Es ist eine Besonderheit unserer Zeit, konstatiert der Ethnologe James Ferguson, dass das Konzept "Entwicklung" so zentral für das Nachdenken über so viele Gebiete unserer Erde ist. Wie "Zivilisation" im 19. Jahrhundert steht nun seit geraumer Zeit "Entwicklung" für ein dominantes Raster der Interpretation, durch welches uns die ärmeren Regionen der Welt vertraut sind und in dessen Rahmen alltägliche Beobachtungen verständlich werden. Arme Länder sind demnach per definitionem "unterentwickelt", und die Armut und Machtlosigkeit der dort lebenden Menschen sind gleichsam nur die äußeren Anzeichen dieser zugrunde liegenden Bedingung.
Mit der Ubiquität von "Entwicklung" geht massive Kritik an diesem Konzept einher. Es sei, so ein gängiger Vorwurf, zu einem qualligen, amöbengleichen Wort geworden, das nichts mehr fasse, weil seine Konturen verschwinden. Denn ständig entwickelt sich etwas oder wird entwickelt: Beziehungen, Kinder, Theorien. Über das Alltagsverständnis hinaus tragen wissenschaftliche Disziplinen zu diesem Wirrwarr bei. Psychologie, Physiologie und diverse Sozialwissenschaften bezeichnen bestimmte Prozesse jeweils mit "Entwicklung" und konstituieren sehr unterschiedliche Teildisziplinen.
Der Entwicklungsgedanke scheint viele Leben zu haben, zumal es zahlreiche Versuche gab, ihm und damit verbundenen Praktiken den Garaus zu machen. Doch Nachrichten über seinen Tod erwiesen sich wiederholt als voreilig. "Die Entwicklungszusammenarbeit", schreiben die Historiker Daniel Speich und Hubertus Büschel, "ist mit ihren Visionen und Utopien, ihren Institutionen, Diskursen und Praktiken längst ein Teil der Geschichte und ein Gegenstand der Geschichtsschreibung geworden. Auch ist die Entwicklungszusammenarbeit nicht als Praxis verschwunden, obwohl man seit den 1980er Jahren häufig ihr baldiges Ende prophezeit hat (…) Vielmehr lässt sich fast überall auf der Welt ihre Vergangenheit erkennen, wodurch sich ihre Gegenwart verfestigt – ob nun durch Institutionen, Redeweisen, Praktiken oder Entwicklungshilferuinen. Entwicklungszusammenarbeit ist längst ein entscheidendes Element in der sozioökonomischen Realität fast aller Empfängerländer von Hilfe geworden, während die Mittelbeschaffungsstrategien der Hilfsagenturen das öffentliche Bild der ‚Dritten Welt‘ innerhalb der Gebergesellschaften stark beeinflussen."
In der Wissenschaft dominiert heute in weiten Teilen eine Sichtweise, die ein Scheitern der Entwicklungszusammenarbeit konstatiert.
Dass die vielfältigen Angriffe auf den Entwicklungsgedanken bislang nicht ihr Ziel erreicht haben, hat am Ende einen einfachen Grund: "So viel Treffendes die Kritik an eigennützigen Institutionen und Ideologien der Entwicklung auch enthält, sie versorgt keinen Bedürftigen mit Trinkwasser, sie mildert nicht das Joch von Frauen, die zwischen ländlichem Patriarchat und städtischer Ausbeutung gefangen sind, sie verteilt keine Medikamente gegen Malaria und Durchfall bei Kindern."
Spätkoloniale Ordnung und der Aufstieg des Konzepts "Entwicklung"
Dem Konzept "Entwicklung" kam eine besondere Bedeutung in der sich nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnenden globalen Neuordnung zu. Denn dieser Begriff sagte den Politikerinnen und Politikern der "unterentwickelten" Gesellschaften ebenso zu wie den Menschen in "entwickelten" Ländern. Er ließ beide teilhaben an dem intellektuellen Universum und der moralischen Gemeinschaft, die nach 1945 im Kontext weltweiter Entwicklungsinitiativen entstand. Diese Gemeinschaft teilte die Überzeugung, dass die Linderung der Armut durch ökonomische und soziale Selbstregulierung allein nicht möglich sei. Vielmehr bedürfe es konzertierter Interventionen von Regierungen armer und reicher Länder in Zusammenarbeit mit der wachsenden Gruppe internationaler Hilfs- und Entwicklungsorganisationen. Im Laufe der Zeit hat sich "Entwicklung" zu einer Großindustrie gemausert, die mehrere Milliarden Dollar, eine Vielzahl von privaten, staatlichen und internationalen Organisationen sowie eine weltweite Gemeinschaft von Expertinnen und Experten involviert.
