Allgemein herrscht Konsens über die Notwendigkeit, nachhaltige Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen. Die deutsche Bevölkerung ist ebenso dafür wie die Bundesregierung und die internationale Staatengemeinschaft.
Es ist daher angebracht, das Verständnis von Nachhaltigkeit genauer zu klären. Dazu bedarf es heute keiner umständlichen Ableitungen mehr. Ob man sich in Richtung nachhaltiger Entwicklungsprozesse bewegt oder nicht, lässt sich anhand dreier Fragen klären:
Führt das Handeln – ob individuell, auf Seiten der Wirtschaft, der politischen Steuerung, in den Institutionen – zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks (footprint)?
Dient das staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Handeln der Steigerung der Wohlfahrt und des Wohlbefindens, also der Verbesserung der Lebensqualität?
Befördert das Handeln in der Politik, in den Unternehmen, in den Institutionen und zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen die Teilhabe aller an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen (handprint)?
In ihrem Verbund und ihrer Verschränkung beschreiben diese drei Komponenten allgemeine gesellschaftliche Ziele, für die Entwicklungspfade entworfen und "Leitplanken" formuliert werden müssen.
Die verfügbare Zeit für nachhaltige Entwicklungen ist knapp. Entsprechend plädiert der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Hauptgutachten von 2011 für eine beschleunigte "große Transformation" zur Nachhaltigkeit, die angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen (rascher Klimawandel, Verlust an Biodiversität, fortschreitende Bodendegradation und anderes mehr) dringlich und sofort angegangen werden müsse: "Es geht um einen neuen Weltgesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. Dessen zentrale Idee ist, dass Individuen und die Zivilgesellschaften, die Staaten und die Staatsgemeinschaft sowie die Wirtschaft und Wissenschaft kollektive Verantwortung (…) übernehmen. Der Gesellschaftsvertrag kombiniert eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratische Verantwortung) sowie einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung)."
Für den WBGU sind "Pioniere des Wandels" Promotoren der Transformation. Sie offerieren Problemlösungen, regen andere zum experimentellen, explorativen Handeln an, erzeugen die notwendige Aufbruchsstimmung, sind in Netzwerken organisiert und zum Teil auch durchsetzungsfähig. Der WBGU fordert auf, diese Akteure sichtbar zu machen, sie in ihrer Selbstorganisations-, Artikulations- und Organisationsfähigkeit zu stärken und ihre Entwicklung politisch zu unterstützen. Neben der Förderung dieser Pioniere sind laut WBGU insbesondere Wissenschaft und Bildung gefordert. Mit einer "Transformationsbildung" soll der Umbau der Gesellschaft vorangebracht und sollen die Erkenntnisse der Transformationsforschung weitergeben werden. Eine "transformative Bildung" soll zudem helfen, den Wandel zu gestalten, ein Verständnis für nötige Entwicklungen zu erzeugen, einen Bewusstseinswandel hervorzurufen und Handlungsoptionen zu entwickeln.
Der Bezug zur Politik ist dabei in doppelter Hinsicht evident: Auf der einen Seite bedarf es des staatlichen Willens, für nachhaltige Entwicklung steuernd und unterstützend tätig zu sein – das ist die Aktivität für Nachhaltigkeit im Kontext von Demokratie als Herrschaftsform. Sie ist gekennzeichnet durch den Rechtsstaat, Wahlen, Parlamentarismus, Parteienwettbewerb, Gewaltenteilung und ein System der sozialen Sicherung. Auf der anderen Seite ist nachhaltige Entwicklung ohne generelle Zustimmung der Bevölkerung und Teilhabe der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen nicht zu haben – das ist die Aktivität für Nachhaltigkeit im Kontext von Demokratie als Gesellschafts- und Lebensform.
Bildung für nachhaltige Entwicklung
Mit dem sogenannten Brundtland-Report von 1987 "Our Common Future" und der "Agenda 21", dem Abschlussdokument der Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio, wurden die Ökologie- und die Gerechtigkeitsthematik im internationalen Diskurs zusammengeführt. Zudem setzte sich die Erkenntnis durch, dass politisches Handeln, Gesetzgebungen, technologische Innovationen und Appelle an die Wirtschaft allein nicht reichen werden, um nachhaltige Entwicklung global voranzubringen. Nachhaltigkeit setzt einen mentalen Wandel voraus. Das aber heißt: Lernprozesse müssen initiiert werden, um Notwendigkeit und Möglichkeiten nachhaltiger Entwicklung ins Bewusstsein zu heben und Handeln auf allen Ebenen des Politischen zu ermöglichen.
