24 Pfund Bohnenkaffee aus Westdeutschland reichten aus. Als sie im Dezember 1951 bei einer Steuerprüfung entdeckt wurden, war es um den Zirkus Busch geschehen: Wegen Steuervergehens wurde das Unternehmen enteignet. Dem Zirkus Aeros ging es nicht besser. Auch hier dienten angebliche Steuerschulden als Begründung für die Verstaatlichung am 1. Januar 1953. Der dritte Großzirkus auf dem Gebiet der DDR, Zirkus Barlay, war schon 1950 in öffentliches Eigentum überführt worden, nachdem sein Eigentümer, Harry Barlay, in den Westen gegangen war. 13 kleinere Wanderzirkusse verschwanden zwischen 1951 und 1953 von der Bildfläche, gingen ein oder wurden aufgelöst.
Wer an die Revolution von oben denkt, mit der die ostdeutsche Gesellschaft zwischen 1948 und 1953 umgewälzt werden sollte, hat nicht unbedingt das Schicksal des Zirkus Busch vor Augen. Doch dürften die Erfahrungen, die die Zirkusleute Anfang der 1950er Jahre machen mussten, mit den Erfahrungen vieler DDR-Bürger übereingestimmt haben. Nach Kriegsniederlage, Besatzung und Entnazifizierung, nach Hungerjahren und staatlicher Teilung, nach Verabschiedung einer pseudodemokratischen Verfassung und der Etablierung der SED als herrschende Partei waren die Bürger der frisch gegründeten DDR mit einer unberechenbaren Obrigkeit konfrontiert. Unter hohem Zeitdruck, mit enormem propagandistischen Aufwand, ohne Mandat und ohne rechtsstaatliche Bindung verfolgte die SED-Spitze ihr Projekt "Aufbau des Sozialismus" – seit der II. Parteikonferenz von 1952 stand es auch offiziell auf der Agenda. Ob es sich dabei eher um den Import des sowjetischen Modells von Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft handelte, um Erbschaften der deutschen kommunistischen Tradition oder um ostdeutsche Spezifika in einem geteilten Land spielte für die Menschen, die diesem gewaltsamen Umbruch ausgesetzt waren, eine untergeordnete Rolle.
Nicht nur die einfachen Bürger, sondern auch viele loyale Parteimitglieder der SED sahen sich Tag für Tag verwirrenden Widersprüchen ausgesetzt: Den Versprechungen der Verfassung stand die Realität diktatorischer Herrschaft gegenüber, die Rede von Volkseigentum und Arbeitermacht passte schlecht mit dem Alltag von Arbeitsdruck, Mangel und Verweigerung jeder ernsthaften Partizipation zusammen, die politische Rhetorik beschwor nationale Werte und huldigte zugleich Stalin und der Sowjetunion, forcierte Militarisierung machte die lautstarke Friedenspropaganda unglaubwürdig. Wurden diese und andere Gegensätze zu offensichtlich, waren angebliche Feinde des Friedens und des Sozialismus rasch als Sündenböcke bei der Hand. Wer den Wendungen der Parteilinie nicht mehr folgen konnte oder wollte, musste mit "Erziehungsmaßnahmen" oder Schlimmerem rechnen. Die Erfahrungsgeschichte der DDR-Bürger in dieser Hochphase des Stalinismus kann man vielleicht am ehesten als ein aufreibendes Wechselbad von Unsicherheit, Willkür, Fremdbestimmung und Bedrohung auf der einen Seite und lockenden Chancen, neuer Sinnstiftung, Aufbaupathos und Zukunftsversprechungen auf der anderen Seite beschreiben.
