Wenn Herbert Henzler, der ehemalige Chef der Unternehmensberatung McKinsey Deutschland, fordert, dass junge Menschen heute herauskommen müssten aus der "Komfortzone",
Was sind die Ursachen für die eher konservativen Haltungen der jüngeren Generation? Warum ist diese so unheroisch, so pragmatisch und so widerstandslos angepasst? Warum scheinen junge Erwachsene heute vor allem am individuellen Fortkommen interessiert, anstatt sich, wie die vorangehenden Generationen, auf das Hochgefühl und die das Private übersteigende Gemeinschaft einer sozialen Bewegung einzulassen?
Im Folgenden werden die Haltungen und Wertorientierungen der jüngeren Generation der nach 1975 Geborenen als Ausdruck und Teil eines umfassenderen gesellschaftlichen Wandels der Mittelschicht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland verstanden. Anders als in Medien und Öffentlichkeit oft behauptet, ist die jüngere Generation nicht deshalb konservativ, weil sie sich in einer Komfortzone bequem einrichten und im Rückzugsraum der Familie ein behagliches Leben führen möchte – dem widerspricht, dass sich auch die Jüngeren unter starkem Leistungsdruck sehen.
Generationen im Vergleich
Unter einer Generation sind nach Karl Mannheim eng benachbarte Geburtsjahrgänge zu verstehen, die in den formativen Jahren ihrer Persönlichkeitsentwicklung durch gemeinsame historische Erfahrungen, sogenannte Kollektivereignisse, geprägt wurden und daher einen Generationszusammenhang bilden, der gegenüber anderen Generationen deutlich unterscheidbare Wertorientierungen, Einstellungsmuster und Lebensziele aufweist.
Die nach 1975 Geborenen bilden die erste Generation, die mit den Folgen der Globalisierung aufwächst. Für sie, die in neueren Untersuchungen treffenderweise auch "Generation Praktikum" genannt wird,
Aufgrund des schwierigen Berufseinstiegs ist es daher auch nicht verwunderlich, dass sich bei den Jüngeren die Lebensphase Jugend stark ausgedehnt hat.
Unter ganz anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen gestaltete sich das Erwachsenwerden der beiden Vorgängergenerationen – der Generation der Neuen sozialen Bewegungen, also der zwischen 1959 und 1969 in Westdeutschland Geborenen, und der APO-Generation, der zwischen 1949 und 1955 geborenen Westdeutschen, die maßgeblich durch die Studentenbewegung und die Ereignisse im Umfeld des Jahres 1968 geprägt wurden. Diese beiden älteren Generationen erfuhren in Kindheit und Jugend oft das Gegenteil von Toleranz und Respekt: Ihr Start gestaltete sich mühsam, sie wuchsen unter schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen auf. Oft hatten sie mit ärmlichen Verhältnissen und einer autoritären Elterngeneration zu kämpfen, die durch Krieg und Nationalsozialismus traumatisiert war und wenig Verständnis für die Haltungen und politischen Überzeugungen ihrer Kinder aufwies. Repressive Erziehung, autoritäres Gehabe und rigide Reglementierungen waren selbstverständlich in den 1950er und 1960er, mancherorts sogar noch in den 1970er Jahren.
