Man kann heutzutage kaum etwas über die Situation der Mittelschicht in Deutschland und anderen westlichen Industrieländern sagen, ohne dabei auch Krisen der Mittelschicht zu thematisieren. Von Medienberichten und verschiedenen Diagnosen der Forschung ausgehend schien seit etwa Anfang des Jahrtausends ein großer Bevölkerungsteil in eine Krise geraten zu sein, der zumindest in der Bundesrepublik über mehrere Jahrzehnte hinweg als abgesichert, als ordnungsstützend und als mit prinzipiell guten Zukunftsaussichten ausgestattet gegolten hatte. Medien zeigten Einzelschicksale aus einer "Mitte in Not", in der beispielsweise eine Familie mit mäßigem Erfolg Hausrat auf dem Flohmarkt verkaufte oder ein arbeitslos Gewordener seine Wohnung verlor und daher seine Möbel in der Garage eines Freundes lagern musste. Befördert durch Entwicklungen wie Deregulierungen der Erwerbsarbeit und den Umbau des Wohlfahrtsstaats konnten auch Qualifizierte mit mittlerem Einkommen weniger als zuvor davon ausgehen, dass sich ihre Leistungsbereitschaft in Statussicherheit und Karrieregewinne umsetzen würde, dass ihre Vorsorge für das Alter eine hinreichende Investition sei und dass die eigenen Kinder zumindest den gleichen Status wie sie selbst erreichen würden.
Wurden extreme Vorstellungen von exorbitant gewachsenen Abstiegsrisiken oder einer stark schrumpfenden Mittelschicht der Tendenz nach zwar zurückgewiesen,
Doch wie unsicher fühlt sich die Mittelschicht? Im Folgenden werde ich im Schwerpunkt auf der Basis von Befunden aus einer eigenen Untersuchung klären, wie groß der Anteil derjenigen in der Mittelschicht ist, die sich in den vergangenen Jahren große Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation machen, und welche Merkmale innerhalb der Mittelschicht dazu führen, dass man sich mehr oder weniger sorgt. In einem weiteren Abschnitt werde ich zugunsten einer differenzierteren Vergleichbarkeit exemplarisch an zwei mittelschichttypischen Berufsfeldern – dem Journalismus und gehobenen Verwaltungspositionen in privaten Unternehmen (zum Beispiel in der Vertriebsleitung) – zeigen, welche Konstellationen von sozialer Lage, Unsicherheitsempfinden und darauf bezogenem Handeln aufzufinden sind. Mein Fazit bringt die Befunde in einen Zusammenhang mit der eingangs skizzierten Krisendiagnose.
Zur Datenbasis: Die eigenen Befunde stammen aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 2011 und 2014 geförderten Projekt mit zwei Untersuchungsteilen.
Der methodisch qualitative Teil basiert auf 27 Leitfadeninterviews mit Angehörigen der beiden genannten Berufsgruppen, die sich nach ihrem Alter (zwischen Mitte 20 und Mitte 50) und ihrem Beschäftigungsverhältnis (etwa unbefristete Festanstellung oder Freiberufliche) unterscheiden.
Wer macht sich große Sorgen um seine wirtschaftliche Situation?
Im quantitativen Teil der Untersuchung lag der Analyseschwerpunkt darauf, zu untersuchen, ob sich die Mittelschicht im Vergleich zu anderen Schichten oder ob sich bestimmte Gruppierungen innerhalb der Mittelschicht besonders häufig große Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation machen. Den Indikator "große Sorgen" um die eigene wirtschaftliche Situation (Antwortmöglichkeiten zu diesem Item sind: große, einige, keine Sorgen) haben wir (neben anderen) deshalb gewählt, weil er sich sowohl auf die Beurteilung der eigenen beruflichen Situation als auch auf die Situation im Haushaltskontext, also beispielsweise das Einkommen eines Partners, richtet.
