Ergebnisse von Umfragen zu politischen Themen sind aus der Medienberichterstattung kaum wegzudenken. Ein prominentes Beispiel ist die regelmäßige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender über Umfrageergebnisse in Form des "Deutschlandtrends" (ARD) und des "ZDF-Politbarometers" (ZDF). Aber auch viele Tageszeitungen und Online-Medien geben Befragungen in Auftrag und berichten über Ergebnisse politischer Umfragen. Die Berichterstattung dient dazu, über die Haltung der Bürgerinnen und Bürger zu politischen Themen zu informieren. Sie wird aber durchaus auch dazu genutzt, politische Entscheidungen, die nicht der in Umfragen gemessenen Mehrheitsmeinung entsprechen, unter zusätzlichen Rechtfertigungsdruck zu setzen.
Gleichzeitig wird es kritisch beurteilt, wenn der Eindruck entsteht, politische Entscheidungen seien von Umfrageergebnissen beeinflusst worden. In diesem Sinne stellte Anfang der 1990er Jahre der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker warnend fest, wir lebten in einer "Demoskopiedemokratie".
Sieht man davon ab, dass Wirkungen von Umfrageergebnissen auf politische Entscheidungen und auf das Wählerverhalten nicht ohne Weiteres nachgewiesen werden können,
Akteure
Die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Umfrageforschung zu politischen Themen beruht auf der Vorstellung, die auf diesem Wege gewonnenen Ergebnisse lieferten wichtige Informationen über die öffentliche Meinung in einer Gesellschaft.
Auf dieser Grundlage wirken verschiedene Akteure an der Umfrageforschung zu politischen Themen mit. Als Anbieter agieren in der Regel kommerzielle Markt- und Meinungsforschungsinstitute, die Daten erheben und auswerten sowie Ergebnisse vorstellen. Auf der Nachfrageseite findet sich eine Reihe recht verschiedener Auftraggeber, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Den Bürgern schließlich fallen zwei Rollen zu. Einerseits sind sie (potenzielle) Befragte, andererseits Rezipienten der Berichte über Umfrageergebnisse. Auch wenn die Bürger eine Doppelrolle einnehmen, sollen in diesem Abschnitt in erster Linie die beiden anderen Akteursgruppen genauer betrachtet werden.
Ein erheblicher Teil der Aufträge, die politische Meinung der Bevölkerung zu erkunden, geht von Massenmedien aus.
Wie bereits angedeutet, sind politische Akteure ein zweiter wichtiger Auftraggeber der Umfrageforschung zu politischen Themen. Politische Parteien, politische Stiftungen und einzelne Politikerinnen und Politiker sind hier ebenso aktiv wie Regierungszentralen sowie Landes- und Bundesministerien. Ihre Ziele und Motive können variieren. Sie können danach streben, die Ergebnisse zu veröffentlichen, um die öffentliche Diskussion zu beeinflussen. Eine Erhebung kann jedoch auch allein für den internen Gebrauch bestimmt sein. Nicht zuletzt aus diesem Grund lässt sich deren Zahl nicht leicht bestimmen. Zumindest in Bezug auf öffentliche Stellen hat sich die Lage mit dem seit 2006 geltenden Informationsfreiheitsgesetz diesbezüglich geändert. Inzwischen ist es möglich, Auskunft über die Umfragen zu erhalten. Allerdings zeigen sich öffentliche Stellen noch immer sehr zurückhaltend darin, es ARD und ZDF gleichzutun und die in ihrem Auftrag mit öffentlichen Mitteln erhobenen Rohdaten der interessierten Öffentlichkeit bereitzustellen.
Der dritte wesentliche Auftraggeber ist die Wissenschaft. Ihre Aufträge unterscheiden sich in der Regel von jenen, die Massenmedien und politische Akteure erteilen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind meist allein an der Erhebung von Rohdaten interessiert und übernehmen, anders als viele andere Auftraggeber, die Auswertung der Daten selbst. Die Konzentration auf die Rohdaten geht häufig einher mit vergleichsweise hohen Ansprüchen an die Qualität der Datenerhebung. Die Imperative des Wissenschaftssystems
Die potenziellen Auftraggeber haben die Wahl zwischen einer beträchtlichen Zahl an kommerziellen Markt- und Sozialforschungsinstituten. Die Anbieter, die ihren Umsatz in der Regel zum kleineren Teil mit politikbezogener Forschung erwirtschaften, unterscheiden sich teilweise erheblich in ihrem Leistungsspektrum. Einige spezialisieren sich auf bestimmte Schritte im Forschungsprozess, etwa die Datenerhebung, andere bieten Datenerhebung und -auswertung sowie Ergebnisaufbereitung an. Einige Institute bieten mehrere Erhebungsformen an, also etwa persönliche, telefonische, schriftliche und online administrierte Befragungen, andere setzen allein auf eine Methode. Die Vielfalt an Instituten ermöglicht es Auftraggebern, den für ihr Vorhaben passenden Anbieter zu identifizieren und bei geeigneter Wahl qualitativ hochwertige Daten und Ergebnisse zu erhalten.
