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Wehrmachts- und Besatzungskinder | 70 Jahre Kriegsende | bpb.de

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Wehrmachts- und Besatzungskinder Zwischen Stigmatisierung und Integration

Elke Kleinau Ingvill C. Mochmann Ingvill C. Mochmann Elke Kleinau

/ 14 Minuten zu lesen

Kinder, die von Wehrmachtssoldaten im besetzten Ausland gezeugt wurden, waren lange Zeit ebenso ein Tabuthema wie Kinder alliierter Soldaten und deutscher Frauen. Lässt sich aus ihren Erfahrungen etwas lernen?

Am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Zahlreiche Gedenkfeiern und wissenschaftliche Tagungen über die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus sind zu erwarten, aber noch immer gibt es Bevölkerungsgruppen, die als sogenannte Kollateralschäden des Krieges aus dem kollektiven Gedächtnis der Nationen schlichtweg herausfallen. Während und nach jedem Krieg haben Besatzungssoldaten mit einheimischen Frauen Kinder gezeugt, die "Kinder des Krieges". Für den Zweiten Weltkrieg gilt das sowohl für Soldaten der deutschen Wehrmacht in den okkupierten Gebieten als auch für Angehörige der alliierten Streitkräfte (sowjetische, britische, US-amerikanische, französische). Zwar schenken sowohl Gesellschaft als auch Forschung den Schicksalen der Wehrmachts- und Besatzungskinder im Vergleich zu anderen Thematiken des Zweiten Weltkriegs bis jetzt relativ wenig Aufmerksamkeit, aber in den zurückliegenden zehn Jahren hat das Interesse doch zugenommen, was sich etwa an der steigenden Anzahl neuer wissenschaftlicher Publikationen und autobiografischer Zeugnisse zeigt.

Die genaue Anzahl der Wehrmachts- und Besatzungskinder ist nicht bekannt. Auf der Basis von unterschiedlichen Dokumenten und Quellen sind Schätzungen vorgenommen worden, die jedoch sehr verschieden ausfallen, je nachdem in welchem Land die Kinder geboren wurden und wie sich die Situation zwischen der Besatzungsmacht und den Einheimischen gestaltete. Während zum Beispiel in Norwegen 8000 Wehrmachtskinder durch den von der SS getragenen Lebensborn registriert wurden, gibt es für Wehrmachtskinder, die in den sogenannten Ostgebieten geboren wurden, kaum Dokumente. In der DDR wurden im Interesse der deutsch-sowjetischen Freundschaft nie offiziell Zahlen erhoben, in der Bundesrepublik wurden 1956 lediglich die unter Vormundschaft stehenden unehelichen Besatzungskinder erfasst.

Neben den nachträglich für ehelich erklärten Kindern gibt es noch eine weitere Gruppe von Besatzungskindern, die in dieser Erhebung nicht auftauchen, und die auch in anderen europäischen Staaten in der Regel nicht erfasst werden konnten. Gemeint sind die Kinder, die innerhalb bestehender Ehen geboren wurden. Über diese Kinder konnte die Forschung kaum etwas in Erfahrung bringen, weil die Mütter aus Angst vor Repressalien die Herkunft ihrer Kinder geheim hielten.

Auch wenn die mittels Schätzungen erhobenen Zahlen mit Einschränkungen behaftet sind, zeigen sie doch, dass es sich bei den Kindern des Krieges nicht um eine kleine Gruppe handelt. So wird zum Beispiel geschätzt, dass in Norwegen 10000 bis 12000 Wehrmachtskinder geboren wurden, in Dänemark 6000 bis 8000, in den Niederlanden 12000 bis 15000 und bis zu 200000 in Frankreich. Aber es ist anzunehmen, dass es Wehrmachtskinder in allen okkupierten Gebieten gibt, von Norwegen bis Nordafrika und von Jersey bis in die Sowjetunion. Gleichermaßen wurden in Deutschland und Österreich überall dort Besatzungskinder geboren, wo alliierte Truppen stationiert waren. So geht man zum Beispiel in Westdeutschland von rund 67000 Besatzungskindern aus und in Österreich von mindestens 20000 Kindern, die einen Rotarmisten zum Vater haben.

