Entwicklungspolitik ist Teil der Außenpolitik. Somit ist sie in deren normativen Kontext aus Werten, Prinzipien und Zielen eingebettet. Die außenpolitischen Ziele und Präferenzen Deutschlands haben sich in den vergangenen 60 Jahren gewandelt und erzeugten damit Veränderungen auch in der deutschen Entwicklungspolitik. Da mit dem Begriff "Entwicklung" stets unterschiedliche Dimensionen erfasst werden – etwa wirtschaftliches Wachstum oder technologischer Fortschritt – umfasst Entwicklungspolitik ein sehr breites Themenspektrum, was sie zu einer "Querschnittsaufgabe" verschiedener Institutionen und Akteure macht.
Neben der vom Auswärtigen Amt und der Bundeskanzlerin definierten Außenpolitik beeinflussen daher auch andere Ressorts mit ihren spezifischen Interessen die Entwicklungspolitik: Bei der finanziellen, technischen und personellen Unterstützung von Projekten, Programmen oder direkt von Regierungen ist stets auch das Finanzministerium involviert. Die von Beginn an starke Orientierung am wirtschaftlichen Nutzen der Beziehungen zu Entwicklungsländern für die deutsche Wirtschaft bedingt die Einbindung des Wirtschaftsministeriums. Daneben haben teils auch andere Ministerien wie das Verteidigungs-, Umwelt-, Landwirtschafts- oder Bildungsministerium Interessen an Beziehungen zu Entwicklungsländern. Hinzu kommen die Interessen nichtstaatlicher und parastaatlicher "Durchführungsorganisationen", die in den Kooperationsländern die entwicklungspolitischen Ziele in Form von Projekten und Programmen umsetzen und dabei durchaus eine gewisse Autonomie besitzen. Je nach Partnerland variieren die Interessen der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure jedoch stark. Während für das Wirtschaftsministerium vor allem Schwellenländer von Bedeutung sind, sind es für das Verteidigungsministerium eher sicherheitsrelevante Regionen und Länder wie zum Beispiel derzeit Nordafrika.
Vor diesem Hintergrund lässt sich Entwicklungspolitik als "Mehrzweckinstrument" verstehen, mit dem sehr unterschiedliche Interessen verfolgt werden.
Im Folgenden wird zunächst auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als die wichtigste Institution der deutschen Entwicklungspolitik und einige Charakteristika der EZ Deutschlands eingegangen, bevor ein historischer Überblick
Institutionalisierung und Organisation der deutschen EZ
Das BMZ feierte 2011 sein 50-jähriges Bestehen. Mit der Gründung des Ministeriums 1961 und einer Reihe sogenannter Durchführungsorganisationen
Begonnen hatte die EZ bereits, als 1953 eine halbe Million D-Mark aus Mitteln des Marshall-Plans "für die Förderung des Erfahrungsaustausches mit weniger entwickelten Gebieten" bereitgestellt wurde. Im Vergleich zu klassischen Ressorts war Entwicklungspolitik also ein relativ junges Politikfeld. Während der organisatorische Aufbau trotz einiger Hindernisse Fortschritte machte, war es für das neue Ministerium weitaus schwieriger, eigenständige Kompetenzen zu erhalten. Die etablierten Ministerien, insbesondere das Außen- und Wirtschaftsministerium, widersetzten sich anfangs der Abgabe von Zuständigkeiten. Erst Mitte der 1970er Jahre war das Ringen um Einfluss und Ressourcen für die kommenden zwei Jahrzehnte beendet. Dabei wurde das BMZ auch durch zivilgesellschaftliche Gruppen und die beiden großen christlichen Kirchen, die beständig mehr Aufmerksamkeit und Hilfe für die "Dritte Welt" forderten, von Beginn an unterstützt. Auch innerhalb des Bundestages und der politischen Parteien formierte sich schon bald eine bis heute existente parteiübergreifende "informelle Koalition" für die Belange der Entwicklungspolitik.
Das BMZ ist heute etabliert. Für das Ministerium, dessen erster Dienstsitz nach wie vor Bonn ist, arbeiten mittlerweile über 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hinzugerechnet werden können rund 20000 "indirekte" Mitarbeiter – deutsche und einheimische Fachkräfte, die in den Kooperationsländern für die Durchführungsorganisationen und damit vor allem für das BMZ tätig sind. Der Etat, der sogenannte Einzelplan 23, betrug 2014 rund 6,4 Milliarden Euro und liegt damit über dem Etat des Landwirtschaftsministeriums mit rund 5,1 Milliarden Euro. Dennoch werden auch über 50 Jahre nach seiner Gründung von Zeit zu Zeit Rufe nach einer Angliederung des BMZ beispielsweise an das Auswärtige Amt laut.
