Soll es um Qualität in der Ganztagsschule gehen, verrät schon der Blick auf die definitorische Grundlage: Es gibt sie gar nicht, "die" Ganztagsschule. Schon die Kultusministerkonferenz unterscheidet drei Formen, die voll gebundene Ganztagsschule, die teilweise gebundene und die offene Ganztagsschule.
Damit sind bereits zahlreiche variable Qualitätsbedingungen benannt, die beispielsweise eine Differenzierung und Segmentierung der empirischen Beforschung der Ganztagsschule notwendig machen.
Qualität ist relativ
Aber Qualität hängt nicht nur von den Bedingungen der Ganztagsschule ab, sondern vor allem von ihrer jeweiligen Zielbestimmung. Je nachdem, ob familienpolitische, bildungspolitische, sozialpolitische oder jugendpolitische Absichten verfolgt werden, wird entweder eine verlässliche Betreuung, eine "bessere" oder "mehr" Bildung oder die Kompensation sozialer Ungleichheiten als Schwerpunktaufgabe und Ziel der Ganztagsschule angesehen. Davon abhängig – Qualität ist ein relationaler Begriff – werden unterschiedliche Qualitätskriterien angelegt. Die Vielfalt der im Ganztag wirkenden oder betroffenen Akteure tut ein Übriges: Qualitätsvorstellungen variieren je nach der Perspektive des Schulpersonals, der außerschulischen Träger und deren Mitarbeiter(innen), der Eltern und nicht zuletzt der Kinder und Jugendlichen. Erwartungen und Qualitätsansprüche sind außerdem abhängig von der Schulform.
Auch die Forschung beurteilt Schulqualität aus verschiedenen Blickwinkeln. So fragt die Schuleffektivitätsforschung "nach den Bedingungen guter Schulen und ihren Zusammenhängen mit schulischen Lernergebnissen",
Auch die Qualität von Ganztagsschulen bestimmt sich "anhand solcher Merkmale, die für alle Schulen im allgemeinbildenden Schulwesen, seien sie Ganztags- oder Halbtagsschulen, von Relevanz sind, unabhängig davon, ob die Ganztagschulen in gebundener Form organisiert sind oder in additiver. Damit erhalten diejenigen Argumente und Merkmale, die in der allgemeinen Qualitätsdiskussion zur Schule vorgetragen werden, auch für die Qualitätsdiskussion um Ganztagschulen (…) Bedeutung."
Unterschiedliche Qualitätsbereiche
Die Ganztagsschule bringt also weitere Ausdifferenzierungen mit sich. Es geht auch um Aspekte einer verlässlichen Betreuung (Wege, Zeiten, Räume, Personal), um gesundheitliche Aspekte (Ruhe- und Bewegungszeiten, Mobiliar) oder Ernährung. Diese Punkte standen sogar lange im Zentrum der Forschung und Diskussion der Ganztagsschule, wohl auch, weil man sich hier relativ schnell auf Qualitätskriterien einigen und sie verhältnismäßig leicht objektivierbar und operationalisierbar machen konnte.
Anders sieht dies aus, wenn es um die intendierten pädagogischen Wirkungen der Ganztagsschule geht. Dies liegt einerseits an der grundsätzlichen Schwierigkeit, pädagogisches Handeln in der Hoffnung auf Qualitätssicherung formalisieren und standardisieren zu wollen, gleich, ob es sich dabei um die Formulierung von Zielqualitäten oder von technologischen Qualitäten handelt. Zudem ist gerade für den Bereich nichtformaler und informeller Bildung, die ja in der Ganztagsschule explizit einen Platz erhalten sollen, in der Regel Konsens, dass der "Eigensinn" offener pädagogischer Situationen nicht durch vereinheitlichende Standards gehindert oder gar verunmöglicht werden soll. Anderseits soll die Gestaltung pädagogischer Settings und Prozesse nicht subjektiv-individuellen Einschätzungen überlassen bleiben.