Für den Zeitraum 2000 bis 2011 lässt sich – im Lichte der Krisendiagnose etwas unerwartet – kein überproportionaler Anteil von Menschen mit großen Sorgen in der Mittelschicht feststellen (Abbildung). Generell sind die Sorgen umso verbreiteter, je niedriger die Schichtzugehörigkeit ist. Auffällig ist der in allen drei Schichten ähnlich verlaufende Trend, der nicht etwa linear zunimmt: Zeigen die Anteile bis etwa zur Mitte des Jahrzehnts tendenziell zunehmende Sorgen an, nehmen die Anteile danach und nochmals nach einem kurzfristigen Anstieg 2009 wieder ab. Demzufolge ist die Entwicklung eher durch Phänomene auf der gesellschaftlichen Makroebene erklärbar (unter anderem Konjunkturlagen, Arbeitslosenquoten, Sozialstaatsreformen, die Finanzkrise) als durch schichtspezifische Besonderheiten. Die Sorge der Mittelschicht hat zwischen 2000 und 2011 zugenommen, aber nicht linear und im Vergleich mit den anderen Schichten auch nicht überproportional. Eine Krisendiagnose lässt sich damit nicht pauschal für die Gesamtgruppe qualifizierter Erwerbstätiger treffen.
Innerhalb der Mittelschicht machen sich diejenigen zu einem signifikant höheren Anteil große Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation, die in Ostdeutschland leben, einen Migrationshintergrund haben, Eltern (von Kindern bis 16 Jahren) sind oder nicht in einer Partnerschaft leben. Demgegenüber spielen das Geschlecht oder das Alter in der multivariaten Regressionsanalyse
Somit deuten die Befunde dahin, dass Unsicherheit tendenziell eher von der eigenen Erwerbs- und Lebenssituation abhängt, als dass man von einem schichthomogenen Sorgenempfinden ausgehen könnte. Dabei sind nicht pauschal soziodemografische Merkmale wichtiger als erwerbsbezogene oder umgekehrt. Konkrete persönliche Bedrohungserfahrungen (früher erlebte Arbeitslosigkeit, eine befristete Beschäftigung und Ähnliches) erweisen sich als bedeutsam, aber auch Merkmale, die nicht zwingend akut, aber möglicherweise künftig die wirtschaftliche Lage beeinträchtigen könnten (zum Beispiel mit Kindern oder in Ostdeutschland leben). Wenngleich die Unterschiede zwischen verschiedenen Teilgruppen nicht immer sehr groß sind, bedeutet dies aber doch, dass eine Perspektive auf die verunsicherte Mittelschicht auch in einer eng definierten Mittelschicht qualifizierter Erwerbstätiger zu kurz gegriffen wäre.
Eine Anmerkung noch dazu, warum oft einflussreiche Merkmale, und zwar Alter und Geschlecht, in diesem Fall keine herausragende Rolle für Unsicherheiten spielen: Hinsichtlich des Geschlechts könnte dies daran liegen, dass sich die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation oftmals auf eine Konstellation (beispielsweise mit Partner oder Partnerin) richtet und weniger auf die eigene Person eines bestimmten Geschlechts allein. Hinsichtlich des Alters ist zu vermuten, dass sich verschiedene Einflussrichtungen ausgleichen. Zwar sind brüchige Berufseinstiege (etwa befristete Arbeitsplätze) auch für Qualifizierte häufiger geworden und sind die Rentenaussichten für Jüngere alles andere als sicher, andererseits stehen Jüngeren prinzipiell viele Wege offen, möglicherweise werden sie im Bedarfsfall auch noch von den Eltern unterstützt oder erwarten spätere Erbschaften. Die Älteren in der Mittelschicht hingegen sind möglicherweise beruflich etablierter, und ihre Rente ist noch vergleichsweise gut kalkulierbar, jedoch schützt ihre Qualifikation sie nicht automatisch vor Entwertungen ihres Erfahrungswissens, unter anderem angesichts raschen technologischen Wandels. In der deskriptiven Analyse macht sich ein leicht höherer Anteil Jüngerer große Sorgen um seine wirtschaftliche Situation als Ältere dies tun (2011 allerdings liegen die Anteile der Altersgruppen eng beieinander, insbesondere, weil sich Jüngere seltener als zuvor große Sorgen machten). Auf der anderen Seite blicken Jüngere optimistisch in die Zukunft: So hat 2009 über die Hälfte der 20- bis 29-jährigen Erwerbstätigen aus der Mittelschicht angegeben, dass sie ihre Lebenszufriedenheit in fünf Jahren höher als gegenwärtig einschätzen.
