Die Bildgeschichte hat in Deutschland eine lange kulturelle Tradition. So kann als ein früher Bildroman die um 1220 entstandene Bildgeschichte zum Eneasroman des Heinrich von Veldeke in der "Berliner Handschrift" angesehen werden, deren Akteure in Spruchbändern miteinander kommunizieren.
Dennoch haben Comics hierzulande einen schweren Stand: Während sich in den USA, Frankreich und Belgien eine lebendige Comickultur herausbildete, die bis heute existiert, wurden Comics in Deutschland lange Zeit nicht ernst genommen.
Stigma des Schmuddelheftchens
Als "Der Spiegel" am 21. März 1951 in dem Artikel "Comic – Opium in der Kinderstube" über die in den USA laufende Anti-Comic-Kampagne berichtete, wurde das, was jenseits des Atlantiks vor allem den Horrorcomics galt, hierzulande pauschal auf Comics übertragen. Volkswartbund, Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Politik überzogen Comics mit einer Schund- und Schmutzkampagne, verbrannten sie auf Scheiterhaufen und brandmarkten ihre Leserinnen und Leser als Analphabeten und potenzielle Kriminelle. "Anspruchsvolle" Verlage verweigerten sich einer Comicproduktion und überließen das Angebot der Importindustrie beziehungsweise "Trivial-Verlagen".
Dieser Pejorisierung kam entgegen, dass die meisten Comics in der Bundesrepublik Importware und damit kulturell nicht verwurzelt waren. Tatsächlich waren in Deutschland vor dem Krieg in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften durchaus Comicserien deutscher und ausländischer Herkunft erschienen, wie beispielsweise "Micky Maus". Insbesondere Hefte für Kinder, wie "Papagei", "Dideldum" und "Schmetterling", wiesen ein reichhaltiges Angebot auf.
Erst im Zuge der 68er-Bewegung und unterstützt durch eine Comicausstellung samt Tagung an der Akademie der Künste in Berlin 1970 änderte sich die Blickrichtung. Allerdings blieben die Meinungen gespalten: Sahen die einen in Comics einen kulturellen Wert, waren sie für andere ein manipulatives Angebot der Unterhaltungsindustrie – "Massenzeichenware"
Trotz andauernder Kritik wuchs jedoch die Erkenntnis, dass Comics nicht per se qualitätslos sind und auch positive Werte vermitteln können. In wissenschaftlichen Werken und populären Ratgebern begann eine Auseinandersetzung mit Inhalten, Ästhetik und Geschichte der Comics sowie ihrer Wirkung und Rezeptionsanforderungen. Erstmals wurde dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt am Main ein entsprechendes DFG-Forschungsprojekt genehmigt.
Entstehen einer Subkultur
Dennoch erwuchsen aus der Kindergeneration, die in den 1950er und 1960er Jahren trotz aller Verbote mit intensiver Comiclektüre groß geworden waren – verstärkte doch die Pejorisierung nur die Leselust –, mehr und mehr Menschen, die trotz aller Vorbehalte ihr Interesse bewahrten und eine engagierte Subkultur aufbauten. Was einst Verlage aus marktstrategischen Gründen mit Fanclubs wie dem Micky-Maus-Club oder dem Sigurd-Club angestoßen hatten, wird bis heute gepflegt, inzwischen vor allem über das Internet. 1970 wurde in West-Berlin die bis heute existierende Interessengemeinschaft Comic Strip (INCOS) zum Austausch zwischen Fans, Sammlerinnen und Sammlern, Händlerinnen und Händlern sowie der Wissenschaft gegründet. Eine weitere, wenn auch kuriose Initiative war die Gründung der Deutschen Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus (Donald) durch Hans von Storch in Hamburg 1977. Sie widmet sich bis heute ironisch-intellektuell der Welt Entenhausens, den Comics von Carl Barks und seiner kongenialen deutschen Übersetzerin Erika Fuchs. Die "Donaldisten" sind mittlerweile in zahlreichen deutschen Städten vertreten und durch Publikationen sowie im Internet präsent.
