Unter dem Begriff "Wetterdienst" kann sich jeder etwas vorstellen – und denkt zumeist an die Wettervorhersagen, die seit Jahrzehnten fester Bestandteil unserer Planung für die nächsten paar Tage sind. Trotz aller Spötteleien hat sich die Zuverlässigkeit der Wettervorhersagen in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert, sodass der Ausblick von einer Woche schon für ziemlich belastbar gehalten wird. In jüngster Zeit ist zu dem Begriff "Wetterdienst" ein anderer, ähnlicher getreten: "Klimaservice".
Denn auch Klima, Klimawandel und Klimawirkungen sind allgegenwärtige Faktoren in unserem Leben. Versicherungen erhöhen wie selbstverständlich ihre Policen wegen angeblich verschärfter Risiken, in Schleswig-Holstein werden Deiche bei Modernisierung so gebaut, dass sie bei Bedarf zukünftig mit geringerem Aufwand verstärkt werden können. Verantwortliche sorgen sich, wie sie in ihrem Bereich mit der veränderten und sich verändernden Lage umgehen können; Behörden versuchen, Vorgaben zu Klimaschutz und Klimaanpassung zu machen. Als Makler zwischen Wissenschaft und Planungspraxis soll Klimaservice Wissen über mögliche Änderungen verfügbar machen.
Nicht wenige denken dabei vor allem an belastbare Vorhersagen der Veränderung des Klimas, ähnlich der Wettervorhersage. Aus dieser Sicht sollte ein Klimaservice also verlässliche quantitative Informationen abliefern, etwa über veränderte Häufigkeiten von Starkregen, Hurrikanen und Glatteis in bestimmten Gegenden Deutschlands. Die Entwicklung von Klimaservice ist Bestandteil der Innovationsstrategie der Bundesregierung, und mehrere Bundesministerien (Umwelt, Forschung, Verkehr) bemühen sich um die Federführung dieses Geschäftsfeldes. Doch ist die Herausforderung, Wissen über Klima, Klimawandel und Klimawirkung belastbar und bedarfsgerecht zu vermitteln, bislang kaum ausreichend verstanden worden. Zudem findet die Diskussion darüber in einem politisch aufgeladenen Umfeld statt, in dem neben naturwissenschaftlichem Wissen noch andere wirkmächtige Erklärungssysteme um Deutungshoheit kämpfen. Und schließlich ist der Klimawandel nur eine von vielen signifikanten Änderungen, die in den kommenden Jahrzehnten erwartet werden. In diesem Essay versuche ich, das grundlegende Problem zu skizzieren und Vorschläge zu unterbreiten, wie ein Klimaservice besser aufgestellt werden kann.
Wetterdienst und Klimaservice
Wie kommen Wettervorhersagen zustande? Jeden Tag wird der Jetzt-Zustand so gut wie möglich neu bestimmt: nicht nur mithilfe lokaler Beobachtungen und Aufstiegen von Radiosonden, sondern auch unter Einsatz von Flugzeugen, Radar und Satelliten. Auf Grundlage eines Modells, das auf physikalischen Prinzipien wie Massen-, Impuls- und Energieerhaltung beruht, wird dann berechnet, wie sich das Wetter in den kommenden Tagen entwickeln wird. Der aktuelle meteorologische Zustand ist natürlich auch nur im Rahmen einer gewissen Genauigkeit bekannt, sodass verschiedene, in sich konsistente Zustände konstruiert werden, von denen aus Vorwärtsrechnungen angestellt werden. So entsteht ein "Ensemble" an Vorhersagen. Aus der zunehmenden Differenz zwischen den verschiedenen Vorhersagen lässt sich abschätzen, wie zuverlässig eine Prognose ist. Das geschieht jeden Tag neu, und täglich lässt sich prüfen, inwieweit bestimmte Vorhersagen mit dem tatsächlich eingetretenen Wetter übereinstimmen.
