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Zwischenzeit 1945 bis 1949 | 70 Jahre Kriegsende | bpb.de

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Zwischenzeit 1945 bis 1949 Über jüdische und andere Konstellationen - Essay

Dan Diner

/ 11 Minuten zu lesen

Die Jahre 1945 bis 1949 lassen sich als Zone des Übergangs verstehen. Dies gilt insbesondere für jüdische Holocaust-Überlebende, vollzog sich doch eine Revolutionierung des jüdischen Selbstverständnisses.

Zäsuren markieren das Bewusstsein der Zeitgenossen, schreiben Erinnerung ein und generieren Gedächtnis. Periodisierungen sind Behelfe der Historisierung. Sie dienen der raum-zeitlichen Orientierung und suchen aus angemessener Distanz heraus Sinn zu stiften. Mit der deutschen Kapitulation endet der Zweite Weltkrieg am 8./9. Mai 1945 – genauer: die Kampfhandlungen auf dem europäischen Kriegsschauplatz. Im Fernen Osten streckt das kaiserliche Japan erheblich später, am 15. August beziehungsweise 2. September, die Waffen. Die unterschiedlichen Daten – Zäsuren – indizieren, dass die Kriegsschauplätze in Europa und in Asien miteinander ebenso verbunden wie voneinander getrennt waren. Und sie legen eine Periodisierung des Krieges nahe, die jene raum-zeitliche Differenz verstärkt. So ist unbestritten, dass in Europa der Krieg mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann; in Asien ließe sich ein derart periodisierender Einschnitt für die Entfesselung des Krieges allenfalls retrospektiv und dies anhand des japanischen Zugriffs auf die Mandschurei anzeigen, dem sogenannten Mukden-Zwischenfall vom 18. September 1931.

Eine klare Zäsur wie für den Zweiten Weltkrieg, dessen Beginn und Ende in Europa mit einem bestimmten Tag und einer klar fixierten Uhrzeit verbunden sind, lässt sich für den Anbeginn der nachfolgenden Auseinandersetzung als Epoche – die des Kalten Krieges – nicht angeben. Aus deutscher Sicht bietet sich hierfür das Jahr der Gründung der Bundesrepublik Deutschland mit der Verkündung des Grundgesetzes im Mai 1949 und der im Oktober ausgerufenen DDR an. Ebenso lässt sich das Ende der Epoche auf ein bestimmtes, ikonische Strahlkraft annehmendes Ereignis zurückführen: auf den Fall der Mauer am 9. November 1989 und das alsbald eingetretene Ende der DDR.

Wie deutsch sich dieses Datum letztendlich ausnimmt, wird daran deutlich, dass sich mit dem 9. November gleich mehrere Schicksalsereignisse deutscher Geschichte jähren: die Ausrufung der Republik 1918, der gescheiterte Putsch Hitlers 1923 in München, die sogenannte Reichskristallnacht 1938, der Fall der Mauer 1989. Die ersten drei Ereignisse stehen in einem wenn auch nur symbolischen Kausalverhältnis zueinander. Der 9. November des Mauerfalls verhält sich zu ihnen jedenfalls wie die Kontingenz zum Telos, also wie der Zufall zu einem angestrebten Ziel. Dass sich die Deutschen des tiefen Wandels ihrer Geschichte vielleicht doch nicht so gewiss sind, wie es scheinen mag, offenbart sich daran, dass sie, indem sie aus dem Bann des 9. November auszuscheren suchten, den 3. Oktober zu ihrem Nationalfeiertag erkoren. Die inszenierte Beliebigkeit dieses Datums verdeckt nur mühsam die sich dahinter verbergende historische Chiffre des 9. November. Dies jedenfalls ist die deutschzentrische Deutung symbolischer Zeiteinschnitte.