Eine zweite Schwierigkeit liegt darin, dass sich bei Qualitätsfragen, die sich auf die fachübergreifenden Wirkungen von Schule beziehen (also weniger auf den Output in Form von fachbezogenem Wissen oder Fähigkeiten und mehr auf sogenannte Schlüsselkompetenzen, auf Haltungen, Motivation oder Selbstregulierungsfähigkeiten), die Perspektive für weitere Einflussfaktoren auf die Bildungsprozesse öffnen muss (Gestaltung des Schullebens, außerunterrichtliche Angebote, Strukturierung der Zeit, Räumlichkeiten, Mobiliar, Gruppenzusammensetzung, Personal, Beziehungen, Mittagessen, Hausaufgaben und vieles andere mehr). Und während sich die Schulforschung vornehmlich auf die Einzelschule konzentriert und Qualität als Resultat schulinterner Prozesse begriffen wird,
Mit der Erweiterung der Palette von pädagogischen Akteuren kommt eine weitere Qualitätsdimension hinzu:
"Wenn die nicht-unterrichtlichen Anteile der Ganztagsschule bzw. Ganztagsangebote als sozialpädagogische Angebote bzw. Angebote der Jugendhilfe verstanden werden (sollen), dann gilt auch für diesen Bereich, dass die Qualitätsdiskussionen und -merkmale, die in der Sozialpädagogik bzw. Jugendhilfe (der Jugendarbeit, Erziehungshilfe, Beratungsarbeit, Kindertagesstätten etc.) als bedeutsam angesehen werden, auch für die entsprechenden Angebotsbereiche der Ganztagschule/der Ganztagsangebote Relevanz erhalten"
Damit werden die zu prüfenden oder zu managenden Qualitätsbereiche und die jeweiligen Einflussfaktoren nahezu unübersehbar komplex.
Herausforderung Kooperation
Auf die Einbeziehung außerschulischer Partner setzen die meisten Ganztagsschulkonzepte. In den meisten Bundesländern wird die Kooperation mit der Kinder-und Jugendhilfe, Kultureinrichtungen und Sportvereinen sogar offensiv als Möglichkeit zur "Erneuerung" von Schule gewertet. So heißt es beispielsweise im entsprechenden nordrhein-westfälischen Erlass:
"Die offene Ganztagsschule soll durch die Zusammenarbeit von Schule, Kinder- und Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Trägern ein neues Verständnis von Schule entwickeln. Sie sorgt für eine neue Lernkultur zur besseren Förderung der Schülerinnen und Schüler. Sie fördert die Zusammenarbeit von Lehrkräften mit anderen Professionen. Sie ermöglicht mehr Zeit für Bildung und Erziehung, individuelle Förderung, Spiel- und Freizeitgestaltung sowie eine bessere Rhythmisierung des Schultages. Sie sorgt für ein umfassendes Bildungs- und Erziehungsangebot, das sich an dem jeweiligen Bedarf der Kinder und der Eltern orientiert."
Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass es auch "die" Kinder- und Jugendhilfe nicht gibt, weil sich diese de facto in der Ganztagsschule als professionelle Betreuung, Fördermaßnahmen, Hausaufgabenhilfe, AGs, Fachangebote, außerschulische Lernorte, Sozialarbeit und dergleichen wiederfindet. Zwar hat die Kinder- und Jugendhilfe eine bundesweit gemeinsame, sogar gesetzliche Grundlage,
Qualität der Kooperationen = Qualität der Angebote
Die kooperative Ausgestaltung der Ganztagsschule ist denn auch die wahre Herausforderung der neuen Schulform. Das Zusammenwirken von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten, deren Vielfalt und damit das Zusammenspiel verschiedener Professionen werden deshalb als wesentlicher Qualitätsfaktor angesehen.
Ganz gleich, welche Zielsetzung für die Planung von Ganztagsschulangeboten gewählt wird (eher Betreuung, Persönlichkeitsbildung oder Förderung): Eine bewusste Gestaltung der Kooperation im Rahmen eines abgestimmten Gesamtkonzepts ist zentral, da professionelle Grundsätze, pädagogische Konzepte, Inhalte und Methoden nicht isoliert voneinander stehen können – sie sind mindestens organisatorisch miteinander verbunden.
