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Über die Zukunft von Engagement und Engagementpolitik | Engagement | bpb.de

Engagement Editorial Die Vielfalt des Engagements. Eine Herausforderung an Gesellschaft und Politik Grundlagen und Perspektiven guter Engagementpolitik Über die Zukunft von Engagement und Engagementpolitik Der Bundesfreiwilligendienst: Ein Erfolgsmodell für alle? Freiwilliges Engagement von Zuwanderern: Verkannte Potenziale der gesellschaftlichen Teilhabe Engagement im Quartier Engagement in der Flüchtlingshilfe – eine Erfolg versprechende Integrationshilfe Ehrenamt statt Sozialstaat? Kritik der Engagementpolitik

Über die Zukunft von Engagement und Engagementpolitik

Michael Alberg-Seberich Holger Backhaus-Maul Stefan Nährlich Andreas Rickert Rudolf Speth

/ 14 Minuten zu lesen

Zivilgesellschaftlicher Eigensinn und Selbststeuerung sowie Erschließung vor¬handener Ressourcen und Wirkungsbeschreibungen markieren die Zukunft des organisierten Engagements.

Engagement weist eine lange und reichhaltige Tradition auf. Als Ehrenamt war Engagement konstitutiv und strukturbildend für Sozialstaatlichkeit und soziale Arbeit: Soziale Sicherung und kommunale Daseinsfürsorge, verbandliche Wohlfahrtspflege und Selbsthilfe sind Ausdruck von Engagement. Darüber hinaus durchzieht Engagement in je spezifischer Ausprägung alle Gesellschaftsbereiche vom Sozialen bis hin zu Sport und Wirtschaft. Ende der 1960er Jahre erfuhr das traditionsreiche ehrenamtliche Engagement im Zuge der Politisierung der westdeutschen Gesellschaft eine tief greifende Vitalisierung und Erneuerung. In einem breiten Spektrum neuer sozialer Bewegungen und Selbsthilfegruppen kam dieser gesellschaftspolitische Zeitgeist mit dem manifesten Anspruch auf gesellschaftliches Mitgestalten und politisches Mitentscheiden wirkmächtig zum Ausdruck. Für die Engagierten selbst wurde ihr Engagement unter den Bedingungen dynamischen sozialen Wandels zu einem Wechselbad zwischen Engagement und Enttäuschung sowie Leidenschaften und Interessen.

Staatlicherseits ist Engagement jahrzehntelang als apolitisches Ehrenamt gewürdigt und als politischer Protest zugleich zurückgewiesen worden. Erst relativ spät, Ende der 1990er Jahre, hat der Deutsche Bundestag für die Jahre 2000 bis 2002 eine Richtung weisende Enquete-Kommission zum Stand und zur Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland eingesetzt. Zudem werden seit 1999 in einem fünfjährigen Turnus die quantifizierbaren Ausprägungen des Engagements der Bürger(innen) im Freiwilligensurvey empirisch untersucht. Die Bundesregierung beruft seit 2009 in jeder Legislaturperiode eine unterschiedlich zusammengesetzte Expertenkommission, die unter einer je spezifischen gesellschaftspolitischen Fragegestellung die Entwicklung des Engagements in Deutschland beschreiben und analysieren soll. Auf Landes- und Bundesebene sind im Anschluss an die Arbeit der Bundestagsenquete vor allem Referate und Stellen mit dezidiertem Engagementbezug geschaffen sowie zeitlich und sachlich befristete Förderprogramme und -maßnahmen aufgelegt worden.

Engagement ist damit auch zum Gegenstand staatlicher und kommunaler Politik geworden. Engagement müsse – so Lobbyisten von Engagementverbänden – als Engagementpolitik zu einer Leitorientierung und zu einer politischen Querschnittaufgabe werden. Staatspolitische Akteure antworteten ihrerseits auf ein derartiges verbandliches Ansinnen völlig unbescheiden mit der Vorlage einer "nationalen Engagementstrategie". So erfuhr Engagement als Engagementpolitik eine normative Überhöhung, ohne in den entsprechenden Politikfeldern aber bisher faktische Geltung erzielt zu haben. Die beobachtbare Realität des Engagements legt – trotz der proklamierten Erwartungen von Engagementpolitik – den vorläufigen Schluss nahe, dass Engagement gesellschaftspolitisch ein "Nischenthema" geblieben ist.