An diesen Prozess haben wir uns alle gewöhnt. Unsere Wetterdienste beherrschen ihre Aufgaben souverän. Sie vermitteln Vorhersagen und deren Belastbarkeit anwendernah an Bevölkerung, Wirtschaft, Verwaltung und andere. Sie beschäftigen sich auch damit, was das erwartete Wetter für verschiedene Sparten bedeuten kann, und leisten etwa Schiffsroutenberatung. Über die Jahrzehnte geschult, verstehen die meisten "Stakeholder" den Sinn und die Grenzen der Wettervorhersage. Die wissenschaftliche Leistung, das Wetter von einer guten Analyse des Jetzt-Zustandes aus für eine Woche belastbar vorherzusagen, ist ein schönes Beispiel dafür, wie Wissenschaft für die Gesellschaft nützlich werden kann. Der Wetterdienst leistet natürlich noch mehr – er erstellt etwa die Analyse der Wetterstatistik, die dann allgemein als das "Klima" gilt. Wer etwas wissen will über die Häufigkeit von Bodenfrost im Gelände und erwarteten Temperaturverhältnisse am Urlaubsort ist mit dem Wetterdienst gut bedient.
Was unterscheidet das Sprechen über den bevorstehenden Klimawandel vom Sprechen über den bevorstehenden Wetterwandel? Beim Ersten sprechen wir von Jahrzehnten bis hin zu hundert Jahren, beim Zweiten von wenigen Tagen. Es gibt gravierende Unterschiede zwischen Wettervorhersage und Klimaszenarien – in der Möglichkeit naturwissenschaftlich abgesicherter Aussagen über wahrscheinliche Entwicklungen und deren Unsicherheiten, in den Erwartungen der "Kunden", in der Gegenwart anderer Deutungen und Deuter, und in der Möglichkeit der politischen Instrumentalisierung. Dazu kommt, dass veränderliches Wetter unmittelbar leiblich erfahren wird, während Klimawandel sich vor allem in Statistiken ausdrückt, die vom Einzelnen ohne eine systematische Beobachtungsstrategie kaum erfahrbar sind. Dabei spielen uns idealisierende Vorstellungen Streiche über die Vergangenheit, wonach früher eben ein Winter ein Winter war, und ein Sommer ein Sommer. Heute dagegen ist der Sommer unzuverlässig – was er früher auch schon war, was unser Gedächtnis aber gnädig verdeckt.
Vorhersage vs. Szenario
Beginnen wir mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen. In der Wettervorhersage ist die genaue Bestimmung des Jetzt-Zustandes eine wesentliche Voraussetzung, um die Entwicklung der nächsten Tage gut abschätzen zu können. Beim Ableiten von Szenarien möglicher Zukünfte werden ähnliche Modelle über Jahrzehnte gerechnet; diese beginnen mit einem Anfangszustand, aber ob das ein Wintertermin 1981 oder 2005 ist, macht nicht viel aus. Die Entwicklung lebt davon, dass sich die Zwangsbedingungen ändern, beim menschgemachten Klimawandel also die sich verändernde Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Ändert sich die Zusammensetzung in den kommenden Jahren gemäß optimistischer Erwartungen, fällt der Klimawandel geringer aus, ändert er sich gemäß pessimistischer Erwartungen, wird der Klimawandel stärker sein. Verschiedene Modelle geben verschiedene Antworten, verschiedene Anfangszustände ebenso. Wenn regionale Klimamodelle berücksichtigt werden, kommt weitere Unsicherheit dazu. All diese Szenarien geben mögliche Entwicklungen an, und die Bandbreite der Möglichkeiten ist sehr hoch. Allen gemeinsam ist aber die Erwartung, dass es im Laufe der Zeit wärmer wird. Und andere, direkt mit der Wärme zusammenhängende Größen verändern sich entsprechend, etwa die Ausbreitung des Meereises auf der Ostsee. Wesentlich ist, wie sich die Emissionen entwickeln, und die lassen sich nicht punktgenau prognostizieren, sondern nur im Rahmen von Annahmen schätzen – etwa was das Bevölkerungswachstum angeht, wie viele Menschen wie oft Auto fahren, um dann Fleisch oder Gemüse zu kaufen …
