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Verwirrende Werbefloskel | Nachhaltigkeit | bpb.de

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Verwirrende Werbefloskel Essay

Axel Bojanowski

/ 5 Minuten zu lesen

Der Gemüseladen am Ende meiner Straße hatte keine Bananen mehr. "Habt Ihr keine Bananen mehr?", fragte ich den Verkäufer. "Doch, da hinten liegen noch welche." Er wies auf einen Strauch schwarzer Stummel. "Die sind aber doch etwas, naja, überreif", sagte ich. "Die sind bio", entgegnete der Verkäufer prompt. Kurz blickten wir uns an, dann lachten wir laut. Der Spaß ist, dass man in unserem sich fortschrittlich gebenden Stadtteil mit dem Präfix "Bio" fast alles verkaufen kann.

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" in der öffentlichen Debatte. Das einst erhabene Carlowitz-Wort hat sich zu einer Werbefloskel gewandelt. Sie gehört zur PR-Strategie zahlreicher Unternehmen, denen greenwashing vorgeworfen wird. Ich verwende den Begriff deshalb in meinen journalistischen Berichten allenfalls in Zitaten. Denn welche Information erhalten Leser, wenn Wissenschaftler eine "nachhaltige Entwicklung" fordern, oder Politiker "mehr Nachhaltigkeit" versprechen? Keine. Jeder versteht etwas anderes unter Nachhaltigkeit.

Genau genommen war der Begriff von Anfang an unscharf. Carl von Carlowitz erwähnte ihn 1713 in seinem Hauptwerk "Sylvicultura oeconomica", das als Grundlage der Nachhaltigkeitslehre gilt, nur ein einziges Mal: Auf Seite 105 fordert Carlowitz eine "nachhaltende Nutzung" von Brennmaterial. Sein Plan, Holz und Torf für die Metallverarbeitung im Erzgebirge auf lange Sicht sicherzustellen, gilt zu Recht als wegweisend.

Umsichtige, "nachhaltende" Rodung der Wälder in der Region ermöglichte das Nachwachsen der erneuerbaren Ressource Holz. Diesem Vorbild der Nachhaltigkeit steht allerdings das gleichzeitige Schwinden eines nicht erneuerbaren Rohstoffes gegenüber: der Erze, deren Verkauf die ökonomische Grundlage Sachsens bildete. Der Metallbergbau im Erzgebirge lohnt sich kaum noch, seit die leicht erschließbaren Vorkommen mit stets verfügbarem Brennstoff ausgebeutet werden konnten – mittels einer Politik der Nachhaltigkeit nach Vorbild von Carlowitz.

Diese Mehrdeutigkeit des Begriffs "Nachhaltigkeit" macht ihn meiner Auffassung nach unbrauchbar für die präzise journalistische Berichterstattung. Befürworter des Wortes, das als sustainable development mittlerweile weltweit mehr Verwirrung als Nutzen stiftet, proklamieren zwar eine scheinbar eindeutige Definition: Nachhaltigkeit bedeute, etwas zu bewahren für künftige Generationen. Ein verlockender Begriff also, dem auch wissenschaftliche Institute nicht widerstehen können. Der Begriff steht für die gute Absicht unter Einschränkung eigener Bedürfnisse.

Doch welche Absichten sind gemeint? Die dauerhafte Stabilisierung von Gesellschaften durch die Vereinigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Ziele, wie es die Vereinten Nationen auf der Konferenz von Rio 1992 forderten? Anhaltender wirtschaftlicher Erfolg durch rücksichtsvolle Planung, was Bundesregierungen seit mehr als einem Jahrzehnt unter Nachhaltigkeit verstehen? Oder ökologische Verbesserungen? Allein das ökologische Konzept der Nachhaltigkeit vermischt mindestens vier Faktoren: Ressourcen, Energie, Biodiversität und Bevölkerungsentwicklung. Welche Maßnahmen also sind gemeint, wenn Nachhaltigkeit gefordert wird?

Auswirkungen von Eingriffen in die Natur sind zu komplex, um ihre Folgen auf die einfache Formel der Nachhaltigkeit zu bringen. Erst galten Agrar-Kraftstoffe wie Mais als nachhaltig, mittlerweile kritisieren sie viele als Wegbereiter von Monokulturen und Mangelernährung. Auch "Naturschutz" gilt als nachhaltig. Doch bleibt meist unklar, was wirklich geschützt werden soll: die Natur, also der unerbittliche dynamische Wandel? Oder eher eine als wertvoll erachtete Landschaft?