Entwicklungspolitik im Zeichen des Kalten Krieges
Bis Ende der 1960er Jahre dominierten strategische und deutschlandpolitische Interessen die westdeutsche Entwicklungspolitik. Bereits seit den 1950er Jahren forderten die Verbündeten, vor allem die USA und Großbritannien, eine Beteiligung an den Kosten für die Eindämmung des Kommunismus. Im Sinne der Truman-Doktrin waren die USA entschlossen, allen "freien Völkern" mit Wirtschafts- und Militärhilfe gegen "äußeren Druck" – die mögliche Einflussnahme der Sowjetunion – beizustehen. Die Bundesregierung gab diesem Druck in der Erwartung nach, dass die Verbündeten ihre deutschlandpolitische Position unterstützten. Strategisch und ideologisch motivierte Hilfszusagen erhielten Anfang der 1960er Jahre beispielsweise Ghana und Indonesien.
Neben der Eindämmungspolitik der westlichen Staaten gegenüber der Sowjetunion und den Ostblockstaaten instrumentalisierte die Bundesrepublik die Entwicklungspolitik auch für deutschlandpolitische Ziele. Die Bundesregierung vertrat damals einen völkerrechtlichen Alleinvertretungsanspruch gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Im Rahmen der nach dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt und ersten Präsidenten der Europäischen Kommission Walter Hallstein benannten "Hallstein-Doktrin" bewertete die Bundesregierung die Anerkennung der DDR durch Drittstaaten als "unfreundlichen Akt". In der Praxis bedeutete dies die Drohung mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und letztlich auch die Einstellung der EZ. Bis 1969 war die Hallstein-Doktrin dem Politikwissenschaftler Jürgen Wolff zufolge "erstaunlich erfolgreich",
Die großzügige Mittelvergabe in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende diente auch dazu, das Ansehen Deutschlands sowohl bei den Verbündeten als auch generell in der Welt vor dem Hintergrund der NS-Gewaltherrschaft wiederherzustellen. In der entwicklungspolitischen Praxis führte die Dominanz verschiedener politischer Ziele zum "Gießkannenprinzip", der häufig kritisierten Verzettelung des Mitteleinsatzes auf möglichst viele Empfängerländer.
Bereits die Frühphase der deutschen Entwicklungspolitik war also von einer Vielfalt an Interessen und Motivationen charakterisiert.
Basierend auf dem christlichen Grundverständnis spielten ethische und humanitäre Motive in der Entwicklungspolitik vor allem für die Kirchen und Nichtregierungsorganisationen (NROs), aber auch für viele Entwicklungspolitiker eine wichtige Rolle. EZ wurde dabei als Entwicklungshilfe verstanden, die sich aus gemeinsamen Werten und einer Solidarität beziehungsweise Verantwortung für Bedürftige in aller Welt ergibt. Der erste Minister im BMZ, Walter Scheel (FDP, 1961–1966), führte aus: "Entwicklungspolitik ist eine Art Sozialpolitik im weltweiten Ausmaß. Es geht darum, die Kluft zwischen reichen und armen Völkern zu beseitigen."
Mit der Durchsetzung der Ostpolitik und der Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen 1973 verlor die Hallstein-Doktrin an Bedeutung und wurden deutschlandpolitische Interessen in der Entwicklungspolitik immer unwichtiger. Auch die strategische Bedeutung der Entwicklungspolitik für die Eindämmung des Kommunismus nahm zumindest etwas ab. Durch die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957/58 besaß die deutsche Entwicklungspolitik von Beginn an eine europäische Dimension: Trotz einer eher kritischen Haltung des Auswärtigen Amtes und des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützte Bundeskanzler Adenauer den französischen Wunsch nach einem EWG-Entwicklungsfonds mit substanzieller deutscher Beteiligung im Gegenzug für Fortschritte in der europäischen Integration.