Wie sehen die Befunde im Vergleich mit anderen Untersuchungen aus? Andere Studien kommen durchaus zu ähnlichen Ergebnissen.
Nach diesem Überblick anhand bevölkerungsrepräsentativer Umfragedaten wird im folgenden Abschnitt ein Schlaglicht auf Mittelschichtangehörige aus zwei Berufsgruppen geworfen.
Unsicherheit in zwei Berufsfeldern
Im qualitativen Teil der Untersuchung haben wir die genannten Berufsfelder – Journalismus und gehobene Verwaltungspositionen in privaten Unternehmen – exemplarisch herausgegriffen, um herauszufinden, wie unsicher sich diese qualifizierten Erwerbstätigen fühlen und insbesondere, was sie tun, um Unsicherheit (möglicherweise auch vorbeugend) zu begegnen. An dieser Stelle soll die Typologie des Unsicherheitsempfindens und -handelns kurz vorgestellt und durch einige Fallbeispiele illustriert werden. Ein wichtiges Ergebnis lässt sich bereits vorwegnehmen: Keinesfalls fühlen sich alle Befragten im Beruf unsicher,
Tabelle: Typologie des Unsicherheitsempfindens und -handelns bei qualifizierten Erwerbstätigen
Tabelle: Typologie des Unsicherheitsempfindens und -handelns bei qualifizierten Erwerbstätigen
Die aus dem empirischen Material herausgearbeitete Typologie beruht auf zwei Unterscheidungen: 1) Fühlen sich die Befragten in ihrer beruflichen Situation unsicher oder nicht? 2) Stellt Unsicherheit für sie prinzipiell eine Bedrohung dar? Durch die Kombination dieser beiden Kriterien ergeben sich fünf Typen (Tabelle).
Es gibt zunächst – auch in Zeiten vielfältiger Veränderungen im Erwerbsleben und von Lebenslaufmustern generell – a) diejenigen, die sich im Beruf nicht unsicher fühlen und für die Unsicherheit auch prinzipiell keine Bedrohung darstellt. Auch ohne Handlungsdruck setzen die meist über 40-Jährigen darauf, ihren Status künftig erhalten zu können ("Sich sicher fühlen"). Und komplementär dazu gibt es b) Befragte, die eine als unsicher empfundene Berufssituation damit verbinden, gegen diese Unsicherheit anzukämpfen ("Unsicherheit bekämpfen"), etwa indem sie versuchen, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen (auch wenn dazu Kompromisse bei den Inhalten der Tätigkeit erforderlich sind) oder indem sie auf die Unterstützung anderer setzen (beispielsweise auf einen statusabgesicherteren Partner). Dieser Typus entspricht am ehesten den Vorstellungen der allgegenwärtigen Krisendiagnose, dass die Mittelschicht unsicher sei und offensiv dagegen angehe. Er ist hier jedoch nur einer von fünf gefundenen Typen und repräsentiert damit nicht die zentrale Unsicherheitshaltung der Mittelschicht schlechthin. Dann wiederum lassen sich Typen unterscheiden, bei denen sich berufliches Unsicherheitsgefühl und Bedrohungsempfinden durch Unsicherheit nicht entsprechen: c) Personen, die sich beruflich unsicher fühlen, diese aber gegenwärtig nicht als Bedrohung empfinden ("Unsicherheit aushalten"). Es handelt sich in der Studie zumeist um jüngere Journalistinnen und Journalisten, die freiberuflich tätig sind und durch den Aufbau eines inhaltlichen Profils, das ihrer Neigung entspricht, darauf setzen, später in eine sicherere berufliche Situation zu gelangen. Der Typus erinnert an die der Mittelschicht oft zugeschriebene aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung zugunsten später größerer Gratifikationen, allerdings findet dieser Aufschub heutzutage in der Regel unter unwägbareren Bedingungen statt als noch einige Jahrzehnte zuvor. Und auch die umgekehrte Kombination der beiden Kriterien der Typologie kommt vor, dass man sich nämlich d) beruflich nicht unsicher fühlt, Unsicherheit aber dennoch prinzipiell als