Singuläre Ereignisse eignen sich nicht für Verallgemeinerungen. Aber sie eignen sich durchaus für Symbolik. Und das deutsch-israelische Verhältnis ist nach den Schrecken der Shoah hochgradig symbolisch aufgeladen. Kleinste rhetorisch-symbolische Verfehlungen, geringfügigste Unebenheiten können zu kommunikativen Katastrophen führen. Wie sehr sich jedoch die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland seit ihrer offiziellen Aufnahme 1965 entwickelt haben, und zwar positiv, lässt sich gut an drei Ereignissen aufzeigen, die einige Jahre auseinander liegen – und die symbolisch reichste und fragilste Ebene betreffen: die Sprache.
Noch bevor Bundespräsident Johannes Rau am 16. Februar 2000 als erster nichtjüdischer Deutscher überhaupt in der Knesset sprechen durfte, und das auch noch in seiner Muttersprache, hatte es heftige Proteste gehagelt. Der Likud-Abgeordnete Danny Navh merkte an, dass die Zeit noch nicht gekommen sei, um in der Knesset Deutsch zu sprechen und zu hören, und für den ehemaligen Parlamentspräsidenten Dov Shilanski bedeutete die Rede eines deutschen Politikers in deutscher Sprache gar "eine Schändung des Holocaust-Andenkens."
Auch die Rede des auf Rau folgenden Bundespräsidenten Horst Köhler am 2. Februar 2005 geriet schon im Vorfeld in die Kritik, weil Köhler Deutsch sprechen wollte. Gesundheitsminister Dani Naveh kündigte seinen Boykott der Feier zum 40-jährigen Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland an, und der stellvertretende Parlamentspräsident Hemi Doron brachte die Gefühle vieler anderer Shoah-Überlebender zum Ausdruck, als er in der Tageszeitung "Ma’ariv" schrieb: "Ich kann es nicht ertragen, diese Sprache im Abgeordnetenhaus des jüdischen Volkes zu hören."
Angela Merkels Rede in der Knesset am 18. März 2008, die sie wie Köhler mit einem Gruß auf Hebräisch begann und auf Deutsch fortführte, war indes schon kaum mehr von Protesten begleitet.
Die Debatten rührten an eine alte Frage: Kann Sprache unschuldig sein, lässt sich Sprache also von den Untaten derjenigen, die sie sprechen, trennen? Oder sind nicht vielmehr die Worte, vor allem bestimmte Worte, unrettbar diskreditiert, weil die Nationalsozialisten sie missbraucht, manipuliert und für ihre brutalen Zwecke eingesetzt haben? Wer Letzteres bejaht, übersieht, dass Sprache kein lebendiger Organismus mit einem ethischen Bewusstsein ist, sondern ein Kulturmittel des Menschen, wenn auch sein vielleicht wichtigstes. Wer andererseits die erste These von der Unschuld oder besser: moralischen Unabhängigkeit der Sprache bejaht, vergisst, dass Worte immer auch unsere emotionale Seite berühren. Zwar stimmt, was der (inzwischen gestorbene) letzte Shoah-Überlebende unter den Knessetabgeordneten, Josef Lapid, angesichts der Rede Köhlers angemerkt hatte: Deutsch sei die Sprache von Hitler, Goebbels und Eichmann, aber eben "auch die Sprache von Goethe, Schiller und Heine".
Doch es gibt eine Gruppe von Juden in Israel, die den Querstand zwischen beiden Thesen – von der moralischen Diskreditiertheit der Sprache einerseits und der Bindung an die Sprache als unschuldiger Liebe andererseits – selbst erfahren hat. Es handelt sich um die immer kleiner werdende Gruppe der aus Deutschland und Österreich stammenden Juden, der sogenannten Jeckes. Sie können Zeugnis ablegen von den Schwierigkeiten, Chancen und Erfolgen, die sie erlebten, als sie in den 1930er Jahren aus Deutschland fliehen mussten. Sie kamen in ein Land, in dem ihre Muttersprache als Sprache der Judenfeinde diskreditiert war – die aber dennoch ihre Muttersprache blieb, da man sie nicht abstreifen konnte "wie eine Haut".