Bedeutung wirtschaftlicher Interessen
Gegenwärtig hängen circa 25 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland direkt oder indirekt von der Exportwirtschaft ab. Auch wenn die Exportabhängigkeit in den vorigen Jahrzehnten nicht derart stark war, war Deutschland bereits seit Mitte der 1950er Jahre ein Exportland. Daher ist es wenig überraschend, dass außenwirtschaftliche Interessen in der EZ von Beginn an eine wichtige Rolle spielten: Entwicklungsländer galten zunächst als zukünftige Märkte und EZ wurde als Instrument angesehen, Länder in die Lage zu versetzen, Produkte aus Deutschland zu importieren. Dem internationalen Trend folgend betrachtete man privatwirtschaftliche Investitionen unkritisch als Teil der EZ.
Vor allem in Zeiten schwacher Konjunktur und wirtschaftlicher Krisen spielten außenwirtschaftliche Motive eine zentrale Rolle: etwa Mitte der 1960er Jahre, als die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik kurzfristig die Marke von zwei Prozent überschritt, sowie nach den beiden Ölkrisen 1974 und 1979/80. Neben den allgemeinen Instrumenten der Exportförderung wurde außenwirtschaftlichen Interessen dadurch Rechnung getragen, dass die Kreditvergabe an Regierungen und Unternehmen von deren Bereitschaft abhängig gemacht wurde, Produkte in Deutschland zu kaufen. Diese keineswegs nur von Deutschland praktizierte "Lieferbindung" wurde jahrelang scharf von NROs kritisiert.
Die lang anhaltende wirtschaftliche Krise in den 1980er Jahren führte zwar nicht zu einem substanziellen Rückgang der Mittel wie etwa in den 1990er Jahren die Wiedervereinigung. Das BMZ machte jedoch deutlich, dass bei der Mittelvergabe jeweils die "Beschäftigungswirksamkeit" für den deutschen Arbeitsmarkt geprüft werden sollte. Unter dem Eindruck der Energie- und Rohstoffkrisen wurde Entwicklungspolitik auch als strategische Politik zur Rohstoffsicherung verstanden und demzufolge versucht, die Kontakte zu Rohstoffexporteuren zu intensivieren. Wirtschaftliche Begründungen sollten auch in Krisenzeiten die Unterstützung der Öffentlichkeit für die EZ sichern und Kritik aus dem Wirtschaftsministerium begegnen.
Diese phasenweise Dominanz wirtschaftlicher Interessen führte zu einer stärkeren Konzentration der Mittelvergabe auf die wirtschaftlich stärkeren Schwellenländer und weniger auf die ärmsten und damit bedürftigsten Länder. Eine erneute Betonung primär wirtschaftlicher Interessen fand unter Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP, 2009–2013) statt. In seiner ihm eigenen provokanten Art führte er aus: "Ich interpretiere das Z im Namen des BMZ darum so, wie es von Anfang an gemeint war: als wirtschaftliche Zusammenarbeit, nicht als wiederholte Zuzahlung."
Dominanz der Entwicklungsinteressen
Das Verblassen der mit EZ verknüpften deutschland- und außenpolitischen Interessen seit den 1970er Jahren bedeutete eine größere inhaltliche Autonomie für die Entwicklungspolitik, die sich erstmals in der Amtszeit von Entwicklungsminister Erhard Eppler (SPD, 1968–1974) zeigte. Damals wurde die von den Vereinten Nationen propagierte Grundbedürfnisstrategie, die in Abkehr von bisherigen Industrialisierungsstrategien eine Konzentration der EZ auf Armutsbekämpfung, die Befriedigung elementarer Bedürfnisse und die Förderung der Landwirtschaft forderte, zum Leitprinzip auch der deutschen EZ. Gleichzeitig brachte Eppler stärker ethische und humanitäre Begründungen in die bis dahin stark technokratisch und administrativ geprägte EZ ein.
