Nicht nur in fundamentalistischen Interpretationen biblischer Texte, sondern bis in die symbolischen Ordnungen der Gegenwart hinein wird eine hierarchische Geschlechterordnung aufrechterhalten: Das kulturelle Gedächtnis auch moderner Gesellschaften arbeitet in großen Teilen immer noch mit Bildern weiblicher Nachrangigkeit und Sündhaftigkeit. Frauen werden häufig als Verführerinnen und Verantwortliche für das Böse in der Welt gekennzeichnet. Auch große christliche Traditionslinien wählten die Erzählung vom "Sündenfall", um daraus die Lehre von der "Erbsünde" zu entwickeln. Es zeigt sich jedoch, dass dieses in den Texten der Bibel so nicht einmal vorkommt, obgleich diese ohnehin schon kontextbedingte, literarisch überformte Aufzeichnungen menschlicher Gottesbekenntnisse sind.
Um diese Verkehrungen aufzeigen zu können, müssen einerseits die frühen Texte aus dem Beginn der Hebräischen Bibel, die für das Verständnis von Geschlecht in der Philosophie, Theologie und der Geistesgeschichte bis heute einflussreich sind, sachlich korrekt interpretiert werden; andererseits gilt es, die unheilvolle Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte einer geradezu "erfundenen" frauenfeindlichen Tradition aufzudecken. Darüber hinaus lohnt es sich, die immer schon vorhandenen widerständigen und emanzipatorischen Gegendiskurse, Traditionen und Bilder der Vergangenheit und Gegenwart herauszuarbeiten.
Zwischen Gottesebenbildlichkeit und Sündenfall
Bekanntlich gibt es in der Hebräischen Bibel zwei unterschiedliche Texte, die von der Schaffung des Menschen erzählen. Das Alte Testament ist ein Gebilde, das aus verschiedenen Textstücken beziehungsweise nur aus einer Auswahl an Schriften zusammengesetzt wurde. Es spiegelt die Vorstellungen der Menschen des ersten Jahrtausends v. Chr. wider, die unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen jeweils anders über ihre Erfahrungen sprachen.
Der Text, der heute im ersten Buch Mose am Anfang des ersten Kapitels steht, wirkt wie ein Lied von der Schöpfung, die in sieben Tagewerken alles Geschaffene umfasst. Beginnend mit der Schaffung von Himmel und Erde ist das erste Ziel Gottes der Mensch: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau." Der Text entstand im babylonischen Exil, wo sich die jüdischen Priester mit den Gestirnkulten und dem Schöpfungsanspruch der babylonischen Götter auseinandersetzten und gegen diese abgrenzten.
Die zusammengehörigen Kapitel 2 und 3 erzählen einen anderen Schöpfungsbericht, der 500 Jahre älter ist. Wir befinden uns in Eden, einem üppigen, irdischen Garten. Hier steht der Mensch von Anfang an im Mittelpunkt mit seinen Beziehungen zu Gott und zum Mitmenschen. Die Erzählung verläuft folgendermaßen: "Da machte Gott der Herr die Erdlingsfigur (den Menschen, adam) aus Erde (adamah)." Es ist besonders zu unterstreichen, dass adam also kein Eigenname ist. Der adam (Erdling) wird aus der adamah (Mutter Erde) geschaffen und bezeichnet die Menschheit insgesamt. Es ist ein Kollektivbegriff, von dem es keinen Plural gibt und der geschlechtlich noch unbestimmt bleibt – dies ist der zentrale Aspekt der Interpretation dieser Kapitel. Adam und adamah bilden somit das erste und wichtigste Wortspiel im Buch Mose. Das bedeutet: Alle Erzählungen der Urgeschichte beziehen sich immer auf alle Geschlechter: das Essen vom Baum der Erkenntnis, die Vertreibung aus dem Garten und später das Sterben in der Sintflut.