Im Folgenden empfehlen wir einen Perspektivwechsel: In einer korporatistisch geprägten Gesellschaft wie der deutschen stellen sich der Staat und die mit ihm kooperierenden Verbände immer wieder selbst in die erste Reihe. Vor diesem Hintergrund sollte Engagement in erster Linie nicht als originärer Gegenstand staatlicher Politik, sondern als Wesensmerkmal einer eigensinnigen und organisierten Zivilgesellschaft verstanden werden. Denn im Schatten der staatlichen Hierarchie wird die Zivilgesellschaft abgedunkelt und wenig sichtbar; somit überrascht es auch nicht, dass sich die deutsche Zivilgesellschaft derzeit kaum selbstbewusst, ressourcenstark und mächtig zeigt. Zunächst wird der Fokus auf ausgewählte Probleme und Dilemmata der Zivilgesellschaft und des organisierten Engagements gerichtet; anschließend werden unausgeschöpfte Potenziale der Zivilgesellschaft, Lösungsansätze zur Verbesserung ihrer finanziellen Ressourcenausstattung sowie zur Analyse und Beschreibung ihrer Wirkungen herausgearbeitet.

Etablierte Verbandsorganisationen des Engagements

Die überwiegende Mehrzahl der Engagierten findet sich in Organisationen, die den Kern der Zivilgesellschaft in Deutschland bilden. Es handelt sich hierbei vor allem um ältere und größere Organisationen, wenngleich es im Zuge des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels in den 1960er Jahren zahlreiche Neugründungen, insbesondere von gering formalisierten Organisationen wie etwa Vereinen, Gruppen und Initiativen, gegeben hat. Entscheidend ist, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland aufgrund der Vielzahl und Vielfalt ihrer Organisationen als organisierte Zivilgesellschaft zu verstehen ist. Für die Entwicklung des Engagements ist daher vor allem die Art und Weise der Organisation des Engagements entscheidend.

Engagierte in der organisierten Zivilgesellschaft sind entweder Mitglieder von Organisationen und/oder freiwillig Tätige, die im Kontext dieser Organisationen aktiv werden. Bemerkenswert ist zunächst die hohe Zahl der Engagierten. Dabei ist aber festzuhalten, dass ein "Sättigungsgrad" im Engagement erreicht zu sein scheint und rückläufige Entwicklungen sowohl im Hinblick auf die Zahl der Mitglieder als auch der freiwillig Tätigen festzustellen sind. Diese Beobachtungen lassen sich erhärten, wenn die etablierten Verbandsorganisationen der Zivilgesellschaft wie etwa Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbände genauer in den Blick genommen werden. In diesen Organisationen sind seit Langem rückläufige beziehungsweise stagnierende Mitgliederzahlen festzustellen.

Beteiligung ist ein grundlegendes Motiv von Engagement und zugleich ein originäres "Prinzip der Politik", doch politische Partizipation ist kein "Massenphänomen". Dies zeigt sich vor allem anhand von Parteien. Eine Erhebung des Otto-Stammer-Zentrums macht deutlich, dass die Gesamtzahl der Parteimitglieder kontinuierlich sinkt. Diesen Berechnungen zufolge hat die CDU seit 1990 40,8 Prozent ihrer Mitglieder verloren, die SPD 49,8 Prozent, die CSU 20,3 Prozent, die FDP 66 Prozent und Die Linke 77,3 Prozent; nur Bündnis 90/Die Grünen hat in diesem Zeitraum 48,5 Prozent dazugewonnen. Dabei ist im Hinblick auf Engagement zu bedenken, dass ein geringer Anteil der Parteimitglieder auch tatsächlich politisch aktiv ist und nur rund 22 Prozent von ihnen "ämterorientierte Aktive" sind.