Frühe Siedlungen, erste Kontroversen
Die Geschichte der Präsenz der deutschen Sprache in Palästina ist älter, als gemeinhin angenommen wird. Und es ist eine Geschichte von Sprachkonflikten. In größerer Zahl emigrierten Deutsche zum ersten Mal 1868 nach Palästina, das damals noch zum Osmanischen Reich gehörte.
Einige Jahrzehnte zuvor, im Jahre 1913, war Deutsch in Palästina auch im innerjüdischen Diskurs erstmalig zum Objekt einer heftigen Kontroverse geworden.
Sollte den jüdischen Einwandererkindern nach Palästina, viele davon aus Deutschland oder dem jiddischsprachigen Russland und Polen, der Lehrstoff primär auf Hebräisch oder auf Deutsch vermittelt werden? Wie zu erwarten, plädierte der Hilfsverein für die deutsche Sprache. Das war ideologisch, aber auch machtpolitisch begründet. Schließlich hatte sich der Hilfsverein gegenüber der kaiserlichen Regierung verpflichtet, Rücksicht auf den "deutschen Charakter" der Schulen zu nehmen.
Paul Nathan und der Hilfsverein hielten dem entgegen, dass fehlende Lehrmaterialien sowie mangelnde Berufsperspektiven der Schulabsolventen eine derartige Bevorzugung des Hebräischen unmöglich machten. Das Zünglein an der Waage spielten schließlich die US-amerikanischen Kuratoren des Technikums, auf deren finanzielle Unterstützung der Hilfsverein angewiesen war. Sie drängten erfolgreich darauf, Hebräisch nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren als alleinige Unterrichtssprache in allen Fächern des Technikums zu etablieren.
Sprachenstreit nach 1932
Eine zweite Kontroverse um Sprache entzündete sich 14 Jahre später. Schätzungen zufolge flohen im Zuge der fünften Alija (Einwanderungswelle; hebräisch wörtlich für "Aufstieg") bis 1938/39 insgesamt rund 75.000
Vor allem die nichtzionistischen unter den deutschen Juden, die nicht aus ideologischen Gründen, sondern allein aus dem Zwang der Umstände nach Palästina gekommen waren, führten eine Exilexistenz am Rande oder sogar in Opposition zur Mehrheitsgesellschaft. Nicht nur, dass diese Gruppe deutscher Juden eine starke emotionale Bindung an das als Heimatraum empfundene Deutschland beibehielt; sie konnten auch Palästina weder als alten Kulturraum akzeptieren noch mit neuem kulturellen Interieur füllen, wodurch sie die Außenperspektive der Exilanten nicht wirklich verließen. "In Palästina. In der Fremde" – so lautet die letzte Eintragung im Taschenkalender des Schriftstellers Arnold Zweig für das Jahr 1933, nicht lange nach seiner Ankunft in Haifa am 21. Dezember 1933.
Dabei war das Exil vieler deutscher Juden letztlich ein totales, denn eine Rückkehr nach Deutschland war nicht möglich – nicht in das verloren gegangene, das nur noch als Erinnerungsraum existierte, und schon gar nicht in das tatsächlich bestehende Deutschland, in dem man ihnen nach dem Leben trachtete. Mit Israel als Raum des Ankommens verbanden sie keine biografischen Erinnerungen. Zudem waren ihnen als liberale, reformierte, mitunter recht säkularisierte Juden die religiösen Bedeutungen der Sakralzeichen "Jerusalem" und "Eretz Israel" entfremdet. Sie erkannten das Hebräische zwar als heilige Sprache an, empfanden es aber nicht als Muttersprache und taten sich schwer mit dem Erlernen des Hebräischen als Umgangssprache.
Arnold Zweig, der 1933 über einige Zwischenstationen nach Palästina kam, bildet dabei einen interessanten, aber auch tragischen Fall, der eine gewisse Symptomatik für die Schicksale manch anderer deutscher Juden haben könnte. Zweig, berühmt geworden vor allem durch seinen Antikriegsroman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" von 1927, hat sich wiederholt gegen die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung durch den Jischuw zur Wehr gesetzt, vor allem in der deutschsprachigen Zeitschrift "Orient".
In den Augen vieler "Ostjuden" (aus Osteuropa stammende, häufig jiddisch sprechende Juden) wiederum war und blieb der "Westjude" ein "Ausgedajtscher", für den Palästina keine Herzensangelegenheit, sondern lediglich ein Fluchtpunkt vor den Nationalsozialisten und damit ein notwendiges Übel war. Allein schon dadurch schien er eine Gefahr für ein gelebtes Judentum zu sein. "Kommst du aus Überzeugung oder kommst du aus Deutschland?" wurde zum geflügelten Wort.