Daher sind die Produkte unserer Klimamodelle meist Szenarien – die mögliche und plausible, in sich konsistente, aber nicht notwendigerweise wahrscheinliche Entwicklungen aufzeigen. Sie eignen sich, Perspektiven planerisch abzuarbeiten und mögliche unerwünschte Entwicklungen zu blockieren beziehungsweise erwünschte Entwicklungen zu befördern. Sie sind keine Vorhersagen. Die Szenarien sind nützlich, aber den Unterschied zu Vorhersagen anzuerkennen, fällt Praktikern bisweilen schwer. Ich erinnere mich an unsere ersten Bemühungen, mit Küsteningenieuren über die Frage der Risikoentwicklung im Zusammenhang mit Sturmfluten ins Gespräch zu kommen. Sie wollten eine Kurve der Entwicklung des Wasserstandes im Laufe der kommenden Jahre und Jahrzehnte, also für 2038, 2049 und so weiter. Sie würden dann schon die dazu passenden Bemessungshöhen ausrechnen. Es hat fast zehn Jahre gedauert, und inzwischen verstehen wir "Klimaleute", was die Küsteningenieure fragen, und sie verstehen, wie begrenzt wir in unseren Aussagemöglichkeiten sind. Mittlerweile klappt der Austausch zwischen diesen beiden Welten vorbildlich.
Szenarien haben jedoch einen gravierenden Nachteil: Sie beschreiben nur die Wirkung der Änderung eines Faktors, nämlich der Statistik des Wetters; sie beschreiben nicht die Änderung der Technologie, des Wirtschaftens, des politischen Umgangs, der gesellschaftlichen Präferenzen, des kulturellen Wandels. Vielmehr wird durch diese Szenarien suggeriert, dass der Klimawandel der wichtigste Faktor überhaupt sei – was ja auch immer wieder explizit behauptet wird – obwohl dies auch hinterfragt werden kann. Auch dies ist ein Teil der politischen Auseinandersetzung zur Frage, was wir für gut und für schlecht halten wollen und sollen.
Tatsächlich ist bei den genutzten Modellen nicht erwiesen, ob sie auf veränderte Konzentrationen von Treibhausgasen richtig reagieren. Das ist anders bei Wettervorhersagemodellen, die jeden Tag aufs Neue zeigen, ob sie richtig lagen oder nicht. Wir haben gute Gründe zu glauben, dass unsere Klimamodelle das Geschehen im Wesentlichen richtig beschreiben. Restzweifel bleiben aber, weil derartige Änderungen der Treibhausgaskonzentrationen bis dato nicht durch Beobachtungen dokumentiert worden sind (nur durch indirekte Hinweise in Bezug auf langsamere Veränderungen). Dass diese Modelle die Entwicklung der Temperatur in den vergangenen 17 Jahren in ihrer Gesamtheit nicht oder nur kaum beschreiben können, steigert das Zutrauen nicht. Das bedeutet nicht, dass diese Modelle unbrauchbar sind und die Ergebnisse Ausdruck willkürlicher Annahmen, sondern nur, dass Abweichungen nicht ausgeschlossen sind – wie immer in der Wissenschaft.
Schließlich ist noch anzumerken, dass es ernstzunehmende Versuche gibt, für die kommenden ein oder zwei Jahrzehnte tatsächlich Vorhersagen – im Sinne von: wahrscheinlichste Entwicklungen – zu machen,
Warum interessiert das Themenfeld "Klima"?
