Einem verbreiteten Ausspruch zufolge kenne Krankheit keine Grenzen. In der Tat: Ansteckungskrankheiten verbreiten sich in einer globalisierten Welt häufig sehr schnell über regionale Grenzen hinweg. Epidemien, also lokal begrenzte Ausbrüche, können mittels des internationalen Flugverkehrs schnell zu Pandemien werden, die mehrere Regionen oder Kontinente betreffen. Verheerende Seuchen wie beispielsweise die jüngste Ebola-Epidemie in Westafrika, die 2010 ausgebrochene Cholera-Epidemie in Haiti, und nicht zuletzt die seit den 1980er Jahren grassierende AIDS-Pandemie führen auf drastische Weise die schwerwiegenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Ansteckungskrankheiten vor Augen.
Angesichts dieser weltweiten Seuchengefahr nimmt der Begriff der "Gesundheitssicherheit" mittlerweile einen zentralen Platz auf der internationalen Agenda ein. Bereits 2000 erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die AIDS-Pandemie zu einem globalen Sicherheitsproblem, und auch die westafrikanische Ebola-Epidemie deklarierte das Gremium im September 2014 zu einer Bedrohung für Sicherheit und Frieden.
Der höhere Stellenwert globaler Gesundheitspolitik kann jedoch nicht über die Grenzen globaler Seuchenkontrolle hinwegtäuschen. Gerade die westafrikanische Ebola-Epidemie hat aktuell wieder deutlich gemacht, dass Armutskrankheiten, die vor allem die Länder des Südens betreffen, bei der internationalen Seuchenbekämpfung nachrangig behandelt werden. Denn allen Beteuerungen zum Trotz ist Gesundheitssicherheit keineswegs ein globales öffentliches Gut, sondern sehr ungleich verteilt. Globale Seuchenkontrolle leidet unter notorischer Ressourcenknappheit, vor allem angesichts schwacher Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, und ist geprägt von Verteilungskonflikten zwischen armen und reichen Ländern.
Internationale Institutionen beheben diese Probleme nur zum Teil, wie ich im Folgenden darlegen werde. Ich werde dabei schlaglichtartig auf Politikinstrumente eingehen, die zur globalen Seuchenbekämpfung durch epidemiologische Überwachung, Forschungszusammenarbeit und Arzneimittelpolitik beitragen. Zunächst stelle ich das zentrale Rechtsinstrument für die Seuchenüberwachung und -kontrolle vor: die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), mithilfe derer die WHO auf Gesundheitsnotfälle wie beispielsweise Ebola reagiert. Daraufhin gehe ich besonders auf die aktuellen Reformvorhaben für die IGV ein, durch die Konsequenzen aus der Ebolakatastrophe gezogen werden sollen. Anschließend diskutiere ich für den Bereich Forschungskooperation das WHO-Grippe-Netzwerk und insbesondere den Streit um die Weitergabe von Proben des Vogelgrippevirus. Abschließend gehe ich auf die Bandbreite an Mechanismen ein, die den Zugang zu Arzneimitteln auch für arme Länder und Bevölkerungsgruppen verbessern sollen, bevor ich mit einem Plädoyer für ein breites und sektorenübergreifendes Verständnis globaler Gesundheitspolitik schließe.
Die IGV und das Ende staatlicher Zensur
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Sorge um Gesundheitssicherheit konkurriert seit jeher mit anderen politischen und ökonomischen Motiven.