Viele der Aktivitäten, die heute unter die Rubrik "Entwicklung" fallen, haben eine lange Geschichte.
Die Krise der großen Kolonialreiche änderte diese Haltung. In der Zeit während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg betrachteten die französischen und britischen Kolonialregierungen "Entwicklung" als ein Konzept, welches die koloniale Herrschaft angesichts aufkommender nationalistischer Bewegungen und militanter Arbeitskämpfe wieder kräftigen und neu legitimieren sollte. Doch ironischerweise sollte dieses Konzept die Kolonialherren schon bald zu der Überzeugung bringen, dass sie ihre Kolonien aufgeben könnten. Britische und französische Kolonialpolitiker glaubten zunächst, ihre Entwicklungsinitiativen würden die Kolonien in den turbulenten Nachkriegszeiten zugleich ökonomisch produktiver und politisch stabiler machen. So wurden Wellen von Experten nach Afrika gesandt, um den Bauern neue Wege des Anbaus zu weisen und den Arbeitern neue Formen der Arbeit nahezulegen. Die Neugestaltung der Gesundheitssysteme und des Bildungswesens stand ebenfalls hoch auf der Agenda. Der Nachkriegsimperialismus war ein Imperialismus des Wissens. Entwicklung war in diesem Zusammenhang etwas, das in und für, aber nur sehr bedingt mit Afrika getan werden musste.
Aber nicht einmal ein Jahrzehnt später hatte die koloniale Entwicklungsinitiative ihren Reformeifer verloren. Entwicklung erschien nun nicht mehr vornehmlich als koloniales Projekt, das Autorität und Expertise verlangte, sondern wurde sozusagen als natürliche Entfaltung eines universalen sozialen Prozesses diskutiert. Diesen Prozess konnten menschliche Gestalterinnen und Gestalter erleichtern, aber im Grunde wurde er, so die damalige Lesart, von der Geschichte vorangetrieben. Daher konnte er sowohl von Afrikanern als auch von Europäern verwaltet werden. Das Entwicklungskonstrukt schöpfte dabei einen beträchtlichen Teil seiner Ausstrahlung aus der Ablehnung der Vergangenheit bei gleichzeitiger Verheißung für die Zukunft, weniger hingegen aus seiner Kapazität, die Probleme der Gegenwart adäquat anzusprechen oder gar zu lösen. Genau diese Dichotomie erlaubte es Frankreich und Großbritannien, das Bewusstsein der Notwendigkeit ihrer künftigen Mission auch angesichts des Scheiterns ihrer gegenwärtigen Mission zu bewahren. Im Übrigen vermochte Entwicklung im Gegensatz zu anderen imperialen Rechtfertigungen eine beträchtliche Anziehungskraft auf die nationalistischen Eliten zu entfalten. Am Ende übernahmen die Afrikaner das Projekt Entwicklung zusammen mit dem von den Kolonialregimen aufgebauten Staatsapparat und die sich zurückziehenden Kolonialherren konnten sich einreden, dass ihre Nachfolger zwangsläufig den von den Europäern angelegten Pfaden folgen würden.
