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Seuchen – gestern, heute, morgen

Lutz Ehlkes Jürgen May Jürgen May Lutz Ehlkes

/ 18 Minuten zu lesen

Während bei uns Infektionskrankheiten immer seltener werden, wüten Epidemien in anderen Regionen der Erde. Epidemiologen erforschen die Hintergründe von Krankheitsausbrüchen. Wie sind historische und aktuelle Seuchenzüge zu erklären, und was erwartet uns in Zukunft?

Schweinegrippe, Ebola, Masern – Fast wöchentlich berichten die Medien über die Bedrohung durch Infektionskrankheiten. Häufig erlischt das Medieninteresse, sobald sich die prophezeiten Schreckensszenarien nicht erfüllen. Die Hintergründe von Infektionsdynamik, Krankheitsrisiko und Gesundheitsinterventionen werden dabei selten thematisiert. Weshalb also entwickeln sich manche kleinere Ausbrüche zu verheerenden Epidemien, während andere rasch von der Bildfläche verschwinden? Die Modellierung, Analyse und Einschätzung des Gefährdungspotenzials durch Infektionskrankheiten ist das klassische Feld der Infektionsepidemiologie – ein interdisziplinäres Gebiet, das Forschung und Anwendung vereint. Die Lehre der Epidemiologie basiert auf der Annahme, dass Krankheiten nicht rein zufällig auftreten und deren Auftreten, Verbreitung und Ausbreitung weitgehend auf kausalen und potenziell voraussagbaren Faktoren basieren. Zentrale Aufgaben der Epidemiologie sind die Quantifizierung der Krankheitslast innerhalb der Bevölkerung, die Beschreibung des räumlichen und zeitlichen Auftretens der Krankheitsfälle sowie die Analyse der dem Auftreten zugrunde liegenden Determinanten.

Infektionskrankheiten sind Erkrankungen, die durch Infektionserreger – in der Regel Bakterien, Viren oder Parasiten – oder deren toxische Produkte ausgelöst werden. Man unterscheidet sie von den nichtübertragbaren, wie beispielsweise degenerativen, erblich bedingten oder psychischen Erkrankungen. Infektionen gehen aber nicht zwangsläufig mit einer Erkrankung einher, sodass sie oft nicht sofort zu erkennen sind. Hoch ansteckende Infektionskrankheiten werden auch als "Seuchen" bezeichnet.

Infektionskrankheiten können endemisch, epidemisch und pandemisch auftreten. Eine Endemie bezeichnet das konstante Zirkulieren einer Infektion oder Infektionskrankheit in der Bevölkerung. So ist zum Beispiel Malaria in vielen Ländern Afrikas endemisch. Eine zeitlich und räumlich auftretende Häufung von Krankheitsfällen wird als Epidemie bezeichnet. Dies schließt auch Ausbrüche von Krankheiten mit ein, die normalerweise endemisch in der Bevölkerung zirkulieren. In diese Kategorie fallen unter anderem die immer wiederkehrenden Masernausbrüche in Deutschland. Überschreitet ein solcher Ausbruch Ländergrenzen und breitet sich unbegrenzt aus, spricht man von einer Pandemie. So breitet sich die durch das HI-Virus ausgelöste Immunkrankheit AIDS seit Ende der 1980er Jahre pandemisch aus.

Die durch Infektionskrankheiten verursachte Mortalität und Morbidität nimmt in Industriestaaten seit dem 20. Jahrhundert aufgrund verbesserter Hygiene und medizinischer Innovationen – wie Impfungen und Antibiotika – immer mehr ab. Infolgedessen steigt die durchschnittliche Lebenserwartung und nichtübertragbare Krankheiten – wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen – lösen Durchfallerkrankungen, Masern, Pocken und Tuberkulose als Haupttodesursachen ab. So sterben in Deutschland mittlerweile 16,5-mal mehr Menschen an den Folgen nichtübertragbarer Krankheiten als an Infektionskrankheiten. Dieser Trend zeichnet sich auch in anderen wohlhabenden Regionen der Welt ab.