Die damit artikulierte Herausforderung für den Bildungsbereich führte in Deutschland 1996 zu ersten Debatten um Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).
Anfang des neuen Jahrtausends zeigte sich, dass die auf der Rio-Konferenz 1992 angestoßenen Bildungsvorhaben für einen Bewusstseinswandel hin zur nachhaltigen Entwicklung global gesehen nicht sehr erfolgreich waren. Um dem Thema einen deutlichen Impuls zu geben, riefen die Vereinten Nationen (UN) für den Zeitraum 2005 bis 2014 eine Weltdekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" aus.
Die deklamatorische Unterstützung seitens der Politik ist durchaus beachtlich: Der Deutsche Bundestag hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit BNE befasst und eine weitere Unterstützung der Initiativen gefordert. Die Kultusministerkonferenz hat die verstärkte Einführung von BNE in die Schulen empfohlen, etliche Länderparlamente haben dazu Beschlüsse gefasst und im Rahmen der Dekade Aktionspläne aufgestellt. Insofern ist ein deutlicher Fortschritt zu verzeichnen. Zugleich aber sind weiterhin nicht nur in einzelnen Bildungsbereichen Schwächen erkennbar (etwa in Bezug auf den Anteil der Studiengänge an den Hochschulen, die sich mit Nachhaltigkeit befassen), vielmehr sind fundamentale Mängel auszumachen. Das Nationalkomitee für die UN-Dekade spricht in einem Positionspapier für den Zeitraum nach 2015 gar von einem strukturellen Defizit. Positiv ist allerdings zu registrieren, dass es zahlreiche Initiativen und Projekte, also außerordentlich viele "Pioniere des Wandels" gibt, die zeigen, wie sich BNE praktisch realisieren lässt. Und es gibt etliche allgemeine Willensbekundungen zur BNE: Bis in die Leitbilder von Hochschulen und Präambeln von Lehrplänen hinein wird das Lernen von Nachhaltigkeit als dringlich apostrophiert.
Rolle politischer Bildung
Das eklatante Defizit betrifft nicht allein die Überführung der vielen guten Beispiele in Strukturen – etwa von den schulischen Projekten zur Integration in die Bildungspläne –, sondern auch das konsequente Durchhalten des Vorhabens, BNE fest zu verankern. Dass dieses nicht immer der Fall ist, verdeutlicht etwa der Rahmenplan "Politik" des Landes Brandenburg von 2010 für die 7. bis 10. Klasse. In der Präambel heißt es: "Die Schülerinnen und Schüler lernen, ihren Lebensstil in Verantwortung für zukünftige Generationen zu entwickeln. Sie gestalten und beschäftigen sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Umwelt-, Wirtschafts- und sozialen Belangen. Das schließt Fragen der Mobilität und des Verkehrs ein. Von besonderer Bedeutung ist, dass sie aktiv an der Analyse und Bewertung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen teilhaben, sich an Kriterien der Nachhaltigkeit im eigenen Leben orientieren und nachhaltige Entwicklungsprozesse gemeinsam mit anderen lokal wie global initiieren und unterstützen." Doch weder vom Begriff noch von der Sache her wird nach der Präambel noch einmal auf den Komplex (nicht) nachhaltiger Entwicklung eingegangen. Insofern bietet dieser Bildungsplan auch keine Orientierung für BNE im schulischen Alltag.
Das Problem betrifft nicht das exemplarisch gewählte Brandenburg allein, vielmehr kann es weithin als Regel gelten, dass BNE in der politischen Bildung in allen Bildungsbereichen – Schule, Hochschule, außerschulische Bildung – strukturell kaum verankert ist. Wie sonst lässt sich erklären, dass Jugendliche, in einer repräsentativen Studie danach befragt, ob sie in der Schule schon einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit "in Berührung gekommen" seien, dieses nur zu 40 Prozent bejahen?
Was also ist zu tun? Wir möchten uns nicht mit dem Beklagen des Zustands der politischen Bildung in Bezug auf BNE aufhalten, sondern einen Blick nach vorne werfen, auf die aktuell vorhandenen Potenziale in der politischen Bildung und auf das an die Dekade 2015 anschließende "Global Action Programme".
