Am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Zahlreiche Gedenkfeiern und wissenschaftliche Tagungen über die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus sind zu erwarten, aber noch immer gibt es Bevölkerungsgruppen, die als sogenannte Kollateralschäden des Krieges aus dem kollektiven Gedächtnis der Nationen schlichtweg herausfallen. Während und nach jedem Krieg haben Besatzungssoldaten mit einheimischen Frauen Kinder gezeugt, die "Kinder des Krieges".
Die genaue Anzahl der Wehrmachts- und Besatzungskinder ist nicht bekannt. Auf der Basis von unterschiedlichen Dokumenten und Quellen sind Schätzungen vorgenommen worden, die jedoch sehr verschieden ausfallen, je nachdem in welchem Land die Kinder geboren wurden und wie sich die Situation zwischen der Besatzungsmacht und den Einheimischen gestaltete. Während zum Beispiel in Norwegen 8000 Wehrmachtskinder
Neben den nachträglich für ehelich erklärten Kindern gibt es noch eine weitere Gruppe von Besatzungskindern, die in dieser Erhebung nicht auftauchen, und die auch in anderen europäischen Staaten in der Regel nicht erfasst werden konnten. Gemeint sind die Kinder, die innerhalb bestehender Ehen geboren wurden. Über diese Kinder konnte die Forschung kaum etwas in Erfahrung bringen, weil die Mütter aus Angst vor Repressalien die Herkunft ihrer Kinder geheim hielten.
Auch wenn die mittels Schätzungen erhobenen Zahlen mit Einschränkungen behaftet sind, zeigen sie doch, dass es sich bei den Kindern des Krieges nicht um eine kleine Gruppe handelt. So wird zum Beispiel geschätzt, dass in Norwegen 10000 bis 12000 Wehrmachtskinder geboren wurden, in Dänemark 6000 bis 8000, in den Niederlanden 12000 bis 15000 und bis zu 200000 in Frankreich.
Beziehungen zwischen ausländischen Soldaten und einheimischen Frauen
Nicht alle Wehrmachts- oder Besatzungskinder entstanden in einer einvernehmlichen sexuellen Begegnung oder gar einer Liebesbeziehung. Die Grenze zwischen freiwilligen und erzwungenen sexuellen Kontakten zwischen Besatzern und einheimischen Frauen gestaltete sich in allen kriegsteilnehmenden Staaten fließend. Neben flüchtigen sexuellen Begegnungen und wirklichen Liebesbeziehungen existierten auch Überlebensstrategien wie der Tausch von Sex gegen Ware oder Geld. Überlebensprostitution war in den meisten Fällen keine "freiwillig" getroffene Entscheidung der Frauen. Sexuelle Gewalt wurde wohl von allen Krieg führenden Parteien ausgeübt, obwohl für die Wehrmacht bislang nur eine explizite Untersuchung für die Sowjetunion vorliegt.
Selbst wenn die Kinder aus einer Liebesbeziehung hervorgingen, wie dies beispielsweise häufig in Norwegen der Fall war, gestalteten sich ihre Lebensumstände alles andere als einfach. Aus deutscher Sicht waren Kontakte zu Norwegerinnen erwünscht, da diese als "arisch" galten. Somit wurden Beziehungen und Schwangerschaften mit Wohlwollen gesehen, was in vielen anderen besetzen Gebieten nicht der Fall war. Obwohl es in Norwegen nicht verboten war, eine Beziehung mit einem deutschen Soldaten einzugehen, wurde vielen "Deutschenmädchen" am Kriegsende "unnationales Verhalten" vorgeworfen. Ihnen wurde der Kopf kahlgeschoren, sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen und im Fall einer Heirat mit ihrem deutschen Freund verloren sie die norwegische Staatsbürgerschaft.
Auch in anderen von den Deutschen besetzten Ländern erlebten viele Frauen nach dem Krieg Ähnliches. Im Falle einer Mutterschaft übertrugen sich die Einstellungen gegenüber den Müttern auf die Kinder, und die meisten Kinder waren in ihrer Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde und in Institutionen wie der Schule Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt. In Deutschland erlaubten die strengen Fraternisierungsverbote den Männern beziehungsweise Vätern anfänglich nicht, sich zu ihren Beziehungen zu bekennen. Ende des Jahres 1946 hob der US-Kongress das Heiratsverbot zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen schließlich auf. Bis Juni 1950 wanderten 14175 deutsche – als war brides titulierte – Frauen und 750 Kinder von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte in die USA aus.
Über den Umgang mit Eheschließungen in der britischen und französischen Besatzungszone ist bislang wenig bekannt. Angehörige der Roten Armee wurden mit Bekanntwerden der Schwangerschaft zumeist umgehend versetzt.
Während die amerikanischen, britischen und sowjetischen Militärbehörden in Nachkriegsdeutschland wenig Interesse an den von ihren Soldaten gezeugten Kindern zeigten, war der französische Staat ausgesprochen bemüht, "seine" Kinder einzugemeinden. Laut französischem Recht hatten die Kinder Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft.
"Irgendwie anders": Aufwachsen in der Nachkriegszeit
Viele Wehrmachts- und Besatzungskinder teilen, so der bisherige Stand der internationalen Forschung, das Schicksal der Ausgrenzung und Stigmatisierung, was bei einigen auch zu Traumatisierungen geführt hat. Sie leiden vermehrt an Identitätskrisen, und ihnen wurden oftmals basale Menschenrechte vorenthalten.