Heutzutage sind Infektionskrankheiten vor allem ein Problem ärmerer Länder. In vielen Regionen Afrikas und Asiens herrschen besonders in ländlichen Gegenden mangelhafte hygienische Zustände. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist ungenügend, Gesundheitsaufklärung ist oft gar nicht vorhanden. Solche Zustände bieten ideale Bedingungen für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Während Krankheiten wie HIV/AIDS in unseren Breiten dank großflächiger Aufklärungskampagnen und dem Zugang zu Kondomen, Tuberkulose dank guter Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, Durchfallerkrankungen dank verbesserter Hygiene und Masern aufgrund breiter Impfkampagnen allesamt selten geworden sind, gehören diese Krankheiten in den ärmsten Ländern der Welt zu den Haupttodesursachen.

Entstehungsgeschichte der Epidemiologie

Einen Zusammenhang zwischen der äußeren Umwelt und dem Auftreten von Krankheiten erkannte schon Hippokrates im 5. Jahrhundert v. Chr. in seinem Buch "Lüfte, Gewässer, Orte". Er beschrieb unter anderem den Einfluss des Wetters, der Wasserqualität und der Wohnsituation auf die physische und psychische Gesundheit. Die Grundidee der Epidemiologie ist somit so alt wie die Medizin selbst. Allerdings vermutete Hippokrates damals Miasmen (giftige Ausdünstungen des Bodens) als Auslöser von Infektionskrankheiten; eine Theorie, die noch bis ins 19. Jahrhundert verbreitet war und – trotz falscher Grundannahme – vielen Menschen durch Isolations- und Hygienemaßnahmen das Leben rettete.

Während der darauffolgenden 2000 Jahre wurde der Einfluss der Umwelt auf den menschlichen Organismus zwar akzeptiert, wissenschaftliche Untersuchungen zu den genauen Auswirkungen sind jedoch nicht überliefert. 1662 stellte der britische Kurzwarenverkäufer John Graunt erstmals detaillierte Geburts- und Sterbestatistiken auf und entdeckte charakteristische Verteilungsmuster, gegliedert nach Geschlecht, Alter und Jahreszeit. Der Mediziner William Farr etablierte Mitte des 19. Jahrhunderts eine routinemäßige Erfassung der Sterbefälle, die es ermöglichte, statistische Aussagen über den Gesundheitszustand unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu treffen.

Abbildung 1: John Snows Karte der Cholerafälle in London 1854
Quelle: John Snow, 1854; Externer Link: commons.wikimedia.org (7. 4. 2015).

Wenige Jahre später untersuchte der Arzt John Snow in London die Ursachen der Cholera-Epidemie. Auf Basis der von Farr etablierten Sterbestatistiken identifizierte Snow Gebiete mit besonders hoher Choleramortalität. Er erkannte, dass die dort wohnende Bevölkerung ihr Trinkwasser aus mit Fäkalien verunreinigten Bereichen der Themse bezog. Nachdem die Wasserentnahme für diese Gebiete an weniger verunreinigte Stellen der Themse verlegt wurde, gingen die Cholerafälle hier im Gegensatz zu den anderen Stadtteilen zurück. Snow stellte 1854 die Hypothese auf, dass Cholera – entgegen der damaligen Lehrmeinung – nicht durch Miasmen, sondern durch verunreinigtes Wasser übertragen werde. Um diese Hypothese zu testen, führte er akribische Aufzeichnungen bezüglich der räumlichen Lage der Cholerafälle, der Orte der Wasserentnahme (Abbildung 1) und – besonders bemerkenswert zu dieser Zeit – anderer Faktoren, die die unterschiedliche Choleraverbreitung schlüssiger erklären könnten (beispielsweise Alter, Geschlecht, Beruf, sozioökonomischer Status, Wohnhausgröße). Auf Basis seiner Untersuchungen und dank der Unterstützung des Mikrobiologen Arthur Hill Hassall, der im Trinkwasser und Stuhl der Erkrankten Mikroorganismen nachweisen konnte, identifizierte er die Wasserpumpe in der Broad Street als Kontaminationsherd und ließ kurzerhand dessen Schwengel entfernen. Das darauffolgende Abklingen der Epidemie schien seine Hypothese zu bestätigen. Seitdem gilt John Snow als der Urvater der modernen Epidemiologie, da er als Erster die drei zentralen Aufgaben der Disziplin – Quantifizierung, Beschreibung und Analyse – mit einer gezielten Intervention vereinte. Tatsächlich war zum Zeitpunkt der Intervention der Höhepunkt der Epidemie schon erreicht, und die Fallzahlen gingen bereits deutlich zurück, bevor die Wasserpumpe blockiert wurde.