In einem weiteren Schritt wird erzählt, dass Gott wollte, dass die Erdlingsfigur nicht allein ist: "Es ist nicht gut, dass die Erdlingsfigur allein sei, ich will eine Hilfe schaffen als Gegenüber." Im Urtext ist "Hilfe" kein abwertendes Wort. Und ein passendes Gegenüber kann die zweite Figur nur sein, wenn sie ebenbürtig ist. Es wird kein gänzlich anderer zweiter Mensch aus Erde geschaffen, der zweite ist Teil des ersten. Hier wird der Mensch in der idealen Beziehungshaftigkeit gezeigt. Erst später wurde dem einfachen Wort "Erdling" an einigen Stellen nun "und seine Frau" hinzugefügt, wodurch Ersterer erst zu einem männlichen Wesen wird. Die Zufügung gilt auch für die Szene der Versuchung: "Adam und seine Frau waren nackt." Es sind vor allem diese Einträge, aus denen später eine vermeintliche Nachrangigkeit der Frau interpretiert wurde.
Kapitel 3, dessen Thema der "Sündenfall" ist, schildert den vorfindlichen Zustand der Welt und kann als eine Gleichniserzählung über die Versuchung der menschlichen Abkopplung von Gott verstanden werden. Auch wenn es darin keinesfalls darum geht, wie Sünde und Laster in die Welt kommen, wurde die Szene der nackten Frau mit der Schlange zentral für die Abwertung der Frauen als Schuldige für das Böse in der Welt. Doch sind solche Interpretationen nicht haltbar. Die Darstellung folgte altorientalischer Ikonographie, in der einerseits Baum und Frau und Baum und Göttin miteinander verwoben waren und andererseits die Ernährung die Domäne der Frauen war. Erst später wurde die Geschichte zusätzlich erotisch aufgeladen.
Erotisierung und Personalisierung: Die Erfindung von "Adam und Eva"
Die mehr als zweitausendjährige Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der ersten Texte der Bibel verlief nicht geradlinig. Wann wurde begonnen, die Frau als Verführerin und als Hauptursache für die Probleme der Schöpfung zu belasten? Die Texte der Hebräischen Bibel wurden immer wieder neu ausgelegt. Die Schriftpropheten des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. warfen den Menschen zwar Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit vor, aber erwähnten keinen Zusammenhang mit dem ersten "weiblichen" Menschen. Dieser Zusammenhang wurde erst viel später, in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende unter anderem im Kontext griechischer Einflüsse hergestellt.
Nach den Eroberungen Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.), etwa ab dem 3. Jahrhundert v. Chr., kam es zu zahlreichen Neuinterpretationen der überlieferten alttestamentlichen Texte. Die damalige Welt war bereits griechisch geprägt, und viele jüdische Menschen verstanden die hebräischen Texte nicht mehr. So wurde eine Übersetzung in die bestimmende Weltsprache nötig. Diese Übersetzung, die sogenannte Septuaginta, wurde etwa um das Jahr 100 abgeschlossen und wurde dann auch der Bibeltext des Neuen Testaments, das ja auch auf Griechisch entstand. Eine Übersetzung bedeutet immer eine komplexe Übertragung – sowohl von einer in eine andere Sprache als auch in eine andere Denktradition, und dies jeweils in einem zeitgemäßen Kontext. Der hellenistische Hintergrund führte zur Aufnahme des Aristotelischen Denksystems, zu einer Erotisierung zahlreicher Geschichten und zu einer Aufnahme von (negativen) außerbiblischen Traditionen in die Interpretation biblischer Texte. Diese Entwicklungen resultierten in einer gänzlich verschobenen Hierarchisierung von Geschlecht und Konstruktion von Sünde als genuin weiblich.