Dennoch schafften sehr viele junge Erwachsene aus beiden Nachkriegsgenerationen den sozialen Aufstieg. Ihr Berufseinstieg fiel in die Phase der Wohlstandsexpansion, in der sich Mobilitätschancen ausweiteten und sich die sozialen Gegensätze abschwächten. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Bildungssystem, das vielen einen Milieuwechsel ermöglichte. Die expandierenden Dienstleistungsbranchen, etwa im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen,
Aber auch in politischer Hinsicht unterscheiden sich die Generationen. Die 68er und die nachfolgende Generation der Neuen sozialen Bewegungen wuchsen auf mit dem Vietnam-Krieg, der fehlenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus und dem Wirtschaftswunder, sie glaubten, mit ihrem Kampf für mehr Freiheit und gegen den autoritären Lebensstil und die repressiven Einstellungen der Elterngeneration das Land durch gesellschaftliches Handeln zu verändern. Sie empfanden sich als Prototyp all dessen, was Jugend seitdem aus ihrer Sicht zu sein hat: Politisch engagiert, idealistisch und nonkonformistisch. Eine große Rolle bei der Bildung ihres Generationszusammenhangs spielte das Alternativmilieu, dem sich in den 1980er Jahren etwa die Hälfte der jungen Erwachsenen zugehörig fühlte
Das gesellschaftliche Denken war prägend für die älteren Generationen. Die von ihnen als verhängnisvoll angesehene Trennung zwischen Gesellschaft und persönlicher Lebensführung, zwischen politischem Handeln und privatem Glück, sollte aufgehoben werden. Aus diesem Gesellschaftsbild resultierte die Idee auch einer neuen, umfassenden Sozialpolitik, die in der Phase der Expansion wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen Positionen für eine neue sozialwissenschaftliche Intelligenz schuf: Der Wohlfahrtsstaat sollte nicht nur Schutz gegen die existenziellen Risiken von Unfall, Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit bieten, sondern auch zur "Emanzipation", das heißt zur Bildung und umfassenden Förderung seiner Bürger beitragen. Weitere Kernthemen wie Ökologie und Chancengleichheit wurden sowohl von den Massenmedien als auch von der etablierten Politik aufgenommen und über die Partei Die Grünen kam es schließlich zu einer Institutionalisierung entsprechender Politikziele.
Der Kontrast der jüngeren Generation zu den beiden vorangehenden Generationen könnte in dieser Hinsicht kaum größer sein: Die Jüngeren haben sich von politischen Gesellschaftsbildern weitgehend abgewendet. An ideologische Großerklärungen und gesellschaftliche Weltformeln glauben sie ohnehin nicht, da sie Erklärungen misstrauen, die das komplexe Weltgeschehen auf einen einfachen Nenner bringen. Die Parteiendemokratie interessiert sie nicht, ebenso wenig geben sie vor, die Gesellschaft revolutionieren zu wollen.
Dass Märkte und wirtschaftliche Aktivitäten zum Hauptmotor der Gesellschaft geworden sind, wird von den Jüngeren nicht als politisches Problem gesehen, sondern als gegeben vorausgesetzt. Sie haben den neuen Geist des Kapitalismus mit seinen Grundsätzen der Aktivität und Mobilität, der Flexibilität und Beweglichkeit, der Eigenständigkeit und Selbststeuerung verinnerlicht. Aus diesem Grund haben sie der neosozialen Politik im neu formierten Sozialstaat und dem aus der Diskussion um Hartz IV geläufigen Konzept vom Fördern und Fordern wenig entgegenzusetzen. Im Gegenteil: Die Gefühle dieser Generation und der Sozialstaat ergänzen sich gut.
Weil das eigene Ich zum Referenzpunkt der Entscheidungsfindung wird, fällt es vielen schwer, umfassendere gesellschaftliche Rahmenbedingungen überhaupt wahrzunehmen. Der Fokus liegt auf dem Problem, den eigenen Weg aus vielen Optionen zu wählen und an der Schwelle zum Erwachsenenleben die richtigen Entscheidungen zu treffen, was unausweichlich das Risiko des Scheiterns impliziert.
Die Familie, die Partnerschaft und der Freundeskreis sind neben dem Beruf zum wichtigsten Lebensinhalt geworden. Und auch die Geschlechterrollen werden wieder traditioneller. So ist im Verlauf der 1990er Jahre der Anteil junger Männer, die sich kaum an der Hausarbeit beteiligen und sich ausschließlich von Frauen, zuerst von der Mutter, dann von der Freundin oder Ehefrau versorgen lassen, beträchtlich gestiegen.