Beziehungen zwischen ausländischen Soldaten und einheimischen Frauen

Nicht alle Wehrmachts- oder Besatzungskinder entstanden in einer einvernehmlichen sexuellen Begegnung oder gar einer Liebesbeziehung. Die Grenze zwischen freiwilligen und erzwungenen sexuellen Kontakten zwischen Besatzern und einheimischen Frauen gestaltete sich in allen kriegsteilnehmenden Staaten fließend. Neben flüchtigen sexuellen Begegnungen und wirklichen Liebesbeziehungen existierten auch Überlebensstrategien wie der Tausch von Sex gegen Ware oder Geld. Überlebensprostitution war in den meisten Fällen keine "freiwillig" getroffene Entscheidung der Frauen. Sexuelle Gewalt wurde wohl von allen Krieg führenden Parteien ausgeübt, obwohl für die Wehrmacht bislang nur eine explizite Untersuchung für die Sowjetunion vorliegt. Für das Gebiet der Bundesrepublik wurden fast nur die Massenvergewaltigungen durch Angehörige der Roten Armee erforscht. Auch wenn die Zahl der durch US-amerikanische Besatzungssoldaten verursachten Vergewaltigungen deutlich unter denen der Rotarmisten lag, so geht doch eine neuere Untersuchung von immerhin 11000 Fällen bis September 1945 aus. In den zitierten Studien werden die prekären Lebenssituationen der vergewaltigten Frauen nachgezeichnet. Die Bedingungen, unter denen die gewaltsam entstandenen Kinder aufwuchsen, werden jedoch kaum thematisiert, obgleich beide Themen schwer voneinander zu trennen sind.

Selbst wenn die Kinder aus einer Liebesbeziehung hervorgingen, wie dies beispielsweise häufig in Norwegen der Fall war, gestalteten sich ihre Lebensumstände alles andere als einfach. Aus deutscher Sicht waren Kontakte zu Norwegerinnen erwünscht, da diese als "arisch" galten. Somit wurden Beziehungen und Schwangerschaften mit Wohlwollen gesehen, was in vielen anderen besetzen Gebieten nicht der Fall war. Obwohl es in Norwegen nicht verboten war, eine Beziehung mit einem deutschen Soldaten einzugehen, wurde vielen "Deutschenmädchen" am Kriegsende "unnationales Verhalten" vorgeworfen. Ihnen wurde der Kopf kahlgeschoren, sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen und im Fall einer Heirat mit ihrem deutschen Freund verloren sie die norwegische Staatsbürgerschaft.

Auch in anderen von den Deutschen besetzten Ländern erlebten viele Frauen nach dem Krieg Ähnliches. Im Falle einer Mutterschaft übertrugen sich die Einstellungen gegenüber den Müttern auf die Kinder, und die meisten Kinder waren in ihrer Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde und in Institutionen wie der Schule Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt. In Deutschland erlaubten die strengen Fraternisierungsverbote den Männern beziehungsweise Vätern anfänglich nicht, sich zu ihren Beziehungen zu bekennen. Ende des Jahres 1946 hob der US-Kongress das Heiratsverbot zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen schließlich auf. Bis Juni 1950 wanderten 14175 deutsche – als war brides titulierte – Frauen und 750 Kinder von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte in die USA aus. Aufgrund der strengen Segregationsbestimmungen in den USA verweigerte aber die Militärregierung oftmals die Zustimmung zu einer "Mischehe" zwischen "Schwarzen" und "Weißen".

Über den Umgang mit Eheschließungen in der britischen und französischen Besatzungszone ist bislang wenig bekannt. Angehörige der Roten Armee wurden mit Bekanntwerden der Schwangerschaft zumeist umgehend versetzt. Anspruch auf Unterhalt konnten die Frauen nicht erheben. Erst 1952 wurde im Rahmen des Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den drei Mächten ("Deutschlandvertrag") festgelegt, dass deutsche Gerichte Angehörige der alliierten Streitkräfte auf Unterhaltszahlungen verklagen durften, wenn sich die Beklagten in Deutschland aufhielten. Das schränkte die Zahl der Erfolg versprechenden Klagen von vornherein ein. Die Regelung trat zudem erst 1955 in Kraft und galt nur für Kinder, die nach dem Stichjahr geboren wurden. Da die ersten Besatzungskinder im August 1945 geboren worden waren und die Besatzungszeit offiziell mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 endete, konnten die Mütter von Besatzungskindern von dieser Regelung nicht profitieren. Schwierig und zäh war auch der Prozess um Unterhaltszahlungen für norwegische Wehrmachtskinder, obwohl laut norwegischem Gesetz die Erzeuger unehelicher Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr des Kindes unterhaltspflichtig waren. Der größte Anteil der Wehrmachtskinder erhielt keine Alimente, da der norwegische Staat die Vorschussregelung zur Unterhaltszahlung so gestaltete, dass die meisten Wehrmachtskinder davon ausgeschlossen waren. Viele dieser Kinder wuchsen daher unter wirtschaftlich prekären Bedingungen auf.