Einflussreich war zum einen der bis in die Gegenwart verhängnisvolle naturalisierte und hierarchisierte Geschlechtscharakter, der sich im Ansatz bereits bei Aristoteles (384–322 v. Chr.) findet. Aristoteles trennte – anders als Platon (427–347 v. Chr.) – oikos (Haushalt) und polis (Gemeinschaft, Staat). Wie Versklavten und Kindern sollte Frauen wegen ihrer behaupteten unzulänglicheren Seele der Zugang zur polis verwehrt bleiben. Das patriarchale Paradigma wurde damit festgeschrieben, denn vermeintlich könne nur der männliche und damit bessere Haushaltsvorstand das "gute Leben" sichern. Zum anderen wurden bei der Bibelübertragung ins Griechische etliche Texte über Frauen mit erotischer Nuance übersetzt, da die hellenistische Erzählwelt erotische Geschichten bevorzugte. Hier begann auch die Erfindung von "Adam und Eva", die erst durch die Namensgebung personifiziert wurden und seitdem als Paar bis in die Gegenwart mit bestimmten Attributen symbolisch aufgeladen sind.
Das Verständnis adams – erst durch die hellenistischen Einflüsse als Eigenname übersetzt – hat überdies Einfluss auf weitere Interpretationen der Kapitel 2 und 3 im ersten Buch Mose. Viele Aussagen, die ursprünglich für alle Geschlechter galten, wurden allein auf den Mann gerichtet, der nun allein die Menschheit repräsentiert. Die Frau hingegen fiel damit aus wesentlichen theologischen Aussagen einfach heraus und musste ihre Gottesebenbildlichkeit, die Gott eindeutig allen Geschlechtern zugesprochen hatte, erst einklagen. Auch der übersetzte Name Eva ist ein Ergebnis dieser Missdeutung, denn im ersten Buch Mose, Kapitel 2 und 3 besitzen die Menschen keine Namen, sondern stehen für Mann und Frau an sich. Die speziell abwertende Interpretation der Evagestalt in der hellenistischen Zeit wurde vermutlich auch durch die griechische Sage der Pandora beeinflusst, in der diese aus ihrer Büchse heraus das Übel auf die Menschen losließ. Der Titel hawwah, in der Spätzeit mit Eva übersetzt, enthält mehrere Ableitungsmöglichkeiten. Die biblische Deutung als "Leben(dige)" oder "Leben(gebende)" steht im Einklang mit dem Titel "Mutter aller Lebenden". Diesen Titel verlieh man damals verschiedenen mütterlichen Gottheiten. Hier trägt ihn nun eine menschliche Person, die damit als Werkzeug Gottes für die Fortsetzung des Lebens gekennzeichnet wird.
Die Torah, die Bibel und der Koran erzählen ähnliche Schöpfungsgeschichten. Trotzdem werden Fragen der Nachordnung der Frau und der Vorwurf der Sündhaftigkeit der Frau unterschiedlich beantwortet. Der Koran konzentriert sich nicht darauf, wer zuerst geschaffen wurde, sondern entwirft ein breiteres Konzept von Schöpfung. So heißt es in Sure 4,1: "O, ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, der euch erschaffen hat aus einem Wesen; und aus ihm erschuf seine Gattin, und aus beiden ließ er viele Männer und Frauen entstehen." Namentlich wird Eva nicht erwähnt. In einigen Hadithen (Überlieferungen über die Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed) heißt sie auch hawwah, die aus einem lebenden Körper Erschaffene. Die Muslime verehren sie als die Frau des ersten Propheten Adam und als die Mutter aller Glaubenden. In Bezug auf den Sündenfall werden – anders als in Torah und Bibel – sowohl Adam als auch hawwah als fehlgeleitet beschrieben, zugleich wird Satan verurteilt, weil er Adam angetrieben hätte. Dem Koran zufolge akzeptierte Gott die Reue von Adam und hawwah und vergab ihnen; entsprechend gibt es auch keine Vertreibung aus dem Paradies. Da der Koran nicht von den Problemen der griechischen Übersetzung betroffen ist, entfällt hier auch die Erotisierung der Erzählung mit der Prägung Evas als Verführerin. In der jüdischen Theologie existiert darüber hinaus die Figur der Lilith, eine ursprünglich babylonische Gestalt. Sie galt als erste Frau Adams, die sich ihm nicht unterwerfen wollte und über die Paradiesmauern entflog. Erst daraufhin sei Eva als sich unterordnende Partnerin Adams geschaffen worden.