Bedrohung, Zukunft als unwägbar empfindet ("Unsicherheit vermeiden"). Obwohl diejenigen in diesem Typus mit ihrer Situation oft etwas unzufrieden sind, vermeiden sie zugunsten von Sicherheit jegliche Veränderung, die ein Risiko darstellen könnte. Typischerweise handelt es sich um ab 40-Jährige, die mit Brüchen ihrer Wünsche und Pläne konfrontiert wurden, zum Beispiel durch eine Scheidung oder das Nichterreichen einer angestrebten Führungsposition. In der Gruppe derjenigen, die sich beruflich nicht unsicher fühlen, ist schließlich noch ein weiterer Typus e) zu unterscheiden. Dessen Repräsentanten fühlen sich durch potenzielle Unsicherheit nicht so manifest bedroht wie diejenigen im Typus "Unsicherheit vermeiden", doch sehen sie Unsicherheit als latente Bedrohung an, sodass im Unterschied zum Typus "Sich sicher fühlen" Strategien des Umgangs damit erforderlich werden ("Sicherheit fortgesetzt herstellen"). Diese Strategien beziehen sich beispielsweise darauf, möglichst breit anschlussfähige berufliche Kompetenzen für die weitere, bislang recht vielversprechende Berufskarriere (überwiegend im administrativen Bereich) aufzubauen (im Gegensatz unter anderem zur Profilbildung im Typus "Unsicherheit aushalten") oder (bei Frauen) Berufskarriere und Kinderwunsch möglichst zu vereinbaren. Auffällig ist, dass diese Strategien nicht zwingend mit langfristigen Planungen einhergehen; als konkreter beruflicher Horizont wurden etwa mehrfach zwei bis drei Jahre genannt.
Einige Kontrastfälle unterstreichen nochmals, dass qualifizierte Erwerbstätige nicht homogen, sondern je nach ihrer Lebenssituation mit potenziellen Unsicherheiten umgehen:
Ein 42-jähriger kaufmännischer Angestellter im Vertrieb sieht in seinem Beruf wenig Gestaltungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, insgesamt schätzt er die Zukunft insbesondere nach seiner Scheidung als unwägbar ein. Der berufliche Leidensdruck ist jedoch nicht groß genug, um deshalb Arbeitsplatzsicherheit, geringe Arbeitsbelastung und die Nähe zu seinem Sohn aufs Spiel zu setzen. Dieser Befragte aus dem Typus "Unsicherheit vermeiden" fühlt sich gegenwärtig beruflich nicht unsicher und geht mit empfundenen Zukunftsunsicherheiten defensiv um.
Ein 32-jähriger Personalentwickler zeichnet von sich das Bild eines spontanen Menschen, der davon ausgeht, dass sich seine Karriere weiter fortsetzen wird. Dabei plant er nicht in besonderem Maße, setzt allerdings auf den Aufbau breiter, gut anschlussfähiger Ressourcen, sodass er flexibel in Führungspositionen einsetzbar wäre. Die Darstellung von Sorglosigkeit ist nicht ungebrochen, berichtet er doch zugleich mehrfach von Sicherheit fortgesetzt herstellenden Handlungen, die Vorsorge oder Risikobegrenzung anzeigen. Ob diese Variante des Zukunftsoptimismus nun gerade funktional ist angesichts raschen sozialen Wandels und relativ kurzfristiger Personalstrategien von Unternehmen oder ob der bisherige Erfolg seiner Strategie eine gewisse Naivität bewirkt hat, wird sich erst im Laufe seiner weiteren Berufsbiografie zeigen.
Eine 47-jährige Journalistin war nach einer Kündigung längere Zeit freiberuflich tätig und hat jüngst eine Stelle als festangestellte Pressesprecherin angenommen. Sie hat also, verstärkt durch die Einschätzung, mit zunehmendem Alter als Journalistin immer weniger Chancen zu haben und dem mit der Freiberuflichkeit verbundenen Stress weniger gewachsen zu sein, bewusst deutliche Abstriche bei den Inhalten der Tätigkeit gemacht – Pressesprecherinnen genießen in der Berufssparte ein vergleichsweise niedriges Prestige –, um auf diese Weise Unsicherheit bekämpfen zu können.