Gleichzeitig bildete sich innerhalb der Fanszene mit verschiedenen Fanzines nach und nach eine überregionale deutschsprachige Comicfachpresse heraus, die mittlerweile durch die Publikationsmöglichkeiten des Internets eine ungleich größere Dimension angenommen hat.
Seither lebt die Comicszene in Deutschland, wie heute die wachsende Zahl an Festivals, Tauschbörsen und Messen in deutschen Städten, aber auch an Förderpreisen und Wettbewerben für junge Nachwuchskünstler zeigt.
Erste Schritte zur kulturellen Akzeptanz
In den 1970er Jahren veränderte sich mit dem Generationenwechsel in der Bundesrepublik auch der Comicmarkt. So etablierte sich mit den Erfolgsserien "Asterix" und "Lucky Luke" das Medium Album, das bislang "Tim und Struppi" von Hergé vorbehalten gewesen war. Es erlaubte eine längere Marktpräsenz als das kurzfristige Heftchenprogramm am Kiosk. Zudem entwickelten sich spezialisierte Comicläden und der Comicversand. Autorencomics – abgeschlossene längere Geschichten oder Kurzserien – und Sammelmagazine wie "Zack" erreichten ein jugendliches und erwachsenes Publikum. "Zack" erschien von 1972 bis 1980 und wurde auch in Frankreich, den Niederlanden und Dänemark vertrieben. In den 1980er Jahren entstanden darüber hinaus Foren für innovative Experimente, wie etwa die von 1989 bis 1994 erscheinende Zeitschrift "Boxer. Moderne Bildgeschichten" oder "Strapazin M", das 1984 in München als "Comic-Art Magazin für Strapazierfähige" ins Leben gerufen wurde.
Ein wichtiger Impuls für die kulturelle Akzeptanz des Comics in Deutschland war das Erscheinen der deutschen Ausgabe von Art Spiegelmans "Maus" 1989 und 1991 bei Rowohlt. Das Werk über den Holocaust demonstrierte der deutschen kulturellen Öffentlichkeit, sekundiert von zahlreichen begleitenden Analysen und Ausstellungen, dass Comics mehr als triviale Unterhaltung sein und auf ihre eigene künstlerische Weise anspruchsvoll ernste Themen aufgreifen können.
Etwa zur gleichen Zeit erhielt mit der deutschen Wiedervereinigung auch die Szene der Comiczeichnerinnen und -zeichner in Deutschland Auftrieb. Experimentelle Ansätze junger Ostberliner Grafikerinnen und Grafiker, zum Beispiel der Gruppe "Renate", zu deren Gründern Atak (Georg Barber) zählt, oder Anke Feuchtenbergers,
Immer mehr Verlage boten zunehmend auch deutschsprachigen Künstlern Publikationsmöglichkeiten. Denn neben Heft und Album erschloss sich der Comic inzwischen hierzulande auch das Buch als Medium und damit den Buch- und Versandbuchhandel, was wiederum die Gelegenheit war, neben Mainstreamserien für Fans auch spezielle Comicangebote aufzulegen, die über einen längeren Zeitraum Interessierte ansprechen. So erzielte beispielsweise Rowohlt 1987 einen großen Publikumserfolg mit Ralf Königs Comic "Der Bewegte Mann", der 1994 auch verfilmt wurde. Ein weiteres Beispiel ist die 1999 erschienene zweibändige Goethe-Biografie der Zeichner Christoph Kirsch und Thomas von Kummant in der Ehapa Comic Collection in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut.
Einen wichtigen Impuls für Produktion, Markt und Publikum gab das Label "Graphic Novel". Gemeint sind längere, abgeschlossene Bildgeschichten. Das Angebot zeichnet sich durch eine große Themenvielfalt und ästhetische Innovationen aus. Trotz berechtigter Kritik an der Gefahr, durch eine Spaltung in Comics als massenmediale Trivialunterhaltung einerseits und Graphic Novels als grafische Belletristik andererseits neue Vorurteile zu produzieren, ist das Label durchaus erfolgreich, werden doch so nach wie vor latent existente Vorbehalte überspielt. Trotz relativ niedriger Auflagenhöhen sind Graphic Novels internationaler und nationaler Herkunft auf dem Comicmarkt relativ erfolgreich.