Moderne Infektionsepidemiologie am Beispiel von Kinderkrankheiten

Oft wird bei dem Begriff "Kinderkrankheiten" an Erkrankungen gedacht, für die Kinder besonders empfänglich sind und die diese ohne bleibende Probleme durchstehen. Doch ist nicht nur die Assoziation falsch, auch die Schlussfolgerung ist weit von der Realität entfernt. Kinderkrankheiten werden so bezeichnet, weil die Infektionen so weit verbreitet sind und sich so effektiv übertragen, dass sie schon in früher Kindheit auftreten. Einen Rückschluss auf die Schwere der Erkrankung lässt die Bezeichnung jedoch keinesfalls zu.

Wenn aufgrund fehlender vorheriger Exposition (Ausgesetztsein) oder Impfung keinerlei Immunität innerhalb einer Bevölkerung vorhanden wäre, führte jeder Masern- oder Keuchhustenfall durchschnittlich zu 15 weiteren Erkrankten (sogenannte Basisreproduktionszahl oder R 0, gesprochen "R-Null"), in der zweiten Infektionsgeneration wären schon 225 Personen betroffen, in der dritten 3375 Personen und so weiter. Bei Diphterie, Pocken, Polio, Röteln und Mumps würde ein Fall zu weiteren 6 Erkrankten führen, in der zweiten Generation immerhin noch zu 36, in der Dritten zu 216. Diese Übertragungszahlen verdeutlichen, wie rasch sich solche Krankheiten ausbreiten können, auch wenn die infektiöse Phase nur wenige Tage oder Wochen beträgt. Zum Vergleich: Bei der Spanischen Grippe, der wohl verheerendsten Pandemie der Neuzeit, lag die Basisreproduktionszahl bei etwa 2, bei der noch andauernden Ebolafieberepidemie zwischen 1,7 und 2.

Die Basisreproduktionszahl ist die entscheidende Maßzahl für die Vorausberechnung des Verlaufs einer Epidemie mit und ohne Interventionen. Steigt der Anteil der immunen Bevölkerung, entweder durch eine erlittene Infektion oder eine Impfung, sinkt auch die sogenannte effektive Reproduktionszahl, berechnet aus R 0 abzüglich der geschützten Bevölkerung. Wird ein Krankheitserreger in eine Population eingebracht, versucht man durch Impfungen, die Isolation Erkrankter oder Quarantäne von Verdachtsfällen die effektive Reproduktionszahl unter 1 zu senken, sodass ein Infizierter durchschnittlich weniger als eine weitere Person infiziert. So kann eine (sich anbahnende) Epidemie kontrolliert werden.

Ähnlich verhält es sich bei endemischen, impfpräventablen Krankheiten. Diese zirkulieren für gewöhnlich mit einer effektiven Reproduktionszahl zwischen 1 bis 2 innerhalb der Bevölkerung. Der immune Teil der Bevölkerung schützt als Infektionsbarriere indirekt die nichtimmune Bevölkerung. Erreicht die Proportion der immunen Bevölkerung den Wert der kritischen Immunisierungswelle – errechnet aus 1− (1/R 0) –, kann sich eine Krankheit nicht mehr in der Bevölkerung erhalten. Bei Masern liegt diese sogenannte Herdenimmunität bei ungefähr 94 Prozent. Liegt die Masernimpfrate unter dieser Schwelle, ist ein Masernausbruch relativ wahrscheinlich. So geschah es in der bayerischen Stadt Coburg 2002, als mehr als 1000 Kinder an Masern erkrankten, weil zwei niedergelassene Ärzte sich gegen Impfungen aussprachen.