Während die amerikanischen, britischen und sowjetischen Militärbehörden in Nachkriegsdeutschland wenig Interesse an den von ihren Soldaten gezeugten Kindern zeigten, war der französische Staat ausgesprochen bemüht, "seine" Kinder einzugemeinden. Laut französischem Recht hatten die Kinder Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft. Gleichzeitig wurden Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, – wie auch in Norwegen – als Kollaborateurinnen verfolgt und der beschämenden Prozedur des Kahlscherens unterzogen. Die aus Verbindungen mit deutschen Soldaten hervorgegangenen Kinder wurden nicht als "richtige" Franzosen begriffen, sondern als enfants maudits (verfluchte Kinder) geschmäht.

"Irgendwie anders": Aufwachsen in der Nachkriegszeit

Viele Wehrmachts- und Besatzungskinder teilen, so der bisherige Stand der internationalen Forschung, das Schicksal der Ausgrenzung und Stigmatisierung, was bei einigen auch zu Traumatisierungen geführt hat. Sie leiden vermehrt an Identitätskrisen, und ihnen wurden oftmals basale Menschenrechte vorenthalten. Während es in Nord- und Westeuropa mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen über die Lebensbedingungen von Wehrmachtskindern gibt, fehlen für Ost- und Südosteuropa oftmals verlässliche Daten und Fakten. Am besten sind zurzeit die gesellschaftlichen und staatlich legitimierten Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozesse erforscht, die die Wehrmachtskinder in Norwegen erfahren haben. Verglichen mit Gleichaltrigen haben sie eine höhere Selbstmordrate, sind häufiger berufsunfähig und geschieden und verfügen über niedrigere schulische und berufliche Qualifikationen. Zudem haben viele von ihnen physische und psychische Misshandlungen erlitten. Aber auch in anderen europäischen Ländern war der Umgang mit den Kindern lange Zeit von Diskriminierungsstrategien dominiert.

Autobiografische Zeugnisse und Forschungsergebnisse zeigen, dass für viele Wehrmachts- und Besatzungskinder vor allem die Frage der Identität von zentraler Bedeutung ist. Viele wussten direkt oder indirekt von ihrer Herkunft. Gerade in Dörfern war es schwer, eine Beziehung oder Schwangerschaft geheim zu halten, und vor allem in Norwegen scheint die "Buschtrommel" funktioniert zu haben: Während dort 64,1 Prozent der Kinder in der Volksschulzeit über ihre Abstammung informiert waren, wussten in Dänemark nur 47,8 Prozent der Befragten bereits dann darüber Bescheid. Viele Wehrmachts- und Besatzungskinder berichten allerdings, sie hätten gespürt, dass "irgendetwas nicht stimmte", etwa weil sie "anders" behandelt worden seien als ihre Geschwister, die sich später als Halbgeschwister erwiesen, oder weshalb ihr Vater, der eigentlich ihr Stiefvater war, sie nicht leiden konnte. In einigen Fällen übertrug die Mutter ihre Wut und Verzweiflung über ihre miserable Lage auf das Kind. Verleumdung, Verheimlichung und Vertuschung der biologischen Herkunft dieser Kinder waren jahrzehntelang nichts Ungewöhnliches. Die Mütter hüllten sich, wie es scheint, in Schweigen, vielleicht um sich, das Kind oder auch beide zu schützen.