Eine ähnliche Tendenz ist bei Gewerkschaften festzustellen. Sie hatten auf dem Höhepunkt ihrer Mitgliederentwicklung 1991 rund 11,8 Millionen Mitglieder, während sie 2013 nur noch 6,14 Millionen Mitglieder aufwiesen. Zugleich zeigt sich auch bei Gewerkschaften eine große Diskrepanz zwischen Mitgliedern und Aktiven. Einen Rückgang ihrer Mitgliederzahlen verzeichnen auch die Kirchen. Waren in den 1960er Jahren noch rund 90 Prozent der Bevölkerung Mitglied in einer der beiden Kirchen, so sind es heute nur noch etwa 60 Prozent (die Katholische Kirche hat aktuell 24,7, die Evangelische Kirche 24,3 Millionen Mitglieder), wobei auch hier der Anteil der freiwillig Tätigen und der Kirchgänger an der Mitgliedschaft als eher gering zu veranschlagen ist. In der Freien Wohlfahrtspflege, zu denen auch die beiden großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas zu rechnen sind, soll es Selbstschätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zufolge unverändert rund 2,5 bis 3 Millionen ehrenamtlich Engagierte geben. Auch hier ist zu beobachten, dass die Zahl der Freiwilligen, insbesondere in Führungs- beziehungsweise Vorstandspositionen, nicht steigt, sondern rückläufig ist.

Bislang sind noch bei keiner dieser Mitgliedsorganisationen Strategien zu erkennen, diesen Trend aufzuhalten beziehungsweise umzukehren. Als ein wichtiger Grund für die durchgängig negative Mitgliederentwicklung sind neben organisationalen Defiziten die – unter korporatistischen Bedingungen von Staat und Verbänden zu verantwortenden – mangelhaften ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des organisierten Engagements in Deutschland anzusehen.

Ordnungspolitik als Beitrag zur Selbststeuerung des Engagements

Was unter dem Begriff des bürgerschaftlichen "Eigensinns" subsumiert wird, ist zumeist all jenes, was Staat nicht ist und auch nicht sein kann. Bürgerschaftliches Engagement ist zumeist flexibel organisiert, an der Lebenswelt von Zielgruppen orientiert, häufig Gegenstand und Wegbereiter gesellschaftlicher Veränderungen und Ausdruck pluralistischer Gemeinwohl- und Gesellschaftsvorstellungen. Gerade hierin liegt ein Vorteil der Zusammenarbeit des Staates mit gemeinnützigen Organisationen. Die Rahmenbedingungen dieser Zusammenarbeit müssen aber so gestaltet sein, dass sie den "Eigensinn" des Engagements der Bürger(innen) zur Entfaltung kommen lassen. Dies ist nicht selbstverständlich, denn Zuwendungsrecht und Abgabenordnung sowie Fach- und Förderpolitik erklären den gemeinnützigen Sektor vielerorts zum "quasi-staatlichen Raum". So reklamieren etwa Bürgerstiftungen zu Recht Autonomie für sich, damit sich jener "Eigensinn" engagierter Bürger(innen) entfalten kann. Staat und Kommunen hingegen "können eben nicht Bürgerstiftung", weil sie einer anderen – politisch-administrativen – Handlungslogik verpflichtet sind.

Angesichts dessen sollten Engagementförderung und -politik zukünftig darauf ausgerichtet sein, organisiertes Engagement und Zivilgesellschaft zu stärken und darin zu unterstützen, ein gegenüber Staat und Wirtschaft in der Gestaltung von Gesellschaft eigenständiger Akteur zu sein. Hilfreich und überfällig wäre eine große Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, mit der der Subsidiaritätsgedanke für gemeinnützige Organisationen wieder "auf die Füße gestellt" werden würde, das heißt administrative Belastungen reduziert, Ehrenamt attraktiver gemacht, mehr finanzielle Handlungsfreiheit geschaffen und gesellschaftliche Transparenz anstelle staatlicher Kontrolle gestärkt werden würden. Für eine zukunftsorientierte Ordnungspolitik des Engagements sind dabei vor allem die folgenden Erkenntnisse instruktiv.