Teilt man die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung durch die Basisreproduktionszahl einer Krankheit, erhält man das Durchschnittsalter der infizierten Personen in einer nichtimmunen Bevölkerung. Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren läge das Durchschnittsalter, in dem die Bevölkerung an Masern erkrankt, bei 5,3 Jahren (R 0=15), im Fall von Röteln bei 13,3 Jahren (R 0=6). Steigt der Anteil der immunen Bevölkerung, sinkt die effektive Reproduktionszahl, und das durchschnittliche Infektionsalter steigt entsprechend. Um eine Krankheit auszurotten, muss die Bevölkerung bis über die kritische Immunisierungsschwelle hinaus immunisiert werden. Dies hat zur Folge, dass das durchschnittliche Infektionsalter bei Erkrankung über die durchschnittliche Lebenserwartung verschoben wird. Die effektive Reproduktionszahl sinkt unter 1, die Krankheit kann sich so nicht in der Bevölkerung halten und stirbt aus.

Wird die kritische Immunisierungsschwelle nicht erreicht, ist aufgrund der Verschiebung des durchschnittlichen Alters einer Infektion Vorsicht geboten, wie das Beispiel der Röteln zeigt. Im Falle einer Rötelnerkrankung schwangerer Frauen ist das Risiko für Fehlgeburten und Fehlbildungen des Embryos stark erhöht. Wird eine Impfkampagne nicht konsequent verwirklicht, kann sich das Durchschnittsalter der Erkrankten bis in das vorwiegende Schwangerschaftsalter verschieben, mit katastrophalen Auswirkungen für Schwangere und Neugeborene. Dies geschah unter anderem in Griechenland in den frühen 1990er Jahren.

Es ist ein Segen, dass die Medizin mittlerweile gegen viele Infektionserkrankungen wirksame Impfungen hervorgebracht hat, sodass heutzutage kaum noch jemand in Deutschland an deren Spätfolgen leiden muss oder gar daran verstirbt. Gleichzeitig geraten die schweren Folgen dieser Erkrankungen immer mehr in Vergessenheit. Daraus resultiert – verstärkt durch ein wachsendes Misstrauen gegenüber Staat und Pharmaindustrie – eine Impfmüdigkeit, die dafür verantwortlich ist, dass in Deutschland immer weniger Kinder die freien und für die Herdenimmunität erforderlichen Impfleistungen in Anspruch nehmen.

Infektionskrankheiten: Geschichte und Gegenwart

Wie DNA-Analysen ergaben, war schon Ötzi (ca. 5400 v. Chr.) mit dem Erreger der Lyme-Borreliose infiziert. Der mumifizierte Kopf des 1145 v. Chr. verstorbenen Pharaos Ramses V. weist Narben auf, die auf eine Pockeninfektion hinweisen. Hippokrates beschrieb die Krankheitsbilder, die durch die unterschiedlichen Malariaparasiten hervorgerufen werden. Solch historische Überlieferungen sind ein Indiz dafür, dass der Mensch seit jeher von Infektionskrankheiten geplagt wurde. Viele der Erreger, die in der Geschichte zu verheerenden Epidemien geführt haben, haben dank besserer Lebensumstände und moderner Medizin ihren Schrecken verloren. Im Folgenden werden Geschichte und Gegenwart einiger ausgewählter Krankheitserreger besprochen.

Pest.

Kaum eine andere Krankheit prägte die europäische Geschichte so sehr wie die Pest, wobei bei der Interpretation der historischen Texte Vorsicht geboten ist. Grundsätzlich wurden damals fast alle fiebrigen und zu Hautausschlag führenden Erkrankungen als "Pest" bezeichnet; ob nun Masern, Pocken, Fleckfieber oder die eigentliche Pest. Man vermutet, dass die Pest tatsächlich mehrfach epidemisch in Vorderasien und dem Mittelmeerraum auftrat.

Abbildung 2: Arzt mit Schnabelmaske und Peststab
Quelle: Paul Fürst, Der Doctor Schnabel von Rom, ca. 1656; Externer Link: commons.wikimedia.org (7. 4. 2015).