Zone des Übergangs

Andere historische Räume und politische Erinnerungskulturen werden für den Beginn und vermutlich auch für das Ende des Kalten Krieges andere Periodisierungseinschnitte nahelegen. Seine Anfänge lassen sich jedenfalls weniger im Herzen des Kontinents und damit dem räumlichen Umfeld der "deutschen Frage" orten denn im Raum der "orientalischen Frage" des 19. Jahrhunderts, also in der Region um Iran, Türkei und Griechenland. Es beginnt mit der anfänglichen sowjetischen Weigerung, sich vertragsgemäß aus ihrer Teilungszone in Nordiran zurückzuziehen und steigert sich mittels des bereits 1944 begonnenen, bis 1948 anhaltenden griechischen Bürgerkrieges. Sowohl dieser Krieg, in dem die kommunistische Seite wesentlich von Titos Jugoslawien und nicht von Stalin unterstützt wurde, als auch die sowjetischen Pressionen gegen die Türkei, vor allem in der Kaukasusregion, veranlassten den US-amerikanischen Präsidenten Truman 1947 dazu, die nach ihm benannte Doktrin zu verkünden – eine Ansprache, die gemeinhin als Zeichen des Beginns des Kalten Krieges gilt. Im Fernen Osten verläuft eine Linie der Kontinuität des chinesischen Bürgerkrieges durch die Ereignisfolge des Zweiten Weltkrieges hindurch, um im Epochenjahr 1949 im Sieg der Chinesischen Revolution einzumünden. Als heißer Krieg im Kalten Krieg findet diese Tendenz im Koreakrieg 1950 bis 1953 ihre Fortsetzung.

Die wenigen Jahre zwischen 1945, dem Ende des Krieges, und 1949, dem Jahr der abschließenden institutionellen Etablierung des Kalten Krieges, lassen sich als Zeit einer historischen Gezeitenabfolge verstehen – eine Zone des Übergangs, eine Art von Zwischenzeit. Eine Zone des Übergangs waren die Jahre 1945 bis 1949 freilich nicht nur für die jüdischen Überlebenden des ultimativen Genozids, dem später sogenannten Holocaust, sondern auch für viele Millionen anderer displaced persons, die in Europa umherirrten. Gleichwohl waren diese Jahre gerade für Juden ganz besondere. Es vollzog sich nämlich so etwas wie eine Revolutionierung des jüdischen Selbstverständnisses – eine der Katastrophe geschuldete Transformation von einer diasporischen in eine tellurische Existenz, will heißen und in geometrischer Metaphorik gefasst: von einer Lage, die von einem ungeschützten Punkt symbolisiert wird, in die einer machtgestützten Fläche.

Diese Transformation jüdischer Existenz war drei sich miteinander verfugenden historischen Entwicklungen geschuldet. Hier ist, erstens, die jüdische Katastrophe zu nennen, die – auf Europa bezogen – alle aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart des 20. Jahrhunderts reichenden jüdischen Emanzipationserwartungen annullierte – ob es sich nun um Formen der auf Menschen- und Bürgerrechten beruhenden individuellen Emanzipation handelte oder um Gruppenrechte, wie sie etwa durch das Minderheitenregime des Völkerbundes in der Zwischenkriegszeit vereinbart worden waren. Hinzu kam, zweitens, die dem Zweiten Weltkrieg auf dem Fuße folgende Dekolonisierung und der Übergang der imperialen Stafette auf die Vereinigten Staaten. Und schließlich, drittens, die Massenflucht von dem Holocaust entronnener Juden aus den sich zunehmend verschließenden Ländern des zukünftigen Ostblocks nach Westen – vornehmlich in die US-amerikanische Besatzungszone Deutschlands.

Holocaust, Dekolonisierung, Sowjetisierung

Das Ende jüdischer Emanzipationserwartungen hatte sich bereits in der Zeit zwischen den Weltkriegen angekündigt, als sich aus der Verfallsmasse multiethnischer Imperien neue oder erweiterte Nationalstaaten etablierten, die auf ethnische Homogenität zielten und jüdische Existenz zunehmend erschwerten. In Ländern wie Polen, Rumänien oder Ungarn verband sich ein regierungsamtlich verfügter Antisemitismus mit einer von unten gespeisten Judenfeindschaft zu einer Politik, die sukzessive auf einen Ausschluss von Juden aus dem Universitäts-, Staats- und Wirtschaftsleben, gar auf deren Emigration zielte. Dabei hatte das im 19. Jahrhundert europäische "Überbevölkerung" in sich aufnehmende, klassische Immigrationsland, die Vereinigten Staaten von Amerika, von den frühen 1920er Jahren an seine vormals sperrangelweit offen stehenden Tore verschlossen beziehungsweise die Einwanderung so streng kontingentiert, dass der Not in Europa keine Ausflucht mehr geboten war. Vor allem Juden als Juden, für die keine besonderen Kontingente vorgesehen waren – sie konnten allenfalls als Deutsche, Polen, Ungarn, Rumänen oder sonstige Staatsangehörige um Einreise anhalten –, gerieten in schier ausweglose Lagen.

