzb.eu