Gesichert ist anhand von DNA-Analysen der Opfer, dass der Seuchenzug des "Schwarzen Todes" durch Europa ab 1347 auf den Pesterreger Yersinia pestis zurückzuführen ist. Ausgehend von der Krim kamen infizierte Ratten mit den Schiffen nach Konstantinopel und dann weiter nach Venedig, Genua und Messina. Von dort breitete sich die Krankheit innerhalb weniger Jahre entlang der Handelswege über fast ganz Europa aus. Das Bakterium Y. pestis wird von Flöhen übertragen. Diese befallen vorwiegend Ratten und andere Nagetiere. Da die Tiere selbst erkranken und an der Krankheit verenden, springen die infizierten Flöhe auf andere Wirte, wie den Menschen, über. Begünstigt wurde die Pandemie durch miserable Lebensumstände und Hygienebedingungen. Die Miasmenlehre konnte Auslöser und Übertragungsweg der Krankheit bis zum Abklingen des Seuchenzugs im frühen 18. Jahrhundert nicht erklären. Menschen versuchten sich durch Schnabelmasken mit Rauchwerk (Abbildung 2) zu schützen, die Behandlung erfolgte durch diverse Tinkturen, Aderlässe und dem Aufschneiden der Pestbeulen.

Insgesamt forderte der "Schwarze Tod" etwa 25 Millionen Menschenleben allein in Europa, was in etwa einem Drittel der Bevölkerung entsprach. Kaum jemandem ist bewusst, dass die Krankheit zwar selten, aber nach wie vor in den USA sowie in Ländern Südamerikas, Asiens und insbesondere Afrikas grassiert. Am häufigsten kommt die Pest in Madagaskar vor, wo regelmäßig Epidemien berichtet werden. In den betroffenen Ländern zirkuliert das Bakterium bei diversen Nagetierarten, aber auch Haustiere werden befallen. Dank Antibiotika ist die Krankheit gut behandelbar, eine frühe Diagnose und schnelle Therapie vorausgesetzt. Vor allem in den USA werden Erkrankungen an Beulenpest – immerhin durchschnittlich sieben pro Jahr – aufgrund mangelnder Aufklärung häufig erst spät erkannt. In ärmeren Ländern fehlt den Betroffenen oft schlichtweg der Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung.

Masern und Pocken.

Der Erfolg britischer Truppen und spanischer Konquistadoren bei der Eroberung Nord- und Südamerikas wurde zumeist durch die militärische und taktische Überlegenheit der Besatzerarmeen erklärt. Mittlerweile ist bekannt, dass es vor allem die eingeschleppten Infektionskrankheiten waren, die große Teile der indigenen Bevölkerung dahinrafften, lange bevor die ersten Schüsse fielen. Die Europäer waren gegen diese Gefahr gefeit: In dieser Zeit zirkulierten diverse hochinfektiöse Krankheiten endemisch in Europa, die in Südamerika unbekannt waren – neben Influenza vor allem Pocken und Masern. Überlebende Europäer erwarben durch die ausgestandene Infektion eine lebenslange Immunität und konnten nicht wieder erkranken. Zusätzlich hatte die über Jahrhunderte dauernde Exposition der europäischen Bevölkerung – aufgrund des Evolutionsdrucks – die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Erregern erhöht und so die Letalität bei einer Erkrankung gesenkt. So liegt in endemischen Populationen die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Pockeninfektion bei etwa 70 Prozent und bei Masern über 99 Prozent. So verliefen die Krankheiten in Europa zwar zuweilen tödlich, stellten aber selten eine Bedrohung für die Bevölkerung als Ganzes dar. Die amerikanischen Ureinwohner wurden von diesen Krankheiten aber unvorbereitet getroffen – mit einer hohen Letalität. Mehrere solche virgin soil epidemics trafen die indigenen Bevölkerungsgruppen Nord- und Südamerikas mit der Ankunft der europäischen Siedler. Es wird geschätzt, dass an den importierten Krankheiten etwa 90 Prozent der amerikanischen Ureinwohner starben. Dies lässt die europäischen Eroberungszüge in der Neuen Welt in einem anderen Licht erscheinen.

Während sowohl Masern als auch Pocken bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast allgegenwärtig waren und großen Einfluss auf die Krankheitslast der Bevölkerung hatten, wandelte sich diese Situation mit der Entwicklung entsprechender Impfungen. Da der Mensch das einzige Reservoir dieser Krankheiten ist – Tiere also nicht von diesen Krankheiten befallen werden –, wären die Viren ausgerottet, sobald kein Mensch mehr infiziert ist. So führte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1967 eine weltweite Impfpflicht für Pocken ein – mit durchschlagendem Erfolg: 1977 trat der – von wenigen Laborinfektionen abgesehen – letzte Pockenfall in Somalia auf, 1980 deklarierte die WHO die Welt als pockenfrei.