Die Sorge um wirtschaftsverträgliche Maßnahmen bei der Seuchenbekämpfung schlug sich auch in den IGV nieder, die aus den Internationalen Sanitären Regulierungen hervorgingen. Die Betreuung und Umsetzung der IGV obliegt seit ihrer Gründung 1946 der Weltgesundheitsorganisation. Als Sonderorganisation für Gesundheit der Vereinten Nationen mit derzeit 194 Mitgliedsstaaten
Die IGV fungieren als rechtliche Grundlage der WHO-Krisenpolitik. Die Reichweite dieses Instruments war bis vor zehn Jahren freilich deutlich begrenzt. Sie galten nur für einige wenige "quarantänefähige" Krankheiten wie Gelbfieber, Cholera oder Pocken und legten detailliert fest, welche Schutzvorkehrungen die WHO im Ernstfall empfehlen durfte. Doch nicht einmal diese Vorschriften wurden konsequent umgesetzt. Staaten hatten sich das Recht vorbehalten, Ausbrüche von Infektionskrankheiten an die WHO zu melden beziehungsweise Hilfe anzufordern. Ohne offizielle Anfrage staatlicherseits war die WHO zur Untätigkeit verdammt. Sie mochte durch nichtstaatliche Kanäle von drastischen Cholera-Ausbrüchen erfahren, doch wenn die betroffenen Länder sich um ihr Prestige, um Reise- oder Warenströme sorgten und offiziell nichts meldeten, musste auch die WHO schweigen und sich dem souveränen Veto fügen.
Zweierlei Trends sorgten jedoch ab den 1990er Jahren dafür, dass die IGV und damit auch die WHO deutlich gestärkt wurden. Zum einen war dies die oben erwähnte Angst vor Pandemien in einer sich globalisierenden Welt. Die Wiederkehr besiegt geglaubter Krankheiten – etwa eine Pestepidemie in der indischen Stadt Surat 1994 oder die Rückkehr der Cholera nach Lateinamerika 1991, zehn Jahre nach ihrer vermeintlichen Ausrottung – sowie neue Krankheiten wie Ebola oder AIDS stärkten das Bedürfnis nach effektiver Seuchenkontrolle.
GOARN operierte zunächst ohne formales Mandat, doch durchaus mit dem Wohlwollen der WHO-Mitgliedsstaaten. Denn wo Informationen über Krankheitsausbrüche sich ohnehin "viral" ausbreiten, kann die WHO als glaubwürdige Informationsinstanz Gerüchten entgegentreten und – so die Hoffnung – verlässliche Einschätzungen und Empfehlungen aussprechen. Spätestens mit der schnellen und erfolgreichen Eindämmung der bis dahin unbekannten Lungenkrankheit SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) 2002 und 2003 erfüllte GOARN solche Erwartungen und erfuhr weltweite Anerkennung. SARS gilt als Musterfall einer raschen Eindämmung durch schnelle Vernetzung und Informationsaustausch zwischen Laboren in verschiedenen Ländern. Ebenso war die SARS-Krise insofern ein Novum, als WHO-Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland eigenmächtig Staaten wie China für ihre Vertuschung der Krise rügte und Reisewarnungen gegen betroffene Länder wie China und Kanada aussprach. Diese Kompetenzanmaßung haben die Mitgliedsstaaten der WHO jedoch im Nachhinein gebilligt und durch die umfassende Neugestaltung der IGV auch rechtlich abgesichert.
Unter den 2005 verabschiedeten "neuen" IGV, die seit 2007 in Kraft sind, genießt die WHO für alle potenziellen Gesundheitsbedrohungen – vom Krankheitsausbruch bis hin zum Chemieunfall – große Entscheidungsfreiheiten. Die WHO-Generaldirektorin kann unter den neuen IGV auch ohne staatliche Erlaubnis globale Gesundheitsbedrohungen – egal welcher Art – zu internationalen Gesundheitsnotfällen (Public Health Emergencies of International Concern, PHEIC) erklären und zeitlich befristete Empfehlungen für geeignete Kontrollmaßnahmen aussprechen. Diese Empfehlungen sind zwar nicht rechtlich bindend, können aber durchaus wirkmächtig sein. Man denke an den ersten PHEIC der WHO, die Schweinegrippe von 2009: Hier hat die (später umstrittene) Pandemie-Erklärung der WHO zahlreiche Staaten zum Hamsterkauf von Impfstoffen und antiviralen Arzneien bewegt.