Versuche jüdischer Politik, mittels einer sogenannten Gegenwartsarbeit (im Unterschied zu einer auf Palästina gerichteten Zukunftsarbeit) und gedeckt vom internationalrechtlichen Minderheitenschutz, sich der jüdischen Not anzunehmen, stieß zunehmend an Grenzen, um in den 1930er Jahren in eine tiefe Krise einzumünden. Mit der antijüdischen Politik der Nazis, damals neben Entrechtung und Enteignung noch auf Auswanderung gerichtet, legte sich ein Schleier der Hoffnungslosigkeit über die Juden Europas. Im Schatten des Krieges und in seinem Verlauf führten die Deportationen in die Vernichtung. Damit war die (demografische) Substanz jüdischer Existenz in Europa, vor allem in jenen mittel- und osteuropäischen Ländern, in denen zuvor die überwiegende Mehrheit der Juden gelebt hatte, ausgelöscht. Damit waren auch die lebensweltlichen Voraussetzungen einer jüdischen Minderheitenpolitik, die in der Zwischenkriegszeit noch einen Zukunftshorizont geboten hatte, annuliert. Die jüdischen Minderheitenpolitiker und Rechtsaktivisten, die sich jener jüdisch-nationalen Gegenwartsarbeit angenommen hatten, wandten sich nun einem Territorialismus zu, der sich letztendlich in der Staatsgründung Israels niederschlug.

Eine weitere Komponente, die zur jüdischen tellurischen Transformation führte, ist im Prozess der Dekolonisierung zu sehen – genauer: im Rückzug Britanniens aus dem Bereich seines abschmelzenden Imperiums in ebendieser Zwischenzeit von 1945 bis 1949. Hierfür waren zwei Ereignisse voraussetzungsvoll: zum einen die britische Niederlage in der Schlacht um die Festung von Singapur gegen die kaiserliche japanische Armee im Winter 1941/42; zum anderen die Niederlage der Konservativen bei den britischen Unterhauswahlen des Sommers 1945. Die Niederlage von Singapur läutete das Ende des britischen Empire in Asien ein, zumal von da an die indische Kongressbewegung trotz massiver Unterdrückung durch die britisch-indische Regierung an Dynamik gewann, um 1947 schließlich die Unabhängigkeit zu erringen. Die britischen Unterhauswahlen brachten im Vereinigten Königreich und Nordirland die Labour-Party an die Regierung, die von nun an das Gewicht von einer extensiven Empire-Politik auf eine wohlfahrtsstaatliche Agenda im Inneren verlagerte. Premier Clement Attlee erklärte Ende Februar 1947, dass sich Großbritannien darauf einstelle, Burma und Palästina aufzugeben. Die Bedeutung dieser Gebiete lag vornehmlich darin, dass sie für die Kronkolonie des indischen Subkontinents die Funktion äußerer Säulen trugen. Damit stand die Unabhängigkeit Indiens unmittelbar bevor. Für Palästina bedeutete diese Entwicklung, dass die ganze angestaute Wucht der durch den Holocaust zunichte gemachten jüdischen Emanzipationserwartungen sich nunmehr auf Palästina als Gebiet eines möglichen jüdischen Nationalstaates richtete.

Ein weiterer Prozess, der zur jüdischen Transformation in jener Zwischenzeit entscheidend beitragen sollte, war die Sowjetisierung jener Staaten, die sich alsbald als Volksdemokratien bezeichneten. Bei ihnen handelte es sich um durch demografische Verschiebungen, Vertreibungen und Aussiedlungen ethnisch homogen gewordene Gemeinwesen unter sozialistischem Vorzeichen. Genau besehen ist von solchen Staaten die Rede, die vor dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich multiethnisch komponiert waren, gleichwohl aber im Sinne der Titularnation eine auf ethnische Vereinheitlichung gerichtete Politik betrieben hatten. Durch die nationalsozialistische Politik der "Umvolkung" und der Vernichtung der Juden sowie durch die anschließenden Aussiedlungen und Vertreibungen vornehmlich von Deutschen, aber auch von Magyaren, waren dem Krieg und den Maßnahmen unmittelbar danach homogene Nationalstaaten erwachsen; die territoriale Westverschiebung etwa verwandelte das vormals ausgesprochen multiethnische und multireligiöse Polen in einen weitgehend uniformen Staat. Paradoxerweise (oder auch nicht) wurden damit die Vorstellungen der nationalistischen und antisemitischen polnischen Nationaldemokraten ausgerechnet von den sowjetisch gedeckten Kommunisten erfüllt. Bei den sowjetisierten Staaten des nunmehr sogenannten Osteuropa handelte es sich im Wortsinne schon deshalb um Volksdemokratien, weil hier das durch Krieg und Aussiedlungen ethnisch vereinheitlichte sowie durch "Sozialismus" sozial einförmig gestaltete Volk formal zur Herrschaft ermächtigt wurde.