Wie steht es mit den "Kunden", also den Nutzern von Klimamodellen? Da gibt es zum einen die Praktiker, die sich Gedanken machen, wie sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamiken unter veränderten Klimazuständen entwickeln könnten, etwa was Lebensmittelversorgung angeht, veränderte Möglichkeiten des Schiffsverkehrs oder die Gefahren von Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste. Zum anderen gibt es aber auch solche, denen es um die Details der Änderungen gar nicht geht, sondern um die politische Möglichkeit, mit Schreckensmeldungen oder mit Behauptungen von wissenschaftlicher Korruption grundsätzliche, oft ideologische Ziele zu unterstützen. Während die erste Gruppe den Kunden des Wetterdienstes ähnelt, ist die zweite Gruppe an einem ganz anderen Service interessiert, nämlich an der Unterstützung der eigenen weltanschaulichen Ziele. Klimaservice bewegt sich also in einem politisch aufgeladenen Raum, wo es um das Rechthaben geht, um die Wahrheit und um die Frage, wie wir leben wollen und sollen.
Überhaupt operiert Klimaforschung in einem "postnormalen" Kontext, womit gemeint ist: Das Wissen ist unsicher – was nicht der Inkompetenz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern objektiven Grenzen der Erkennbarkeit geschuldet ist. Politische Entscheidungen sind dringlich: Nur wenn jetzt massive Kursänderungen im Wirtschaften durchgesetzt werden, ist eine Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad Celsius erwartbar. Doch Entscheidungen sind auch "teuer" – im wirtschaftlichen Sinne und mit Blick auf Lebensgewohnheiten. "Postnormale" Wissenschaft kann somit zum Kombattanten in einem politischen Zielkonflikt werden. In so einer Situation versuchen wissenschaftliche Akteure, die Wissenschaft in den Dienst "der guten Sache" zu stellen; es wird suggeriert, dass es die wissenschaftliche Wahrheit sei, die die politische Konsequenz erzwinge. Politik zu den entscheidenden Fragen ist in dieser Logik nur noch eine Frage des wissenschaftlich Richtigen und nicht mehr das abwägende Ergebnis von Aushandlungsprozessen. Wissenschaft müsse "Verantwortung" übernehmen, heißt es dann. Gemeint ist: Wissenschaft sollte Partei ergreifen für die richtigen Themen, für die richtige Seite. Diese Akteursgruppe braucht im Grunde keinen Klimaservice, es sei denn, er würde ihre vorgefertigte Meinung im Wesentlichen bestätigen.
Für die anderen, die Praktiker, geht es darum, mit den Gefahren und Möglichkeiten des gegenwärtigen Klimas klug umzugehen, und dabei zu berücksichtigen, dass die bisher als konstant gedachten Wetterbedingungen so konstant nicht mehr sind. Bei ihren Planungen müssen sie mit einer anderen Art von Unsicherheit umgehen als bisher, mit längeren Zeitskalen. Dabei werden sie zum Teil mit unangemessenen Vorstellungen konfrontiert (etwa, dass zukünftige Bemessungshöhen für Küstenschutzbauwerke wie 1970 geschätzt werden), mit politisch angeschärften Behauptungen (etwa, dass jedes Grad Erderwärmung einen Meter höheren Meeresspiegel ergeben würde) und mit konstruierten, "interessanten" Geschichten, in denen Partikularmeinungen als unabweisbare Wahrheiten dargestellt werden. In den Medien – für viele der wesentliche Zugang zum Klimathema – sind die Praktiker einer Kakophonie an Wissensansprüchen ausgesetzt.