Zu den bekannteren Instituten gehören diejenigen, die mit Massenmedien zusammenarbeiten und dort Ergebnisauswertungen präsentieren. Dazu zählen etwa Forsa, die Forschungsgruppe Wahlen,
Das Zusammenspiel der dargestellten Akteure hat die Umfrageforschung zu einem wichtigen Element im politischen Prozess werden lassen. Die große öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung für die Leistungen dieser Forschung sollten allerdings nicht den Blick auf Probleme verstellen. Einige davon sollen im Folgenden skizziert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der gesellschaftlichen Vermittlung von Umfrageergebnissen sowie auf den Folgen des gesellschaftlichen Wandels für die Erstellung von umfragebasierten Meinungsbildern.
Stichprobenfehler und Berichterstattung
Die Datenerhebung bei politikbezogenen Umfragen beruht auf dem Prinzip der Zufallsauswahl. Sie erlaubt es, mithilfe der sogenannten schließenden Statistik von einer Stichprobe im Umfang von beispielsweise 1000 Personen auf 60 Millionen Wahlberechtigte zu schließen. Voraussetzung dafür ist, dass jeder Wahlberechtigte mit gleicher oder zumindest bekannter Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe gelangen kann. Um dies sicherzustellen, haben Sozialforscher für persönliche und telefonische Befragungen, die beiden traditionell bevorzugten Verfahren, verschiedene Techniken entwickelt. Beispielsweise erlaubt es die sogenannte Random-digit-dialing-Methode in Telefonbefragungen potenzielle Befragte nach dem Prinzip der Zufallsauswahl anzurufen.
Liegen Daten aus einer Zufallsstichprobe vor, können Ergebnisse durch statistische Verfahren von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit übertragen werden – etwa auf alle Wahlberechtigten in der Bundesrepublik. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die Stichprobe zufällig ausgewählt wurde und daher die darauf gestützten Ergebnisse auch zufällig von den tatsächlichen Werten in der Grundgesamtheit, denen das eigentliche Interesse gilt, abweichen können. Diese Unsicherheit lässt sich in Form des Zufallsfehlers berechnen.
Diese Unsicherheit ist unvermeidlich, wird in der Berichterstattung über Umfrageergebnisse aber häufig nur im Kleingedruckten erwähnt oder ganz unterschlagen.
Die Vernachlässigung stichprobenbedingter Unschärfe kann auch dazu beitragen, in der Öffentlichkeit falsche Erwartungen an die Arbeit von Wahlforschungsinstituten zu nähren. Sieht man von allen anderen damit verbundenen Problemen wie etwa Falschantworten der Befragten ab,
Systematische Stichprobenverzerrungen
Bislang gingen wir von der Annahme aus, alle potenziellen Befragten werden tatsächlich befragt. Diese Annahme ist jedoch nicht haltbar. Die Ausschöpfungsquoten entsprechen kaum jemals 100 Prozent und sind im Laufe der Zeit merklich gesunken.
Die Folgen liegen auf der Hand. Es wird aufwendiger, eine bestimmte Zahl von Personen zu befragen, was steigende Kosten bedeutet. Darüber hinaus kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Personen, die nicht erreicht werden können oder nicht bereit sind, an einer Befragung teilzunehmen, sich nicht systematisch von den Befragungsteilnehmern unterscheiden. Vielmehr scheint die Teilnahmewahrscheinlichkeit mit verschiedenen Merkmalen, etwa soziodemografischen Charakteristika und dem Interesse am Gegenstand der jeweiligen Befragung, zusammenzuhängen.
Probleme bei der Stichprobenziehung dürften auch dazu beitragen, dass vor Wahlen und Abstimmungen zwar viele umfragegestützte Aussagen über Stimmenanteile zu vernehmen sind, aber praktisch keine über die Beteiligungsabsicht.
Online-Befragungen als kostengünstige Alternative
Der Trend zur Digitalisierung der Gesellschaft lässt auch die politikbezogene Meinungsforschung nicht unberührt. Er eröffnet ihr nicht zuletzt die Möglichkeit, Online-Umfragen als kostengünstige Alternative zu herkömmlichen telefonischen und persönlichen Befragungen einzusetzen. Die Vorteile dieser Methode sind offensichtlich und dürften dazu beigetragen haben, dass die im Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute organisierten Institute im Jahr 2013 zu je 36 Prozent per Telefon und online ihre Daten erhoben, hingegen nur zu 22 Prozent durch persönliche Interviews (Die übrigen 6 Prozent sind schriftliche Befragungen).