Neue Perspektiven
Als inhaltliche und organisatorische Querschnittsaufgaben verstanden, sind BNE und politische Bildung in hohem Grade kompatibel. BNE gibt der Auseinandersetzung mit den Themen politischer Bildung lediglich eine neue Perspektive. Mit dem Anspruch an eine partizipative und handlungsorientierte Gestaltung und an die thematische Fokussierung der Lernprozesse werden der enge Zusammenhang und die vielen Verknüpfungsmöglichkeiten von BNE und politischer Bildung sichtbar: BNE wie politische Bildung setzen ein hohes Maß an Beteiligung und forschendem Lernen voraus. Beide sind geprägt von Selbstreflexion sowie Anerkennung und Respekt anderen und der Umwelt gegenüber. Politische Bildung ermöglicht eine Erweiterung des Blicks auf gesellschaftliche, ökonomische und umweltbezogene Entwicklungen, ist gekennzeichnet durch Offenheit, Methodenvielfalt und Projektarbeit und erfüllt damit wichtige Voraussetzungen der BNE. Methodische Ansprüche der politischen Bildung wie etwa die Anregung zum Perspektivwechsel oder zum vernetzten Denken sind ebenfalls anschlussfähig. Zeitgemäße politische Bildung soll das Lernen begleiten, statt zu belehren.
Auch die normativen Grundlagen der nachhaltigen Entwicklung, die Beachtung der Menschenrechte, das demokratische Handeln sowie die Nachhaltigkeit offerieren wichtige Anknüpfungspunkte für die politische Bildung. Politische Bildung ist damit ein wichtiger Bildungsbereich, um BNE zu verbreitern und zu verankern. Sie kann dazu beitragen, gute Konzepte im Kontext von BNE zu entwickeln.
Dem Anspruch, BNE als inhaltliche und organisatorische Querschnittsaufgabe umzusetzen, wird die politische Bildung bislang aber noch nicht gerecht. Einzelne gute Beispiele können zwar als Anregung dienen, sie reichen aber nicht aus. In einer Studie der Universität Lüneburg zeigte sich, dass lediglich sechs Prozent der befragten Träger außerschulischer politischer Bildung die vier Kriterien erfüllten, die von den Autor(inn)en der Studie als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von BNE benannt wurden: BNE ist erstens als ein zentrales Element der Bildungsarbeit und zweitens als Bildungsziel benannt. Drittens ist nachhaltige Entwicklung im Leitbild der Organisation verankert, und viertens gibt es in der Organisation ein Nachhaltigkeitsmanagement.
Die politische Bildung wird sich, um BNE weiter zu integrieren, einigen zentralen Herausforderungen stellen müssen:
In Zukunft sollte deutlicher werden, welche spezifische Qualität und welche Aufgaben die BNE in die außerschulische politische Bildung hineintragen kann. BNE ist nicht additiv zu verstehen, sondern in die bereits eingespielte Bildungspraxis zu integrieren. Politische Bildung kann zum Beispiel Angebote zur Entwicklung sozialer Visionen und gesellschaftlicher Entwürfe machen, die eine Basis für gezielte Aktionen werden können, das heißt, sie kann Dialogprozesse anregen und versuchen, die "Ratlosigkeit, die auf dem Weg vom Wissen zu Handeln entsteht",
Die Fragen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der Demokratieentwicklung sind für die politische Bildung ebenso wie für BNE zentral. Politische Bildung ist das Feld, das BNE in einen engeren Zusammenhang mit Fragen der Demokratieentwicklung stellen kann. Die Gestaltung der Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung kann nur gelingen, wenn die Menschen diesen Prozess als eigene Aufgabe begreifen. Dafür ist eine Kultur der Teilhabe erforderlich, eine Erweiterung der Demokratiekompetenz sowie eine Re-Politisierung der Debatte – damit jede(r) Einzelne die gesellschaftlichen Entwicklungen als gestaltbar erleben kann. Politische Bildung kann im Umfeld der Bildungsinstitutionen Nachhaltigkeit erfahrbar machen und so ein Bewusstsein schaffen für die sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen sowohl im direkten lokalen Umfeld als auch in der nationalen und globalen Dimension. Bereits vorhandene Konzepte eines Nachhaltigkeitsmanagements in Bildungseinrichtungen sollten dafür verstärkt werden.
Die benannten Herausforderungen verdeutlichen, welche Rolle politische Bildung für die "große Transformation" und den Umbau der Gesellschaft spielen kann. Im Sinne der "Transformationsbildung" kann sie unterschiedliche Handlungsebenen – individuell, gemeinschaftlich und gesellschaftlich – aufzeigen. Hilfreich ist dafür auch das Konzept der Gestaltungskompetenz.