Obwohl es mittels einer effektiven Impfung theoretisch möglich wäre, die Masern auszurotten, ist dies bisher nicht gelungen. Laut WHO konnten in den Jahren 2000 bis 2013 durch Impfungen 15,6 Millionen masernbedingte Todesfälle verhindert werden. Allerdings wurden 2014 immer noch 360000 Masernfälle gemeldet und 2013 kam es zu 145700 Todesfällen. Am schwersten betroffen ist Subsahara-Afrika, eine Region, in der die Impfquoten teilweise unter 50 Prozent liegen. Nord- und Südamerika sowie Australien waren bis vor Kurzem bis auf einige wenige importierte Fälle de facto masernfrei. Auch in Deutschland waren Ausbrüche dank guter Impfabdeckung sehr selten. Aufgrund der seit einigen Jahren steigenden Impfmüdigkeit kam es in den vergangenen Jahren vermehrt zu Masernausbrüchen in den USA, Deutschland und anderen Industrieländern.

Ebolafieber.

Kaum eine Krankheit erhielt in der letzten Zeit so viel Medieninteresse und erzeugte so viel Besorgnis wie das Ebolafieber. Allerdings liegen die Fallzahlen von Ebola (24927 Verdachtsfälle im aktuellen Ausbruch, davon 10338 Tote, Stand 26.3.2015) niedrig im Vergleich zu denen von Masern und vielen anderen Infektionskrankheiten. Was macht das Ebolafieber so angsteinflößend?

Das Ebolavirus gehört zur Gruppe der viralen hämorrhagischen Fieber, einer heterogenen Gruppe fieberhafter Systemerkrankungen, bei denen teilweise Hämorrhagien – das heißt innere Blutungen – auftreten. Innerhalb der Gattung der Ebolaviren existieren fünf Spezies, vier davon sind humanpathogen. Deren hohe Letalität (zwischen 25 und 90 Prozent) und das Fehlen spezifischer Impfungen und Therapeutika machen das Virus so bedrohlich. Natürliches Reservoir des Virus sind wahrscheinlich Flughunde, aber auch andere Wildtiere stehen im Verdacht. Bei der Jagd, dem Schlachten oder dem Verzehr der Tiere kann das Virus auf den Menschen übertreten. Die infektiöse Phase beginnt mit dem Auftreten der Symptome: Fieber, Hautausschlag, Erbrechen und/oder Durchfall. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgt über Körperflüssigkeiten. Bis 2014 waren Ausbrüche des Ebolafiebers zumeist auf isolierte Regionen Zentralafrikas beschränkt, insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo, in Gabun, Uganda und im Südsudan. Aufgrund der Verbreitung der Reservoirtiere, der hohen Letalität und der Tatsache, dass infektiöse Patienten aufgrund der Schwere der Symptome kaum reisefähig sind, war man bis dato davon ausgegangen, dass Ebolafieberausbrüche keine globalen Ausmaße erreichen können. Als die Krankheit Ende 2013 in Guinea auftrat und sich im April 2014 zur Epidemie entwickelte, traf es die westafrikanischen Länder völlig unvorbereitet.