Grenzen der neuen IGV
Weniger schlagkräftig erwiesen sich die neuen IGV indes bei den anderen beiden Notstandswarnungen, die die WHO seither ausgesprochen hat: im Frühjahr 2014 angesichts der Rückschritte bei der Polio-Ausrottung und im August 2014 angesichts der westafrikanischen Ebola-Epidemie. Insbesondere Letztere zeigt die Grenzen der IGV deutlich auf.
Zweitens müssen relevante Informationen innerhalb der WHO weitergegeben werden. Altbekannte Schwächen der Organisation – ihre unzureichende Finanz- und Personalausstattung sowie Kommunikationsprobleme zwischen den Länderbüros, Regionalorganisationen und der Genfer Zentrale – standen dem zu Beginn der Ebolakrise im Wege und haben so die Reaktion zusätzlich verzögert.
Influenzaforschung: Wem gehören die Grippeviren?
Die ungleiche Teilhabe an globaler Gesundheitssicherheit zeigt sich auch bei einem weiteren wichtigen Instrument der internationalen Zusammenarbeit, dem WHO-Netzwerk zur Influenzaüberwachung (seit 2011 Globales Influenza Überwachungs- und Reaktionssystem, GISRS). Dieses existiert bereits seit 1952. Es koordiniert die Arbeit von über hundert nationalen Instituten, die Informationen über den Verlauf der saisonalen Grippe und anderer Grippe-Arten teilen und auswerten. Denn Grippeviren wandeln sich permanent, sodass sich auch die Impfstoffentwicklung stets den neuesten Mutationen anzupassen versucht. Auf die Arbeit dieses Netzwerks gestützt, formuliert die WHO jeweils Empfehlungen für geeignete Impfpräparate.
Gerade angesichts der Angst vor einer hochinfektiösen Mutation der Vogelgrippe ist das GISRS wieder in den Mittelpunkt der internationalen Gesundheitszusammenarbeit gerückt. Verteilungskonflikte um den Zugang zu Virenproben und Medikamenten führten dabei zu einer Weiterentwicklung der Kooperationsregeln, die gewährleisten sollen, dass auch arme Länder an den Erträgen der Zusammenarbeit teilhaben. Auslöser der Kontroverse war die Ankündigung Indonesiens im Dezember 2006, künftig keine Virenproben mehr über das GISRS-Netzwerk zu teilen. Dies war insofern ein Schock, als die Vogelgrippe in dem Inselstaat besonders virulent war. Der Zugang zu Proben von Viren, die aktuell in Indonesien zirkulierten, war entscheidend für die Überwachung des Erregers und vor allem für die Erforschung neuer Impfstoffe durch die GISRS-Partner.
Trotz aller Appelle an seine Verantwortung für die globale Gesundheitssicherheit beharrte das Land auf seiner "viralen Souveränität" und betrachtete Viren als natürliche Ressource im Sinne der Biodiversitätskonvention – sprich: als nationales Eigentum. Zudem unterstützten Entwicklungsländer und die Bewegung der Blockfreien Staaten das Land. Daher wurde in den folgenden vier Jahren die Nutzenverteilung aus der Forschungskooperation im WHO-Netzwerk neu verhandelt. Das Ergebnis waren 2011 zwei neue Vorlagen für sogenannte Material-Transfer-Vereinbarungen für das Teilen von biologischem Material. Die erste Standardvereinbarung bezieht sich auf die Weitergabe an Partner des WHO-Netzwerks. Sie fordert etwa eine angemessene Beteiligung der Forschungslabore in den Herkunftsländern und verbietet die Patentierung von Forschungsergebnissen. Die zweite Standardvereinbarung gilt für die Zusammenarbeit mit externen Parteien. Externe Nutznießer müssen nun aus einer Liste möglicher Gegenleistungen für erhaltene Virenproben auswählen. Die Gegenleistung kann beispielsweise in Technologietransfers oder Arzneimittelspenden an Entwicklungsländer oder in der Abgabe von zehn Prozent der entwickelten Arzneimittel an die WHO bestehen.