Die Juden, die die Naziherrschaft überlebt oder sich während des Krieges in die physische Sicherheit des Inneren der Sowjetunion geflüchtet hatten und nun wieder in ihre Heimatorte in Polen, Litauen oder anderswo zurückzukehren suchten, erwartete dort keine Zukunft. Zu einer solchen Einsicht waren viele nicht nur wegen des dort aufschäumenden Nachkriegsantisemitismus gelangt, sondern auch aufgrund jener sowjetisch verfügten Verbindung von Klasse und Ethnos. Länder wie Polen, Ungarn, Rumänien waren nicht nur Kernländer klassischen Antisemitismus gewesen; auch und gerade die Kombination zwischen ethnischer Homogenisierung und einer Herbeiführung buchstäblicher sozialer Gleichheit bot Juden ihres Selbstverständnisses und ihres sozial-habituellen Profils wegen keine Perspektive. Dass sie diese Länder massenhaft verließen, war nicht nur zionistischen Überredungskünsten geschuldet, sondern ergab sich aus der existenziellen biografischen Erfahrung der erlebten Zeitschichten: der Zwischenkriegszeit, dem NS-Genozid und der Sowjeterfahrung, die für viele zwar lebensrettend, aber nicht unbedingt ein Modell der Zukunftsgestaltung war.

Exemplarisch für die nunmehr im Osteuropa der Zwischenzeit Einzug gehaltene Kombination von Klasse und Ethnos mag die jüdisch-tschechoslowakische Erfahrung stehen. So erhielten Juden ihr von den Deutschen enteignetes Eigentum aus tschechoslowakisch-volksdemokratischer Hand nicht wieder, weil sie sich im Zuge des 1930 abgehaltenen Zensus als deutschsprachig erklärt hatten. Viele verließen die Tschechoslowakei als Deutsche bei Verlust ihres Eigentums, um als Juden vornehmlich nach Israel überzusiedeln.

"Wiedergutmachung" und jüdisches Kollektiv

Für die Transformationserfahrung der Juden in der Zwischenzeit von 1945 bis 1949 war die Restitutionsfrage von zentraler Bedeutung. Diese Tendenz sollte sich in die 1950er Jahre hinein verlängern, um letztendlich in das Luxemburger "Wiedergutmachungsabkommen" einzumünden, das am 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches und dem jüdischen Volk, repräsentiert durch den Staat Israel und der Conference on Jewish Material Claims Against Germany, geschlossen wurde.

Genau besehen handelt es sich beim Restitutionshandeln neben der materiellen Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auch und vor allem um die Konstitution eines jüdischen Kollektivs im Rechtssinne. Ursprung einer solchen Kollektivierung der Juden mittels Restitution war das Phänomen des absoluten Genozids. Ein ultimativ vollzogener Völkermord wie die von den Nazis verbrochene "Endlösung" brachte es mit sich, dass ganze Familienverbände ausgerottet wurden und das von ihnen besessene Eigentum ohne Erben blieb. Nach dem sogenannten bürgerlichen Heimfallsrecht würde erbenlos gewordenes Eigentum an den Staat fallen, auf dessen Territorium es vorgefunden worden war – so auch an Deutschland. Da eine solche Praxis moralisch inakzeptabel gewesen wäre, folgte die kollektive Inanspruchnahme dieses Eigentums im Namen eines jüdischen Kollektivs als Rechtsnachfolger. Tatsächlich wäre ein solches, auf das erbenlose Eigentum Anspruch erhebende Kollektivsubjekt somit aus dem Akt der Vernichtung seiner Glieder, der einzelnen ermordeten jüdischen Menschen, hervorgegangen – das "jüdische Volk" somit gleichsam dem Genozid des Holocaust entsprungen.