Was hier nötig ist, ist die Erarbeitung eines Dialogs zwischen diesen Praktikern und der einschlägig interessierten Wissenschaft. Für den Erfolg eines solchen Dialogs ist es erforderlich zu begreifen, dass wissenschaftlich erzeugtes Wissen in der gesellschaftlichen Wirkmächtigkeit nur eine Wissensform unter anderen ist – und es ist keinesfalls selbstverständlich, dass diese im gesellschaftlichen Deutungskampf den Sieg davonträgt. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist dieser grundsätzliche Zweifel an der Wirksamkeit und der Autorität von Wissenschaft möglicherweise schwer zu ertragen, sind viele Naturwissenschaftler doch offenbar der Ansicht, dass der soziale Prozess "Wissenschaft" stets "Wahrheit" produziert und nicht "derzeit beste Erklärung". Für sie bedeutet Klimaservice entsprechend eine Art Frontalunterricht, ein Erklären der Sachverhalte durch die Kompetenten, das die "Entscheider" ertüchtigt, das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen.
So war auch in der englischsprachigen Diskussion lange nur von teaching, informing und educating die Rede; einen Bedarf an Sozial- und Kulturwissenschaft gab es nur, um den Wissensfluss zu den Kunden effektiver zu gestalten. Tatsächlich haben "die zu Informierenden" Wissen zu dem Thema. Dieses Wissen mag naturwissenschaftlich beeinflusst sein, es mag sich an Beobachtungen in der eigenen Umgebung festmachen, es mag sinnorientiert sein (dass die Natur "Sünden" der Menschen im Auftrag einer höheren Ordnung bestraft) oder sich in traditionell überlieferten Grundsätzen zeigen. Um im Gedränge widersprüchlicher Wissensansprüche einen konstruktiven Beitrag leisten zu können, braucht die Wissenschaft Geduld, Klarheit in den eigenen Konzepten und ein Bewusstsein für deren Grenzen. Zudem sollte sie anerkennen, dass lokales und regionales Wissen zu einem gesellschaftlich akzeptablen Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels wesentlich beitragen kann. Es bedarf daher einer kulturwissenschaftlichen Begleitforschung zur Naturwissenschaft, die sich sowohl mit den konkurrierenden Wissensansprüchen aber auch mit der Rolle und gesellschaftlichen Konditionierung der Naturwissenschaft auseinandersetzt.
Mit dem Ethnologen Werner Krauß habe ich 2013 analysiert, wie es möglich war, den Konflikt um den Nationalpark des Schleswig-Holsteinischen Wattenmeeres aufzulösen. Bei genauerem Hinsehen war es genau das, was oben skizziert wurde – der Verzicht auf angeblich naturwissenschaftliche Unabweisbarkeit und die Erarbeitung von Kompromissen, die den Nationalpark als sinnvoll für die verschiedenen Wahrnehmungen und "gut" für die verschiedenen Werte in der Bevölkerung erscheinen ließ.
Um zu illustrieren, dass eine wirksame Wechselwirkung und Beratungspraxis entstehen kann, verweise ich auf das Norddeutsche Klimabüro: Dieses betreibt seit 2006 das Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrum Geesthacht mit dem Fokus auf den Klimawandel an der Küste, insbesondere auf den Meeresspiegel und Sturmfluten. Das Büro ist eine Art "Hofladen" der wissenschaftlichen Produktion am Institut, zugleich aber auch ein Sensor für den Wissensbedarf "draußen". Wie der Name anzeigt, hat es einen regionalen Bezug, hier: Küsten von Nord- und Ostsee, in Deutschland aber auch in den Nachbarländern.