Im 19. Jahrhundert bekämpften die ersten Vertreter der Naturschutzbewegung in Deutschland die Einrichtung von Koppeln, also die Einhegung landwirtschaftlicher Felder mit Hecken. Ein Jahrhundert später widersetzten sich ihre Nachfolger der geplanten Beseitigung der Büsche. Und seit Carlowitz’ Zeiten gilt die Lüneburger Heide als romantische Naturlandschaft. Als wild und ursprünglich beschrieben Besucher bereits im 18. Jahrhundert die sandige, karge Gegend. Das romantische Bild der Heide jedoch gründete auf einer Entwicklung, die vom Menschen geprägt worden war: Die Wälder der Gegend waren gerodet, intensive Beweidung hatte den Boden ausgedorrt, sodass der Wind sandige Dünen aufhäufte.

Heidekraut und Heidschnucken sind also nicht, wie seit dem 18. Jahrhundert gerne geglaubt wird, Reliquien ursprünglicher Natur, sondern Symbole einer rücksichtlos ausgebeuteten Landschaft. Heute steht sie unter Naturschutz, um sie "nachhaltig bewirtschaften zu können". Geschützt wird aber nicht die Natur, sondern eine Kulturlandschaft. Stabilität in der Natur verdankt sich meist menschlichem Einsatz, natürlich wäre der Wandel. Nachhaltigkeit als Sieg der Kultur über die Natur?

Der Begriff "Nachhaltigkeit" verführt leicht zum Etikettenschwindel, der in der Umweltpolitik durchaus üblich ist, meist ohne betrügerisch gemeint zu sein. Der Name "Greenpeace" etwa suggeriert "grünen Frieden", obwohl die Natur eher mit permanentem Krieg verglichen werden könnte. Jede Spezies trachtet danach, sich auf Kosten anderer auszubreiten. Romantiker hingegen erkennen in der Natur "natürliche Harmonie" oder "natürliches Gleichgewicht".

Journalisten sollten sich aber nicht von Wunschbildern leiten lassen. Sie sollten beispielsweise nachfragen, ob es tatsächlich im Sinne einer reklamierten Nachhaltigkeit ist, wenn sogenannte Ausgleichsflächen geschaffen werden: Wird ein Flussarm zugeschüttet, kämpfen Naturschützer andernorts unter der Devise der Nachhaltigkeit für das Einreißen eines Deiches, um vermeintlichen "Naturraum" wiederherzustellen. Oft zerstört man auf diese Weise gleich zwei Landschaften – es entsteht keine Natur, sondern jeweils Menschenwerk. Das kann sinnvoll sein, aber auch schädlich. Denn die "Ausgleichsfläche" wäre womöglich wichtig für den Anbau von Kulturpflanzen.

Oft waren es industrielle Eingriffe, die Dauerhaftigkeit ermöglichten. Erst Kalidünger stabilisierte landwirtschaftliche Erträge und ermöglichte "nachhaltiges Wirtschaften". Und Gott hat bekanntlich zwar das Meer geschaffen, aber der Friese die Küste: Der Deichbau sorgte für eine stabile Küstenlandschaft, was wohl als "nachhaltiges Management" gelten kann. Oder wäre es nachhaltig gewesen, das Wattenmeer sich natürlich entfalten zu lassen? Nachhaltigkeit lässt sich für alles und sein Gegenteil in Anspruch nehmen.

Und wie soll man im Fall der Ringelgänse entscheiden? Die Vögel stehen unter Artenschutz, fressen aber zu Tausenden die bestellten Äcker Schleswig-Holsteins kahl. Landwirte wollen sie zum Abschuss freigeben, Vogelschützer nicht. Was hilft es hier, von Nachhaltigkeit zu sprechen? Statt sie nebulös zu proklamieren, sollten konkrete Ziele genannt werden.

Unter Journalisten aber gibt es eine verbreitete Sehnsucht nach Nachhaltigkeit. "Wir müssen die Leser auf die Chefredakteure hetzen, um nachhaltige Themen durchzudrücken", rief ein freier Autor jüngst auf einer Tagung von Umweltjournalisten an der Universität Lüneburg seinen Kollegen zu. "In Umfragen wünschen sich Leser Nachhaltigkeit, lesen die Texte dann aber nicht", gab eine Redakteurin zu bedenken. Nachhaltigkeitsthemen stünden doch längst oben auf der Homepage und auf Seite 1 und liefen in den Fernsehnachrichten, entgegnete ein Kollege. "Das N-Wort kommt nur oft nicht ausdrücklich vor." Es wäre aber wichtig, dass es vorkäme, wendete ein anderer Journalist ein. "Denn Nachhaltigkeit bedeutet, in Zusammenhängen zu denken", sagte er.

Ich behaupte das Gegenteil: Der Begriff "Nachhaltigkeit" verschleiert die komplexen Zusammenhänge in der Natur und die zwischen Umwelt und Gesellschaft. Er liefert keine Antwort, sondern wirft Fragen auf. Der Begriff ist schädlich. Überlassen wir ihn listigen Verkäufern.

Dipl.-Geologe, geb. 1971; Redakteur in der Wissenschaftsredaktion von "Spiegel Online", Ericusspitze 1, 20457 Hamburg. E-Mail Link: axel_bojanowski@spiegel.de