Je nach Generationenzugehörigkeit, sozialem Status, persönlichen Werthaltungen und politischen Auffassungen waren die Faktoren anders gemischt – die Erfahrung von Instabilität und Ungewissheit in einer Konstellation beschleunigten Wandels, der vom Einzelnen nicht zu beeinflussen war, dürfte für fast alle fühlbar gewesen sein. Mit den Soziologen Émile Durkheim und Robert K. Merton könnte man von einem Zustand gesellschaftlicher Anomie sprechen, einem Zustand unklarer oder sich auflösender Regeln und Normen. Die Wünsche und Erwartungen vieler Angehöriger dieser Gesellschaft passten mit den vom politischen System vorgegebenen Wegen zur Erreichung dieser Ziele nicht zusammen.
Wenn man diese unübersichtliche Szenerie, die den Hintergrund der wachsenden Spannungen in der DDR der frühen 1950er Jahre bildete und die Voraussetzungen des Juniaufstands von 1953 hervorbrachte, unter dem Gesichtspunkt des von oben erzwungenen sozialen und kulturellen Wandels ordnet, sind vor allem drei Aspekte hervorzuheben: Erstens wurde die ostdeutsche Gesellschaft dieser Jahre durch eine Vielzahl politisch initiierter Mobilisierungsprozesse aufgewühlt, die das Leben der Menschen unsicher und die Zukunft unkalkulierbar machten. Gegenläufig dazu entstanden zweitens zahlreiche neue, politisch kontrollierte Organisationen, die Ordnung, Handlungssicherheit und Integration versprachen, dabei aber den Regulierungs- und Disziplinierungsanspruch des Regimes in immer weitere Sphären der Gesellschaft hineintrugen. Diese Organisationen waren wiederum drittens die wichtigsten Instrumente ideologischer Sinnstiftung und Verhaltensregulierung, denen die Bürger der DDR alltäglich ausgesetzt waren.
Die entsicherte Gesellschaft
Vor einigen Jahren hat der Historiker Eckart Conze die Geschichte der Bundesrepublik als eine "Suche nach Sicherheit" beschrieben.
Diese Erfahrung erstreckte sich auf fast alle Lebensbereiche: Die Revolutionierung der sozialen Strukturen und Hierarchien hatte unmittelbar nach Kriegsende mit der Bodenreform eingesetzt und war 1953 noch lange nicht abgeschlossen.
Die Erfahrung alltäglicher Unsicherheit, die die Ostdeutschen angesichts dieser sozialen Revolution von oben machten, wurde durch die Unberechenbarkeit von Verwaltung, Justiz, politischen Institutionen und vor allem der "herrschenden Partei" massiv verstärkt. Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurden die ohnehin spärlichen Ansätze von Rechtsstaatlichkeit, die in den Besatzungsjahren entstanden waren, in kürzester Zeit beendet. Nur zehn Tage nach der Staatsgründung legte eine geheime Richtlinie fest, dass alle wichtigen Gesetzesvorlagen, Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen vor ihrer Verabschiedung beziehungsweise Durchführung von der SED-Spitze abzusegnen waren.
Eine politisierte Strafjustiz tat ihr Übriges, sodass die Bevölkerung der DDR den Willkürmaßnahmen der Behörden, mit denen der "Aufbau des Sozialismus" ab 1952 durchgesetzt werden sollte, ohne rechtlichen Schutz ausgesetzt war: Sei es bei der Schließung der Staatsgrenze zur Bundesrepublik im Mai 1952 und der folgenden Zwangsaussiedlung Tausender Bewohner der neuen Sperrzone, sei es bei der Enteignung zahlreicher Pensionen, Hotels und Erholungsheime an der Ostseeküste während der "Aktion Rose" 1953, sei es bei der erwähnten Verstaatlichung privater Zirkusse oder bei den Repressalien gegen die kirchliche Jugendarbeit während des Kirchenkampfes gegen die Gruppen der "Jungen Gemeinde". Die Grunderfahrung existenzieller Unsicherheit angesichts administrativer Willkür, abrupter Richtungsänderungen der Politik und der Unverbindlichkeit von Regeln und Verfahren reichte bis tief in die "herrschende Partei". Selbst deren Spitzenfunktionäre waren nicht davor gefeit: Als die Führung der KPdSU nach Stalins Tod eine gemäßigtere Richtung einschlug, mussten der Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED Walter Ulbricht, der Ministerpräsident Otto Grotewohl und der ZK-Sekretär für Propaganda Fred Oelßner Anfang Juni 1953 in Moskau zum Rapport erscheinen und die Direktiven zum "Neuen Kurs" entgegennehmen. Hunderttausende Parteimitglieder hatten sich seit Anfang der 1950er Jahre demütigenden Überprüfungen ihrer Loyalität und Linientreue zu stellen – wer versagte, den erwartete ein ungewisses Schicksal.