Der als Fritz Rosenthal geborene Schriftsteller Schalom Ben-Chorin erinnert sich, dass das Deutsche im Palästina der 1930er und 1940er Jahre "einem oft zügellosen Haß ausgesetzt" gewesen sei und bezweifelt rein sprachpragmatische Motive als Ursache: "Es ging nicht mehr um die Vorherrschaft und den Bestand des Hebräischen. Es ging um die tragische Verwechslung von Staat und Sprache."
Als Arnold Zweig 1942 bei einer Veranstaltung der von ihm und anderen linken Intellektuellen gegründeten prosowjetischen "Liga Victory" im Cinema Esther einen Vortrag auf Deutsch halten wollte, eskalierte die Lage; Zweig wurde gewaltsam am Weiterreden gehindert: "Rechts eingestellte Zionisten pfiffen und johlten im Kino. Sie brüllten: ‚Hier wird nicht die Sprache Hitlers gesprochen!‘ (…) Mit Knüppeln, die sie unter den Jacken verborgen hatten, begannen die Randalierer eine Prügelei. Vierzehn Personen wurden schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert."
Die enge und lang andauernde Bindung vieler deutscher Juden in Israel an den auch sprachlichen Erinnerungsraum der Herkunft wird durch eine beeindruckende Studie der deutschen und israelischen Sprachwissenschaftlerinnen Anne Betten und Myriam Du-nour gestützt: In dem Band, der 150 Gespräche mit deutsch-jüdischen Palästina-Emigranten versammelt, wird deutlich, dass die deutsch-jüdische Sprachkultur im Jischuw mehr Stabilität bewiesen hat, als ursprünglich angenommen. Demnach hätten sich viele Jeckes bis in die 1980er und 1990er Jahre hinein eine Art "konserviertes Deutsch" bewahrt, das sie selbst als "Weimarer Deutsch" bezeichneten.
In gewisser Weise lebt die Tradition des deutschsprachigen Judentums noch fort in der "MB Yakinton", einer 1932 als "Mitteilungsblatt der Hitachduth Olej Germania" (also der Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland) gegründeten Zeitschrift. Nach der Einstellung der 1935 gegründeten und bis 2011 in Tel Aviv edierten "Israel-Nachrichten" ("Chadaschot Israel") ist die "MB Yakinton" das letzte und zugleich langlebigste Presseorgan, das neben dem hebräischsprachigen Teil auch einen Nachrichtenteil in deutscher Sprache in Israel veröffentlicht.
Heute wieder en vogue?
Der Sprung zur Situation der deutschen Sprache im heutigen Israel ist groß, vielleicht etwas zu groß. Es sind deshalb zentrale Zwischenstationen zu erwähnen, von denen die israelische Historikerin Yfaat Weiss eine sehr wichtige erst kürzlich wieder ins Licht gerückt hat: Die Rückkehr des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts im akademischen Betrieb in Israel. Lange, so zeigt Weiss’ Aufsatz, hatte es deutliche Ressentiments unter jüdischen Akademikern und Künstlern gegeben, den noch bis 1934 gelehrten, dann aber abgeschafften Deutschunterricht an der Hebräischen Universität in Jerusalem nach 1945 wieder einzuführen.
Die Rolle der Germanistik in Israel ist weder stark noch gesichert, daran hat der deutschstämmige israelische Germanist Jakob Hessing erinnert,
In der außerakademischen Erwachsenenbildung ist eine kleine Renaissance des Deutschen aber nicht zu übersehen. Die Goethe-Institute in Tel Aviv und Jerusalem sowie das Haifa Zentrum für Deutsch- und Europastudien erfreuen sich einiger Zuwachsraten bei den Teilnehmerzahlen,
Vielleicht wird gerade dadurch die Sprache entlastet, weil entideologisiert. Sie kann, das sollte nicht vergessen werden, ein Seismograf für moralische Erschütterungen sein, eine frühe Spiegelfläche für den Terror und die Entmenschlichung des Menschen, wie es der Romanist Victor Klemperer in Zeiten des Faschismus und Totalitarismus in Deutschland beschrieben hat.