Engagement basiert auf Selbstorganisation: Bürgerschaftliches Engagement findet in der Regel in gemeinnützigen Organisationen statt, vor allem in Vereinen, aber zunehmend auch in Stiftungen. Aber nur rund 15 Prozent der Vereine und Stiftungen verfügen auch über bezahlte Mitarbeiter(innen) und damit über die Möglichkeit, Aufgaben zu delegieren und Organmitglieder zu entlasten. Das Rückgrat bürgerschaftlichen Engagements sind mehr als zwei Millionen Bürger(innen), die sich als ehrenamtliche Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder engagieren. Sie lenken die Geschicke der gemeinnützigen Organisationen, tragen Verantwortung für die Zweckverfolgung und Mittelverwendung und ermöglichen erst die vielfältigen Angebote von Vereinen und Stiftungen. Wie aber die Studie von Eckhard Priller et al. zeigt, wird es immer schwieriger, Engagierte für diese Ämter zu finden, vor allem unter Berufstätigen, die wegen ihrer fachlichen Kontakte und sozialen Netzwerke oft unverzichtbar sind. In vielen ehrenamtlichen Gremien verteilt sich die Arbeit auf immer weniger Personen, die immer länger im Amt bleiben. Hier gilt es erstens, die Gremienmitglieder zeitlich zu entlasten, etwa durch Freistellungen wie bei politischen Ehrenämtern oder die Anrechenbarkeit von Bildungsurlaub, und zweitens, den steuerrechtlichen und administrativen Aufwand dieser Ämter zu reduzieren. Mehr Zeit, um das ideelle Anliegen zu verfolgen, würde Engagement insgesamt wieder deutlich attraktiver machen.

Engagement braucht eigene Ressourcen: Regelmäßig vor Wahlen wird die sogenannte Übungsleiterpauschale erhöht. Ehrenamtliche aus vielen Bereichen können dadurch steuer- und abgabenfrei etwas dazu verdienen. Geld in die Kassen von Vereinen und Stiftungen bringt dies aber nicht. Was gemeinnützige Organisationen dringend benötigen, sind neue Einnahmen, denn die finanzielle Ressourcenausstattung ist in vielen Bereichen schon länger angespannt: Öffentliche Fördermittel werden reduziert, Spenden stagnieren und Stiftungserträge sind rückläufig. Oft sind die Mittel zudem zweckgebunden, was deren freie Verwendung einschränkt und der Handlungsautonomie gemeinnütziger Organisationen enge Grenzen setzt. Dringend notwendig ist folglich eine grundlegende Verbesserung der Einnahmesituation gemeinnütziger Organisationen, insbesondere im Bereich frei einsetzbarer Mittel.

Investitionen in Engagement

Die Realität der Finanzierung der Zivilgesellschaft zeigt die Sonderauswertung von "Zivilgesellschaft in Zahlen" aus dem Jahr 2012: Die Hälfte aller zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland verfügt über ein Jahreseinkommen von maximal 10.000 Euro, das überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen generiert wird. Öffentliche Mittel spielen in der Zivilgesellschaft nur für vier Prozent der Organisationen, das heißt vor allem für die großen Wohlfahrtsverbände, eine substanzielle Rolle. Insofern werden Einnahmen aus Dienstleistungen und Spenden wachsende Bedeutung für zivilgesellschaftliche Organisationen erlangen. Diese Beobachtungen wiederum bilden die Grundlage für drei Trends, die die Finanzierung gesellschaftlichen Engagements in den kommenden Jahren prägen werden.