Rückkehr zu Mitte und Mittelmaß
Die älteren Generationen betrachten die apolitische und angepasste Haltung der Jüngeren vielfach mit Herablassung, da sie diese mit ihrem eigenen Verhalten als junge Erwachsene vergleichen. Sie fragen sich, warum die Jüngeren bereit sind, bis zur Charakterlosigkeit jede Bedingung zu akzeptieren. Warum setzen sie sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Einstiegsgehälter nicht zur Wehr? Wieso sind sie trotz ihrer enormen Anpassungsbereitschaft nicht erfolgreich und stattdessen so lange von den Eltern abhängig? Dabei übersehen die Älteren jedoch zumeist, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heute völlig andere sind als vor 30 Jahren und dass sie sich ebenfalls verändert haben. Bildung und Wissen führen nicht mehr automatisch zu Status und Ansehen, und "postmaterialistische" Werthaltungen zahlen sich heute weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht aus.
So taugen die einst gegenkulturellen Ideale, wie Selbstverwirklichung, Expressivität und Authentizität, wie sie von den älteren Generationen als junge Erwachsene vertreten wurden, heute nicht mehr als Orte des Widerstandes und der Gesellschaftskritik. Längst sind sie dem Kapitalismus selbst einverleibt worden und damit zu Herrschaftsinstrumenten geronnen.
Die Älteren fühlen sich von den Haltungen der Jüngeren oftmals provoziert. Ausgerechnet die von ihnen als junge Erwachsene abgelehnten Leitbilder der Mitte und des Mittelmaßes gewinnen für die Jüngeren heute wieder an Attraktivität. Ging es für die älteren Generationen um den Ausbruch aus der beklemmenden Provinzialität und biederen Mittelmäßigkeit bürgerlicher Lebensentwürfe, so scheinen die Jüngeren genau dahin wieder zurückkehren zu wollen – allerdings unter den Vorzeichen von Digitalisierung und Kosmopolitismus.
Doch bei genauerem Hinsehen müssten auch die Älteren zugeben, dass sich ihre gesellschaftlichen Alternativen und Utopien von damals inzwischen verbraucht haben – immer mehr Menschen haben sich von politischen Visionen verabschiedet. Dies zeigt sich in der Entwertung gerade auch alternativer Lebensformen, die sich sozialstrukturell am Verschwinden des "alternativen" Milieus in Deutschland aufzeigen lässt: Laut Sinus-Milieustudie umfasste dieses Milieu 1982 noch fünf Prozent der Bevölkerung, seit 2000 ist es gar nicht mehr feststellbar.
Hinzu kommt, dass unter den Vorzeichen des beschleunigten Wandels und der Umbrüche im Erwerbssystem das einst von den Älteren so verachtete Mittelmaß seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Es wird selbst zu einem Standard, der erreicht und gehalten werden muss: So sind die Berufsarbeit mit auskömmlichen Verdienst, der Normallebenslauf oder die "normale" Familie für viele heute alles andere als selbstverständlich, sondern selbst zu Errungenschaften geworden. Und schließlich wird das Mittelmaß für immer mehr Menschen zum Standard auch für ausgewogene Lebensentwürfe und realistische Leistungsansprüche. Zunehmend abgelehnt werden das Exzessive, der Überbietungswettbewerb, die Konkurrenz und die Beschleunigung, die zu Erschöpfungszuständen, zum vielzitierten "Burn-out" führen können.
Globalisierung als Autonomieverlust
Die Persönlichkeitsprägungen und Werthaltungen der Jüngeren sind also vor dem Hintergrund einer allgemeinen Wende hin zu konservativen Werthaltungen und Lebensmustern zu verstehen. Die gesellschaftspolitische Zurückhaltung der Jüngeren, ihr Verzicht auf Rebellion und ihr Rückzug ins Familienleben und auf Traditionen ist eine naheliegende und plausible Schutzreaktion auf hochgetriebene Ansprüche an das Individuum, die aus der Individualisierung von Lebenszusammenhängen und Existenzrisiken resultieren.