Die Geschichte der Besatzungskinder in Deutschland wird bislang erzählt als die einer besonderen vaterlosen Gruppe, die verstärkt struktureller, institutioneller und individueller Diskriminierung ausgesetzt war. Vaterlos wuchsen allerdings während und nach dem Krieg viele Kinder auf. Allein die 5,3 Millionen gefallenen deutschen Soldaten hinterließen fast 2,5 Millionen Halbwaisen und rund 100000 Vollwaisen. Ein Vergleich der Lebenssituation von Besatzungskindern mit anderen Gruppen von Kindern hat bisher nicht stattgefunden, weder mit Kriegskindern, noch mit Flüchtlingskindern, über die seit Kurzem eine erste Studie vorliegt.

Der Diskurs über Besatzungskinder in Deutschland ist zudem stark auf die Situation "schwarzer" unehelicher Besatzungskinder fokussiert. Es ist daher zu fragen, ob Besatzungskinder in der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung tatsächlich einen Sonderfall unter den unehelichen Kindern darstellten, oder ob sie das nur wurden, wenn andere Differenzzuschreibungen hinzukamen.

Impulse aus der Intersektionalitätsdebatte legen nahe, dass neben der Zuschreibung Besatzungskind die unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens von "weißen" und "schwarzen" Kindern sowie von Jungen und Mädchen berücksichtigt werden sollten. Auch soziale Herkunft und religiöse Zugehörigkeit gilt es zu beachten, führten doch die Flüchtlingsströme nach 1945 zu einer Vermischung bis dato fast geschlossener religiöser Milieus. Ob die Kinder einer Liebesbeziehung, einer flüchtigen sexuellen Begegnung oder einer Vergewaltigung entstammen, sollte ebenfalls in die Analyse einbezogen werden, da der mit Gewalt erzwungene Sexualverkehr es den meisten Müttern erschwert haben dürfte, eine positive Bindung an das unerwünschte Kind aufzubauen. Aber auch enttäuschte Liebe oder gesellschaftliche Diskriminierungen können – wie für Norwegen belegt – zu Problemen in der Mutter-Kind-Beziehung beigetragen haben.

Die Analyse der Verflechtungen verschiedener Differenzzuschreibungen erscheint notwendig, damit erfahrene Diskriminierung, aber auch Unterstützung und Förderung nicht vorschnell und einseitig auf "Rasse", Geschlecht oder nationale Zugehörigkeit zurückgeführt werden. Eine These, die sich nach einer ersten Sichtung von Autobiografien und narrativen Interviews aufdrängt, ist die, dass die berichteten Diskriminierungserfahrungen bei "weißen" Kindern eher mit ihrem unehelichen Status, ihrer sozialen Herkunft und/oder ihrer Verankerung in einem streng religiösen Milieu zusammenhängen als mit ihrer "Abstammung" vom ehemaligen Feind. Immerhin gaben in einer in den 1950er Jahren erstellten Umfrage 33 Prozent der Befragten an, sie hätten keine Vorbehalte gegenüber ledigen Müttern, 41 Prozent wollten es jedoch vom speziellen Fall abhängig machen, und 18 Prozent missbilligten uneheliche Mutterschaften in jedem Fall. Zudem gaben alle Befragten an, eine Mutterschaft "aus Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit" sei generell abzulehnen. In Anbetracht der in der westdeutschen Nachkriegsbevölkerung vorherrschenden Stereotype über ledige Mütter kommt diese Einschätzung einer Generalverurteilung gleich.

Für die optisch sichtbar "anderen" Kinder – Nachkommen von afroamerikanischen Soldaten, französischen Kolonialsoldaten, aber auch von nichteuropäischen Rotarmisten – sowie für deren Mütter stellt sich dieser Sachverhalt mit Sicherheit anders dar. Hier besteht zweifelsohne weiterer Forschungsbedarf.

Lernen aus der Geschichte?

In den Anfängen der Forschung über das Kriegserleben von Kindern wurde der Begriff des "Traumas" geradezu inflationär eingesetzt, was dem Thema die nötige öffentliche Aufmerksamkeit sicherte. Mittlerweile sollte dieser aus der Psychiatrie beziehungsweise Psychotherapie stammende Begriff nicht unterschiedslos als Bezeichnung für alles, was das 20. Jahrhundert an furchtbaren Erfahrungen zu bieten hatte, genutzt werden. So weisen autobiografische Zeugnisse und erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Wehrmachts- und Besatzungskinder ihr Schicksal mit unterschiedlichen Strategien bewältigt haben.