Die wachsende Konvergenz von nordamerikanischen und europäischen Interessen bezüglich der Notwendigkeit, "Entwicklung" durch technische Hilfsprogramme zu erzeugen, spielte überdies eine wichtige Rolle für die Gründung einer Reihe von internationalen Organisationen in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds erweiterten zunehmend ihr Aktionsfeld. Hatten sie in den ersten Jahren nach Kriegsende den Wiederaufbau und die finanzielle Stabilität in Europa unterstützt, förderten sie bald die "internationale Entwicklung". Von ebenso großer Bedeutung war das Netz von Entwicklungsorganisationen, das unter dem Dach der Vereinten Nationen entstand: die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Kinderhilfswerk UNICEF, das Entwicklungsprogramm UNDP und die Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNESCO. Die Gründung dieser multilateralen Agenturen trug entscheidend zur Internationalisierung des Entwicklungskonzepts im Zeitalter der Dekolonisation bei. Obwohl die Verwaltung dieser Organisationen zunächst von Europäern und US-Amerikanern dominiert wurde und die Debatten vornehmlich spezifische nationale Interessen reflektierten, etablierte sich doch zunehmend als "gemeinsames Ziel" eine prosperierende, stabile Welt. Die wachsende Präsenz von "Entwicklungsländern" in den UN-Organisationen erleichterte es den Vertreterinnen und Vertretern aus Afrika, Asien und Lateinamerika, ihre Konzeption von Entwicklung in die Debatten einzubringen. Gleichwohl blieb die "Partnerschaft für den Fortschritt" eine ungleiche Beziehung, zumal die Ströme an Information, Wissen, Technologie und Expertise größtenteils von der "entwickelten" zur "unterentwickelten" Welt verliefen.
Entwicklungszusammenarbeit und Planung: Ein Beispiel
Planung gehörte zu den Instrumenten, die Entwicklung in Afrika ermöglichen sollten. Die Planungseuphorie war Ausdruck jenes für die Periode der Dekolonisation charakteristischen Machbarkeitswahns.
Von diesem Optimismus beseelt war auch der an der Universität von Michigan in Ann Arbor lehrende Ökonom Wolfgang Stolper, als er im Sommer 1960 in der unmittelbar vor der Unabhängigkeit stehenden britischen Kolonie Nigeria eintraf. Im Auftrag des dortigen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und vermittelt durch die Ford Foundation sollte Stolper für das westafrikanische Riesenland einen Fünfjahres-Entwicklungsplan erarbeiten. Stolper verbrachte mit Unterbrechungen insgesamt achtzehn Monate in Nigeria, um seine Mission zu erfüllen. Während dieser Zeit führte er ein Tagebuch, das posthum veröffentlicht wurde.
Diese außergewöhnliche Quelle führt direkt hinein in die Frühphase der Entwicklungsplanung in den jungen Staaten Afrikas, als vieles noch möglich schien und man die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen wollte. "Ich habe die beneidenswerteste Aufgabe, die ein Mann haben kann", notierte Stolper unmittelbar nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Lagos, "einen integrierten Plan für die bedeutendste Ökonomie Afrikas mit der größten und hoffnungsvollsten Zukunft aller Nationen Afrikas zu entwickeln." Dieser Optimismus paarte sich mit dem Gefühl der Handlungsmächtigkeit, denn Stolper war überzeugt, dass "kein Weißer jemals eine solche Rolle ausgeführt hat oder ausführen wird, wie ich sie in Nigeria zugetragen bekommen habe." Gelegentlich beschlichen ihn allerdings doch Zweifel, ob die große Planungsaufgabe tatsächlich zu erfüllen sei. Seinem Tagebuch vertraute er nach knapp einjähriger Tätigkeit in Westafrika an: "Man kommt von Zeit zu Zeit nicht umhin zu denken, dass alle Anstrengungen nutzlos sind, dass die wahren Entscheidungen mit unseren Vorstellungen nichts zu tun haben und überdies von Leuten gefällt werden, die wir gar nicht kennen." Am Ende seines Aufenthaltes zeigte sich Stolper wieder höchst zufrieden, denn sein Entwurf fand bei den Verantwortlichen ungeteilte Zustimmung. Freilich sollte der Wirtschaftsplan, typisch für so viele Entwürfe in diesem Bereich, in der Folge weitgehend Makulatur bleiben.