Durch die Vernetzung der westafrikanischen Länder miteinander und dem Rest der Welt wurde eine weitere Ausbreitung befürchtet. Überforderte Gesundheitssysteme und mangelnde Informationen über die Infektionsübertragung sowie ein durch Mangelernährung und andere Infektionskrankheiten geschwächtes Immunsystem der Patienten haben den Ausbruch begünstigt. Nicht nur die Gesundheitseinrichtungen der westafrikanischen Länder – insbesondere in den Epidemiegebieten Guinea, Liberia und Sierra Leone – waren von der Anzahl der Patienten mit Verdacht auf Ebolafieber überfordert. Angst und Unwissen vermengten sich mit Misstrauen und Aberglauben zu Panik. Krankenhäuser wurden gestürmt und die Patienten "befreit". Familien versteckten aus Angst vor den Ärzten ihre erkrankten Familienangehörigen und sorgten so für die Aufrechterhaltung der Infektionskette. Da auch die Leichen der an Ebolafieber Verstorbenen hochinfektiös sind, führten rituelle Waschungen und traditionelle Bestattungsriten zu immer mehr Infizierten. Durch die internationale Anbindung an den Flugverkehr reisten vereinzelt Infizierte in andere Länder Westafrikas, Europas und in die USA. So kam es außerhalb Afrikas zu lokaler Ebolavirusübertragung in den USA (vier Fälle, einer tödlich), dem Vereinigten Königreich und Spanien (je ein Fall). Dem Eingreifen diverser internationaler Bündnispartner, konsequenter Isolations- und Quarantänemaßnahmen sowie der Aufklärungs- und Präventionsarbeit in den betroffenen Ländern ist es zu verdanken, dass die Epidemie sich nicht in die Nachbarländer verbreitete. Zwar schwelt die Epidemie zurzeit (April 2015) noch in Sierra Leone und Guinea, es gibt aber keine direkten Anzeichen dafür, dass sie wieder aufflammt oder sich weiter ausbreitet. Ein Übergreifen des Ebolavirus nach Deutschland erscheint aufgrund der Übertragungswege, der fehlenden Reservoirtiere, der medizinischen Versorgung und Hygienebedingungen sowie der kulturellen Gegebenheiten (Bestattungsriten) als äußerst unwahrscheinlich.

Was bringt die Zukunft?

Das Gefährdungspotenzial einer Krankheit für die globale Gesundheit abzuschätzen, ist keine leichte Aufgabe. Gefahr geht nicht nur von den direkten gesundheitlichen Auswirkungen einer Krankheit aus; auch die Begleiterscheinungen – wie Panik, soziale Unruhen und wirtschaftliche Folgen – tragen zur Gefährdung bei. In der subjektiven Wahrnehmung wird die Gefährdung von stark symptomatischen, unbekannten und hochinfektiösen Krankheiten eher über- als unterschätzt. Ein Erreger, dem man unfreiwillig – wie beispielsweise durch Tröpfcheninfektion – ausgesetzt wird, wird anders eingeschätzt als eine Krankheit, dessen Risikofaktoren – wie beispielsweise das Rauchen bei Lungenkrebs – bekannt und selbst regulierbar scheinen.

Verschiedene Faktoren bestimmen, ob ein Infektionserreger eine Epidemie verursacht: Reservoir/Vektoren (Krankheitsüberträger), Übertragungsweg, Infektiösität, Erkrankungsdauer, Letalität/Erholungsrate, Anteil immuner Bevölkerung, Existenz von Therapeutika/Impfungen/Schutzmaßnahmen. Anhand dieser Faktoren wird deutlich, weshalb Masernviren vor Entwicklung der Impfung extrem "erfolgreich" waren: leichte Übertragung durch Tröpfchen; ansteckend, bevor erste Symptome sichtbar werden; hohe Infektiösität; relativ selten tödlicher Verlauf. HIV/AIDS breitet sich trotz primär sexueller Übertragung und dabei geringer Infektiösität aufgrund der lebenslangen Erkrankungsdauer, fehlender Immunität/Impfung und nichtvorhandener kausaler Behandlung auch weiterhin aus.

Die Antwort auf die Frage nach den wichtigsten Infektionskrankheiten der Zukunft bleibt hypothetisch. Eine klare Antwort setzt feste Kriterien voraus, nach denen das Gefährdungspotenzial klassifiziert wird. Eine Studie, bei der deutsche Epidemiologen, Mikrobiologen und Klinikärzte befragt wurden, welche Krankheitserreger in Zukunft besser erforscht und überwacht werden sollten, verlieh 26 Pathogenen höchste Priorität. Darunter, neben Erregern von Krankheiten mit bereits respektablem Forschungs- und Beobachtungsinteresse, wie HIV/AIDS, Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA), Tuberkulose, Influenza, Masern, Hepatitis und bakterieller Meningitis, auch solche, die weniger im Fokus der Forschung stehen. Hierzu gehören unter anderem Hantaviren und respiratorische Synzytialviren sowie Bakterien der Gattungen Campylobacter, Helicobacter, Clostridien, Escherichia und Legionellen.