Sünde und Sündenüberwindung im Neuen Testament
Ein weiteres, sehr einflussreiches Beispiel für Entstehung der Vorstellung der Bindung der Sünde an die Frau stammt aus dem Buch Jesus Sirach (2. Jahrhundert v. Chr.). Dort heißt es in Kapitel 25: "Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang, ihretwegen müssen wir alle sterben." Diese Schrift ist zwar nur in der Septuaginta überliefert und nicht in der Hebräischen Bibel. Und anders als in der katholischen Kirche gehört sie im Judentum und in den reformatorischen Kirchen nicht zum anerkannten Kanon, sondern zu den sogenannten Apokryphen. Aber dennoch gab dieser eine Satz Anstoß für eine mehr als zweitausend Jahre anhaltende Interpretation der Erzählung von der Versuchung der Menschheit als einer Sündenfallgeschichte, für die allein die Frau verantwortlich sei.
Zuvor, während der Zeit der Entstehung vieler Religionen, waren Frauen sehr wohl beteiligt und konnten verschiedene religiöse Ämter in den entstehenden Gemeinschaften einnehmen. Auch Jesus hatte viele Frauen in seiner Gefolgschaft. Erst später wurden sie in untergeordnete Positionen zurückgedrängt. Im Neuen Testament heißt es, dass mit Jesus Christus eine neue Schöpfung beginne. Die endzeitliche Rückkehr, die die Scheidung der Menschen – inklusive der von Mann und Frau – beendet, wird in Sprüchen Jesu, Lehren des Paulus und anderen Texten dargestellt. Die Auswirkungen dieses neuen Lebens beschreibt Paulus in seinem Brief an die Galater: "Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig in Christus Jesus."
Allerdings zeigen sich bereits bei Paulus Spannungen zwischen der Überwindung und der Fortschreibung hierarchischer Ordnungen: Die Sünde (hamartia) besitzt trotz des im Griechischen grammatikalisch weiblichen Geschlechts keine Züge, die sie als Frau zeigen würde. Vielmehr ist zum Beispiel in den Paulusbriefen die Machtausübung der Sünde politisch gekennzeichnet, nämlich als die des Kaisers, der Feldherren und Sklavenausbeutenden im Imperium Romanum. Der Apostel nimmt die Situation gesellschaftlich abgewerteter Menschengruppen, die von der Sündenmacht angegriffen werden, ernst und spricht von der versklavten Existenz, die Menschen gleich welchen Geschlechts erleiden. Wo Paulus davon spricht, dass der Dämon Sünde den Körper ergreift, können alle Geschlechter gemeint sein.
In der jüdischen Religion, aus der sowohl Jesus wie Paulus stammen, werden Fortpflanzung, Sexualität und Begehren einerseits positiv und als Teil des menschlichen Lebens angesehen. Anderseits unterscheidet Sexualität den Menschen von Gott, denn Gott wird zwar männlich gedacht, aber nicht geschlechtlich. In der symbolischen Geschlechterordnung des Christentums ändert sich einiges, denn die Differenz von Gott und Mensch ist aufgehoben, da nach christlicher Theologie der christliche Gott in seinem Sohn einen Leib angenommen hat. Der Erlöser repräsentiert somit zugleich menschliche Sterblichkeit und Überwindung der Sterblichkeit. Diese Heilsbotschaft schlägt sich auch in der Geschlechterordnung nieder: Mit der Körperwerdung nahm der christliche Gott ein Geschlecht an. Zugleich gilt Askese nun als ein hohes Gut. Bisweilen wird Maria in ihrer Jungfräulichkeit und Mutterschaft daher als die "neue Eva" beschrieben. So entsteht ein Ideal, das für reale Frauen unerreichbar ist.