Die deutsche EZ folgte nicht nur im Hinblick auf die Grundbedürfnisstrategie den strategischen und inhaltlichen Schwerpunkten, die der Internationale Währungsfonds und der Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definierten. Im bi- und multilateralen Kontext trug sie sowohl die seit den 1980er Jahren propagierte ökonomische Konditionalität als auch das Paradigma der politischen Konditionalität der 1990er Jahre mit. Die ökonomische Konditionalität knüpfte vor dem Hintergrund der Schuldenkrise vieler Entwicklungsländer die Mittelvergabe an wirtschaftliche Liberalisierungsmaßnahmen, sogenannte Strukturanpassungsprogramme. Mit der politischen Konditionalität erhöhte sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks der Stellenwert politischer und menschenrechtlicher Kriterien bei der Vergabe der Mittel allerdings deutlich. Staaten mit systematischen Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen demokratische Prinzipien drohten die westlichen Geber mit dem teilweisen oder völligen Entzug von Mitteln – außer im rein humanitären und Nothilfebereich. Die aktive Förderung von demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft entwickelten sich zu neuen Aktionsfeldern der Durchführungsorganisationen und der politischen Stiftungen. Eigene Akzente setzte das BMZ am ehesten auf der technischen Ebene, indem es beispielsweise besondere Anstrengungen im (Aus-)Bildungssektor unternahm. Eine klare Verbindung von EZ und eigenen politischen Zielen unterblieb. Dies stärkte die Rolle der Durchführungsorganisationen, die relativ große Handlungsspielräume genossen.
Aktuelle Trends
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ergaben sich erstmals Chancen, Stellvertreterkonflikte in der Dritten Welt zu beenden und sogar direkt mittels humanitärer Interventionen auf Konflikte einzuwirken, da die strategische Bedeutung von Entwicklungsländern als Verbündete beider Blöcke nicht mehr gegeben war. Die Hoffnung auf eine friedlichere Welt währte jedoch nicht lange: Mit Beginn der 1990er Jahre stieg die Anzahl der Kriege und bewaffneten Konflikte unerwartet stark an. Die vom Politikwissenschaftler Herfried Münkler als "neue Kriege" bezeichneten Konflikte, wie sie sich in Jugoslawien, Ruanda oder Somalia abspielten, waren nicht nur extrem brutal, sondern führten in einigen Fällen zu Bürgerkriegen und Staatszerfall. Gegenwärtig ist die Fragilität von Staaten eine der größten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr von 1994 war der Weg für ein stärkeres Engagement Deutschlands frei. Fortan beteiligte sich die Bundeswehr an Militäreinsätzen auf dem Balkan, in Afrika und in Afghanistan. Bei den Einsätzen zeigte sich bald, dass nach dem Ende der Kampfhandlungen massive Mittel zum Wiederaufbau, zum Aufbau einer friedlichen Ordnung und zur gesellschaftlichen Versöhnung erforderlich waren. Damit war die deutsche EZ gefordert. Bereits in den 1970er Jahren hatte das BMZ sie zur Friedenspolitik erklärt, ohne dass dies zu spürbaren konzeptionellen oder erst recht zu konkreten Veränderungen geführt hatte. Erst Ende der 1990er Jahre begann die deutsche EZ, sich stärker auf Konfliktprävention zu konzentrieren. Seit 1998 ist das BMZ mit einem Sitz im Bundessicherheitsrat vertreten.
Armut und Not, Unterdrückung und Misswirtschaft gelten als strukturelle Konflikt- und Kriegsursachen. Mit dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) schuf das BMZ ein neues Instrument der Konfliktbearbeitung. In enger Kooperation mit NROs und dem damaligen Deutschen Entwicklungsdienst wurden ausgebildete Friedensfachkräfte entsandt, um auf der lokalen Ebene zu vermitteln und Versöhnungsprozesse einzuleiten. Die Arbeit des ZFD konzentrierte sich auf die Vorphase und damit auf die Prävention von Konflikten sowie auf die Waffenstillstands- oder Friedensphase nach einem Konflikt.
Wie die Strategiepapiere des BMZ der vergangenen Jahre zeigen, ist die Arbeit in fragilen Staaten zu seinem Schwerpunkt geworden.
Die Forderung des Bundespräsidenten Joachim Gauck im Januar 2014, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, die auch von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt wird, könnte tendenziell zu einer Stärkung der EZ als Teil der Sicherheitspolitik führen. Inwieweit die sicherheitspolitische Ausrichtung der EZ die Akzeptanz der Entwicklungspolitik und der Außenpolitik erhöht oder eher verringert, muss gegenwärtig offenbleiben. Wie schon im Falle vorhergehender strategischer Ausrichtungen an der Außenpolitik verfolgt die EZ auch eine eigene, genuin entwicklungspolitische Agenda. Der derzeitige Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU, seit 2013) führt die Verzahnung mit der Außen- und Sicherheitspolitik kontinuierlich weiter. Daneben kommt traditionellen Zielen wie der Armutsbekämpfung und der Rolle der Landwirtschaft im Entwicklungsprozess wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit zu.