Global gesehen, besteht in vielen Bereichen Grund zur Besorgnis. Aufkommende Medikamentenresistenzen sind schon jetzt bei Malariaparasiten, Tuberkulose-Erregern und MRSA ein großes Problem. Durch den Klimawandel sowie internationale Migration, Handel und Reisen breiten sich Reservoir- und Vektortiere sowie die von ihnen übertragenen Krankheiten wie Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Fieber weiter aus. Massentierhaltung – insbesondere von unterschiedlichen Tierarten auf engem Raum – bietet einen Schmelztiegel für Virusübertragungen und -mutationen. Eindringen in unberührte Naturgebiete und die Rodung der Regenwälder sowie der damit verbundene Kontakt von Mensch und Tier bieten Übertragungspotenzial für bisher unbekannte Zoonosen. So sind vor allem Fledermaus- und Nagetierarten Reservoir diverser humanpathogener Viren, oder solchen, deren Gene humanpathogenen Viren ähnlich sind.

Exemplarisch für potenzielle Pandemien der Zukunft sind oft die unterschiedlichen Erreger der aviären Influenza ("Vogelgrippe"), insbesondere der Subtyp A/H5N1. Ausgehend von Hong Kong zirkuliert Influenza A/H5N1 mittlerweile in den Wildvogel- und Geflügelpopulationen Asiens, Europas und Afrikas. Das Risiko der weiteren globalen Ausbreitung ist sehr hoch. Dieser Subtyp ist bei Vögeln hochansteckend und tötete bisher mehrere zehn Millionen Tiere. Weitere hundert Millionen Vögel wurden aus Verdacht auf A/H5N1 gekeult. Bis 2013 gab es 630 dokumentierte Infektionen beim Menschen, vor allem in Ägypten. Von diesen verliefen 375 tödlich. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt in den meisten Fällen über engen Kontakt zu infizierten Vögeln, Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist dagegen noch selten. Neben der hohen Letalität besteht die größte Gefahr des Virus in seiner hohen Mutationsrate. Diese erschwert zum einen die Entwicklung von auf lange Sicht wirksamen Impfungen und Therapeutika. Zum anderen können genetische Mutationen Einfluss auf Übertragungsweg und -potenzial nehmen.

Kritisches Medieninteresse löste 2012 die Arbeit des Virologen Ron Fouchier aus, die er in der Fachzeitschrift "Science" publizierte. Durch gezielte Modifikationen des A/H5N1-Virusgenoms war dies nunmehr imstande, sich bei Frettchen – deren respiratorischer Trakt (Atemwege) dem menschlichen sehr ähnlich ist – über Tröpfcheninfektion durch die Atemluft zu verbreiten. Zwei der fünf benötigten Mutationen seien schon außerhalb des Labors beobachtet worden. Es sei demnach nur eine Frage der Zeit, bis die anderen drei Mutationen auch in freier Wildbahn auftreten und so ein neuer Stamm von für Menschen hochinfektiösen A/H5N1-Viren entsteht. Allerdings bemerkte Fouchier ebenso, dass das modifizierte Virus sowohl durch ein antivirales Medikament (Tamiflu) behandelbar sei, als auch gut mit den aus gängigen Impfungen hervorgerufenen Antiseren reagiere. Da keines der Frettchen an der Erkrankung gestorben ist, scheint die erhöhte Infektiösität einen Einfluss auf die Pathogenität zu haben.

Die Publikation führte zu einer Diskussion über Wissenschaftsethik. Kritiker warfen Fouchier vor, die von seiner Forschung ausgehende Gefahr – insbesondere in Bezug auf Bioterrorismus – zu verharmlosen. Unterstützer argumentierten, dass die Forschung Fouchiers wichtig sei, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Die Intensität der Diskussion zeigt die Brisanz, mit der in der wissenschaftlichen Welt über solche Fragen diskutiert wird. Wie weit darf der Mensch gehen, um möglicherweise (nie) eintreffende Ereignisse zu verhindern? Eine Frage, die für jeden – auch fernab des vermeintlichen Elfenbeinturms der Wissenschaft – relevant sein dürfte. Nicht nur in Bezug auf Infektionskrankheiten.

Dipl.-Geograph, geb. 1983; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Bernhard-Nocht-Straße 74, 20359 Hamburg. E-Mail Link: ehlkes@bnitm.de

Prof. Dr. med., geb. 1965; Leiter der Arbeitsgruppe "Infektionsepidemiologie" am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. E-Mail Link: may@bnitm.de