Der christliche Erlöser ist männlich, sodass es in der Tradition zu einer Kopplung von Heilsbringung an männliche Figuren und bestimmte hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen kam. In der Umkehr wurden Frauen von Priesterämtern ausgeschlossen. So etablierte sich eine symbolische Ordnung, in der "männlich" mit Heil, Kultur, Progression – und "weiblich" mit Sünde, Natur, Tradition verbunden wurde. Während der männliche Mensch die Menschheit repräsentiert, ist der weibliche nur eine Abweichung davon. Die überhöhte Betonung der Differenz von "männlich" und "weiblich" wurde in der christlichen Tradition zentral, um Grundlagen für ein Ideal der Vereinigung zu schaffen, denn die christliche Ehe wurde ein Sinnbild der Vereinigung Christi mit seiner Kirche.
Sünde und Geschlecht in der christlichen Theologiegeschichte
Die theologische Umsetzung nahm in weiten Kreisen eher verengende Wege. Aus den Schöpfungsgeschichten wurde eine angeblich gottgewollte Unterordnung von Frauen unter Männer gefolgert. Die Wirkungsgeschichte der verzerrten Paradieserzählung aus den Kapiteln 2 und 3 des ersten Buch Mose entwickelte sich unter dem Einfluss der griechischen Philosophie in der Theologie weiter. Mit der Aufnahme des griechischen Seele-Leib-Dualismus wurde der Körper abgewertet und die Gottesebenbildlichkeit auf die Seele reduziert. Augustinus von Hippo (354–430) behauptete, die Gott ebenbildliche Seele der Menschen stelle die Herrschaft Gottes über die Natur dar. Da aber nur der Mann die Fähigkeit zur Herrschaftsausübung besitze, die Frau aber "Natur" sei, müsse sie unter dem Mann stehen.
Auch für den einflussreichsten Theologen des Hochmittelalters, Thomas von Aquin (1225–1274), war die Frau ein defizitärer Mensch. Er rezipierte Aristoteles mit dem Ziel, die christliche Heilsbotschaft und kirchliche Dogmen mit der philosophischen Tradition der Antike zu vereinbaren. Einerseits setzte er voraus, dass Frauen und Versklavte nicht von vornherein vom summum bonum (vom "Höchsten Gut") ausgeschlossen sein können. Anderseits fuhr er fort, die intellektuelle Mangelhaftigkeit des weiblichen Geschlechts und seine Unterordnung bis zur Wiedergeburt zu rechtfertigen. Diese theologischen Darstellungen fanden ihren Niederschlag auch in der christlichen Kunst. Die bis heute wirkmächtigen Bilder entsprangen insbesondere den Werken der Renaissance. Menschliche Körper wurden in einer neuen Nacktheit abgebildet, die zunächst gleichermaßen Männern und Frauen galt. In der Folge richtete sich der Fokus auf die Frau, die zum erotisierten "Objekt der Begierde" wurde. Andererseits wurden nun die Frau und der Sündenfall analog betrachtet. Es bildeten sich feste Bildformeln und Darstellungsthemen, die die Kunstschaffenden bis in die Moderne beibehielten – dies gilt übrigens auch für säkulare Vertreterinnen und Vertreter expressionistischer Kunst und frühe Filmwerke. Häufig hat die Schlange, die vom Baum aus die Frau anschaut, ein weibliches Gesicht oder auch einen weiblichen Oberkörper. Die Frau und das Böse wurden so letztlich gleichgesetzt. Diese häufig abwertenden, ja, Frauen Gewalt antuenden Bilder beeinflussen das kollektive Gedächtnis bis heute.