Ungleicher Zugang zu Medikamenten
Die medizinische Behandlung ist ein wesentliches Element der Seuchenbekämpfung. Viele Infektionskrankheiten können geheilt (Tuberkulose) oder wenigstens gelindert (AIDS) werden. Gegen andere, etwa Kinderlähmung, gibt es wirksame Impfstoffe. Die Entwicklung von Arzneimitteln ist freilich kostspielig und wird den Herstellern mit teils sehr hohen Preisen und Patentrechten entgolten, das heißt, sie ist überwiegend an den Bedürfnissen zahlungskräftiger Kundschaft orientiert. Um trotz dieser Hürden auch Entwicklungsländern und armen Bevölkerungsschichten Zugang zu Arzneimitteln zu gewährleisten, gibt es eine Bandbreite internationaler Politikinstrumente.
Auf der einen Seite sind hier diejenigen Maßnahmen zu nennen, mithilfe derer Entwicklungsländern der Zugang zu bereits vorhandenen Arzneimitteln erleichtert werden soll. Eine wichtige Komponente sind hier Gesundheitsklauseln im internationalen Handelsrecht, das heißt zuvorderst die Doha-Erklärung und ihre Nachfolgevereinbarungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Denn die 1995 gegründete WTO sieht mit dem sogenannten TRIPS-Abkommen
Die Anwendung dieser "Flexibilitäten" beim Patentschutz ist notorisch umstritten. Dies gilt auch für die zahlreichen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, die in den vergangenen Jahren zusätzlich zu den WTO-Verträgen abgeschlossen wurden und die bei Fragen intellektuellen Eigentums häufig über TRIPS hinausgehen. Hier steht bei jedem Vertrag die Frage des Zugangs zu Medikamenten erneut auf dem Spiel. Beispiele sind die aktuellen Verhandlungen über das transpazifische Partnerschaftsabkommen zwischen den USA und elf pazifischen Staaten
Neben staatlich verfügten Ausnahmen vom Patentschutz für Gesundheitsbelange gibt es indes auch freiwillige Mechanismen, über die Unternehmen Patentrechte abtreten und Lizenzen zum Nachbau ihrer Arzneimittel zur Verfügung stellen. Teils geschieht dies schlicht bilateral, zu Bedingungen, die Konzerne mit Generikaherstellern aushandeln.
Andere Mechanismen konzentrieren sich hingegen auf die Entwicklung neuer Medikamente. Denn für viele weit verbreitete Krankheiten werden Medikamente mangels Marktanreizen gar nicht erst produziert. Dies sind die "vernachlässigten" oder "Tropenkrankheiten", in die Entwickler und Hersteller ohne gesonderte Förderung gar nicht erst investieren würden. Die Weltgesundheitsorganisation listet allein 17 vernachlässigte Krankheiten, die 149 Länder und mehr als 1,4 Milliarden Menschen betreffen, etwa das Denguefieber oder die Flussblindheit.
Gesundheit in allen Politikbereichen
Initiativen wie den oben genannten gelingt es immer wieder, Heilungschancen zu verbessern oder lebensverlängernde Medikamente breiter zugänglich zu machen. Daneben existieren zahlreiche weitere Initiativen, etwa die Impfallianz Gavi, die 2002 mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Stiftung gegründet wurde. Dennoch fangen die Instrumente die globale Ungleichheit im Zugang zu Gesundheitssicherheit nur sehr begrenzt auf. An der globalen Wirtschaftsordnung und den ungleichen Lebensverhältnissen, die Gesundheitschancen und damit die Verwundbarkeit gegenüber Seuchen zuvorderst bestimmen, ändern sie nur wenig.