Im Laufe der Jahre hat sich eine gemeinsame Einschätzung von Wissenschaft und Praktikern für das Sturmflutrisiko an der deutsche Nordseeküste ergeben: Die Änderung des Meeresspiegels verändert das Risiko von Sturmfluten bis Ende des Jahrhunderts erheblich; Erwartungen für Änderungen in der Häufigkeit und Intensität von Stürmen sind dagegen eher gering. Bis 2030 wird der bisherige Küstenschutz in der jetzt vorgesehenen Ausstattung ausreichenden Schutz bieten – bei einem erwarteten Anstieg von nicht mehr als 30cm. In den Jahrzehnten nach 2030 kann sich die Lage deutlich verschärfen – am Ende des Jahrhunderts werden Anstiege von mehr als ein Meter nicht ausgeschlossen, aber das Wissen hierzu ist noch sehr unsicher (weil unklar ist, wie stark Grönland und die Antarktis auf die Erderwärmung reagieren werden). Soll der bisherige Schutz beibehalten werden, ist der derzeitige Küstenschutz voll zu erhalten und zu pflegen; zusätzliche bauliche Maßnahmen sind derzeit nicht nötig, wohl aber sollte die derzeitige Modernisierung so organisiert werden, dass kostengünstig Ausbaureserven geschaffen werden. Ferner gilt es, das Überwachungsprogramm zur Bestimmung der Entwicklung des Meeresspiegels weiterzuführen, neue Technologien im Zusammenhang mit dem Bau von Küstenschutzbauwerken zu entwickeln und die Partizipation der betroffenen Bevölkerung bei der Auswahl auch von neuartigen Anpassungsstrategien zu organisieren. Wobei bei all dem zu bedenken ist, dass die Menschen im Jahr 2030 ganz andere Präferenzen und Werte haben können als die Menschen heute.
Anpassung in jedem Falle
In den 1990er Jahren war es als eine Art des Defätismus verpönt, über Anpassung an den Klimawandel nachzudenken – das wurde als eine Akzeptanz der Katastrophe aufgefasst, als Schwächung des Kampfes für die Rettung der Welt in der uns bekannten Form. Stattdessen wurde ganz auf die "Klimarettung" gesetzt, also die drastische Minderung der die Veränderungen auslösenden Treibhausgasemissionen. Um dies durchzusetzen, sind internationale Anstrengungen notwendig, da es für die Klimawirkung unerheblich ist, ob ein CO2-Molekül in Recklinghausen oder im chinesischen Yantai freigesetzt wird. Das öffentliche Sprechen über den Klimawandel zu dieser Zeit hatte daher vor allem den Sinn, ein allgemeines Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Klimawandel gravierende Folgen haben könnte und dass angesichts dessen jede Anstrengung gerechtfertigt wäre, um diese Zukunft zu vermeiden. Auch manch alarmistische Stimme war zu vernehmen.
Inzwischen wird klar, dass die internationalen Anstrengungen nicht sehr wirksam sind und die Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre unvermindert steigen. Die Sorge der Menschen steigt nicht proportional zum Umfang der Androhung von negativen Entwicklungen, der CO2-Konzentration oder dem Anstieg des Meeresspiegels. Schon damals war klar, dass sich auch bei einer sehr erfolgreichen Klimaschutzpolitik und einer Beschränkung des Temperaturanstiegs bis Ende des 20. Jahrhunderts auf zwei Grad Celsius erhebliche Klimaänderungen einstellen würden, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen – dass neben dem "Klimaschutz" also auch "Menschenschutz" und "Ökosystemschutz" zu betreiben ist und sein wird. Das erste ist eine globale Aufgabe, das zweite aber eine regionale und lokale Aufgabe. Beide existieren nebeneinander; je besser die erste gelöst wird, umso einfacher wird die zweite – aber die zweite Aufgabe ist in jedem Falle da.
Für die erste Aufgabe gibt es den UN-Klimarat IPCC. Der Service der Einbettung des IPCC-Wissens in die deutsche Politik und Öffentlichkeit könnte dabei gut von Einrichtungen wie der Stiftung Wissenschaft und Politik übernommen werden, der man die erforderliche Kritik und Distanz eher abnimmt als etwa dem Umweltbundesamt. Für die zweite Aufgabe, die Beratung von Anpassungsmaßnahmen, bedarf es dreierlei:
Bei der Zusammenstellung des einschlägig relevanten, wissenschaftlich legitimierten Wissens über regionales Klima, Klimawandel und Klimawirkung, inklusive Einvernehmen, Kontroversität und Unvollständigkeit, geht es nicht um das "beste Wissen" (weil dies immer das eigene ist), es geht vielmehr um die Bandbreite des wissenschaftlich legitimen Wissens, das etablierte wissenschaftliche Qualitätskontrollen durchlaufen hat. Das Helmholtz-Zentrum Geesthacht hat zusammen mit dem Exzellenzzentrum der Universität Hamburg und anderen Einrichtungen zwei Berichte fertiggestellt: für den Ostseeraum und die Metropolregion Hamburg.