Mit der Qualität der Kooperation steht und fällt die Qualität der außerunterrichtlichen Angebote
"Ob die Teilnahme am Ganztagsbetrieb individuelle Wirkungen zeigt, hängt vor allem von der Qualität der Schulen und der Angebote ab. (…) Es ist zu berücksichtigen, wie die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und das weitere im Ganztag pädagogisch tätige Personal die Beziehungen untereinander wahrnehmen. Denn das beeinflusst die individuelle Entwicklung, die Motivation und das Sozialverhalten der einzelnen Heranwachsenden. Auch Qualitätsmerkmale der außerunterrichtlichen Angebote haben sich empirisch als bedeutsam erwiesen. Dazu gehören der Partizipationsgrad der Schülerinnen und Schüler, der Bezug der vermittelten Inhalte zur Lebenswelt und die Passung der Anforderungen an die spezifischen Kompetenzen der einzelnen Lernenden."
Die neuen Erfahrungen mit Kooperationen im Ganztagsbetrieb einer Schule waren seit Beginn der Aufbauphase von Ganztagsschulen vor allem ein Thema der außerschulischen Partner. Die von ihnen gesetzte Qualität ihrer Angebote sollte im Ganztag nicht durch schulische Bedingungen geschmälert werden. Um diese aber mitgestalten zu können, war und ist man auf "gute Kooperation" angewiesen. Die entsprechende Forschung und Literatur dazu sind Legion: "Zahlreiche Studien benennen konkrete Kooperationsprobleme, z.B. divergierende Erwartungen und Fachkulturen, Steuerungsprobleme, Statusprobleme sowie eine unzureichende Kooperationsbereitschaft im Ganztag. So wird das Arbeitsbündnis zwischen Lehrkräften und Kooperationspartnern an Ganztagsschulen durch unterschiedliche Bildungsverständnisse, Bildungsideale und lernmethodische Prinzipien belastet."
Und alle haben Qualitätsvorstellungen
Spätestes damit ist die Ganztagsschule von Qualitätsvorstellungen umzingelt. Denn aus dem Bereich der außerschulischen Partner kommen weitere Ansprüche hinzu, die sich je nach Fachverständnis, fachspezifischer Perspektive oder Auffassung der beteiligten Professionen unterscheiden. Je mehr Akteure beteiligt sind, umso dringlicher wird es, sich über die jeweiligen Vorstellungen über Ziele und Qualitäten der Ganztagsschule zu verständigen. Quintessenz aller am Qualitätsdiskurs beteiligten Wissenschaftler(innen) und Fachorganisationen, die sich mit Ganztagskooperationen befassen, ist daher vor allem die Empfehlung an die Kooperationspartner, sich systematisch über die jeweiligen Qualitätsvorstellungen auszutauschen.
Bewährte Steuerungsinstrumente
So kommt es, dass die Steuerung von Kooperationen ein zentrales Thema der Qualitätsentwicklung in Ganztagsschulen ist.
Darüber hinaus gibt es zahllose Handreichungen und Materialien, die die innerschulische und/oder kommunale Planung und Durchführung sowie Selbstevaluation von Kooperationen erleichtern sollen. Diese tools des Qualitätsmanagements sind häufig aus Modellprojekten außerschulischer Partner
Langsam voran
Diese Art des individuellen Qualitätsmanagements ist zweifellos der Motor für die Weiterentwicklung von Ganztagsschulen. Es könnte also alles so schön sein, stattdessen scheint die Kritik an der Ganztagsschule nicht abzureißen. Zwei Gesichtspunkte mahnen, damit nicht zu vorschnell zu sein: Einmal gibt es große Unterschiede von Schule zu Schule, die einem weit verzweigten Bedingungsgefüge geschuldet sind, das sich nicht "mal eben" abschaffen lässt. Faktoren wie Stadt oder Land, die Finanzen von Land und Gemeinden, die Bevölkerungsstruktur und die Schultraditionen sind wirkmächtig. Daran ändern auch ordnungspolitische Top-down-Träume nichts, die das Heil in zentralen Qualitätsvorgaben, möglichst auf Bundesebene, suchen wollen. Und dann zeigen gut 15 Jahre Ganztagsschule, dass der wichtigste Faktor der Entwicklung die Zeit ist: Zeit für Experimente, für fehlerfreundliches Lernen, für Verständigung und eine schrittweise Umorientierung und Annäherung von Schulen und außerschulischen Partnern. Je mehr Erfahrung Schulen und Partner mit dem Ganztagsbetrieb haben, umso besser arbeiten sie zusammen und umso eher erfüllen sie die Qualitätserwartungen.