Auf der internationalen, interdisziplinär besetzten Fachtagung "Besatzungskinder und Wehrmachtskinder – Auf der Suche nach Identität und Resilienz", die am 7./8. Mai 2015 in Köln stattfinden wird, soll deshalb – stärker als es bisher in der Forschung der Fall war – nach Resilienzfaktoren gefragt werden. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Ressourcen, aus denen die Besatzungs- und Wehrmachtskinder schöpften, vom wem sie im Laufe ihres Sozialisationsprozesses Unterstützung und Förderung erfuhren. Neben einschlägig forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden Wehrmachts- und Besatzungskinder auch selbst zu Wort kommen. Viele von ihnen wussten lange Zeit nichts über ihren biologischen Vater, da ihre Mütter und/oder ihre Großeltern ihre Abstammung offenbar geheim hielten. Für viele Wehrmachts- wie Besatzungskinder standen aber auch – biografisch bedingt – andere Fragen auf der Tagesordnung, wie etwa Eheschließung, Familiengründung oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Mittlerweile sind die ältesten Wehrmachts- und Besatzungskinder im Rentenalter, und damit scheint sich für viele von ihnen die Frage nach ihrer biologischen Herkunft neu zu stellen. Die Betroffenen, die auf der Suche nach ihrem Erzeuger waren oder sind, haben sich mittlerweile in Netzwerken zusammengeschlossen. Hier helfen sie anderen Betroffenen – aber auch zunehmend der Generation der Enkelkinder – mit Ratschlägen zu Archiven, Materialien, Netzwerken, Kontaktpersonen, Literatur und unterstützen einander gegenseitig sowohl bei positiven wie auch negativen Erfahrungen. Zudem arbeiten viele Vereine mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen und ermöglichen somit den Zugang zu wichtigen Erkenntnissen über eine Bevölkerungsgruppe, die ansonsten Forscherinnen und Forschern weitgehend verschlossen bliebe.

Nun gab und gibt es weitere kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt, in der Kinder unter ähnliche Umständen geboren wurden beziehungsweise werden. Auch in den aktuellen Konflikten in der Ukraine, in Syrien und im Nordirak ist zu erwarten, dass "Kinder des Krieges" geboren werden. Hinzu kommen Kinder, die von Mitgliedern der Friedenstruppen in verschiedenen Konfliktregionen gezeugt wurden beziehungsweise werden und die auch ähnlichen Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind. Somit stellt sich die Frage, ob sich aus den Erfahrungen der Wehrmachts- und Besatzungskinder weiterführende Lehren für die heutige Zeit ziehen lassen – etwa für die Entwicklung von nationalen und internationalen Richtlinien oder für die Planung humanitärer Interventionen. Dieser Arbeit widmet sich seit einigen Jahren das International Network for Interdisciplinary Research on Children Born of War (INIRC), das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, praktizierende Psychologinnen und Psychologen, Ärztinnen und Ärzte, Mitglieder internationaler Hilfsorganisationen sowie Betroffene zusammenbringt, um die Evidenzbasis für politische Entscheidungen und praktische Interventionsmaßnahmen im Interesse der Kinder voranzubringen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Es gibt mehrere Begriffe, um die Kinder zu beschreiben, die von Soldaten in verschiedenen Ländern gezeugt wurden. Als Bezeichnung für alle Kinder, die von deutschen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges gezeugt wurden, hat sich der Begriff "Wehrmachtskinder" eingebürgert. Unter "Besatzungskindern" werden Kinder verstanden, die von Angehörigen der alliierten Truppen im Nachkriegsdeutschland gezeugt wurden. Manchmal wird der Terminus aber auch für alle Kinder, die von Besatzungssoldaten abstammen, verwendet. Der ebenfalls alle Kinder umfassende Begriff "Kinder des Krieges" (children born of war) wurde 2006 in den Forschungsdiskurs eingeführt. Vgl. Ebba Drolshagen, Wehrmachtskinder. Auf der Suche nach dem nie gekannten Vater, München 2005; Ingvill C. Mochmann, Expert Meeting "Consolidating the Evidence Base of Children Born of War", Köln 2006.

  2. Vgl. Barbara Stelzl-Marx/Silke Satjukow (Hrsg.), Besatzungskinder. Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und in Deutschland, Wien 2015; Winfried Behlau (Hrsg.), Distelblüten. Russenkinder in Deutschland, o.O. 2015; Ute Baur-Timmerbrink, Wir Besatzungskinder. Töchter und Söhne alliierter Soldaten erzählen, Berlin 2015.