Doch für den Einzelnen ist der Anspruch auf Flexibilität und Eigenverantwortung nicht nur eine Überforderung, sondern vielfach auch mit dem Risiko der sozialen Desintegration und Entkopplung behaftet. Im Zeitalter der Globalisierung werden gesellschaftliche Rollen unpersönlicher: Patienten, Klienten, selbst Studenten wechseln aus der zugestandenen Abhängigkeit in den neutralen Status des Kunden, der eine Leistung einkauft. Sie erhalten kaum mehr Schutz, sondern sollen nun selbst wissen, was gut für sie ist.
Je kurzfristiger die Bindungen an Arbeitskollegen, Partner oder Freunde, desto eher kann es vorkommen, dass Ehekrisen oder berufliche Misserfolge für den Einzelnen zum Verhängnis werden, zumal sich Misserfolge in den netzwerkförmigen Strukturen der lockeren Bindungen oft in alle Richtungen ausweiten: Freunde werden rar oder erweisen sich als "falsche" Freunde. Verdachtsmomente verdichten sich zu einem Bild mangelnder Kompetenz. Neue Kontakte und Bindungen, die zusätzliche Energien kosten, sind nicht sofort zur Stelle. Gleichzeitig gilt es, die Haltung zu wahren, da eine gedrückte Ausstrahlung in den auf expressive Kompetenz getrimmten Arbeitsbereichen, in denen Begeisterungsfähigkeit und Teamfähigkeit als oberstes Gebot gelten, weitere Beschämungen und Ausgrenzungen nach sich ziehen können. Damit wächst jedoch das Risiko, in biografischen Krisen sozial verwundbar zu sein. Lebensformen werden irregulärer.
Das gesellschaftliche Netz weicht zurück – deshalb konzentrieren sich die Einzelnen wieder stärker auf die Dinge, die halten: Familienbindungen zum Beispiel. Denn in Krisensituationen sind es häufig die Eltern, Geschwister, Tanten und Onkel, Großeltern, Jugendfreunde, später die eigenen Kinder, an die man sich wendet. Deren Ressourcen können in bestimmten Situationen ausschlaggebend dafür sein, ob es in Phasen der Verwundbarkeit und der existenziellen Notlage gelingt, in der Mittelschicht zu verbleiben oder ob etwa der Ausschluss aus dem normalen Erwerbsleben mit einem sozialen Abstieg einhergeht. Pointiert formuliert: Globalisierung entlässt den Einzelnen nicht in größere Freiheit, sondern verweist ihn paradoxerweise verstärkt an seine Herkunftsbindungen und damit in die Abhängigkeit von Klasse und Stand zurück. Denn die Ressourcen der Herkunftsfamilie werden in Zukunft voraussichtlich noch wichtiger für die Zuteilung von Lebenschancen. Dies gilt insbesondere auch in finanzieller Hinsicht. Vermögende Eltern können ihre Kinder ein Leben lang – auch in Krisenzeiten – unterstützen. Dadurch wird der Abstand zwischen den Privilegierten und Unterprivilegierten größer: Meist konzentrieren sich Vermögen in den ohnehin schon privilegierten Schichten, was soziale Ungleichheiten in der Kindergeneration vergrößert.
Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit: Beschleunigung und Flexibilisierung sind Übergangs- und Durchgangsphänomene. Die globale Netzwerkgesellschaft führt nicht zur Aufhebung, sondern zur Privatisierung von Abhängigkeit und damit auch zur Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Eine Politik, die Flexibilität und Beschleunigung als das Merkmal der globalen Gesellschaftsordnung ausgibt, täuscht sich daher über den institutionellen Fundierungsbedarf dynamischer und fragmentierter Gesellschaften. In der alten Bundesrepublik konnte die kollektive Fundierung einer unabhängigen Lebensführung nur deshalb verborgen bleiben, da die Strukturen von Sozialstaat und Lohnarbeitsgesellschaft, mitsamt den Flächentarifverträgen, den Berufsverbänden und den Standardlebensläufen, zugleich einen "kollektiven Individualismus" etablierten. Heute müssen Familie und Herkunftsmilieu diese Fundierungsleistung übernehmen. Deshalb ist es nur plausibel, wenn die Jüngeren heute wieder konservativ werden und sich auf Familie und Traditionen besinnen.