Das Spektrum individueller Handlungen mit Bezug auf Unsicherheit reicht also weit – von gelassenem oder defensivem Abwarten bis hin zu offensiver Unsicherheitsbekämpfung und Stärkung von Wettbewerbsvorteilen (ein Vater gab beispielsweise an, mit seinen Kindern ausschließlich in einer – auch für ihn selbst – Fremdsprache zu sprechen, um deren Sprachkenntnisse frühzeitig zu fördern). Dennoch sind (Un-)Sicherheitshandlungen nicht beliebig oder zufällig, sondern in typischer Weise mit der Lebenssituation verknüpft. Einflussfaktoren sind unter anderem, ob man persönlich berufliche oder private Erfahrungen des Scheiterns gemacht hat, ob man jung und ungebunden oder älter und Haupt- oder Nebenverdiener im Haushalt ist oder welchem Berufsfeld man angehört. Letzteres ist beispielsweise ein Faktor dafür, ob man seine Karriere oder seine inhaltliche Neigung in den Vordergrund stellt und ob man sich in der Interviewsituation als verunsichert darstellen mag oder nicht.
Fazit
Die Mittelschicht fühlt sich nicht per se so verunsichert, wie man im Rahmen allgemeinerer Krisendiagnosen oder vermittelt durch einige Medienberichte denken könnte. Der Anteil der Mittelschichtangehörigen – hier recht eng gefasst als qualifizierte Erwerbstätige, für die berufliche und Lebenslaufunsicherheiten eher eine neue Erfahrung sein könnten als für einige andere Gruppen – mit Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation hat sich längerfristig erhöht, aber insgesamt doch in einem eher moderaten Ausmaß. Auch die qualitative Studie mit Befragten aus zwei Berufsfeldern hat ein breites Spektrum an Unsicherheitsempfinden und -handeln gezeigt.
Dies bedeutet zum einen, dass sich eine schon traditionell deutlich heterogene Mittelschicht nicht ausgerechnet durch sozialen Wandel homogenisiert, indem sie typischerweise ähnlich stark verunsichert wäre oder auf Unsicherheit in typischer Weise abwehrend reagieren würde. Zwar scheint sich das der Mittelschicht oft zugeschriebene Merkmal vergleichsweise hoher Sicherheitserwartungen für den weiteren Lebenslauf als relativ stabil zu erweisen, doch sind zusätzlich zur Schichtzugehörigkeit weitere Merkmale von Beruf und Lebenssituation zu beachten, um zumindest typisches Unsicherheitsempfinden und -handeln zu identifizieren.
Zum anderen heißt dies jedoch keineswegs, dass damit Entwarnung für jegliches Krisenszenario gegeben werden könnte. Dass die Mittelschicht schlechthin nicht in Statuspanik verfällt, bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass (Schließungs-)Strategien, die auch mit Konkurrenz und sozialen Konflikten verbunden sind, nicht vorkämen, beispielsweise in Form gezielter Statusinvestitionen für die eigenen Kinder oder von Ausgrenzungsversuchen mit politischen Mitteln. Weiterhin könnten recht stabile Sicherheitserwartungen ein Zeichen dafür sein, dass Teile der Mittelschicht bastelbiografischen Anforderungen auf Dauer nicht problemlos begegnen. Schließlich – ohne hier eine vollständige Aufzählung zu beanspruchen – gibt es spezifische Gruppen innerhalb der Mittelschicht, für die Unsicherheit ein größeres Problem sein dürfte, als es in diesem Rahmen dargestellt werden konnte, etwa Berufseinsteiger oder Menschen, die nach Brüchen in ihrem Erwerbsleben – Arbeitslosigkeitsphasen oder längeren Erziehungszeiten – keinen adäquaten beruflichen Wiedereinstieg finden, oder Rentnerinnen und Rentner aus der unteren Einkommensmittelschicht.
Verunsicherung ist kein nur individuelles Gefühl, sondern durchaus gesellschaftlich beeinflusst, ist unter anderem die mehr oder weniger starke Kehrseite von Individualisierungsprozessen mit zunehmenden Optionen. Sie zeigt sich jedoch in einer heterogenen Mittelschicht nicht in homogener Form, sondern in einem breiten Spektrum von Varianten, die von weiteren Aspekten der Lebenssituation und biografischer Erfahrungen abhängen. Ob dieses Spektrum gleichwohl eine Mittelschichtspezifik aufweist, ließe sich nur in einem systematischen Vergleich mit oberen und unteren sozialen Lagen untersuchen.