Stolpers Mission stand weitgehend im Einklang mit einer allgemeinen, wenn auch keineswegs universellen "Entwicklungsorthodoxie", die sich in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte. Diese besagte, dass finanzielle Hilfen und Investitionen, der Transfer von Wissen im Bereich der Produktionstechniken, Maßnahmen im Gesundheits- und (Aus-)Bildungswesen sowie sorgfältige wirtschaftliche Planung die armen Länder des Südens in die Lage versetzen würden, zu "normalen" Marktökonomien zu werden. Im Gegensatz zum damals dominanten Ansatz wollte Stolper jedoch den Staat aus dem Entwicklungsprojekt so weit wie möglich heraushalten. Staatliche Unternehmen seien Gift für das Wachstum, der Staat solle seine schmalen Ressourcen zur Errichtung einer funktionierenden Infrastruktur und zur Schaffung von Humankapital einsetzen und bestenfalls noch als Mittler zwischen ausländischen Kreditgebern und privaten Gesellschaften fungieren.
Mehr als zwei Dekaden später drückte die Weltbank mit ihren sogenannten Strukturanpassungsprogrammen die Forderung nach weniger Staat in Afrika mit Macht durch. Dahinter stand die Überzeugung, dass jede Art staatlicher Intervention die optimierenden Wirkungen von Marktmechanismen verzerre. Die bereits ältere Programmatik der "Hilfe zur Selbsthilfe" erfuhr in diesem Zusammenhang eine neue Dynamik und problematische Revitalisierung.
"Wir" und "sie"
Der Ruf nach weniger Staat in der Entwicklungszusammenarbeit markierte eine Zäsur: Denn die diversen spätkolonialen Entwicklungsinitiativen hatten eine Vorstellung begründet, die sich zunächst als sehr prägend erwies: Staatliche Projekte sollten Ressourcen in andere Kanäle lenken, als der Markt es tut. Eine solche Konzeption impliziert jedoch Machtbeziehungen – "sie erfordert und honoriert das Wissen von Experten und setzt Ungleichheit und Hierarchien voraus, auch wenn sie die Kluft zwischen verschiedenen Lebensstandards zu verringern beansprucht."
In den 1960er und 1970er Jahren hatten die meisten afrikanischen Staaten ein durchaus signifikantes, wenngleich insgesamt bescheidenes Wachstum ihrer Volkswirtschaften erlebt. Wichtiger noch, die Lebenserwartung stieg, die Kindersterblichkeit ging zurück, vor allem aber verbesserte sich der Zugang zu Bildung. Staatliches Handeln hatte einen erheblichen Anteil an dieser Transformation gehabt.
Fiel die Bilanz der Entwicklungszusammenarbeit bis in die 1970er Jahre noch gemischt aus, so zeitigten die marktorientierten Strategien in den beiden darauffolgenden Dekaden vornehmlich negative Resultate. Die Kürzung der Entwicklungshilfegelder sowie der Abbau staatlicher Regulierung und Bürokratie sollten zwar die lokale Bevölkerung zu mehr Eigeninitiative motivieren; diese bestand jedoch häufig lediglich darin, dass Warlords Armeen rekrutierten und unterbezahlte Staatsangestellte illegalen Geschäften nachgingen.
Die Resultate von Entwicklungszusammenarbeit konnten desaströs sein, vermochten in zahlreichen Fällen aber durchaus auch Leiden konkret zu mildern. Vor allem aber ist die Geschichte von Entwicklungszusammenarbeit nicht zuletzt die Geschichte von sich beständig wandelnden, oft enttäuschten Erwartungen. In diesem Zusammenhang können die Konsequenzen eines bestimmten Handelns weder von Befürworterinnen noch von Kritikern der Entwicklungszusammenarbeit durch Verallgemeinerungen über "Entwicklung" beurteilt werden. Vielmehr gilt es, genau zu analysieren, wann Programme der Entwicklungszusammenarbeit halfen und wem sie schadeten, für wen sie unerwartete Möglichkeiten oder Einschränkungen bedeuteten.
Die vielleicht wichtigste Konsequenz von "Entwicklung" seit Mitte des 20. Jahrhunderts liegt vermutlich darin, dass die damit verbundenen Aspekte überall auf der Welt konkret diskutiert werden können. Die Tatsache, dass das Leiden von Kindern in afrikanischen Flüchtlingslagern in den Räumen internationaler Organisationen in Genf oder New York Anlass zu kontroversen Debatten liefert, mag zu stereotypen Bildern über die "Anderen" als die "Armen" und "Elenden" beitragen. Sie unterstreicht jedoch auch "unsere" Verwobenheit mit der Vergangenheit und Zukunft aller Menschen.