"Demokratisierung" der Finanzierung:

Neben der traditionellen Spende werden Bürger(innen) zunehmend neue Formen des interessengeleiteten und internetgestützten Spendens in Anspruch nehmen. Schon heute sind Spendenplattformen wie betterplace.org oder das Sammeln von Spenden und Investitionen durch die Crowd bekannt. Selbst auf eher kommerziell orientierten Crowdfunding-Plattformen wie kickstarter.com finden sich immer wieder auch Engagementideen und -initiativen. Crowdfunding-Plattformen werden spezifischer, wie startnext.com für Sozialunternehmen oder krautreporter.de für neue – auch gemeinnützige – Formen des Journalismus. Dies gilt auch für regionale Interessengruppen, wie crowdfunding-bad-nauheim.de oder die Kampagne für eine Bürgerstiftung Spreepark Plänterwald in Berlin zeigen. Bürger(innen) stimmen schnell, aber auch interessenspezifisch mit ihren Spenden beziehungsweise Investitionen über ihr Engagement ab.

"Privatisierung" der Finanzierung:

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Berit Sandberg hat in einer Analyse gezeigt, dass einige wenige Stiftungen eine öffentlichkeitswirksame und strategische, monetär aber eher geringe Rolle bei der Finanzierung des organisierten Engagements spielen. In neuen kollektiven Finanzierungsinitiativen von Stiftungen, wie dem Programm "Engagierte Stadt", deuten sich möglicherweise ein Umdenken und eine Neuausrichtung an. Parallel hierzu erleben wir weiterhin ein Wachstum von Bürgerstiftungen, die sich aber viel langsamer als erhofft der Vision nähern, ein wichtiger Finanzier für Engagement vor Ort zu sein. Letztendlich könnten auch vermögende Privatpersonen zukünftig eine etwas größere Rolle spielen, wenn den internationalen, von Banken initiierten Studien über deren Spendenverhalten Glauben zu schenken ist. Die Bedeutungszunahme dieser individuellen Akteure geht zugleich einher mit einer gesellschaftlichen Diskussion über die Legitimation und Transparenz ihrer individuellen Entscheidungen.

"Monetarisierung" der Finanzierung:

Der Bericht des National Advisory Board Deutschland im Rahmen der Social Impact Investment Taskforce der G8-Staaten zur "möglichen Gewinnung zusätzlicher Finanzierungsquellen für die Sozialwirtschaft" zeigt, dass wirkungsorientiertes Investieren schon jetzt in Deutschland stattfindet. Für außenstehende Beobachter(innen) mögen Finanzierungsformen wie Impact Investing oder Social Impact Bonds immer noch befremdlich klingen. Die Finanzierung von sozialen Innovationen durch Geldinvestitionen, die eine soziale und finanzielle Rendite erzeugen, wird in Zukunft die Finanzierungsoptionen im gemeinnützigen Sektor erweitern. Dass dies bereits heute möglich ist, zeigt zum Beispiel die Initiative "Dienstleistungen und Ortsnahe Rundum Versorgung", die einen Begegnungs- und Engagementort sowie Produkte und Dienstleistungen im ländlichen Raum anbietet. Derartige Entwicklungen gehen einher mit der wachsenden Bedeutung von unternehmerischen Entscheidungen und Handlungsformen für gesellschaftliche Aufgaben und Probleme, was durchaus auch kritisch zu sehen ist.

Diese drei Trends verdeutlichen, dass sich die Finanzierungslandschaft für Engagement verändert. Die manifeste Ausrichtung von Finanzierungen auf Wirkungen wird dabei dauerhaft auch das Förderverhalten staatlicher Akteure beeinflussen. Dies geht wiederum einher mit einer weiteren Professionalisierung des Fundraisings für Engagementorganisationen. Zudem werden Innovationen zur Gewinnung von neuen Ressourcen für den gemeinnützigen Sektor gesucht. Alle diese Trends setzen nicht weniger als eine intensive (zivil)gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber voraus, nach welchen Werten und Regeln die Finanzierung für organisiertes Engagement und Zivilgesellschaft jetzt und zukünftig erfolgen soll.