  3. Vgl. Kåre Olsen, Vater: Deutscher, Frankfurt/M.–New York 2002.

  4. Vgl. Ingvill C. Mochmann/Sabine Lee/Barbara Stelzl-Marx, The Children of the Occupations Born During the Second World War and Beyond – An Overview, in: Historical Social Research, 34 (2009) 3, S. 263–282, hier: S. 264ff.

  5. Vgl. Joachim Schröder, "Betrifft: Uneheliche deutsche farbige Mischlingskinder". Ein aufschlussreiches Kapitel deutscher Bildungspolitik, in: Martin Spetsmann-Kunkel (Hrsg.), Gegen den Mainstream. Kritische Perspektiven auf Bildung und Gesellschaft, Münster u.a. 2009, S. 176–201, hier: S. 179.

  6. Vgl. Barbara Stelzl-Marx, Die unsichtbare Generation. Kinder sowjetischer Besatzungssoldaten in Österreich und Deutschland, in: Historical Social Research, 34 (2009) 3, S. 252–372, hier: S. 361.

  7. Regina Mühlhäuser, Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion, 1941–1945, Hamburg 2010.

  8. Vgl. Helke Sander/Barbara Johr (Hrsg.), BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigung, Kinder, Frankfurt/M. 1995; Atina Grossmann: A Question of Silence. The Rape of German Women by Occupation Soldiers, in: October, 72 (1995), S. 43–63; Birgit Dahlke: "Frau Komm!" Vergewaltigungen 1945. Zur Geschichte eines Diskurses, in: dies. et al. (Hrsg.), LiteraturGesellschaft DDR. Kanonkämpfe und ihre Geschichte(n), Stuttgart 2000, S. 275–311.

  9. Vgl. Robert Lilly, Taken by Force: Rape and American GIs in Europe during World War II, London 2007; Miriam Gebhardt, Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigungen deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs, München 2015.

  10. Vgl. Ebba Drolshagen, Nicht ungeschoren davonkommen, Hamburg 1998; Helle Aarnes, Tyskerjentene, Oslo 2009.

  11. Vgl. Sabine Lee, Kinder amerikanischer Soldaten in Europa. Ein Vergleich der Situation britischer und deutscher Kinder, in: Historical Social Research, 34 (2009) 3, S. 321–351, hier: S. 340.

  12. Vgl. Silke Satjukow, "Besatzungskinder". Nachkommen deutscher Frauen und alliierter Soldaten seit 1945, in: Geschichte und Gesellschaft, 37 (2011) 4, S. 559–591, hier: S. 566; dies./Rainer Gries, "Bankerte!" Besatzungskinder nach 1945, Frankfurt/M. 2015.

  13. Vgl. J. Schröder (Anm. 5), S. 180.

  14. Vgl. K. Olsen (Anm. 3), S. 352ff.; Lars Borgersrud, Staten og krigsbarna. En historisk undersøkelse av statsmyndighetenes behandling av krigsbarna i de første etterkrigsårene, Oslo 2004.

  15. Vgl. S. Satjukow (Anm. 12), S. 568.

  16. Vgl. Jean-Paul Picaper/Ludwig Norz, Die Kinder der Schande. Das tragische Schicksal deutscher Besatzungskinder in Frankreich, München–Zürich 2005; Fabrice Virgili, Enfants de Boches: The War Children of France, in: Kjersti Ericsson/Eva Simonsen (Hrsg.), Children of World War II. The Hidden Enemy Legacy, Oxford–New York 2005, S. 138–150.

  17. Vgl. Ingvill C. Mochmann/Sabine Lee, The Human Rights of Children Born of War: Case Analyses of Past and Present Conflicts, in: Historische Sozialforschung, 35 (2010) 3, S. 268–298.

  18. Vgl. Dag Ellingsen, En registerbasert undersøkelse. Oslo-Kongsvinger: Statistisk sentralbyrå, Rapport 19/2004.

  19. Vgl. unter anderem Kjersti Ericsson/Eva Simonsen, Krigsbarn i fredstid, Oslo 2005; Ingvill C. Mochmann/Stein Ugelvik Larsen, The Forgotten Consequences of War: The Life Course of Children Fathered by German Soldiers in Norway and Denmark During WW II – Some Empirical Results, in: Historical Social Research, 33 (2008) 1, S. 347–363.