Erhebungsinstitute behelfen sich daher gegenwärtig vor allem mit der Nutzung sogenannter Online-Access-Panels. Dabei werden Befragte über unterschiedliche Rekrutierungswege, häufig über das Internet, geworben und gefragt, ob sie Teil des Panels werden und regelmäßig an Online-Umfragen zu verschiedenen Themen teilnehmen wollen. Die sogenannten Panelisten erhalten dann für jede Umfrage eine Aufwandsentschädigung in Form von "Panelpunkten", die sie ab einer bestimmten Anzahl in Geld- oder Sachprämien umwandeln können. Das Problem der mangelnden Repräsentativität ist offensichtlich. Selbst wenn die Befragten per Zufall aus dem Adressenpool ausgewählt würden, so bliebe weiterhin das Problem, dass dieser ausschließlich Personen enthält, die über einen Internetzugang verfügen und Interesse daran haben, regelmäßig an Online-Befragungen teilzunehmen. In Deutschland unterscheidet sich diese Personengruppe auch heute noch deutlich von der Gesamtbevölkerung.
Big Data als Ersatz?
Der Digitalisierungstrend könnte die Geschäftsgrundlage der traditionellen Anbieter auf diesem Markt grundsätzlicher infrage stellen. In jedem Moment äußern sich Menschen in den social media, in Online-Foren und an anderen Stellen im Internet zu diversen Fragen, auch zu politischen Themen. Diese digitalen Spuren menschlichen Handelns sind maschinenlesbar und können mit Hilfe von Algorithmen ausgewertet werden. Dies eröffnet die Möglichkeit, etwa mit sogenannten Sentimentanalysen, in diesen Äußerungen enthaltene Wertungen zu ermitteln und so ein Maß für die politische Stimmung zu entwickeln.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass der technische und gesellschaftliche Wandel dies künftig in bestimmten Fällen erlauben wird. Gegenwärtig scheint es jedoch aus verschiedenen Gründen schwierig, mit dieser Art von Analysen für die Gesamtbevölkerung repräsentative Aussagen zu treffen.
Fazit
In der Bundesrepublik werden regelmäßig und aus aktuellen Anlässen Umfragen zu politischen Fragen bemüht und deren Ergebnisse veröffentlicht. In einem wertneutralen Sinn verstanden, leben wir daher tatsächlich in einer "Demoskopiedemokratie". Die veröffentlichten Ergebnisse von Umfragen stellen Informationen bereit, die es der Gesellschaft ermöglichen, sich ein genaueres Bild von sich selbst zu machen. Allerdings hat sich in der Diskussion herausgestellt, dass die gesellschaftliche Vermittlung dieser Ergebnisse nicht immer sachgerecht erfolgt. Eine Ursache ist darin zu suchen, dass Grundlagen der Umfrageforschung in der öffentlichen Diskussion unterbelichtet bleiben. Auch wenn es sich dabei auf den ersten Blick um Detailfragen für Fachleute handeln mag, beeinträchtigen mangelnde Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht selten den Inhalt öffentlicher Diskussionen. Sie können unrealistischen Vorstellungen von den Möglichkeiten und Grenzen der Umfrageforschung sowie aufgeregten Diskussionen über vernachlässigbare Stimmungsschwankungen in Umfragen Vorschub leisten.
Ein besseres Verständnis könnte helfen, Aufregung aus fragwürdigen Anlässen zu vermeiden und tatsächlich wichtigen gesellschaftlichen Fragen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Es dürfte auch mäßigend auf das öffentliche Bild von Umfrageforschern wirken. Bislang erscheinen diese von Fall zu Fall gleichsam als unfehlbare Zahlenmagier oder als Prügelknaben. Diese Bandbreite ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es sich um Anbieter von Dienstleistungen auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung handelt, die – wenn sie ihr Handwerk verstehen – hochwertige, aber notwendig mit Unsicherheit behaftete Informationen bereitstellen. Ein besseres Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen der Umfrageforschung könnte schließlich auch Sorgen oder Hoffnungen abschwächen, Umfrageergebnisse beeinflussten ganz selbstverständlich Wahlverhalten und politische Entscheidungen.
Auch wenn es allgemein ein besseres und tieferes Verständnis für ihre methodischen Grundlagen gäbe, kann die Umfrageforschung eines gewiss nicht leisten: nämlich ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Einfluss auf politisches Handeln zu bewerten. Ein Urteil darüber muss sich jede Bürgerin, jeder Bürger selbst bilden. Die Umfrageforschung kann allenfalls feststellen, wie verbreitet bestimmte Auffassungen zu dieser wie auch zu anderen Fragen in der Gesellschaft sind.