Global Action Programme 2015+
Im Herbst 2013 hat die UNESCO auf ihrer Hauptversammlung die Notwendigkeit der Fortsetzung der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" herausgestellt. In der Konsequenz empfiehlt sie, von 2015 bis 2019 ein Weltaktionsprogramm (Global Action Programme) zu BNE aufzulegen – mit der Option, dieses bis 2024 fortzusetzen.
Das Aktionsprogramm setzt fünf Prioritäten: Erstens soll BNE von den Nationalstaaten sowohl im Bildungsbereich verankert werden, als auch generell in der Nachhaltigkeitspolitik an Bedeutung gewinnen. Zweitens sollen die Kompetenzen, BNE zu vermitteln, bei Lehrkräften und anderen Akteuren deutlich gestärkt werden. Das ist insofern außerordentlich wichtig, als oft schon das Sach- und Handlungswissen über (nicht) nachhaltige Entwicklung bei Lehrenden fehlt. Drittens sollen Jugendliche in ihrer Rolle als chance agents gestärkt werden. Hier keimt ein wenig die alte Hoffnung der fortschrittlichen und linken Reformpädagogen der Weimarer Republik wieder auf, dass die Jugend die Weltverbesserung übernehmen werde. Dieser Hoffnung kann man mit guten Gründen widersprechen: zum einen aufgrund historischer Erfahrungen, zum anderen aufgrund aktueller empirischer Daten über das politische Engagement Jugendlicher. Dennoch ist BNE insbesondere für Jugendliche von großer Bedeutung, da sie international gesehen die größte Gruppe der Weltbevölkerung bilden. Die vierte und fünfte Priorität des Weltaktionsprogramms werden im Folgenden näher betrachtet. Es handelt sich dabei zum einen um den whole-institution approach und zum anderen um die Erwartung, im Kontext von local communities nachhaltige Entwicklung durch Bildung intensiv fördern zu können.
Whole-institution-Ansatz: Demokratie als Lebensform
Die Integration von BNE in die Lehr- und Lernprozesse ist nach dem whole-institution approach nur ein Teil der sich stellenden Aufgabe. Bei diesem Ansatz geht es um die gesamte Reorganisation der Bildungseinrichtungen. Das betrifft die Stoffströme (Materialbeschaffung, Ver- und Entsorgung, Ressourcenverbrauch), die Kooperation mit Nachhaltigkeitsakteuren vor Ort (Umweltverbände, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, Bürgerinitiativen, nachhaltig wirtschaftende Unternehmen), die Qualifikation des Personals, die Nutzung lokaler Ressourcen und die Stärkung von BNE im Curriculum.
Der Whole-institution-Ansatz ist nicht im Kontext von BNE entstanden, vielmehr stammt er aus der Gesundheitspädagogik, wo er bereits etabliert ist.
Im Kontext von BNE wurde bislang zumeist genau anders herum gedacht. So formulierte etwa der Bildungsforscher Stephen Sterling 2001: Ein whole-school approach im Kontext von BNE bedeute, "working to make the educational institution a microcosm of the emerging sustainable society".
Demokratie als Lebensform hat deutliche Bezüge zu John Deweys Demokratieverständnis.
Bildung auf lokaler Ebene: Demokratie als Gesellschaftsform
Im Kontext der notwendigen "großen Transformation" können Bildungseinrichtungen lokale "Pioniere des Wandels" sein. Es ist daher plausibel, dass die UNESCO die Einbettung der Bildungsinstitutionen in den lokalen Kontext als fünften Aktionsschwerpunkt festgelegt hat: "Accelerate the search for sustainable development solutions at the local level through ESD."
Lokale Bildungslandschaften, die sich in Netzwerken organisieren, bedürfen der gezielten Förderung und Unterstützung.
Das alles setzt sowohl entsprechende Kompetenzen der Handelnden als auch Unterstützungsstrukturen voraus. So bedarf es einer präzisen Analyse der bestehenden Netzwerke, um substanzielle Strategien für deren Fortentwicklung entwickeln zu können. Zudem gilt es, eine Infrastruktur für Bildung und nachhaltige Entwicklung aufzubauen, damit der ökologische footprint lokal tatsächlich reduziert, Wohlfahrt und Wohlbefinden für alle gefördert und der handprint, die Möglichkeiten zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen, deutlich gestärkt werden können.