Heute nehmen auch traditionelle Verlage vermehrt Bildgeschichten in ihr Programm auf. Darunter viele Adaptionen, die bekannte Stoffe nicht einfach übertragen, sondern mit den spezifischen ästhetischen Möglichkeiten der Bildgeschichte neu erzählen.
Gleichzeitig ist in jüngster Zeit auch zu beobachten, dass die jetzige Großelterngeneration – vom Schmutz- und Schundkampf gegen Comics zwar stark geprägt – ein großes nostalgisches Erinnerungsinteresse an Comics der 1950er und 1960er Jahre an den Tag legt. Der Markt reagiert: Inzwischen gibt es Nachdrucke von alten Serien, die oft von Ausstellungen und wissenschaftlichen Aufarbeitungen begleitet werden. Die Beispiele reichen von "Lurchi der Salamander", das seit 1937 erscheinende und damit älteste deutsche Comicheft, über "Mecki", seit 1951 in der "Hörzu", bis zu "Sigurd" von Hansrudi Wäscher oder Helmut Nickels "Winnetou".
Einzug in Feuilletons, Museen und Wissenschaft
Während noch bis in die 1990er Jahre die Presse Comics als Reflexionsthema weitgehend ignorierte, hat sich das Feuilleton überregionaler wie regionaler Zeitungen dank des besonderen Engagements einiger Redakteure dem Thema heute geöffnet. Als Ralf Königs Buch "Elftausend Jungfrauen" 2012 erschien, wurde das Ereignis in zahlreichen Tages- und Wochenzeitungen kommentiert. Schon kurz darauf wurden die Zeichnungen des Buches in einer Ausstellung im Stadtmuseum Köln 2013 präsentiert.
Nach dem Anstoß der Berliner Ausstellung 1970, die als Wanderausstellung durch zahlreiche bundesdeutsche Städte zog, wuchs die Zahl der Comicausstellungen in Deutschland. Waren die Exponate anfangs noch oft Kopien aus Heften und Alben, so sind heute vornehmlich Originalzeichnungen oder Erstdrucke zu sehen. Zu Überblicksausstellungen zur Geschichte der Comics,
Die Comicforschung in Deutschland ist in hohem Maße auf die Informationen von Sammlern und der Fanszene angewiesen, ist sie doch institutionell nicht verortet. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wie das Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo seit den 1960er Jahren eine Bibliothek primärer und sekundärer Comicliteratur aufgebaut wird, die Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL) an der Universität Hamburg oder das Institut für Germanistik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit seiner "Bonner Online-Bibliographie zur Comicforschung".
Fazit
Nach Jahren der Ablehnung, Ignoranz und heimlichen Duldung sind Comics schließlich auch hierzulande auf dem Weg zur kulturellen Akzeptanz. Als "Opium in der Kinderstube" gelten sie schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Derzeit werden Comics als Gegenstand wie als Medium im Unterricht für ein breites Spektrum an Fächern wie Deutsch, Geschichte, Naturwissenschaften, Fremdsprachen, Religion und Kunst wieder diskutiert, erprobt und untersucht.
Trotz der festen Verwurzelung der Bildgeschichte auch in der deutschsprachigen Kultur sind Comics gegenüber den anderen Künsten in Deutschland jedoch immer noch ein Stiefkind. Wie Comickünstler, -forscher und -fans im Berliner "Comic-Manifest" von 2013 forderten,
Für eine angemessene kulturelle Akzeptanz braucht es nicht nur ein qualitativ überzeugendes Angebot, sondern auch die Bereitschaft der Leser, sich diesem Angebot zu öffnen sowie eine lebendige öffentliche Resonanz in Medien, Wissenschaft und Bildung. Comiclektüre ist ein reiches, lohnenswertes Angebot für alle, die Freude an narrativen Bildern haben. Bildgeschichten sind nicht nur anschaulich und unmittelbar, sie fordern darüber hinaus eine mitspielend-deutende Rezeption, Offenheit sowie einen kritisch-wertenden Blick. Natürlich ist nicht alles gut, nur weil es Comic ist. Doch die vielen hervorragenden Werke, die es inzwischen auch hierzulande gibt, belegen, dass sich die Anstrengung lohnt.