Analyse und Beschreibung von Wirkungen des Engagements

Gemeinnützige Arbeit leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben und Probleme. Sie verdient deshalb Unterstützung, wohlgemerkt nicht nur finanzieller Art. In Deutschland engagieren sich über 600.000 gemeinnützige Organisationen und konkurrieren um die Ressourcen von Spendern, Förderstiftungen, gesellschaftlich engagierten Unternehmen sowie Staat und Kommunen. Die Gebenden sind dabei in der komfortablen Situation, selbst entscheiden zu können, wo und wie sie ihre Mittel einsetzen und investieren. Jede Förderentscheidung für oder gegen eine Organisation oder ein Projekt impliziert deshalb auch eine gewisse Verantwortung: Wie kann meine Investition so viel wie möglich bewirken? Wie kann ich sicherstellen, dass meine Gelder nicht einfach "versickern"? Ist ein potenzielles Förderprojekt nur gut gemeint – oder auch gut gemacht?

Wer Mittel vergibt, wird sich zukünftig noch stärker als bislang mit dem Wirkungspotenzial seiner Investitionen auseinandersetzen: Was will ich mit meinen Geldern bei welchen Zielgruppen bewirken, verändern und ermöglichen? Wer sich über seine eigenen Ziele im Klaren ist und sich damit auseinandersetzt, welche Ansätze zur Bearbeitung gesellschaftlicher Aufgaben und Probleme geeignet sind und wo Gelder besonders dringend benötigt werden, kann schneller fundierte Entscheidungen über Förderanträge und Kooperationsvorhaben treffen.

Das Wirkungspotenzial eines Projektes oder einer Organisation offenbart sich aber nicht unmittelbar. Ein Blick etwa auf die Verwaltungskosten allein gibt noch keinen Aufschluss über die Qualität und die Wirksamkeit eines Projektes. Komplexe gesellschaftliche Aufgaben und Probleme lassen sich nur durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Ansätze und Aktivitäten bearbeiten – und diese benötigen ganz unterschiedliche Instrumente und Verfahren, Strukturen und Ressourcen. Das Wirkungspotenzial ergibt sich aus dem Zusammenspiel diverser Faktoren, wie Zielen und Zielgruppen, einer wissenschaftlichen Fundierung des Ansatzes und dessen praktischer Erprobung sowie Maßnahmen, um die Zielerreichung zu überprüfen. Und wichtig ist darüber hinaus die Frage, ob das Projekt von einer "starken" Organisation getragen wird, die in der Lage ist, die Qualität und Wirksamkeit des Projekts dauerhaft zu realisieren.

Die Analyse des Wirkungspotenzials eines Projekts kostet Zeit sowie Geld- und Personalressourcen, die kaum ein Investor für jedes einzelne seiner potenziellen Förderprojekte bereitstellen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass, obwohl das Wissen über wirkungsorientiertes Arbeiten und eine transparente Berichterstattung über Wirkungen im Dritten Sektor weiter wächst, längst noch keine hinreichende Informationsgrundlage verfügbar ist. Eine Phineo-Studie, in der die Wirkungstransparenz von 50 großen Spendenorganisationen untersucht wurde, zeigt, dass lediglich 26 Prozent der befragten Organisationen, die bei ihren Zielgruppen beziehungsweise in der Gesellschaft erreichten Veränderungen systematisch, umfassend und schnell auffindbar darstellen.

Doch "Geber" können nachfragen. Die Wirkungsannahmen eines Projekts sollten ein fester Bestandteil von Förderrichtlinien sein und in Förderanträgen und Auswahlverfahren berücksichtigt werden. Dazu zählt zum Beispiel das Einsenden von Konzepten und Wirkungsnachweisen oder zumindest das Aufzeigen einer Wirkungslogik, die das künftige Potenzial zur Entfaltung von Wirkung verdeutlicht. Stiftungen, Unternehmen sowie Staat und Kommunen, die verstärkt Wirkungsinformationen nachfragen und das Wirkungspotenzial als einen entscheidenden Faktor bei der Vergabe ihrer Mitteln betrachten, fungieren damit zusätzlich als Protagonisten für mehr Wirkungsorientierung in der Zivilgesellschaft insgesamt: Wirkungsorientiertes Geben setzt neue Anreize für gemeinnützige Organisationen, sich mit der Wirkung des eigenen organisationalen Entscheidens und Handelns zu beschäftigen und sich entsprechend aufzustellen – und so auch mehr zu bewirken.