Dies erinnert daran, dass die DDR auch im Jahr 1953 noch eine durch große geografische Mobilität und Zwangsmigration geprägte Gesellschaft war. Millionen von Vertriebenen waren in der östlichen Besatzungszone gestrandet, viele auf Dauer, andere zogen weiter in den Westen. Die befreiten Insassen der nationalsozialistischen Lager mussten im postfaschistischen Deutschland wieder Fuß fassen. Ehemalige Kriegsgefangene und Zivilinternierte kehrten in eine fremd gewordene Welt zurück. Zehntausende Arbeitskräfte wurden schon in den späten 1940er Jahren mit mehr oder weniger Zwang für den sowjetischen Uranbergbau im Erzgebirge rekrutiert, Tausende mussten ihre Dörfer an der neuen westlichen Staatsgrenze verlassen, andere wurden für die pompösen industriellen Großprojekte des Sozialismus mobilisiert wie etwa den Aufbau des "Eisenhüttenkombinats Ost", das 1953 in "Stalinstadt" umbenannt wurde. Über eine Million Menschen verließen die DDR zwischen 1949 und 1953 in Richtung Westen.
Die organisierte Gesellschaft
In der entsicherten Gesellschaft der frühen DDR machten viele Menschen die Erfahrung, dass ihre Lebenswelt auf neue Weise unberechenbarer, die geltenden Regeln unklarer und die Zukunft ungewisser geworden waren. Die politischen Institutionen traten als bedrohliche Macht mit umfassendem Gestaltungsanspruch auf, die Anpassung und Zustimmung erwartete, deren große Versprechungen von Recht, Verfassung, Demokratie, Nation, Arbeitermacht und Wohlstand aber mit ihrer Herrschaftspraxis wenig zu tun hatten. Wie konnte man diesen Institutionen mit Vertrauen begegnen, wie der Zukunft mit einiger Erwartungssicherheit entgegensehen, wie verlässliche soziale Beziehungen aufbauen? Während die Lebensverhältnisse in der DDR für den Einzelnen unüberschaubarer geworden waren, betrieb das SED-Regime zur gleichen Zeit mit außerordentlicher Energie die Entwicklung der kommunistischen "Organisationsgesellschaft".
Die Eigenlogik der gesellschaftlichen Subsysteme wurde nach und nach stillgelegt beziehungsweise politisch überformt:
Die Jahre bis 1953 waren die Zeit, in der sich der neue Organisationskosmos mit großem Tempo in der ostdeutschen Zivilgesellschaft ausbreitete: Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund unterwarf sich 1950 öffentlich der SED-Führung, die Freie Deutsche Jugend (FDJ) führte 1953 einen erbitterten Kampf gegen die Junge Gemeinde der protestantischen Kirchen, der 1947 gegründete Demokratische Frauenbund schaltete vorhandene Frauenorganisationen gleich, die im Jahr der Staatsgründung aus der Taufe gehobene Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft machte sich an die schwere Aufgabe, den Deutschen in der DDR ihre Furcht, ihr Ressentiment und ihren Dünkel gegenüber "den Russen" auszutreiben. Diese Liste kann leicht verlängert werden – von der 1950 gegründeten elitären Akademie der Künste bis zum Zentralhaus für Laienkunst, das sich ab 1952 um die Anleitung des künstlerischen Volksschaffens kümmern sollte. Schon ein Jahr zuvor hatte die "StaKuKo" – die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten – damit begonnen, im Auftrag der SED-Führung gegen westliche "Dekadenz", "Formalismus" und "Kosmopolitismus" zu Felde zu ziehen. Den Universitäten und Hochschulen wurden im Rahmen der II. Hochschulreform von 1951/52 die verbliebenen Selbstverwaltungsrechte genommen und ein scharf politisiertes "gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium" aufgezwungen.