Doch gibt es bereits im Frühchristentum und durch das Mittelalter hindurch bis in die Gegenwart verschiedene Gegenbilder in der christlichen Tradition selbst. Unter dem Einfluss des Platonismus, etwa bei Gregor von Nyssa (335–394), wurde Ungeschlechtlichkeit zum Beispiel als paradiesische Form des Menschseins verstanden. Und Hildegard von Bingen (1098–1179) erhielt Visionen und Auditionen, die sie in Texten und Bildern festhielt, die eine nachhaltige Gegenwirkung sowohl für die Theologie- wie für die Bildgeschichte besitzen. In ihren Visionen weist die göttliche Stimme das negative Bild von Eva zurück und lobt die gerade erschaffene Eva als besonderen Glanz der Schöpfung. Der Mann, aus dem Erdboden stammend, habe das Privileg der physischen Stärke, welche er für die Arbeit des Ackerbaus brauche. Die Frau dagegen sei aus einer feineren Materie, der menschlichen Leiblichkeit erschaffen. Ihr komme der Vorteil von geschickten Händen zu, die sie für die Kinderfürsorge und Anfertigung von Textilien brauche. Hildegard zeichnete die Frau als beim Sündenfall von der Schlange stärker betrogen und daher weniger als sündigend, wodurch das besondere Erbarmen Gottes hervorgerufen wurde.
In Vision I, 2 und der dazugehörigen Miniatur, die vermutlich vor 1195 entstand (Abbildung), ist es die verführerische Schlange des Sündenfalls, die den Menschen kopfüber aus der lichterfüllten Welt in die Hölle stürzt. Der liegende Adam fällt in die Finsternis. Aus seiner Seite tritt eine Wolke hervor, die die Erschaffung Evas symbolisiert. "So denn wehte er (der Wind, Anm. U.A.) in diesem klaren Gebiet, die blendendweiße Wolke, die von einer schönen Gestalt eines Menschen hervorgegangen war, viele, Sterne in sich bergend, an."
Moderne Geschlechterkontroversen
Trotz bestehender Gegenbilder hat sich im allgemeinen kulturellen Gedächtnis das Bild von der Frau als Sünderin hartnäckig verankert. Dies zeigt sich zum Beispiel auch an popkulturellen Produkten – wie etwa der US-amerikanischen TV-Serie "Desperate Housewives" (2010/2011). So ist die Verpackung der DVD mit Bildern illustriert, die die Frage nach Sünde und Geschlecht in die Gegenwart überführen – und eindeutig beantworten: Die Frauen werden in der falschen symbolischen Gefolgschaft der Eva als Verantwortliche für die Sünde betrachtet. Während auf der Rückseite ein Gemälde Lucas Cranachs zu sehen ist, das Eva mit dem Apfel vom verbotenen Baum zeigt, werden auf der Vorderseite die Protagonistinnen als in die Domäne des Haushalts gehörend dargestellt, weniger intellektuell, jedoch von Sexualität durchdrungen.
Von der Antike bis zur Renaissance bestand ein vertikales, hierarchisches Ein-Geschlechter-Modell. Die Verschiedenheit der Geschlechter wurde nur als eine graduelle "Abweichung" des Frauenkörpers vom Männerkörper verstanden. Seit dem späten 18. Jahrhundert sprechen wir vom neuzeitlich-horizontalen Differenzmodell, denn nun wurde ein bipolarer, wesenhaft verstandener Gegensatz zwischen "männlichem" und "weiblichem" Körper behauptet.