Maklerbüros gibt es auch schon: zum einen die "Hofläden" der Helmholtz-Zentren in Karlsruhe, Leipzig, Bremerhaven und Geesthacht, die den Kontakt zu gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen suchen, die mit den jeweiligen Zentrums-Schwerpunkten zu tun haben, zum anderen das Climate Service Center mit Sitz in Hamburg, das sich um nationale und supranationale Themen kümmert und ein diverses Spektrum an Kunden bedient. Auch Kompass, ein Büro des Bundesumweltamtes, versucht sich in dem Geschäft. Bereits lange dabei sind Einrichtungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie. Daneben sind noch Universitäten und Forschungseinrichtungen in diesem Bereich tätig. Hier wird in Zukunft eine Konvergenz einsetzen, wobei zu hoffen ist, dass sich einerseits national und supranational ausgerichtete "allgemeine" Büros wie das Climate Service Center ergeben, andererseits auch über die Bundesgrenzen hinweg an der Landschaft und gemeinsamen Klimawirkungen orientierten Regionalbüros.
Die Beschreibung des regionalen Wandels in der näheren Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft ist inzwischen eine meteorologische Standardaufgabe. Neben der Aufzeichnung gilt es festzustellen, inwieweit bisherige Änderungen "außerhalb des Normalen" liegen (Detektion) und ob diese konsistent mit den erwarteten und möglichen Klimaänderungen sind (Attribution). Die Erstellung solcher Datensätze kann gut vom DWD erledigt werden, zumal das gängige "Regionalmodell" in der deutschen Klimaforschung aus dem DWD kommt. Die Frage von Detektion und Attribution, die in den 1990 Jahren im Max-Planck-Institut für Meteorologie entwickelt und für globale Veränderungen erfolgreich behandelt wurde, ist für regionale und lokale Aspekte noch Gegenstand aktueller Forschung.
Der gesellschaftliche Bedarf an Hintergrundwissen über das Klima und den Klimawandel ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden. Was zunächst aussah wie ein reines "Aufklären" und "Zahlen bereitstellen" hat sich inzwischen als wesentlich komplexere Aufgabe dargestellt. Es geht nicht um Wissenstransfer von Wissenden zu Unwissenden, sondern um die Gestaltung eines Wissensmarktes, an dem konkurrierende Wissensformen teilnehmen. Dieser ist insbesondere von weltanschaulichen Deutungsmächten umkämpft. Ausgeprägte weltanschauliche Positionen finden sich auch bei wissenschaftlichen Akteuren, zudem passt das Wissensangebot von Wissenschaftlern häufig nicht zum Bedarf.
In dieser Gemengelage erscheint mir die Entwicklung eines echten Wissensdialogs notwendig, der sowohl die Wissenschaft besser als auch Entscheidungen transparenter machen wird, weil die Rolle von naturwissenschaftlichem Wissen und politischer Werteabwägung deutlich wird. Dazu bedarf es eines Klimaservice, der aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Kompetenz den Wissensmarkt und seine Dynamik erklären kann und in gebotener Zurückhaltung über mögliche, wahrscheinliche, unsichere oder sichere Implikationen von Entscheidungen im Rahmen des gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Wissens berät. Der Klimaservice kann auch gleichzeitig als Sensor für Bedarf, Verständlichkeit und Praxisrelevanz von naturwissenschaftlichem Wissen dienen.