Der Vorgang der Anspruchserhebung des jüdischen Kollektivs war ein komplexer Vorgang, der letztendlich durch Schöpfung US-amerikanischen Besatzungsrechts Wirklichkeit wurde. Nicht zuletzt durch Einflussnahme internationaler jüdischer Organisationen und anderer jüdischer Interessenvertreter auf die amerikanische Militärregierung wurde mittels des 1947 erlassenen Militärgesetzes Nr. 59 für den Geltungsbereich der US-Besatzungszone die Rückerstattung unter anderem auch jüdischen Eigentums bewirkt und für die Beanspruchung erbenlosen jüdischen Eigentums eine jüdische Treuhandorganisation berufen (die Jewish Restitution Successor Organization, JRSO). 1948, das auch unabhängig davon zum Gründungsjahr des Staates Israel wurde, begann die JRSO ihre Arbeit als gesamtjüdische Treuhänderin; die durch den Erlös des erbenlosen Eigentums erwirkten Mittel wurden für jüdische Wohlfahrt, aber auch Einrichtungen des Staates Israel zur Verfügung gestellt. Kurz darauf ging die Organisation in die 1951 etablierte Claims Conference mit ein, die an der Seite Israels das Luxemburger Abkommen mit der Bundesrepublik aushandelte.

Das Vertragswerk wurde als Entschädigungsvereinbarung für das nationalsozialistisch verübte Unrecht an den Juden bekannt; in erster Linie handelte es sich jedoch um ein Abkommen, in dem sich die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches bereit erklärte, dem jungen jüdischen Staat Integrationshilfe für die ins Land kommenden jüdischen Flüchtlinge zu leisten. Damit kann das "Wiedergutmachungsabkommen" mit dem bundesdeutschen Gesetz zum Lastenausgleich in Zusammenhang gesetzt werden: Dieses war nur wenige Tage zuvor, am 1. September 1952, vom Deutschen Bundestag beschlossen worden und sah eine finanzielle Entschädigung für vom Krieg besonders geschädigte Deutsche vor. So gesehen handelt es sich bei beiden Initiativen, dem Abkommen mit Israel und der Claims Conference sowie dem Gesetz zum binnendeutschen Lastenausgleich, um Vorhaben der Kriegsfolgenbereinigung – mit dem Unterschied freilich, dass das Luxemburger Abkommen hochmoralisch aufgeladen war und dessen symbolische Bedeutung weit über dessen materielle Wirkung hinausging.

Das "Wiedergutmachungsabkommen" war auch mit dem sich verfestigenden Kalten Krieg insofern verbunden, als Israel mit ihm seine politische Westbindung verknüpfte. Nicht, dass die westlichen Staaten im Sinne US-amerikanischer Politik Druck auf Israel auszuüben gedachten oder Anstalten machten, das Land in Richtung des eigenen Blocks zu ziehen. Damals neigten die westlichen Mächte im Nahostkonflikt keineswegs eindeutig in Richtung des jüdischen Staates. Eher wurde Israel – wie der arabisch-israelische Gegensatz im frühen globalen Ringen um Allianzen und Gegenallianzen überhaupt – als Störfaktor angesehen. Die mit dem Luxemburger Abkommen erfolgte finanzielle, wirtschaftliche und technologische Bindung Israels an die Bundesrepublik war seitens des jüdischen Staates zwar willkommen, aber dennoch nur ein Ersatz für die vom israelischen Premierminister David Ben-Gurion angestrebte strategische Anlehnung an die Vereinigten Staaten. Diese Konstellation zeichnete sich nach dem Juni-Krieg 1967 ab.

Die Gründung des Staates Israel fällt in jene als Zwischenzeit benannte kurze Phase – der Phase zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem sich nach und nach aufbauenden Szenario des Kalten Krieges. Aus der Perspektive der Staatsgründer handelte es sich bei den Jahren 1945 bis 1949 um ein historisches window of opportunity. Dieses Fenster hatte sich weder zuvor geöffnet, noch war zu erwarten, dass es sich in der nachfolgenden Zeit des Kalten Krieges erneut öffnen würde. Es war ein Ergebnis der Kontingenz, einer möglichen, aber keineswegs notwendigen historischen Konstellation – gefügt aus den Folgen des Holocaust, der Sowjetisierung des östlichen Europa und einer frühen Phase im Prozess der Dekolonisierung.

Dr. phil., geb. 1946; Professor für Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem; bis 2014 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, Goldschmidtstraße 28, 04103 Leipzig. E-Mail Link: maehlis@dubnow.de