Man könnte annehmen, dass soziale Stabilität und individuelle Erwartungssicherheit zunahmen, je mehr Menschen in diese rasch expandierende Organisationswelt einbezogen wurden, die ja mit dem Anspruch auftrat, alle Aspekte des Lebens zu ordnen und zu regulieren. Nicht zuletzt die Ereignisse des 17. Juni 1953 zeigen, dass dies nicht der Fall war. Dies lag sicherlich daran, dass die Organisationsoffensive der SED-Führung von vielen als bedrohlich, bedrängend oder auch nur als lästig erfahren wurde. Zudem haben die nach sowjetischem Modell entworfenen Organisationen gerade in den Anfangsjahren alles andere als perfekt funktioniert. Weder gab es genügend qualifiziertes und ideologisch sattelfestes Personal, noch waren die Abläufe und Prozesse eingespielt. Letztlich lagen dem mangelnden Integrationserfolg aber grundsätzliche Probleme zugrunde: Erstens entsprachen die neuen Organisationen und Verwaltungen trotz ihrer aufwendigen Gremien, Berichtszüge und Anweisungsverhältnisse gerade nicht dem Modell "rationaler" bürokratischer Herrschaft, da die Geltung von Regeln und Verfahren immer durch äußere Interventionen "der Partei" durchkreuzt werden konnte. Zweitens führte das Primat politisch-ideologischer Steuerung zu notorischer Ineffizienz, zu Reibungsverlusten und Leistungsschwäche, da es im Zweifelsfall eben nicht um wirtschaftliche Kriterien, wissenschaftliche Wahrheiten oder künstlerische Originalität ging, sondern um politische Herrschaftsinteressen und ideologische Deutungshoheit. Drittens wirkten strikte Hierarchien und die Zentralisierung aller relevanten Entscheidungen lähmend und demotivierend.
Die erzogene Gesellschaft
1953 kamen sieben neue DEFA-Spielfilme in die Kinos der DDR – sechs von ihnen hatten eine politische Botschaft. Die einzige Ausnahme war "Die Geschichte vom kleinen Muck" unter Regie von Wolfgang Staudte. Sie erwies sich als Publikumsrenner. Bis heute gilt die Verfilmung des Märchens von Wilhelm Hauff als erfolgreichste DEFA-Produktion aller Zeiten. Statt sich verkrampfter Politpropaganda auszusetzen, floh man lieber in orientalische Phantasiewelten. Denn in den vier Jahren zwischen der Staatsgründung und dem Juniaufstand von 1953 trat das SED-Regime den DDR-Bürgern als aggressive Erziehungs- und Mobilisierungsdiktatur entgegen. Ein nicht abreißender Strom propagandistischer Texte, Plakate, Veranstaltungen und Filme flutete den öffentlichen Raum. Mit nur geringen Nuancen vermittelten SED-Kader, Medien, Bildungseinrichtungen und "Massenorganisationen" die Leitbilder des neuen sozialistischen Menschen, priesen die Freundschaft zur Sowjetunion, verdammten den Westen und appellierten an Arbeitsethos und Moral. Zukunftsoptimismus und Aufbauelan wurden beschworen, sozialistische Heldenmythen popularisiert.
Politische Sinnstiftung, öffentliche Mobilisierung und performative Inszenierung gingen Hand in Hand.
Nur wenige Jahre nach dem Ende von Führerglaube und NS-Volksgemeinschaft, nach Besatzungsherrschaft, Beginn des Kalten Krieges und staatlicher Teilung brauchte es neue sinnstiftende Erzählungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um das Projekt "Sozialismus" zu legitimieren.