Autobiografische Zeugnisse und Forschungsergebnisse zeigen, dass für viele Wehrmachts- und Besatzungskinder vor allem die Frage der Identität von zentraler Bedeutung ist. Viele wussten direkt oder indirekt von ihrer Herkunft. Gerade in Dörfern war es schwer, eine Beziehung oder Schwangerschaft geheim zu halten, und vor allem in Norwegen scheint die "Buschtrommel" funktioniert zu haben: Während dort 64,1 Prozent der Kinder in der Volksschulzeit über ihre Abstammung informiert waren, wussten in Dänemark nur 47,8 Prozent der Befragten bereits dann darüber Bescheid.
Die Geschichte der Besatzungskinder in Deutschland wird bislang erzählt als die einer besonderen vaterlosen Gruppe, die verstärkt struktureller, institutioneller und individueller Diskriminierung ausgesetzt war. Vaterlos wuchsen allerdings während und nach dem Krieg viele Kinder auf. Allein die 5,3 Millionen gefallenen deutschen Soldaten hinterließen fast 2,5 Millionen Halbwaisen und rund 100000 Vollwaisen.
Der Diskurs über Besatzungskinder in Deutschland ist zudem stark auf die Situation "schwarzer" unehelicher Besatzungskinder fokussiert. Es ist daher zu fragen, ob Besatzungskinder in der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung tatsächlich einen Sonderfall unter den unehelichen Kindern darstellten, oder ob sie das nur wurden, wenn andere Differenzzuschreibungen hinzukamen.
Impulse aus der Intersektionalitätsdebatte
Die Analyse der Verflechtungen verschiedener Differenzzuschreibungen erscheint notwendig, damit erfahrene Diskriminierung, aber auch Unterstützung und Förderung nicht vorschnell und einseitig auf "Rasse", Geschlecht oder nationale Zugehörigkeit zurückgeführt werden. Eine These, die sich nach einer ersten Sichtung von Autobiografien und narrativen Interviews aufdrängt, ist die, dass die berichteten Diskriminierungserfahrungen bei "weißen" Kindern eher mit ihrem unehelichen Status, ihrer sozialen Herkunft und/oder ihrer Verankerung in einem streng religiösen Milieu zusammenhängen als mit ihrer "Abstammung" vom ehemaligen Feind. Immerhin gaben in einer in den 1950er Jahren erstellten Umfrage 33 Prozent der Befragten an, sie hätten keine Vorbehalte gegenüber ledigen Müttern, 41 Prozent wollten es jedoch vom speziellen Fall abhängig machen, und 18 Prozent missbilligten uneheliche Mutterschaften in jedem Fall. Zudem gaben alle Befragten an, eine Mutterschaft "aus Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit" sei generell abzulehnen.
Für die optisch sichtbar "anderen" Kinder – Nachkommen von afroamerikanischen Soldaten, französischen Kolonialsoldaten, aber auch von nichteuropäischen Rotarmisten – sowie für deren Mütter stellt sich dieser Sachverhalt mit Sicherheit anders dar. Hier besteht zweifelsohne weiterer Forschungsbedarf.
Lernen aus der Geschichte?
In den Anfängen der Forschung über das Kriegserleben von Kindern wurde der Begriff des "Traumas" geradezu inflationär eingesetzt, was dem Thema die nötige öffentliche Aufmerksamkeit sicherte. Mittlerweile sollte dieser aus der Psychiatrie beziehungsweise Psychotherapie stammende Begriff nicht unterschiedslos als Bezeichnung für alles, was das 20. Jahrhundert an furchtbaren Erfahrungen zu bieten hatte, genutzt werden. So weisen autobiografische Zeugnisse und erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Wehrmachts- und Besatzungskinder ihr Schicksal mit unterschiedlichen Strategien bewältigt haben.
Auf der internationalen, interdisziplinär besetzten Fachtagung "Besatzungskinder und Wehrmachtskinder – Auf der Suche nach Identität und Resilienz", die am 7./8. Mai 2015 in Köln stattfinden wird, soll deshalb – stärker als es bisher in der Forschung der Fall war – nach Resilienzfaktoren gefragt werden.
Mittlerweile sind die ältesten Wehrmachts- und Besatzungskinder im Rentenalter, und damit scheint sich für viele von ihnen die Frage nach ihrer biologischen Herkunft neu zu stellen. Die Betroffenen, die auf der Suche nach ihrem Erzeuger waren oder sind, haben sich mittlerweile in Netzwerken zusammengeschlossen. Hier helfen sie anderen Betroffenen – aber auch zunehmend der Generation der Enkelkinder – mit Ratschlägen zu Archiven, Materialien, Netzwerken, Kontaktpersonen, Literatur und unterstützen einander gegenseitig sowohl bei positiven wie auch negativen Erfahrungen. Zudem arbeiten viele Vereine mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen und ermöglichen somit den Zugang zu wichtigen Erkenntnissen über eine Bevölkerungsgruppe, die ansonsten Forscherinnen und Forschern weitgehend verschlossen bliebe.
Nun gab und gibt es weitere kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt, in der Kinder unter ähnliche Umständen geboren wurden beziehungsweise werden.