  20. Vgl. für die Niederlande: Katja Happe, "Moffenmeiden". Der Umgang mit Kollaborateuren in den Niederlanden nach 1945, in: Norbert Fasse et al. (Hrsg.), Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht, Münster 2000, S. 405–416; Monika Diederichs, "Moffenkinder": Kinder der Besatzung in den Niederlanden, in: Historical Social Research, 34 (2009) 3, S. 304–320; für Dänemark: Ingvill C. Mochmann/Arne Øland, Der lange Schatten des Zweiten Weltkrieges: Kinder deutscher Wehrmachtssoldaten und einheimischer Frauen in Dänemark, in: Historical Social Research, 34 (2009) 3, S. 283–303; für Griechenland: Kerstin Muth, Die Wehrmacht in Griechenland und ihre Kinder, München 2008; für Polen: Maren Röger, The Sexual Policies and Sexual Realities of the German Occupiers in Poland in the Second World War, in: Contemporary European History, 23 (2014) 1, S. 1–21; Großbritannien und Deutschland vergleichend: Sabine Lee, A Forgotten Legacy of the Second World War: GI children in post-war Britain and Germany, in: Contemporary European History, 20 (2011) 2, S. 157–181.

  21. Vgl. Ingvill C. Mochmann/Stein Ugelvik Larsen, Kriegskinder in Europa, in: APuZ, (2005) 18–19, S. 34–38.

  22. Vgl. Lu Seegers, Vater-Los – Der gefallene Vater in der Erinnerung von Halbwaisen in Deutschland nach 1945, in: José Brunner (Hrsg.), Mütterliche Macht und väterliche Autorität. Elternbilder im deutschen Diskurs, Göttingen 2008, S. 128–151.

  23. Als "Kriegskinder" werden im deutschen Forschungsdiskurs ausschließlich die Kinder und Jugendlichen bezeichnet, die die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges erlebt haben (zum Beispiel Bombardements).

  24. Vgl. Susanne Greiter, Flucht und Vertreibung im Familiengedächtnis. Geschichte und Narrativ, München 2014.

  25. Vgl. Elke Kleinau, Klasse, Nation und "Rasse" – Intersektionelle Perspektiven in der genderorientierten Historischen Bildungsforschung, in: Der pädagogische Blick, 18 (2010) 2, S. 68–81; Katharina Walgenbach, Heterogenität, Intersektionalität, Diversity in der Erziehungswissenschaft, Opladen–Farmington Hills 2014.

  26. Vgl. Lieselotte Pongratz, Prostituiertenkinder. Umwelt und Entwicklung in den ersten acht Lebensjahren, Stuttgart 1964, S. 4.

  27. Vgl. Sybille Buske, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900–1970, Göttingen 2004.

  28. Siehe die Tagungsankündigung unter Externer Link: http://www.childrenbornofwar.org/Portals/7/public/Program_Tagung_BesatzungsundWehrmachtskinder_Mai2015_K%C3%B6ln.pdf (9.3.2015).

  29. Viele nationale Vereine der Wehrmachts- und Besatzungskinder haben sich im internationalen Netzwerk "Born of War" zusammengeschlossen: Externer Link: http://www.bowin.eu (9.3.2015).

  30. Vgl. Kai Grieg, The War Children of the World. War and Children Identity Project, Bergen 2001; Charli Carpenter (Hrsg.), Born of War. Protecting Children of Sexual Violence Survivors in Conflict Zones, Bloomfield 2007.

  31. Für weitere Informationen siehe Externer Link: http://www.childrenbornofwar.org (9.3.2015).

Lizenz

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Dr. phil., geb. 1954; Professorin für Historische Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Gender History an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Gronewaldstraße 2, 50931 Köln. E-Mail Link: elke.kleinau@uni-koeln.de

Dr. rer. soc., geb. 1969; Professorin für internationale Politik und Vizepräsidentin für Forschung an der Cologne Business School; Leiterin des EUROLAB am GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, Unter Sachsenhausen 6–8, 50667 Köln. E-Mail Link: ingvill.mochmann@gesis.org