Hoffnungsfrohe Blicke aus der "Nische"

Die Selbststeuerungspotenziale, neuen Finanzierungsarten und Wirkungspotenziale von Engagement und Zivilgesellschaft gedeihen in Deutschland unter besonderen Bedingungen. Engagement findet vor dem Hintergrund immer noch wirkmächtiger Vorstellungen von Staatlichkeit und eines eingespielten Korporatismus zwischen Staat und Verbänden zumeist in gemeinnützigen Organisationen als Teil einer unzureichenden, in weiten Teilen prekären öffentlichen Engagementinfrastruktur statt; eine zugleich fremdverschuldete und selbsterzeugte Nischenkultur, mit einem dezenten "Gemütlichkeitsfaktor" für Insider(innen).

Aus einer frischen zivilgesellschaftlichen Perspektive hingegen ist festzustellen, dass die Zivilgesellschaft ihre Potenziale im Hinblick auf ihre Selbstorganisation und Selbststeuerung bei Weitem nicht ausschöpft. Überaus bemerkenswert ist dabei, dass die Zivilgesellschaft den Schlüssel zum Erfolg in ihren beiden Händen hält: Die Erschließung bereits vorhandener finanzieller Ressourcenquellen und die Analyse der offensichtlichen eigenen Wirkungspotenziale sind zwei Seiten derselben Medaille – einer wohlgemerkt zivilgesellschaftlichen Engagementpolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart u.a. 1988.

  2. Vgl. Thomas Olk/Birger Hartnuß, Handbuch Bürgerschaftliches Engagement, Weinheim–Basel 2011; Holger Backhaus-Maul et al., Engagement in der Freien Wohlfahrtspflege. Empirische Befunde aus der Terra incognita eines Spitzenverbandes, Wiesbaden 2015; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.), Erster Engagementbericht. Für eine Kultur der Mitverantwortung. Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, Berlin 2012, S. 63–199; Sebastian Braun, Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im Sport, Köln 2011; ders./Holger Backhaus-Maul, Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen. Eine sozialwissenschaftliche Sekundäranalyse, Wiesbaden 2010.

  3. Vgl. Karl-Werner Brand et al., Aufbruch in eine andere Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt–New York 1986.

  4. Vgl. Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements"/Deutscher Bundestag, Bericht. Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Opladen 2002.

  5. Vgl. Thomas Gensicke/Sabine Geiss, Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement, Berlin 2010.

  6. Vgl. BMFSFJ (Anm. 2).

  7. Vgl. Thomas Olk et al., Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe, Wiesbaden 2010.

  8. Vgl. Holger Backhaus-Maul et al., Denkschrift Bürgergesellschaft, Berlin 20122, Externer Link: http://www.aktive-buergerschaft.de/fp_files/Denkschrift_Buergergesellschaft_2012.pdf (2.3.2015).

  9. Vgl. Volker Gerhardt, Partizipation. Das Prinzip der Politik, München 2007.

  10. Vgl. Jan W. van Deth, Politische Partizipation, in: Viktoria Kaina et al. (Hrsg.), Politische Soziologie. Ein Studienbuch, Wiesbaden 2009, S. 141–161.

  11. Vgl. Oskar Niedermayer, Parteimitglieder in Deutschland: Version 2014, Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum 21/2014, Externer Link: http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/schriften/Arbeitshefte/AHOSZ21.docx (2.3.2015).

  12. Vgl. Markus Klein/Tim Spier, Welche Zukunft hat das innerparteiliche Engagement der Bürger?, in: Tim Spier et al. (Hrsg.), Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden 2011, S. 207.

  13. Vgl. Rudolf Speth, Politische Beteiligung: Lage und Trends, Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt/M. 2015 (i.E.).

  14. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Einrichtungen und Dienste. Gesamtstatistik 2012, Berlin 2012, S. 10; H. Backhaus-Maul et al. (Anm. 2).