Darüber hinaus gelangte der Begriff der Sexualität ab Ende des 18. Jahrhunderts gesellschaftlich auf einen Höhepunkt. Der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984) beschrieb, wie die abendländische Gesellschaft vom Christentum beeinflusst einen ganzen Apparat (Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse) in Gang setzte, um wahre Diskurse über Sex zu produzieren. Die Problematisierung und Kontrolle der Sexualität im 19. Jahrhundert habe sowohl ökonomischen Interessen gedient, aber sich auch in die allgemein die westlichen Gesellschaften prägenden Kontroll-, Wissens- und Machtverhältnisse (das Dispositiv) eingefügt. Foucault unterscheidet dabei vier Vorgänge, durch die das Sexualitätsdispositiv immer mehr Macht-Wissen und Kontrolle über den Körper produziert habe: Erstens sei der weibliche Körper als besonders von der Sexualität durchdrungen begriffen worden; er nennt dies die Hysterisierung des weiblichen Körpers. Zweitens sei angenommen worden, dass kindliche Sexualität, speziell die Selbstbefriedigung, eine gesellschaftlich-moralische Gefahr in sich berge. Drittens hätte man sich gesamtgesellschaftlich stärker um Geburtenkontrolle gesorgt. Und viertens seien bestimmte sexuelle Praktiken als falsch und pervers eingestuft worden, was zu Versuchen geführt habe, diese "Krankheiten" zu korrigieren.
Viele aktivistische Bewegungen, theoretische, philosophische, theologische Ansätze sowie künstlerische Äußerungen und Inszenierungen bemühen sich seit Jahrhunderten darum, symbolische Festschreibungen von Geschlechterhierarchien und daran gebundene Zuschreibungen von Sünd- oder Lasterhaftigkeit zu überwinden und Gegenbilder zu kreieren. Für die Gegenwart ist Judith Butlers Gendertheorie von großer Bedeutung. Sie vertritt die These, dass substanzielle, dem Menschsein vorgeordnete Identitätskategorien von "Frau" oder "Mann" nicht haltbar sind. Die Vorstellung einer verfestigten Geschlechtsidentität als ein "Hierarchieprinzip" sei eine "regulierende Fiktion", denn sie besitze keine Wesenheit, sondern erweise sich als "erzeugt". Menschen würden ihr ganzes Leben lang – sogar bereits im Mutterleib – durch die Anrufung mit bestimmten Attributen als "weiblich" oder "männlich" markiert.
Die Konstruktion von Geschlecht wird innerhalb einer "heterosexuellen Matrix" hervorgebracht, die wiederum die Einheit von Geschlecht, Subjekt und Sexualität normiert. Daher werden Positionen, die nicht den Normen entsprechen, als Fehlentwicklungen, logische Unmöglichkeiten und Krankheiten von der dominanten Mehrheitsgesellschaft abgewehrt. Daraus ergibt sich, dass kritische Geschlechterforschung helfen sollte, die Handlungen oder Subjektpositionen, die bisher aus dem dominanten Diskurs ausgeschlossen waren, zu ermöglichen. Dort, wo Staat und Glaubensgemeinschaften Anerkennung versagen, können andere Formen der Anerkennung gefunden werden. Das gilt für nicht der jeweiligen Norm entsprechende "weiblich" und "männlich" inszenierte Subjektpositionen wie für Liebes-, Sorge- und Verwandtschaftsverhältnisse von Menschen, die lesbisch, schwul, bi-, trans-, intersexuell oder queer (LSBTIQ) leben. Es geht darüber hinaus auch um die Suche nach der Wiedereinsetzung verworfener Subjektpositionen in das Symbolische.
Bei der Durchsicht der Bilderfluten in den Internetarchiven der Gegenwart ist es kaum möglich, nicht abwertende Bilder von Frauen zu finden, wenn es um die symbolische Geschlechterordnung im Kontext ethischer Fragen geht. So ist es nicht verwunderlich, dass geschlechterbasierte Gewalt nicht aufhört, denn rechtliche Verordnungen löschen nicht die Bilder in den Köpfen. Um die Gewalt der symbolischen Ordnungen und der Wissenssysteme langfristig zu überwinden, liegt es in der Verantwortung von Aktivistinnen und Aktivisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern, von Menschen gleich welcher Beschäftigung, widerständiges Wissen und neue Bedeutungen entstehen zu lassen.