  15. Vgl. Stefan Nährlich/Bernadette Hellmann, Bürgerstiftung: richtige Organisation zur richtigen Zeit, in: Verbands-Management, 39 (2013) 2, S. 8–14.

  16. Vgl. H. Backhaus-Maul et al. (Anm. 8).

  17. Vgl. Sigrid Fritsch et al., ZiviZ – Zivilgesellschaft in Zahlen 2011: Abschlussbericht Modul 1, Berlin 2011.

  18. Vgl. Eckhard Priller et al., Dritte-Sektor-Organisationen heute: Eigene Ansprüche und ökonomische Herausforderungen. Ergebnisse einer Organisationsbefragung, WZB-Discussion Paper SP IV 402/2012.

  19. Vgl. ebd.

  20. Vgl. H. Backhaus-Maul et al. (Anm. 8).

  21. Vgl. Jana Priemer et al., Wie finanzieren sich zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland?, Hamburg 2015, S. 1f.

  22. Vgl. Marina Mai, Gern auch ein Streichelzoo, in: TAZ. Die Tageszeitung vom 1.7.2013.

  23. Vgl. Berit Sandberg, Stiftungen im Visier der Nationalen Engagementstrategie, Betrifft: Bürgergesellschaft 35/2011.

  24. Vgl. Externer Link: http://www.engagiertestadt.de.

  25. Vgl. Stiftung Aktive Bürgerschaft, Bürgerstiftungen Fakten und Trends 2014, Berlin 2015, S. 3.

  26. Vgl. Marc Abélès/Jérôme Kohler, Wealth and Philanthropy in Northern Europe, Paris 2014; Coutts, Million Dollar Donors Report 2014, London 2014.

  27. National Advisory Board Deutschland, Wirkungsorientiertes Investieren: Neue Finanzierungsquellen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen, Berlin 2014, S. 5.

  28. Vgl. Inga Michler, Das große Los? Reportagen aus der Praxis des Impact Investing, Berlin 2014.

  29. Vgl. Mark T. Fliegauf, Sozialer Wirkungskredit – Struktur, Potentiale, Herausforderungen, Berlin 2012.

  30. Vgl. National Advisory Board Deutschland (Anm. 27), S. 34.

  31. Vgl. Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt/M. 2007.

  32. Vgl. Holger Krimmer/Jana Priemer, ZiviZ-Survey 2012, Berlin 2013.

  33. Vgl. Phineo, Wirkungstransparenz bei Spendenorganisationen, Berlin 2014.

  34. Vgl. Karsten Speck et al., Freiwilligenagenturen in Deutschland. Potenziale und Herausforderungen einer vielversprechenden intermediären Organisation, Wiesbaden 2012; André Wolf/Annette Zimmer, Lokale Engagementförderung. Kritik und Perspektiven, Wiesbaden 2012; Annette Zimmer/Holger Backhaus-Maul, Engagementförderung vor Ort – Was gilt es in den Blick zu nehmen? Eine Arbeitshilfe für lokale Entscheidungsträger, Münster u.a. 2012.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Michael Alberg-Seberich, Holger Backhaus-Maul, Stefan Nährlich, Andreas Rickert, Rudolf Speth für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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M.A., geb. 1970; Geschäftsführender Gesellschafter der Active Philanthropy gGmbH, Monbijouplatz 2, 10178 Berlin. E-Mail Link: alberg-seberich@activephilanthropy.org

Dipl.-Soz., Mag. rer. publ., geb. 1960; Mitglied im Vorstand der Stiftung Aktive Bürgerschaft; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Franckeplatz 1, 06110 Halle. E-Mail Link: holger.backhaus-maul@paedagogik.uni-halle.de

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Rudolf Speth, Jahrgang 1957, ist Politikwissenschaftler. Seine Forschungsgebiete sind bürgerschaftliches Engagement, der Wandel der Interessenvertretung, Lobbying, Verbände, politische Kommunikation, Think Tanks und Sozialpolitik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland" und "Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland" (beide zusammen mit Thomas Leif).